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Der gehörnte Moses



Michelangelos Moses in San Pietro in Vincoli, entstanden zwischen 1513 und 1515.

Der Moses an der Fontana dell'Acqua Felice (Mosesbrunnen) in Rom, entstanden 1588.
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Der Moses in der Gesuatikirche in Venedig, entstanden zwischen 1738 und 1755.

Moses an der Colonna dell'Immacolata in Rom, eingeweiht 1857.

In der Kirche  San Pietro in Vincoli am Fuße des Esquilin unweit des Kolosseums befinden sich drei Plastiken Michelangelos, die für das letztlich nicht ausgeführte Grabmal des Papstes Julius II. (1503-1513) gedacht waren. Julius II. war jener Papst, der den Neubau des Petersdomes in die Wege leitete. Er saß auf dem Stuhl Petri, als Luther 1510 Rom besuchte. Luther nennt den militärisch sehr erfolgreichen, aber offenbar auch ziemlich rücksichtslosen Papst in seiner Schrift   An den christlichen Adel deutscher Nation (1520, Text bei Projekt Gutenberg / Spiegel Online) „den Blutsäufer Julium secundum“ (so der Text der Reclamausgabe 1999).

Unter diesen Figuren befindet sich der berühmte Moses: eine muskulöse, rauschebärtige Sitzfigur, die sich mit der rechten Hand auf zwei Tafeln stützt - Moses, nachdem er gerade vom Berg Sinai mit den Gesetzestafeln heruntergekommen ist (Ex 34,29ff). Eigenartig sind die beiden Hörner über der Stirn.

Möglicherweise hat sich Michelangelo am Text der Vulgata orientiert:

29 Cumque descenderet Moyses de monte Sinai, tenebat duas tabulas testimonii, et ignorabat quod cornuta esset facies sua ex consortio sermonis Domini. Und als Moses vom Berg Sinai herabstieg, hielt er die zwei Tafeln des Zeugnisses, und er wußte nicht, daß sein Gesicht von der Gemeinschaft des Gesprächs mit dem Herrn gehörnt war.
30 Videntes autem Aaron et filii Israël cornutam Moysi faciem, timuerunt prope accedere. Als aber Aaron und die Kinder Israel das gehörnte Gesicht Moses' sahen, fürchteten sie sich, nahe heranzutreten.

Hier ist also vom gehörnten Gesicht (cornuta facies) des Moses die Rede. Die LXX hingegen übersetzt δεδόξασται (bzw. V.30 ἦν δεδοξασμένη) ἡ ὄψις τοῦ χρώματος (v.l. χρωτὸς) τοῦ προσώπου αὐτοῦ: „das Aussehen der Farbe (v.l. Haut) seines Gesichtes war verherrlicht“. So hat wohl auch Paulus den Text verstanden, wie sich aus 2Kor 3,7 (διὰ τὴν δόξαν τοῦ προσώπου αὐτοῦ „wegen der Herrlichkeit seines Gesichtes“) ergibt. (Zumindest hat Paulus dieses Verständnis für seine Argumentation als möglich akzeptiert.) Moderne Bibelausgaben übersetzen allesamt „die Haut seines Gesichts strahlte“ (Schlachter), „strahlte Licht aus“ (Einheitsübers.), „glänzte“ (Luther Rev. 1984) o.ä.

Im Hebr. steht קָרַן עוֹר פָּנָיו „die Haut seines Gesichtes QRN-te“. Was bedeutet also קרן qrn? Es muß wohl mit קֶרֶן qæræn „Horn“ zusammenhängen. In Ps 69,32 kommt das Pt. Hiphil (kausativ) vor und kann dort nur „Hörner haben“ bedeuten („ein Stier, der Hörner und Klauen hat“). Hieronymus berichtet in seinem Amoskommentar, daß Aquila von Sinope unsere Stelle (um 130 n.Chr.) mit „das Aussehen seines Gesichtes war gehörnt“ übersetzt hat (s. die Fußnote zu  Ex 34,29 in Frederick Fields Hexapla-Ausgabe von 1875) . Doch ist Aquilas Wiedergabe des AT keine Übersetzung im eigentlichen Sinn, sondern eher eine Wort-für-Wort-Interlinearversion, die vor allem versucht, die hebräischen Wortwurzeln wiederzugeben.

Vermutlich hat die Wurzel קרן qrn aber noch eine andere Bedeutung. Der Dual von קֶרֶן qæræn steht in Hab 3,4 in Parallelismus zu נֹגַהּ כָּאוֹר nōgah kāʾôr „ein Glanz wie vom Licht“. Moderne Übersetzer geben ihn hier durchwegs mit „Strahlen“ wieder (während LXX und Vulg. „Hörner“ haben). Gesenius führt als weiteres Argument die Analogie von arab. راق rāqa „strahlen“ - رَوُق rawuq „Horn“ an.

Der gelegentlich gelesenen Vermutung, das cornuta der Vulg. sei ein Schreibfehler für coronata („sein Gesicht war bekränzt“), kann ich nichts abgewinnen. Es dürfte sich um einen nicht sonderlich gelungenen Emendationsversuch handeln.

Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, die Hörner zu interpretieren. Vor allem von jüdischer Seite kommt die Lesart, Michelangelo habe Moses als Teufel (weil Jude) dämonisieren wollen. Das ist natürlich Unsinn, denn die Gestalten des AT waren ebensowenig Zielscheibe des christlichen Antisemitismus wie Jesus.

Ein anderes Verständnis ist, daß die Hörner gar keine sind, sondern es sich dabei vielmehr um eine Art „künstlerisches Äquivalent“ für Strahlen handelt (Lichthörner gewissermaßen). Man vergleiche etwa:


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 3. Aug. 2017