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Von den klugen und den törichten Jungfrauen


Das bekannte Gleichnis Mt 25,1-13 gehört zum Sondergut des Matthäusevangeliums. Zu diesem Text haben viele vieles gesagt. Aber etliches ist wohl doch etwas vorschnell geurteilt, zu leichtfertig auf die je eigene Frömmigkeitsdenke interpretiert. Ich nehme nicht für mich in Anspruch, die alleinseligmachende Wahrheit zu besitzen. Ich will hier nur ein paar Auslegungen diskutieren. Ich gebe zunächst eine texttreue Übersetzung:

1 Dann wird das Himmelreich zehn Jungfrauen gleichen, die ihre Lampen nahmen und hinausgingen dem Bräutigam entgegen.
2 Fünf von ihnen waren töricht und fünf klug.
3 Denn die Törichten nahmen, während sie ihre Lampen nahmen, kein Öl mit sich.
4 Die Klugen nahmen Öl in den Gefäßen mit ihren Lampen.
5 Als der Bräutigam auf sich warten ließ, nickten sie alle ein und schliefen.
6 Mitten in der Nacht (oder: um Mitternacht?) entstand ein Geschrei: „Siehe, der Bräutigam, geht hinaus ihm entgegen!“
7 Dann standen alle Jungfrauen auf und richteten ihre Lampen her.
8 Die Törichten sagten zu den Klugen: „Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen.“
9 Die Klugen antworteten und sagten: „Es reicht niemals für uns und euch; geht lieber hin zu den Verkäufern und kauft euch.“
10 Während sie weggingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam, und die Bereiten gingen mit ihm hinein zum Hochzeitsfest; und die Tür wurde verschlossen.
11 Später kamen die übrigen Jungfrauen und sagten: „Herr, Herr, mach uns auf.“
12 Er aber antwortete und sagte: „Amen, ich sage euch, ich kenne euch nicht.“
13 Wacht daher, denn ihr wisst nicht den Tag noch die Stunde.

Das Gleichnis beginnt mit einem beziehungsreichen „dann“. Damit ist der schon 24,50 genannte Zeitpunkt, an dem der Herr kommt, gemeint. Es ist der Zeitpunkt der Parusie, der endzeitlichen Wiederkunft Jesu (vgl. z.B. Mt 24,3: „Was [wird sein] das Zeichen deiner Parusie [d.h. deines Kommens] und des Endes der Weltzeit?“).

Das Himmelreich gleicht nicht platterdings zehn Jungfrauen. Vers 1 ist dahingehend zu verstehen, dass das Himmelreich einer Hochzeitsfeier gleicht, bei der zehn Jungfrauen mit brennenden Lampen dem Bräutigam entgegengehen (Einheitsüb. „dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit […]“). Wir erfahren gleich zu Beginn, dass fünf töricht (μωρός mōrós „dumm“), fünf aber klug (φρόνιμος phrónimos „verständig, vernünftig“) sind. Wir wissen schon aus Mt 7,24-27, dass töricht und klug nicht nur intellektuelle, sondern auch charakterliche Qualitäten sind: „Jeder, der diese meine Worte hört und tut sie, wird einem klugen Mann gleichen […]. Und jeder, der diese meine Worte hört und tut sie nicht, wird einem törichten Mann gleichen […].“ Nicht um Intelligenz geht es, sondern um die Fähigkeit, das von Gott her Gebotene zu erkennen und die nötigen Konsequenzen zu ziehen.


Die klugen Jungfrauen in weißen Kleidern mit ihren Fackeln in einer Paradieslandschaft. Neben ihnen steht Christus zur Tür gewandt, vor der die törichten Jungfrauen in farbigen Kleidern um Einlass bitten (nicht im Bild). Buchmalerei im Purpurkodex von Rossano, 6. Jh.
Quelle:Wikimedia
Urheber:Bennylin
Lizenz:gemeinfrei
Bearb.:beschnitten, aufgehellt, verkleinert

Die Jungfrauen (d.h. unverheiratete junge Mädchen) sind wohl Freundinnen der Braut (nach Wellhausen S. 121 dem talmud.-aram. שֹׁשְׁבִינְתָּא šôšeḇîntâ [so die Vokalisierung bei Jastrow] „Brautjungfer“ entsprechend). Sie sollen mit brennenden Lampen dem Bräutigam entgegengehen. Das griech. λαμπάς lampás verweist eher auf Fackeln. So ist es auch auf frühen Darstellungen zu sehen. Doch das genannte Öl lässt eher an eine Form von Öllampen denken. Zahn vermutet Lampen auf Stangen (S. 679 Anm. 32), Luz' Gefäßfackeln (S. 230) sind letztlich nur eine Variante davon. Jeremias spricht von Windlichtern (S. 159). Für Jülicher ist es einfach „eine Oellampe, wie sie Dan 5 5 Θ auch im königlichen Palast Licht spendet“ (S. 448). Ich werde in weiterer Folge immer von Lampen sprechen, weil es sich so eingebürgert hat. Der Leser behalte im Hinterkopf, dass es auch Fackeln, Laternen o.ä. sein könnten. Die Klugen nehmen zusätzlich zu den Lampen auch (Reserve-)Öl mit.

In Offb 4,5; 8,10 ist λαμπάς wohl „Fackel“. In Joh 18,3 wird das Wort neben φανός phanós „Leuchte, Fackel“ (nach Bauer hier „Laterne“) genannt. Apg 20,8 heißt es, in dem Obergemach, in dem die Gemeinde versammelt war, brannten viele λαμπάδες, hier aber wohl kaum Fackeln. Die Lampe heißt griech. meist λύχνος lýkhnos, vgl. Lk 12,35; 15,8 u.ö.

Die Zehnzahl ist vielleicht Anspielung auf den Minjan, d.i. die Mindestanzahl von zehn Männern, die nötig sind, damit in der Synagoge Gottesdienst gehalten werden kann. Das würde darauf verweisen, dass sie für die Gemeinschaft der Gläubigen stehen. Nach anderen symbolisiert zehn die Vollzahl.

Wie hat man sich den Vorgang nun vorzustellen? Die Braut ist bereits im Haus, nach V. 12 wohl dem des Bräutigams; zumindest verhält er sich so, als könne er bestimmen, wer hereindarf und wer nicht. (So ist es offenbar auch bei der Hochzeit zu Kana, Joh 2,9 „(da) ruft der Speisemeister den Bräutigam“.) Vermutlich ist es bereits lustig, man „glüht vor“, wartet aber auf die Ankunft des Bräutigams. Der soll, begleitet von seinen Freunden und den Freundinnen der Braut, feierlich einziehen. Dazu trifft er sich an einem verabredeten Ort mit den Brautjungfern, die ihn mit brennenden Lampen erwarten und dann (unter Absingen frivoler Lieder :-) zum Haus der Hochzeitsfeier begleiten. Dann beginnt die eigentliche Feier. Wellhausen konstatiert hier allzu leichtfertig Unmöglichkeiten („das Gleichnis für sich genommen ist windschief“, S. 122).

Manche Ausleger berufen sich bei ihrer Kritik an unserem Gleichnis auf den bei Strack/Billerbeck zu Mt 9,15 𝔅 beschriebenen Ablauf einer jüdischen Hochzeit. Doch stellt dieses aus verschiedenen Passagen des Talmuds zusammendestillierte Bild sicher nicht die einzige Möglichkeit dar, wie zu Jesu Zeit eine Hochzeit abgelaufen ist. Jeremias weist darauf hin, dass „sich die uns erhaltenen Zufallsnachrichten räumlich auf Palästina und Babylonien, zeitlich auf viele Jahrhunderte verteilen“ (S. 157f).

Wozu die Lampen? Die brennenden Lampen sind anscheinend Teil des Zeremoniells. Und wie man aus dem Text ersieht, ein essentielles: mitmarschieren ohne brennende Lampe gilt nicht. Aber vor allem: Nachts ist es finster, es gibt keine Straßenbeleuchtung. Selbst in Großstädten wie Rom oder Alexandria war es nachts stockfinster. Wer von einem Symposion nach Hause torkeln wollte, hatte Fackelträger dabei, damit er etwas sieht. (In großen Städten waren höchstens öffentliche Gebäude wie Theater oder Thermen beleuchtet und gelegentlich öffentliche Plätze.)

Es gibt nun zwei wesentliche Varianten des Ablaufs. Die eine betrachtet V. 1 als Teil der Erzählung. Demnach gehen die Mädchen mit brennenden Lampen vom Haus der Hochzeitsfeier los und warten an einem vereinbarten Treffpunkt auf den Bräutigam. Währenddessen geht ihr Brennstoff zur Neige. Die Verfehlung der Törichten bestünde in einer modernen Analogie darin, dass sie nicht daran gedacht haben, Ersatzbatterien für ihre Taschenlampen mitzunehmen. Die andere Variante betrachtet V. 1 als Überschrift, die auf die Erzählung V. 6 vorausverweist. Demnach nicken die Mädchen im Haus ein und zünden ihre Lampen erst an, um loszugehen, als der Ruf „siehe, der Bräutigam“ ertönt. Da erst merken die Törichten, dass sie gar kein Öl in ihren Lampen haben, in einer modernen Analogie, dass gar keine Batterien in ihren Taschenlampen sind. Jülicher und Klostermann entscheiden sich für die erste Variante. So sagt denn Jülicher (S. 450): „Auf die Vorstellung, dass die Thörichten keinen Tropfen Oel in ihren Lampen gehabt haben, wird durch den Text 3 1 niemand gebracht; die Oelkrüglein werden durch das μετά [„mit“] 4 vielmehr deutlich von den Lampen selber geschieden, und nur hinsichtlich der Krüge, nicht schon der Lampen ist eine Differenz zwischen Thörichten und Klugen zu konstatieren.“ Zahn, Eckstein und Luz hingegen halten die zweite Variante für die plausiblere. Doch wäre es dann aus meiner Sicht unverständlich, warum es im Haus, in dem doch bereits Lampen brennen müssen, kein Öl mehr für die Lampen der Törichten gibt. Aber das dürfen wir nach Luz halt einfach nicht fragen (S. 234). Ein gültiger Einwand gegen die erste Variante: Warum heißt es V. 6 „geht hinaus“, wenn die Jungfrauen doch schon (womöglich seit Stunden) draußen sind?

Die mir plausibere Variante ist die erste: die Mädchen ziehen los zum vereinbarten Treffpunkt. Doch der Bräutigam kommt nicht daher. Warum? Jeremias greift auf neuzeitliche Berichte aus Palästina zurück, denen zufolge der Bräutigam erst mit den Verwandten der Braut über Geschenke und/oder Brautpreis verhandeln muss (S. 159f). Das Feilschen ist Teil des Zeremoniells und bringt Wertschätzung gegenüber der Braut zum Ausdruck. Je länger es dauert, umso schmeichelhafter für Braut und Bräutigam. Das hält Luz allerdings für „phantastisch“ (S. 231), und auch Jeremias meint, dass der Grund für die Verzögerung hier ein anderer sein müsse, weil es offenbar unerwartet ist (S. 159f).

Die Mädchen setzen sich irgendwo hin und schlafen ein, und so bekommen die törichten nicht mit, dass ihr Ölvorrat unaufhaltsam zur Neige geht. Um Mitternacht werden sie durch Rufe aufgeschreckt. Sie stehen auf und richten ihre Lampen her (Docht schneuzen, Öl nachfüllen). Mit Erschrecken stellen fünf fest, dass ihr Öl fast verbraucht ist und sie kein Öl zum Nachfüllen mitgenommen haben. Sie bitten die Klugen, mit ihnen zu teilen. Diese lehnen ab, dann würde es für keinen reichen, alle Lampen würden vorzeitig verlöschen, das wäre eine üble Blamage. Sie geben den Rat, noch schnell zu einem Händler zu laufen und Öl zu kaufen.

Die Antwort der Klugen in V. 9 ist textkritisch umstritten: Nestle/Aland und Westcott/Hort haben μήποτε οὐ μὴ ἀρκέσῃ „es wird gewiss niemals reichen“. Weiss mit Semikolon μήποτε· „niemals: es wird gewiss nicht reichen“. Die Hauptzeugen für diesen Text sind Vaticanus, Ephraemi rescr. und Bezae Cantabr. Das hält auch Schniewind für das richtige: „Der ursprüngliche Text […] ist von abstoßender Schroffheit“ (S. 248). Die Mehrzahl der Ausleger scheint die schwächere Variante μήποτε οὐκ ἀρκέσῃ „es wird vielleicht nicht reichen“ (Jülicher: „ob es vielleicht nicht ausreicht“, Klostermann: „ich besorge, es möchte nicht“, Schniewind: „daß es nur nicht uns und euch gebreche“) zu bevorzugen (so auch Tischendorf in seiner Editio critica maior und Westcott/Hort als gleichwertige Variante am Seitenrand). Die Hauptzeugen sind Sinaiticus und Alexandrinus. Was das Ursprüngliche ist, ist kaum zu entscheiden, eine reine Geschmacksfrage.

Das tun die fünf Törichten denn auch, doch die Zeit reicht bei weitem nicht, einen Ölhändler wachzuklopfen und ihn anzubetteln, doch aufzustehen und ihnen etwas Lampenöl zu verkaufen. Die fünf Klugen sind bereit, sie begleiten den Bräutigam ins Festhaus. Die Tür wird verschlossen, das Fest beginnt. Dass die Tür verschlossen wird, ist auffallend. Man möchte meinen, dass bei einer Hochzeit auf dem Dorf das ganze Dorf eingeladen ist und die Türen offenstehen.

Irgendwann kommen die Törichten nach. Ob es ihnen gelungen ist, Öl aufzutreiben, erfahren wir nicht. Es spielt auch gar keine Rolle mehr. Sie bitten um Einlass, doch der wird verweigert. „Ich kenne euch nicht“ bedeutet nicht „ihr seid mir unbekannt“ (es sind doch Freundinnen seiner frischangetrauten Frau), es bedeutet „ich habe mit euch nichts zu schaffen, ihr gehört nicht zu mir, geht weg“ (Schmid S. 344; vgl. Mt 7,21-23). Mit seinem „Amen, ich sage euch“ fällt der Bräutigam aber aus seiner Rolle. So spricht kein irdischer Bräutigam, so redet der Menschensohn und Weltenrichter. Mit ihm gibt es keinen Spielraum für Verhandlungen, sein Wort ist endgültig.

Moderne Ausleger wie Luz haben ein Problem mit der Endgültigkeit des Gerichts und ziehen einen anderen Schluss vor, wie ihn z.B. auch Nikos Kazantzakis in Der letzten Versuchung Christi propagiert. Da fragt Jesus den Nathanael, was er an Stelle des Bräutigams getan hätte. Und Nathanael antwortet nach einigem Zögern: θ’ ἄνοιγα „ich hätte aufgemacht“. Jesus beglückwünscht den Nathanael und bestätigt ihm: Τὸ ἴδιο ἔκαμε κι ὁ γαμπρός· φώναξε τοὺς δούλους: » — Ἀνοῖχτε τὴν πόρτα· γάμος εἶναι ἐτοῦτος, ὅλοι νὰ φᾶνε, νὰ πιοῦν, νὰ χαροῦνε· ἂς μποῦν οἱ μωρὲς παρθένες· καὶ πλύντε, δροσίστε τὰ ποδάρια τους, γιατὶ ἔτρεξαν πολύ. „Dasselbe hat auch der Bräutigam getan; er rief die Diener: »Öffnet die Tür; dies ist eine Hochzeit, alle sollen essen, sollen trinken, sollen sich freuen; die törichten Jungfrauen sollen hereinkommen; und wascht, erfrischt ihre Füße, denn sie sind viel gelaufen.«“ (Kap. 15) Ein versöhnlicher Schluss – doch er beruht auf Wunschdenken und unterläuft die Intention des Gleichnisses. Gott ist bei aller Güte ernst zu nehmen.

Die Schlussermahnung „wachet“ bedeutet nicht, niemals zu schlafen, sondern jederzeit bereit zu sein für die Ankunft des Menschensohnes (Klostermann, S. 201).


Der Verführer mit Apfel in der Hand und drei der törichten Jungfrauen, die Jungfrau ganz links ist anscheinend schon dabei, die Hüllen fallen zu lassen. Skulpturen am rechten (südlichen) Portal des Strass­burger Münsters, spätes 13. Jh.
Quelle:Wikimedia
Urheber:Rama, 2006
Lizenz:CC BY-SA 2.0 FR
Bearb.:beschnitten, Kontrast geringfügig erhöht, verkleinert

Drei der törichten Jungfrauen mit Gesten der Trauer und Verzweif­lung. Die barhäuptige Frau mit gesenktem Haupt ganz rechts verkörpert die Synagoge. Skulp­turen am Jungfrauenportal des Erfurter Domes, 14. Jh.
Quelle:Wikimedia
Urheber:Tilman2007, 2021
Lizenz:CC BY-SA 4.0
Bearb.:beschnitten, Kontrast erhöht, verkleinert, nachgeschärft

Unumstritten ist unter Auslegern, dass das Hochzeitsfest für das Reich Gottes steht. Die Hochzeit ist ein Freudenfest und zugleich eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen mit Essen und Trinken nicht gegeizt wird. So eignet sie sich bestens als Bild für die Heilszeit des Gottesreiches. Nicht ganz unumstritten ist, dass der Bräutigam eine Chiffre für Jesus selbst ist. Denn im AT ist Gott der Bräutigam (Hos 2,21-22; Jer 2,2; vgl. Jes 62,4f), nicht der Messias. Doch in Mt 9,15 spricht Jesus von sich selbst als Bräutigam, und in dem Gleichnis Mt 22,2-14 ist doch wohl mit dem Sohn, für den der König die Hochzeit ausrichtet, ebenfalls Jesus gemeint. Nur gelegentlich bestritten wird heutzutage, dass die Jungfrauen die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen bedeuten. Und der Umstand, dass der Bräutigam auf sich warten lässt, gemahnt vielleicht nicht zufällig an die Erfahrung der Parusieverzögerung der frühen Kirche (vgl. 2Petr 3,4 „Spötter […], die sagen: Wo ist seine verheißene Parusie?“). Aber steht nicht die Braut für die christliche Gemeinde? Nicht in den Gleichnissen Jesu! Das ist ein Bild, das man in den Paulusbriefen (2Kor 11,2; vgl. Eph 5,25-27) und der Offb (19,7-9; 22,17; wohl auch 21,2.9) findet. Im Hochzeitsgleichnis Mt 22,1-10 wird die Gemeinde durch die Hochzeitsgäste repräsentiert.

Die Braut wird daher, zumindest in den besten Textzeugen, nicht erwähnt. Ledigliche einige wie der Bezae Cantabr. fügen in V. 1 hinter εἰς ὑπάντησιν τοῦ νυμφίου wörtl. „zur Begegnung des Bräutigams“ ein καὶ τῆς νύμφης „und der Braut“ hinzu. So auch die Vulgata obviam sponso et sponsae „dem Bräutigam und der Braut entgegen“ und die Peschitta ܠܽܐܘܪܰܥ ܚܰܬܼܢܳܐ ܘܟܼܰܠܬܼܳܐ lûraʿ ḥatnâ w-kaltâ ds. Die Mehrheit der Ausleger sieht darin einen nachträglichen Einschub, damit die Braut nicht gänzlich unerwähnt bleibe. Von den mir zugänglichen urteilt einzig Schniewind hier anders.

Dieses Gleichnis wurde gerne auch am Bildschmuck von Kirchen dargestellt. Dabei wurde durch zusätzliche Figuren auch eine Deutung mitgegeben. Am Straßburger Münster steht neben den törichten Jungfrauen der „Fürst der Welt“ (der Verführer in Gestalt eines jungen Mannes in vornehmer Kleidung), neben den klugen steht Christus; es wird hier also die Opposition von zur Sünde verführten und treu gebliebenen Gläubigen gesehen. Am Jungfrauenportal des Erfurter Doms finden wir Figuren der personifizierten Synagoge und der Ekklesia, es wird also der Gegensatz von Judentum und Christentum konstruiert. (Hierbei mag auch Lk 13,25-29 eine Rolle gespielt haben, das nach Jeremias die Verwerfung Israels im Endgericht schildere [S. 43].) Dispensationalistische Auslegungen sehen in den Jungfrauen Israel und die Nationen nach der Entrückung der Gemeinde in den Himmel.

Doch spricht Jesus hier nur zu seinen Jüngern (Mt 24,3: „traten die Jünger zu ihm für sich allein“), das Gleichnis ist am wahrscheinlichsten eine Warnung an seine Nachfolger. Viele Auslegungen bemühen hier die Unterscheidung zwischen Traditionschristen und wirklich Bekehrten oder zwischen „eifrigen Christen“ und „lauen, die zwar wohl an die Parusie glauben, sich indessen mit der Tat nicht darauf vorbereiten“ (Wellhausen, S. 122). Doch auch das passt nicht. Alle zehn haben sich aufgemacht, um den Bräutigam „heimzuholen“, alle zehn haben ihre Lampen angezündet und warten. Und dennoch: für fünf geht etwas ganz katastrophal schief. Alle zehn haben sich auf den Weg gemacht, doch fünfen ist buchstäblich „der Saft ausgegangen“.

Und hier beginnen Ausleger gern, das Gleichnis zur Allegorie zu machen. Die Törichten haben kein Öl mitgebracht. Wofür steht das Öl? Für die Werke? Für den Glauben? Für den heiligen Geist? Doch darf man so wohl nicht fragen. Die Frage muss lauten: Was entspricht dem Umstand, dass die törichten Jungfrauen nicht daran gedacht haben, (zusätzliches) Öl mitzunehmen, und sie daher letztlich die Teilnahme am Hochzeitsmahl verpassen? Welches Versäumnis von Christen könnte dazu führen, dass sie am Ende ausgeschlossen bleiben?

Und ich wüsste hier nur eines: dass die Beziehung zu Gott verlorengegangen ist. Christsein ist, um eine in vielerlei Zusammenhängen gebrauchte Analogie zu bemühen, kein Sprint, sondern ein Marathon. Und nur wer bis zum Schluss durchhält, wird in die Wertung aufgenommen. Es reicht nicht, sich einmal bekehrt zu haben. „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden.“ (Mt 24,13) Wer nur solange bei Jesus bleibt, solange der Glaube „ihm etwas gibt“, der wird früher oder später wieder verschwinden. Gerade in der Jugendarbeit erlebt man das immer wieder, dass junge Menschen einen hoffnungsvollen Anfang machen, Gebetserhörungen erleben, mutig Zeugnis von Jesus geben – und dann nach drei, vier oder fünf Jahren wieder verschwinden. Der erste Freund/ die erste Freundin; fortgehen, solange man will; das erste eigene Geld; die Gebetserhörungen werden weniger; das erste eigene Auto ist spannender als der zigste Jugendgottesdienst; viele gewinnen die Welt lieb.

Vor dieser Gefahr ist keiner gefeit. Daher ist es wichtig sich das vor Augen zu halten: es kommen Zeiten, in denen der Glaube auf die Probe gestellt wird. Dann gilt es durchzuhalten, am Ball zu bleiben. Damit wir nicht glaubensmäßig versumpfen und am Ende feststellen müssen, dass wir kein Öl haben, um den Bräutigam zu empfangen. Dass die Jungfrauen einschlafen, deutet Jülicher auf den leiblichen Tod (S. 455). (Luz hält diese Deutung für unwahrscheinlich [S. 232].) In der Auferweckung bei der Parusie ist es natürlich zu spät, nachzuholen, was man im Leben versäumt hat. Das Wichtige ist selten dringend, und so lässt es sich leicht aufschieben, bis es irgendwann zu spät ist. Beten und Stille Zeit machen – kann ich auch noch morgen. Bis es eines Tages kein morgen mehr gibt.

Anhang: Schabbath 153a

Im Talmud wird eine vergleichbare Parabel erzählt (Text und Übersetzung Goldschmidt):

רבי אליעזר אומר‎ R[abbi] Eliêzer sagte:
שוב יום אחד לפני מיתתך Thue Busse einen Tag vor deinem Tod.
שאלו תלמידיו את רבי אליעזר Die Schüler fragten R[abbi] Eliêzer:
וכי אדם יודע איזהו יום יומת Weiss denn der Mensch, an welchem Tag er sterben wird?
אמר להן Er erwiderte:
וכל שכן ישוב היום שמא ימות למחר Umso eher muss er heute Busse thun, vielleicht stirbt er morgen,
ונמצא כל ימיו בתשובה so ergiebt es sich, dass er alle seine Tage in Busse verbringt.
ואף שלמה אמר בחכמתו Ebenso sagte Šelomoh in seiner Weisheit [Pred 9,8]:
בכל עת יהיו בגדיך לבנים ושמן על ראשך אל יחסר Zu jeder Zeit mögen deine Kleider weiss sein, und deinem Haupte mangle es nie an Oel.
אמר רבן יוחנן בן זכאי משל R[abban] Joḥanan b[en] Zakkaj sagte ein Gleichnis:
למלך שזימן את עבדיו לסעודה ולא קבע להם זמן Ein König lud einst seine Diener zur Mahlzeit und setzte ihnen keine Zeit fest.
פיקחין שבהן קישטו את עצמן וישבו על פתח בית המלך Die Klugen schmückten sich und setzten sich vor die Thür des Königs,
אמרו כלום חסר לבית המלך indem sie sprachen: Fehlt denn etwas im Haus des Königs?
טיפשין שבהן הלכו למלאכתן Die Thoren dagegen gingen zur Arbeit fort,
אמרו כלום יש סעודה בלא טורח indem sie sprachen: Giebt es etwa eine Mahlzeit ohne Vorbereitung?
בפתאום ביקש המלך את עבדיו Plötzlich verlangte der König nach seinen Dienern;
פיקחין שבהן נכנסו לפניו כשהן מקושטין die Klugen traten ein, wie sie geschmückt waren,
והטיפשים נכנסו לפניו כשהן מלוכלכין die Thoren dagegen traten in ihrem Schmutz ein.
שמח המלך לקראת פיקחים וכעס לקראת טיפשים Da freute sich der König über die Klugen und zürnte über die Thoren
אמר הללו שקישטו את עצמן לסעודה ישבו ויאכלו וישתו und sprach: Die sich zur Mahlzeit schmückten, mögen sich setzen und essen und trinken;
הללו שלא קישטו עצמן לסעודה יעמדו ויראו die sich zur Mahlzeit nicht geschmückt, mögen stehen bleiben und zuschauen.

Die Klugen gehen davon aus, dass dem König alle Dinge zu Gebote stehen, er die Mahlzeit also jederzeit beginnen lassen kann. Die Toren gehen von ihren eigenen Möglichkeiten aus, dass es noch Vorbereitung brauchen wird, und wollen die vermutete Dauer nicht mit Warten zubringen. Ohne Bild: das Leben kann schneller zu Ende sein, als man erwartet. Wer sich nicht rechtzeitig vorbereitet hat, muss am Rande stehen und hungrig den andern beim Essen zuschauen.

Die zitierte Stelle aus Pred ist anders gemeint: sie ist ein Aufruf angesichts der Endlichkeit des menschlichen Daseins, das Leben zu genießen.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 24. Nov. 2024