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Gilgameš, Enkidu und die Unterwelt


Der deutsche Text ist meine eigene Hervorbringung. Ich kann kein Sumerisch. Nach zwei bis drei Tagen hatte ich einen ersten Eindruck von der Struktur der Sprache. Aber meine Versuche, den Text grammatikalisch zu analysieren, sind bestenfalls als educated guesses zu betrachten.

Einführung in die Grammatik:

 Wikipedia-Art. Sumerische Sprache
Ein kurze Einführung in die Grammatik.
 Kausen, Ernst: Sumerisch. 2006 (Word Doc)
Die Grundlage für den Wikipedia-Artikel.
 Foxvog, Daniel A.: Introduction to Sumerian Grammar. 2016 (PDF)
Relativ ausführliche Darstellung der Grammatik.
 Delitzsch, Friedrich: Kleine sumerische Sprachlehre für Nichtassyriologen. Grammatik, Vokabular, Textproben.– Leipzig: Hinrichs, 1914.
Hinsichtlich der Sprachstrukturen veraltet. Es fehlen z.B. Unterscheidung personal vs. nicht-personal bei der Nominalflexion, Ergativ u.ä.
 Wikibook Sumerian/Grammar
Fragment eines Sumerischkurses, der einige einfache Beispiele für Nominal- und Verbalphrasen bietet.

Als Lexika habe ich verwendet:

 Sumerian lexicon search
Praktisches Online-Dictionary, bietet auch Suche nach englischen Wörtern.
 Halloran John A.: Sumerian Lexicon
Die Grundlage für die Sumerian lexicon search, etwas umständlich zum Suchen.
 Electronic Pennsylvania Sumerian Dictionary (ePSD)
Ausführliches Belegstellenlexikon, die Bedeutungsangaben sind dagegen eher spärlich.
 Delitzsch, Friedrich: Sumerisches Glossar.– Leipzig: Hinrichs, 1914.
Nicht mehr ganz aktuell und setzt Assyrischkenntnisse voraus. Die Lemmata sind nicht nach dem lat. Alphabet geordnet, sondern offenbar nach einem syllabischen (nämlich: a, i, e, u, b, p, g, k, d, t, l, r, m, n, g͑ [=ĝ], z, s, š).

Der Text nach:
Black, J.A., Cunningham, G., Fluckiger-Hawker, E, Robson, E., and Zólyomi, G., The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature (http://www-etcsl.orient.ox.ac.uk/), Oxford 1998- (abgekürzt: ETCSL).

 Gilgamesh, Enkidu and the nether world: composite text
Sumerischer Text in ASCII-Schreibung (j für ĝ, c für š, V2 und V3 statt der üblicheren und ).
 Gilgamesh, Enkidu and the nether world: translation
Englische Übersetzung.

Ein sumerisches Fragment aus der Gilgameš-Erzählung (ETCSL 1.8.1.4) beginnt so:

1 ud re-a ud sù-rá re-a ud Tag
re jener, -a Lokativ
sud (/sudr/) fern, weit
An jenem Tag, an jenem fernen Tag, In those days, in those distant days, Der Text beginnt, wie das Enuma eliš und die Genesis, mit einer Zeitbestimmung, die in die graue Vorzeit verweist.
2 ĝi6 re-a ĝi6 ba9-rá re-a ĝi Nacht; dunkel (sein)
bad (/badr/) fern sein, fern
in jener Nacht, in jener fernen Nacht, in those nights, in those remote nights,
3 mu re-a mu sù-rá re-a mu Name; Jahr in jenem Jahr, in jenem fernen Jahr, in those years, in those distant years;
4 ud ul níĝ-du7-e pa éd-a-ba ul Freude; fern, alt
niĝdu was zweckmäßig, angemessen ist
e(d) hinausgehen (marû), pa e zeigen, erscheinen lassen (ed.a.bi.a? d.i. -a- Nominalisierungssuffix + -bi- Possessivsuffix 3.Sg. + -a Lokativendung?)
am längst vergangenen Tag, an dem die zweckmäßigen Dinge erschienen sind, in days of yore, when the necessary things had been brought into manifest existence,
5 ud ul níĝ-du7-e mí zid dug4-ga-a-ba zid recht, richtig, gut
mi dug sich kümmern um, gut behandeln (dug.a.bi.a?)
am längst vergangenen Tag, an dem für die zweckmäßigen Dinge recht gesorgt worden ist, in days of yore, when the necessary things had been for the first time properly cared for,
6 èš kalam-ma-ka ninda šú-a-ba Heiligtum
kalam Land, Sumer, -ak- Genetiv, -a Lokativ
ninda Brot
šu(š) bedecken, niederwerfen, niedersinken, ausbreiten
an dem in den Heiligtümern des Landes Brot verteilt worden ist (?), when bread had been tasted for the first time in the shrines of the Land,
7 imšu-rin-na kalam-ma-ka níĝ-tab ak-a-ba im Ton?
šurin Ofen
niĝtab Brennkammer
ak(a) tun, machen
an dem in den Öfen des Landes eine Brennkammer (Feuer?) gemacht worden ist (?), when the ovens of the Land had been made to work,
8 an ki-ta ba-da-ba9-rá-a-ba an Himmel
ki Erde, Land; Ort, -ta Ablativ
bar draußen; aufschneiden, teilen, trennen (ba.ta.bar-, ba Mediumpräfix?, ta Ablativinfix)
an dem der Himmel von der Erde getrennt worden ist, when the heavens had been separated from the earth,
9 ki an-ta ba-da-sur-ra-a-ba sur begrenzen, trennen an dem die Erde vom Himmel abgegrenzt worden ist, when the earth had been delimited from the heavens,
10 mu nam-lú-u18-lu ba-an-ĝar-ra-a-ba mu s. Z.3
namlulu Menschheit
ĝar setzen, stellen (ba.ĝar-, n hier wohl nur lautliche Antizipation des folgenden ĝ)
an dem der Name der Menschheit aufgerichtet worden ist, when the fame of mankind had been established, Den Namen aufrichten bedeutet soviel wie: entstehen lassen, erschaffen.
11 ud an-né an ba-an-de6-a-ba an.e Ergativ
de tragen, bringen (ba.n.de-, ba hier medial-reflexiv für sich, n Agens 3.Sg.)
an dem Tag, an dem An den Himmel (davon)getragen hat, when An had taken the heavens for himself, An: der Himmelsgott, Stadtgott von Uruk.
12 den-líl-le ki ba-an-de6-a-ba d = diĝir Gott(heit); en Herr, Priester; líl Wind; -e Ergativ an dem Enlil die Erde (davon)getragen hat, when Enlil had taken the earth for himself, Enlil: „Herr des Windes“, Sohn des An, eine der wichtigsten sumerischen Gottheiten.
13 dereš-ki-gal-la-ra kur-ra saĝ rig7-bi-šè im-ma-ab-rig7-a-ba ereš Königin, Herrin; ki(gal) Unterwelt; -ra Dativ
kur Hochland, Gebirge; Fremdland; Unterwelt
sag rig verleihen, zusprechen, schenken, -bi.še = Poss.3.Sg.i + Terminativ, im-ma-ab- = i.m.ba.b- (prothet. i + Ventiv + Medium + 3.Sg.i?)
an dem die Unterwelt der Ereškigal als Geschenk gegeben worden ist; when the nether world had been given to Ereš-kigala as a gift; Ereškigal: Göttin der Unterwelt, Schwester der Inanna.
14 ba-u5-a-ba ba-u5-a-ba u fahren, führen, lenken an dem er gefahren ist, an dem er gefahren ist, when he set sail, when he set sail,
15 a-a kur-šè ba-u5-a-ba a-a = aya Vater
kur s. Z.13, -še Terminativ
an dem der Vater zur Unterwelt gefahren ist, when the father set sail for the nether world,
16 den-ki kur-šè ba-u5-a-ba an dem Enki zur Unterwelt gefahren ist – when Enki set sail for the nether world -- Enki: „Herr der Erde“, Gott des Süßwassers, akkad. Ea.
17 lugal-ra tur-tur ba-an-da-ri lugal König
tur klein, jung (Verdoppelung bedeutet Intensivierung – sehr – oder Plural)
ri (nieder)legen, werfen (ba.n.da.ri, ba Medium, n Agens 3.Sg.?, da Komitativ??)
dem König warfen sich (??) kleine, against the king a storm of small hailstones arose,
18 den-ki-ra gal-gal ba-an-da-ri gal groß dem Enki warfen sich (??) große. against Enki a storm of large hailstones arose.
19-26
27 ud-bi-a ĝiš 1-àm ĝišha-lu-úb 1-àm ĝiš 1-àm ud s. Z.1, -bi Demonstrativsuffix, -a Lokativ
ĝiš, ĝeš Baum
-am Kopula 3.Sg.
halub eine Baumart
An diesem Tag war (da) ein (einzelner) Baum, ein (einzelner) Halub war (da), ein (einzelner) Baum war (da), At that time, there was a single tree, a single halub tree, a single tree,

Da meine eigene Übersetzung auf viel Mutmaßung beruht, möchte ich an dieser Stelle noch die Übertragung von Caubet/Pouyssegur mitteilen. Die deutsche Fassung ist zwar wahrscheinlich aus dem Französischen übersetzt, aber immerhin:

An diesem Tage, diesem Tage so ferne,
in dieser Nacht, dieser Nacht so ferne,
an diesem weit zurückliegenden Tage geschah, was sein mußte,
wurde getan, was getan werden mußte,
mit jener Sorgfalt, die erforderlich war ...
Als der Himmel von der Erde getrennt ward,
als der Gott An den Himmel forttrug,
und der Gott Enlil die Erde,
ward die Hölle zur Mitgift der Göttin Ereschkigal ...
(Caubet, Annie; Pouyssegur, Patrick: Der Alte Orient. Von 12.000 bis 300 v. Christus.– Frechen: Komet-Verl., o.J. A. d. Frz. v. Diethard H. Klein. S. 172. [Frz. Orig.: Paris, 2001.])

Der Text ist keine Schöpfungserzählung, aber er beginnt mit der Anfangszeit des Universums. Sumer. ud „Tag“ ist hier (wie wohl auch die sechs Tage des Schöpfungsberichts in Gen 1) als Zeitbereich unbestimmter Länge zu verstehen. Zunächst ist niĝdu („was angemessen, zweckmäßig, geeignet ist“) erschienen, d.h. wohl: ins Dasein getreten. Dann wurden Himmel und Erde getrennt. Trennen, scheiden spielt auch in Gen 1 eine wichtige Rolle: Gott trennt Licht von Finsternis (V. 4), das Wasser unter der Feste vom Wasser über der Feste (V. 7), Wasser vom Land (V. 9), Tag und Nacht (V. 14). Dann tritt die Menschheit auf den Plan (wie, wird nicht gesagt). Und schließlich „erobern“ sich die Götter ihren jeweiligen Wirkungsbereich; wie im griechischen Mythos Zeus den Himmel, Poseidon das Meer und Hades das Totenreich bekommt – das Land allerdings gehört ihnen gemeinsam –, so bekommt An den Himmel, Enlil die Erde, Ereškigal die Unterwelt. Im folgenden wird noch erzählt, dass Enki mit dem Schiff in die Unterwelt fährt, er dabei aber gegen einen furchtbaren (Hagel-?)Sturm und riesige Wellen ankämpfen muss.

In dieser frühen Zeit des Universums pflanzt sich die Göttin Inanna einen Halub-Baum (akkad. ḫaluppu oder ḫuluppu) in ihrem Garten, um später aus seinem Holz einen Thronsessel und ein Bett anzufertigen. Doch als der Baum groß geworden ist, nistet sich in seinen Wurzeln eine unbezwingbare Schlange ein, im Geäst der Anzud-Vogel (akkad. anzû) und im Stamm ein weiblicher Dämon; deshalb kann Inanna den Baum nicht fällen. Da Inannas Bruder, der Sonnengott Utu, nicht helfen will, wendet sich die Göttin an Gilgameš.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 22. Jan. 2017