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War Jesus verheiratet?


In Nikos Kazantzakis Roman Die letzte Versuchung Jesu hat Jesus eine (Wunsch-)Vision: eine Ehe mit Maria Magdalena und ein ganz normales Familienleben. In Philipp Vandenbergs Vatikanthriller Das fünfte Evangelium ist genau dies die Pointe: ein Evangelium, verfasst vom Sohn Jesu und der Maria Magdalena. In Dan Browns Verschwörungskrimi The Da Vinci Code (dt. Sakrileg) ist es das große Geheimnis, dessen Bekanntwerden die Kirche angeblich vernichten würde: Jesus war mit Maria Magdalena verheiratet und hatte mit ihr eine Tochter.

Diese Theorien und die vehemente Kritik konservativer kirchlicher Kreise daran setzen unausgesprochen voraus, dass eine Ehefrau und Kinder einen Beweis wider die Göttlichkeit Jesu darstellen. Aber warum? Liegt dem die Vorstellung zugrunde, dass Sexualität letztlich sündhaft ist? Nach meiner (protestantischen) Auffassung steht Jesu Menschsein zu seiner Gottessohnschaft nicht in Widerspruch. Und zum Menschsein können auch Sexualität, Ehe und Familie gehören.

Das NT erwähnt an keiner Stelle eine Frau oder Kinder Jesu. Das beweist aber noch nicht, dass er keine hatte. Auch eine Frau des Petrus wird nirgendwo erwähnt. Dennoch heilt Jesus seine fieberkranke Schwiegermutter (Mk 1,30f). Wenn er aber eine Schwiegermutter hatte, dann muss er auch irgendwann verheiratet gewesen sein. Wo aber ist seine Frau? Ist Petrus zu diesem Zeitpunkt bereits verwitwet? Oder ist seine Frau zu Hause in Kapernaum und hütet die Kinder, während Petrus mit seinem Meister durch Galiläa zieht?

An diesem Beispiel sehen wir, dass ein argumentum e silentio nur geringe Beweiskraft hat. Hätte Jesus nicht die Schwiegermutter des Petrus geheilt, wüssten wir auch von ihm nicht, dass er einmal verheiratet war. Es ist also nicht völlig auszuschließen, dass auch Jesus Frau und Kinder hatte.

Aus jüdischer Sicht erscheint es sogar sehr wahrscheinlich. Denn Jesus galt seinen Mitmenschen als Rabbi. Und ein Rabbi war in aller Regel verheiratet, schon um den Schöpfungsauftrag Gottes „seid fruchtbar und mehret euch“ persönlich zu erfüllen. Aber auch das ist natürlich kein zwingender Beweis. Denn andererseits betrachtet Jesus bewusste Ehelosigkeit durchaus als eine Möglichkeit gottwohlgefälliger Lebensgestaltung: „Und es gibt Eunuchen [d.h. Entmannte, Kastraten], die sich selbst um des Himmelreiches willen entmannt haben.“ (Mt 19,12).

Dass Jesus aber mit Maria Magdalena verheiratet war, ist ziemlich unwahrscheinlich. Sie gehörte zu einer Gruppe von Frauen, die Jesus „dienten“, d.h. die ihn finanziell unterstützten und ihn teilweise auch begleiteten (Lk 8,1-3). Sie war Zeugin seines Todes und des leeren Grabes (Mk 15,40f; 16,1-8), nach Joh war sie die erste, der Jesus als Auferstandener begegnete (Joh 20,11-18). Sie war sicher nicht die Sünderin, die Jesu Füße salbte (Lk 7,36-48). Und natürlich war sie nicht beim letzten Abendmahl zugegen (Mt 26,20). Das Zeugnis späterer Machwerke über Marias Verhältnis zu Jesus, auf die sich Dan Browns Protagonisten berufen (wie das Evangelium der Maria Magdalena), hat keinen historischen Wert. (S. im Detail meine Seite Maria Magdalena.)

So können wir auf die in der Überschrift gestellte Frage nur antworten: ignoramus, ignorabimus (wir wissen es nicht, wir werden es nicht wissen).


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 6. Juni 2022