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Goliath aus Gath
Als ich die Beschreibung der Waffen Goliaths las, musste ich an die mykenische Kriegervase denken. Umso überraschter war ich, auf Wikipedia zu lesen, es handle sich dabei um die anachronistische Beschreibung der Waffen eines griechischen Hopliten des 6. Jh. Weitere Beschäftigung mit dem Thema hat gezeigt, dass es dazu bereits Unmengen an wissenschaftlicher Literatur gibt. Ich will keine Dissertation verfassen, also gebe ich nur unsystematisch einiges aus der im Netz vorhandenen Literatur wieder und füge ein wenig von meinem Senf hinzu.
Goliath aus Gath, hebr. גָּלְיָת Gŏljāt, ist ein hünenhafter Krieger der Philister während der Regierung des ersten israelitischen Königs Saul. Es gibt über ihn zwei Überlieferungen: einerseits ist da das Summarium über die Siege über die Refaiter 2Sam 21,15-22; und andererseits gibt es die bekannte Geschichte 1Sam 17, in der David mit einer Schleuder den Goliath tötet.
2Sam 21,19 heißt es:
Und wieder entstand bei Gob der Kampf mit den Philistern. Da erschlug ʾÆlḥanan, der Sohn des Jaʿîr, der Bethlehemiter, den Goliath, den Gathiter. Und der Schaft seines Speers (war) wie ein Weberbaum.
Anstelle von Jaʿîr steht im masoretischen Text (MT) jaʿrê-ʾoregîm „Wälder von Webern“. Hier liegt wohl eine fehlerhafte Wiederholung des ʾoregîm vom Ende des Verses vor. Die Verderbnis ist alt und findet sich bereits in der LXX, die Ἀριωργιμ hat. Die meisten Herausgeber setzen stattdessen nach dem Parallelbericht 1Chr 20,5 Jaïr.
Besagter Parallelbericht 1Chr 20,5 lautet:
Und wieder entstand der Kampf mit den Philistern. Da erschlug ʾÆlḥanan, der Sohn des Jaʿîr[1], den Laḥmî, den Bruder des Goliath, den Gathiter. Und der Schaft seines Speers (war) wie ein Weberbaum.
[1] Jāʿîr ist das Qerê (das nach Ansicht der Masoreten Gemeinte), Ketîb (Konsonantentext) ist Jāʿûr.
Der Weberbaum ist eine Rundstange oder Walze. Beim antiken (aufrecht stehenden) Gewichtswebstuhl sind an ihm die Kett(en)fäden (das sind die in Längsrichtung, d.h. parallel zur Webkante verlaufenden Fäden) oben aufgehängt. Man spricht auch vom Tuchbaum. Beim horizontalen Webstuhl gibt es zwei Bäume: den Kett- oder Garnbaum, von dem die Kettfäden abgewickelt werden, und den Waren- oder Zeugbaum, an dem das fertige Gewebe aufgewickelt wird.
Wenn es heißt, Goliaths Speerschaft sei wie ein Weberbaum gewesen, so ist naheliegenderweise gemeint, dass der Schaft so dick und schwer war wie besagter Teil des Webstuhls. Alles andere halte ich für an den Haaren herbeigezogen. Anscheinend hat Yigael Yadin behauptet, der Vergleich beziehe sich auf die Wurfschlinge an Goliaths Speer.
Für die moderne Exegese ist es ausgemacht, dass die Version in 2Sam 21,19 Vorrang hat vor der David-Goliath-Erzählung in 1Sam 17 und dass der Ruhm, den Philister besiegt zu haben, erst sekundär auf David übertragen wurde. Weiters nehmen die meisten Exegeten an, dass in 1Chr 20,5 eine Uminterpretierung des hebr. Bêt hallaḥmî „der Bethlehemiter“ von 2Sam 21,19 als ʾaet-Laḥmî „den Laḥmî“ vorliegt, um den Widerspruch zur David-Goliath-Erzählung auszugleichen.
Ausleger, die davon ausgehen, dass es keine Widersprüche in der Bibel gibt, nehmen entweder an, dass es tatsächlich zwei Personen namens Goliath gegeben hat (etwa Vater und Sohn), oder dass in 2Sam 21,19 wie in 1Chr 20,5 zu lesen ist „den Bruder des Goliath“. Eine andere Erklärung geht von der Beobachtung aus, dass Goliaths Name in der David-Goliath-Erzählung nur zweimal vorkommt. Ansonsten wird er nur der Philister genannt. Daraus wird geschlossen, David habe in Wahrheit einen anderen Philister besiegt, dessen Name nicht überliefert ist.
Meine persönliche Einschätzung: dass es zwei verschiedene Versionen desselben Ereignisses gibt, wäre für mich kein Problem. Welcher Version der Vorzug zu geben ist, ist schwer zu entscheiden. Dass 2Sam 21,19 korrupt ist, steht m.E. außerhalb jeden Zweifels. 1Chr 20,5 mag einfach ein Emendationsversuch sein, es könnte aber auch den ursprünglicheren Text enthalten.
Da mir der Spieß nur aus gastronomischen Zusammenhängen geläufig ist (Zigeunerspieß), verwende ich stattdessen zumeist den Begriff Lanze.
Die antiken Sprachen bzw. ihre Wörterbücher unterscheiden sowenig scharf zwischen diesen Gegebenheiten wie das Deutsche. Griech. τὸ δόρυ, δόρατος, ἡ λόγχη, ἡ αἰχμή, τὸ ἔγχος (episch auch ἡ ἐγχείη, ἡ μελίη eigtl. „Esche“) sind wohl Lanze und Speer, τὸ ξυστόν hauptsächlich die Lanze, τὸ ἀκόντιον (episch auch ὁ ἄκων, -οντος) und τὸ παλτόν in erster Linie der Speer. Lat. hasta und lancea sind Lanze und Speer, iaculum ist der Speer, pīlum der Speer der römischen Fußsoldaten, framea der Speer der Germanen (dt. Frame).
Hebr. חֲנִית ḥanît heißt laut Gesenius „Speer“. Stellen wie 1Sam 18,10f scheinen zu zeigen, dass die ḥanît bei den Israeliten ein Wurfspieß war.
Der Name Gŏljāt (mit Qāmeṣ ḥāṭûf in der ersten Silbe) ist wohl nicht semitisch, sondern philistäisch. Zum Vergleich werden häufig herangezogen:
Die Beschreibung Goliaths in der bekannten David-Goliath-Erzählung 1Sam 17,4-7 lautet:
4 Da trat der Vorkämpfer[2] aus den Lagern der Philister heraus, Goliath (war) sein Name, aus Gath, seine Höhe sechs Ellen und eine Spanne.
5 Und ein Helm aus Bronze (war) auf seinem Kopf, und er (war) bekleidet mit einem Schuppenpanzer, und das Gewicht des Panzers (betrug) fünftausend Schekel Bronze.
6 Und Beinschienen[3] aus Bronze (waren) an seinen Beinen, und ein Kidon aus Bronze zwischen seinen Schultern (d.i. auf seinem Rücken?).
7 Und der Schaft[4] seines Speers (war) wie ein Weberbaum, und die Spitze seines Speers (bestand aus) sechshundert Schekel Eisen. Und der Schildträger ging vor ihm.[2] Vorkämpfer: im Hebr. אִישׁ־הַבֵּנַיִם ʾîš habbenajim „der Mann der beiden Zwischenräume“. Mit diesem eigenartigen Dual ist wohl das gemeint, was auf Griech. μεταίχμιον „Zwischenraum zwischen zwei Heeren“ heißt. Goliath ist ein Krieger, der zwischen den Fronten einen stellvertretenden Zweikampf über Sieg und Niederlage austragen soll.
[3] Der MT hat für die bronzenen Beinschienen מִצְחַת נְחֹשֶׁת miṣḥat neḥošæt. Doch ist ein Wort מִצְחָה miṣḥâ sonst nirgends belegt, und es wäre ein Plural zu erwarten. Entweder ist miṣḥâ als Kollektivum „Beschienung“ zu verstehen oder man liest, wie es das Wörterbuch von Gesenius vorschlägt, מִצְחֹת miẓḥot, also Pl. von מֵצַח meṣaḥ „Stirn“. Allerdings ist diese metaphorische Verwendung von meṣaḥ ebenfalls sonst nirgends belegt. Die Bedeutung ist im Kontext klar und durch die LXX (κνημῖδες) gesichert.
[4] Schaft: so das Qerê, das Ketîb ist „Pfeil“.
Eine Elle ist nicht ganz ein halber Meter, eine Spanne ist eine halbe Elle. Nach dem MT ist Goliath also gut 3 m groß. Mit dem MT gehen konform die griech. Übersetzung des Symmachus und des Origenes (s. Fields Hexapla-Ausg.) und die Vulgata (lat. Text auf bibelwissenschaft.de). Die LXX hat allerdings „vier Ellen und eine Spanne“ (griech. Text auf bibelwissenschaft.de), das sind dann an die 2 m. Diese Lesart wird auch bestätigt durch die Samuelfragmente von Qumran (4QSama = 4Q51, hebr. Text) und die Nacherzählung von Flavius Josephus (Ios. ant.Iud. 6,171=6,9,1, griech. Text ed. Thackeray/Marcus). Mir erscheint Hays Erklärung, dass die „sechs Ellen“ (שׁשׁ אמות) durch die „sechshundert“ (שׁשׁ מאות) aus V. 7 hierhergerutscht sind, höchst plausibel. Wenn man bedenkt, dass Männer in dieser Zeit durchschnittlich 1,65 m groß wurden, dann sind 2 m Körpergröße immer noch sehr viel.
Die Liste der größten Personen auf Wikipedia zeigt, dass es zwar Menschen mit über 2,5 m Körpergröße gibt, die meisten aber infolge von Akromegalie (krankhaftem Größenwachstum). Diese Menschen leiden unter oft massiven Wirbelsäulen- und Gelenksproblemen und werden, wenn die Krankheit nicht behandelt wird, nicht sehr alt. Daher halte ich die Einschätzung (u.a. des israelischen Neurologen Vladimir Berginer), Goliath habe an Akromegalie gelitten, für wenig wahrscheinlich. Zwar wäre ein solcher Riese furchteinflößend gewesen, aber jeder Israelit hätte an seinen Bewegungen schnell gemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Ein Schekel sind etwas mehr als 11 g. Der Panzer ist also über 55 kg schwer, die Lanzenspitze über 6,5 kg.
Eine Waffe fehlt in dieser Beschreibung: Goliaths Schwert, das erstmals V. 45 erwähnt wird, wenn David zu Goliath sagt: „Du kommst zu mir mit Schwert und mit Lanze und mit Kidon.“ Und noch einmal in V. 51, wo David es nimmt, um damit Goliath zu enthaupten.
Dem öfter vorgebrachten Einwand, die Rüstung Goliaths entspreche nicht der Bewaffnung philistäischer Kämpfer, wie man sie auf ägyptischen Darstellungen des Kampfes gegen die Seevölker sehen kann (insbes. am Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu), möchte ich dreierlei entgegnen:
Was ich an Goliaths Rüstung am überraschendsten finde, ist, dass er neben Lanze und Schwert eine dritte Waffe führt, eben den ominösen Kidon.
Ein כִּידוֺן kîdôn ist offenbar Teil der Bewaffnung. Das Wort kommt im AT nur achtmal vor, ohne dass wir eine klare Vorstellung bekommen, worum es sich handelt. Die LXX übersetzt das Wort an den verschiedenen Stellen ganz unterschiedlich. Auch die Targumim bieten drei Übersetzungsvarianten. Die Vulgata versteht es (mit einer Ausnahme) immer als Schild:
Stelle | LXX | Targum | Vulgata |
---|---|---|---|
Jos 8,18 | γαῖσος „Wurfspieß“ | רֻמְחָא rumḥâ „Speer, Lanze“ | clypeus „Rundschild“ |
Jos 8,26 | (Vers fehlt in LXX) | ||
1Sam 17,6 | ἀσπίς „Schild“ | מְסַחֲפָא mesaḥapâ ? „Visier“ | |
1Sam 17,45 | רֻמְחָא rumḥâ „Speer, Lanze“ | ||
Hi 39,23 | μάχαιρα „Säbel, Dolch“ | רוּמְחָא rûmḥâ „Speer, Lanze“ | |
Hi 41,21 | πυρφόροϛ „Brandpfeil“ o.ä.? | hasta „Lanze“ | |
Jer 6,23 | ζιβύνη „Jagdspieß“ | תְּרִיס terîs „Schild“ | scūtum „Langschild“ |
Jer 50,42 | (27,42) ἐγχειρίδιον „Dolch, kurzes Schwert“ |
V. 45, wo kîdôn neben ḥǽræb „Schwert“ und ḥanît „Speer“ genannt ist, scheint zu zeigen, dass es weder mit dem einen noch dem anderen identisch sein kann. Wahrscheinlich deshalb hat sich die LXX in 1Sam 17 für die Wiedergabe als „Schild“ entschieden. Wohl im Sinne eines kleinen Rundschildes, denn in V. 7 ist ja der Träger der ṣinnâ, des großen, manndeckenden Schildes genannt.
Wegen Jos 8,18.26 (Josua streckt den Kidon in seiner Hand gegen Ai aus, bis der Bann an ihnen vollstreckt ist) und Jer 6,23 (das Volk aus dem Norden führt Bogen und Kidon) wurde das Wort von den neuzeitlichen Philologen und Übersetzern lange Zeit als Wurfspieß gedeutet (z.B. Gesenius, Strong, s. auch Keil/Delitzsch). Manche Ausleger nahmen wegen Jos 8,18 an, es handle sich um einen langen Spieß, an dem eine Fahne oder dergleichen befestigt werden konnte (s. Joshua 8:18 Commentaries, Keil & Delitzsch, Commentary on the Old Testament, Jos 8).
Fassen wir zusammen: Der kîdôn ist aus Metall (bei Goliath aus Bronze). Man kann ihn in der ausgestreckten Hand halten. Goliath trägt seinen anscheinend auf dem Rücken. Es dürfte eine Angriffswaffe sein, die bald neben dem Speer, bald neben dem Bogen genannt ist. Er hat vielleicht eine Spitze oder Klinge (wenn láhab „Flamme“ in Hi 39,23 als „blitzende Spitze“ gedeutet werden kann).
Georg Molin hat dann in einem Aufsatz auf die Beschreibung des kîdôn in der sog. Kriegsrolle (1QM 5,11-14) hingewiesen und sich für die Bedeutung „Krummsäbel, Sichelschwert“ (engl. scimitar) stark gemacht. Das haben neuere Übersetzungen übernommen: Elberfelder 2001: „Krummschwert“; Einheitsübers. 2006 und Luther 2017: „Sichelschwert“. Im modernen Hebr. bedeutet das Wort „Bajonett, Speer“.
Ich habe versucht, die von Molin zitierte Stelle, so gut ich eben konnte, zu lesen, zu verstehen und zu punktieren. Der Text ist an einigen Stellen rätselhaft, und auch die wissenschaftlichen Übersetzungen können manchmal nur Vermutungen anstellen.
Z. | hebr. | Übers. |
---|---|---|
11 | וְהַכִּידֹנִים בַּרְזֶל בָּרוּר טָהוֺר בְּכוּר וּמְלוּבָּן כְּמַרְאַת פָּנִים מַעֲשֵׂי חָרָשׁ מַ[חֲ]שֶׁבֶת וְמַרְאֵי שִׁבּוֺלֶ[ת] | Und die Kidonim (sind) auserlesenes Eisen, geläutert in einem Schmelzofen, poliert wie ein Gesichtsspiegel, Werke eines planvollen Schmieds. Und Umrisse einer Ähre |
12 | זָהָב טָהוֺר חוֺבֶרֶת בּוֺ לִשְׁנֵי עֲבָרִין וְסָפוֺת (וְסִפּוֺת?) יֹשֵׁר (?) אֶל הָראֹושׁ שְׁתַּיִם מִזֶּה וִשְׁתַּיִם מִזֶּה אוֺרֶךְ הַכִּידֹן אַמָּה | (aus) reinem Gold ist mit ihm (dem Kidon?) verbunden auf beiden Seiten. Und Ränder (Rinnen?) gehen geradeaus (?) zur Spitze, zwei von hier und zwei von dort. Die Länge des Kidon (beträgt) eine Elle |
13 | וְחֲצִי וְרוֺחְבּוֺ אַרְבַּע אֶצְבָּעוֺת וְהַבֶּטֶן אַרְבַּע גּוּדָלִים וְאַרְבָּעָה טְפָחִים עַד הַבֶּטֶן וְהַבֶּטֶן מְרוּגֶּלֶת הֵנָּה | und eine halbe, und seine Breite vier Finger. Und der Bauch (ist) vier Daumen (breit), und (es sind) vier Handbreiten bis zum Bauch, und der Bauch wird angebunden (?) hier |
14 | וְהֵנָּה חֲמִשָּׁה טְפָחִים וְיַד הַכִּידֹן קֶרֶן בְּרוּרָה מַעֲשֵׂה חוֺשֵׁב צוּרַת רִיקְמָה בְּזָהָב וּבְכֶסֶף וְאַבְנֵי חֵפֶץ | und dort fünf Handbreit. Und der Griff des Kidon (ist) auserlesenes Horn, Werk eines Künstlers, (mit dem) Aussehen von Buntgewirktem in Gold und in Silber und kostbaren Steinen. |
Die „Ähre“ ist nach Kuhn eine Art V-förmiger Riffelung. ספות verstehen Bardtke, Van Der Ploeg und Kuhn als „Vertiefungen“ („Rinne, Rille, Kannelierung“) (Plural von סַף, im Gesenius als „Becken, Schale“ übersetzt); nach anderen ist es offenbar Kürzung aus סְפָיוֺת, Plural von סָפָה „Rand“ (=atl. שָׂפָה).
Umstritten auch מרוגלת: Bardtke (für den der Kidon ein Wurfspeer ist) nimmt es als Partizip Pual und kommt mit einer eher abenteuerlichen Bedeutungsentwicklung zur Bedeutung „verjüngt“. Carmignac nimmt eine denominale Neubildung in der Bedeutung „an Füßen oder Beinen ausgestattet sein“ an, das Part. Pual bezeichne einen zweiteiligen Beinschutz. Van Der Ploeg gibt zu, dass er die Bedeutung aus dem Kontext rät: „s'étend“, d.h. „reicht (von - bis)“. Dasselbe tun anscheinend auch Kuhn („soll gekrümmt sein“) und Molin („filed“ bzw. „sharpened“). Abraham Tal hat ein Lemma רגל mit der Übersetzung „קשירה, binding“ und zitiert als Beispiel: „והבטן מרוגלת הנה והנה = החרב קשורה אליה - מלחמת בני אור ה 14-13“, d.h. „das Schwert wird an sie [die bǽṭæn] gebunden“.
Das von mir ganz wörtlich mit „Bauch“ wiedergegebene בֶּטֶן bǽṭæn verstehen Van Der Ploeg und Yadin als „(Schwert-)Scheide“. Doch Molin rechnet vor, dass die Scheide dann deutlich kürzer gewesen zu sein scheint als das Schwert. Er versteht es daher als Ausbuchtung, Krümmung, „Bogenstück“ eines Krummschwerts; so auch Kuhn. Carmignac denkt an einen Leibschurz oder einen Diechling zum Schutz des Unterleibs.
Carmignac und Kuhn sind übrigens der Ansicht, dass man für die Kriegsrolle (wegen der Schreibung ohne Waw) von der Lesung כִּידָן kîdān ausgehen muss.
Die Waffe ist eineinhalb Ellen lang (ca. 70 cm) und vier Finger breit (ca. 8 cm), aus Eisen, anscheinend zweischneidig, und hat einen Griff. Das weist auf ein Schwert. Yadin hält dies für die Beschreibung eines gladius, des Schwertes römischer Soldaten. Der springende Punkt ist die Bedeutung des Wortes bǽṭæn. Für Yadin ist es die „Scheide“. Molin und Kuhn verstehen es als „Krümmung“ und kommen so zum Krumm- oder Sichelschwert.
Mein persönlicher Einwand: wenn schon die Übersetzer der LXX nicht mehr sicher wussten, was ein kîdôn ist, wieso können wir dann darauf vertrauen, dass der Autor eines Qumrantextes aus dem späten 1. Jh. v.Chr. (so Yadins Datierung der Kriegsrolle) es zuverlässig wusste? Die Kriegsrolle mag hier tatsächlich ein Krummschwert beschreiben. Ob es aber dieselbe Waffe ist, die Goliath auf dem Rücken trug, ist mir sehr zweifelhaft.
Ein Sichelschwert hat genau genommen die Schneide auf der Innenseite der Krümmung. Man meint aber auch mit diesem Begriff üblicherweise eine Waffe mit der Schneide auf der Außenseite. Dieses Krummschwert ist typologisch eine Weiterentwicklung der Streitaxt, d.h. es ist eine reine Hiebwaffe. Bei den Ägyptern war dieses ḫpš genannte Schwert ein Herrschersymbol des Pharao, vergleichbar unserem Szepter.
Goliath geht oder läuft David entgegen (V. 48), als er von dem Stein getroffen wird, der ihm offenbar das Bewusstsein raubt. Er fällt in die Richtung, in die er sich gerade bewegt hatte: nämlich vornüber auf sein Gesicht (V. 49). Die Behauptung, er hätte nach hinten fallen müssen, wenn ihn ein Stein am Kopf getroffen hätte, ist m.E. unzutreffend. Dazu hätte diesen weit über 100 kg schweren Koloss, der noch dazu einen guten halben Zentner an Rüstung trägt, schon ein veritabler Felsbrocken treffen müssen, nicht ein höchstens faustgroßer Stein.
Daher ist die Annahme, be-miṣḥ-ô in V. 49 (normalerweise übersetzt „in seine Stirn“) sei dasselbe Wort wie in V. 6 und bedeute auch hier „Beinschiene“, zwar nicht unmöglich, aber letztlich unnötig. Wäre tatsächlich dies gemeint, würde ich erwarten, dass der Autor einen verdeutlichenden Zusatz gebraucht hätte („an seinem Bein“ o.ä. wie in V. 6), um das naheliegende Missverständis, der Stein habe Goliath an der Stirn getroffen, zu vermeiden.
Wie kann Goliath trotz seines Helms an der Stirn getroffen werden? Als Hörer/Leser soll man sich wohl vorstellen, dass der Helm genug von der Stirn freiließ, um dort getroffen zu werden. Das spricht gegen einen Hoplitenhelm, insbes. einen vom korinthischen Typ, der fast das ganze Gesicht bedeckte und nur die Augen freiließ.
„Did David Bring a Gun to a Knife Fight?“ fragt Benjamin Johnson in einem Aufsatz. War Davids Sieg also eigentlich unfair? Doch wie sollte ein fairer Kampf gegen einen körperlich in geradezu grotesker Weise überlegenen Gegner aussehen? Und wozu überhaupt fair? Philister und Israeliten befinden sich im Krieg, nicht auf einer Sportveranstaltung. Es geht nur darum, wer gewinnt. Egal, wie. Und bei allem Gottvertrauen war David sicher auch schlau genug, um zu erkennen, dass er Goliath nur mit einer Fernwaffe besiegen konnte. Der Verzicht auf jegliche Rüstung sicherte ihm zudem die Beweglichkeit.
Ein wenig erinnert mich die Geschichte an die Tötung des Roten Ritters durch Parzival. Der „reine Tor“ tötet in seiner Unbedarftheit seinen Kontrahenten dadurch, dass er ihm seinen Speer genau ins Auge wirft (Chrétien, Perceval 1112ff). Das ist natürlich kein fairer Sieg im Sinne ritterlicher Ethik. Andererseits hatte der Rote Ritter dem ungerüsteten Parzival zuvor mit dem Lanzenschaft vom Pferd herab eins übergebraten. Er hat also den Kampf auf das Niveau einer Prügelei gebracht. Und die ging im wahrsten Sinn des Wortes ins Auge.
Klassisch gebildete Exeten haben natürlich schon vor langer Zeit die Parallelen zwischen der Bewaffnung Goliaths und der der homerischen Helden bemerkt. Homer schildert die Bewaffnung dadurch, dass er das Anlegen der Rüstung – in einer sog. Rüstungsszene – schildert. Die Rüstungsszene gehört zu den sog. typischen Szenen, also zu jenen Ereignissen, die von Homer nach festen wiederkehrenden Mustern berichtet werden (Opfer, Mahl, Versammlung u.a.).
Eine solche Rüstung zum Kampf, die in knapper Form alle Elemente einer vollständigen Rüstung enthält, ist die des Paris (der hier Alexandros genannt wird) in Hom. Il. 3,328-338:
Er aber tauchte mit den Schultern in die schöne Rüstung,
der göttliche Alexandros, Gatte der schönhaarigen Helena.
Zuerst legte er die Beinschienen um die Schienbeine,
schöne, mit silbernen Knöchelspangen versehene.
Zweitens dann schlüpfte er mit der Brust in den Panzer
seines Bruders Lykaon, und er passte ihm.
Um die Schultern warf er sodann das silbergebuckelte Schwert,
das bronzene, dann aber den großen und festen Schild[5].
Auf den starken Kopf aber setzte er den gutgearbeiteten Helm
mit dem Pferdeschweif; schrecklich nickte der Helmbusch von oben her.
Und er ergriff die wehrhafte Lanze (ἔγχος), die ihm in die Hände passte.[5] B. Kock: „Über die rechte Schulter legte er den Schwertriemen, über die linke Schulter den Tragriemen (τελαμών) des großen Schildes.“
Diese Rüstung ist auch inhaltlich bedeutsam, denn sie geht dem Zweikampf zwischen Paris und Menelaos voraus. Da Hektor den Paris hart tadelt, dass er nicht sonderlich tapfer sei, bietet dieser an, den Krieg durch einen Kampf mit Menelaos (dem Mann der Helena, die er geraubt hat) zu beenden (3,67-75). Hektor schlägt es den Griechen vor (3,86-94), Menelaos nimmt an (3,97-102). Agamemnon nennt in einem Gebet beim Schwuropfer noch einmal die Bedingungen (3,281-287): siegt Paris, darf er Helena behalten und die Griechen ziehen ab; siegt Menelaos, bekommt er Helena zurück und die Troianer entrichten ein Bußgeld (heute würde man sagen: sie leisten eine Reparationszahlung).
Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zur Goliathgeschichte. In der Ilias wird die Abmachung durch einen feierlichen Eid, verbunden mit einem Opfer, besiegelt. In 1Sam 17 ist der Vorschlag Goliaths eine kaum ernst gemeinte Verhöhnung. Es wird auch nirgends gesagt, dass die Israeliten einer solchen Abmachung zugestimmt hätten. David tritt dem Philister entgegen, um der Verhöhnung Israels und seines Gottes ein Ende zu bereiten.
Eine gewisse Parallele zum weberbaumartigen Speer Goliaths findet sich in der Rüstung des Patroklos. Achill, von Agamemnon in seiner Ehre gekränkt, nimmt nicht mehr am Kampf teil; er erlaubt aber seinem Freund Patroklos, in seiner (d.h. Achills) Rüstung zu kämpfen und den hart bedrängten Griechen beizustehen. Und so legt Patroklos Beinschienen, Brustpanzer, Schwert, Schild und Helm an (Il. 16,130-138). Dann heißt es (139-144):
Er ergriff aber zwei wehrhafte Speere (δοῦρε), die ihm in die Hände passten.
Allein die Lanze (ἔγχος) des untadeligen Aiakiden (=Achill) nahm er nicht,
die schwere, große, feste; die konnte kein anderer der Achaier
schwingen, sondern allein Achill wusste sie zu schwingen,
die pelische Esche, die Cheiron seinem Vater verschafft (v.l. gefällt) hatte
vom Gipfel (v.l. auf den Gipfeln) des Pelion, Mord zu sein den Helden.
Ob die bei Homer beschriebenen Kriegs- und sonstigen Techniken eine substantielle Erinnerung an mykenische Verhältnisse enthalten oder ob sie nicht vielmehr die Verhältnisse zur Zeit Homers wiedergeben, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Doch kann z.B. der bei der Rüstung des Odysseus Il. 10,261-265 beschriebene Eberzahnhelm eindeutig nicht der Zeit des Dichters angehören. Ebenso ist der von manchen homerischen Helden verwendete sog. Turmschild – z.B. Hektor (Il. 6,116-118), Aias (Il. 7,219 u.ö.), Idomeneus (Il. 13,405-409), Periphetes (Il. 15,645-647) – spätestens in der submykenischen Epoche nicht mehr verwendet worden.
Andere vergleichen die Goliatherzählung mit einer Episode aus der Geschichte von Sinuhe (exzellenter Wikipedia-Artikel). Der Titelheld erzählt von einem nḫt n Rṯnw „Starken von Retenu“ (Retenu ist die ägyptische Bezeichnung für Syrien und Palästina), der ihn zum Zweikampf herausfordert. Der Kampf verläuft auf folgende Weise (Sp. 134-141 des Berliner Papyrus 3022):
Dann fielen sein Schild, sein Beil, sein Arm(voll) von Speeren hin.
Nachdem ich fehlgehen ließ seine Waffen,
ließ ich vorbeigehen an mir seine Pfeile,
vergeblich folgte einer auf den anderen.
Er näherte sich mir, ich schoss auf ihn.
Mein Pfeil blieb in seinem Nacken (stecken).
Er schrie, er fiel auf seine Nase.
Ich erschlug ihn mit seinem Beil.
Ich stieß aus meinen Kriegsschrei auf seinem Rücken.
Der Syrer hat Schild, Speere, Pfeile und ein Beil (mjnb). In der Nacht vor dem Kampf bereitet Sinuhe seine Waffen vor: Pfeil, Bogen und einen Dolch (bꜣgśw). Doch tötet er seinen Gegner mit dessen eigenem Beil. Die Geschichte von Sinuhe ist fast ein Jahrtausend älter als der Kampf zwischen dem Philister und David. Der siegreiche Kampf eines Schwächeren gegen einen Stärkeren ist wohl eine immer wieder gemachte menschliche Erfahrung.
Der werkzeugkundliche Sprachgebrauch unterscheidet das einhändig geführte Beil von der zweihändig geführten, größeren Axt. In der Archäologie hingegen besteht der Unterschied darin, dass die Axt ein Schaftloch hat, das Beil hingegen nicht. Bei beiden verläuft die Schneide parallel zum Stiel. Bei der Dechsel hingegen verläuft die Schneide quer zum Stiel. Welcher Art die im ägyptischen Text genannte Waffe war, kann ich nicht sagen.
Die sog. Kriegervase ist ein in Mykene gefundener großer Mischkrug (Kratér), der auf 1100 v.Chr. datiert wird. Auf ihm sind spätbronzezeitliche Krieger in voller Bewaffnung zu sehen, auf einer Seite beim Marschieren, auf der anderen (vergleichsweise schlecht erhaltenen) Seite beim Schwingen ihrer Lanzen.
Die Rüstung dieser Krieger: Sie tragen langärmelige, aber kurzgeschürzte gepunktete Chitone mit Fransen am Saum. Darüber tragen sie einen Brustpanzer. Die Gitterlinien an seinem Rand deuten vielleicht eine Verschnürung an. Auf dem Kopf haben sie (gepunktete) Helme mit Wangenklappen und vielleicht Nasenschirm. Die Helme sind mit Hörnern und Federn o.ä. geschmückt. Sie haben Beinschienen und (geflochtene?) Schuhe. In der (nicht sichtbaren) linken Hand halten sie einen runden, unten ausgeschnittenen Schild. In der rechten haben sie eine Lanze, an der ein Proviantbeutel oder ein kleiner Weinschlauch hängt. Was nicht zu sehen ist: ein Schwert oder ein Dolch. Doch meinen Friedländer/ Loeschcke: „Der Mangel der Schwerter fällt auf; indess kann derselbe nur aus dem Ungeschick des Malers entstanden sein [...]“.
Das Vasenbild lässt natürlich nicht erkennen, aus welchem Material die Teile der Rüstung sind. Die Beinschienen können aus Bronze sein, wahrscheinlicher aber dürfte es sich um lederne Gamaschen handeln. Die Helme der marschierenden Soldaten sind, der Form nach zu urteilen, aus Metall. Doch manche interpretieren die Punkte als Nieten an einer ledernen Sturmhaube. Die Schilde waren in der Regel aus Leder, das außen mit Bronzeblech überzogen sein konnte.
Die Krieger auf der anderen Seite tragen anders geartete Helme: diese haben keine Wangenklappen, ja lassen sogar die Ohren frei. Die abstehenden kurzen Borsten sind entweder Tierfell oder eine Art Helmbusch. Eine mögliche Rekonstruktion bietet A. Salimbeti. Die Schilde sind offenbar vollrund.
Natürlich ist auch dieses Vasenbild kein photographisch getreues Abbild der Wirklichkeit. Aber es zeigt z.B., dass der Brustpanzer bereits bekannt war und dass der Künstler den kleinen Rundschild als typisch erachtete. Der mykenische Turmschild war, wie bereits oben gesagt, ebenso außer Gebrauch gekommen wie der Eberzahnhelm. Das deckt sich auch mit den archäologischen Funden.
Die Historizität der Goliatherzählung ist natürlich nicht zu erweisen. Aber ebenso ist sie nicht so einfach vom Tisch zu wischen mit der Behauptung, die Rüstung des Goliath könne es so zu Davids Zeit noch nicht gegeben haben. Anachronismen kommen im AT vor, aber man muss sie im Einzelnen erweisen, nicht einfach nur behaupten.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 26. Nov. 2019