Michael Neuhold Homepage
Startseite >
Sprachen >
Vom Indogermanischen zum Deutschen
Als klassischer Philologe besitzt man zwar eine gewisse natürliche Affinität zur historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, ist damit aber noch kein ausgewiesener Komparatist. Insbesondere zur germanischen Sprachgeschichte bin ich absolut kein Fachmann. Mein Interesse an der Materie entzündete sich bei der Lektüre der ersten Seiten meines gymnasialen Literaturkundebuches, des „Pochlatko“. Für die Etymologien (insbes. die gotischen und althochdeutschen Formen) habe ich mich in erster Linie an den Etymologieduden gehalten. Soweit verfügbar habe ich auch Angaben aus Szemerényis Einführung berücksichtigt. Und nicht zuletzt habe ich diverse Wikipedia-Artikel benützt.
In der Schreibung habe ich mich meist an den Etymologieduden gehalten: Langvokale sind durch Makron (ā) bezeichnet, nicht durch Circonflexe (â), um auch lange Vokale mit Akzent (ā́) bezeichnen zu können. Die Halbvokale i̯ und u̯ habe ich aus typographischen Gründen wie Szemerényi mit y und w wiedergegeben. Aus dem gleichen Grund habe ich auf die Unterscheidung zwischen Palatalen und Velaren verzichtet, die für unser Thema ohnehin irrelevant ist.
Im folgenden werden nur die lautliche Prozesse beschrieben, die zum heutigen Neuhochdeutschen geführt haben. Um die Änderungen in der Flexion verstehen und darlegen zu können, dazu fehlt mir das grammatikalische Wissen. Gotisch müßte man können. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Die Germanen waren eine in Mittel- und Nordeuropa beheimatete Volksgruppe, die eine indogermanische (Kentum-)Sprache sprachen. Den Namen Germani haben die Römer wohl von den Kelten übernommen, die damit ihre westlichen Nachbarn bezeichneten. Zur Zeit des Tacitus (um 100 n.Chr.) lag ihr Siedlungsgebiet zwischen Nordsee und Donau (N-S) und zwischen Rhein und Weichsel (O-W), sowie in Skandinavien.
Die Sprachen der Germanen haben einige lautliche Gemeinsamkeiten, die sie von anderen indogermanischen Sprachen unterscheiden. Die Gruppe von Lautprozessen, die diese lautlichen Besonderheiten herbeigeführt haben, wird erste oder germanische Lautverschiebung genannt. Sie wurde 1818 vom Dänen Rasmus Kristian Rask entdeckt und von Jacob Grimm 1822 in der zweiten Auflage seiner Deutschen Grammatik systematisch dargelegt. Daher spricht man auch von (Rask's-)Grimm's law. Die von ihm beschriebenen lautlichen Veränderungen waren:
p > f | idg. *pətḗr, griech. patḗr, lat. pater; got. fadar, engl. father, dt. Vater |
---|---|
Man würde wegen t > þ got. faþar
erwarten. Hier greift das berühmte
Vernersche Gesetz
(von dem Dänen Karl Verner 1875 entdeckt), nach welchem p/t/k zu stimmhaften
Spiranten ƀ/ð/g̱ (im Got. als Mediae b/d/g) wurden, wenn der Akzent nicht
unmittelbar vorausging. Altind. pitár- zeigt, dass dies hier
tatsächlich nicht der Fall war. Ebenso wurde s stimmhaft, wenn es unmittelbar
auf den Akzent folgte, ansonsten wurde es zu r (außer im Got.?):
*wás/wēsúm >
engl. was/were. Dies setzt allerdings voraus, dass zum Zeitpunkt dieses Lautwandels noch die aus dem Idg. ererbte Betonung in Kraft war und nicht die später im Germ. übliche Betonung auf der Stammsilbe. |
|
t > þ | idg. *treiyes, griech. treis, lat. trēs; got. þreis, engl. three, dt. drei |
k > h (über χ) | idg. *kerd-/*kr̥d-, griech. kardíā, lat. cord-; got. haírtō, engl. heart, dt. Herz |
kw > hw | idg. *kwi-, *kwo- „wer, was“, griech. tis (pou „wo“), lat. qui, quod; got. hwas, hwa, engl. who, what; dt. wer, was (< ahd. hwer, hwaz) |
b > p | idg. *dheub- „tief, hohl“; got. diups, engl. deep; dt. tief |
---|---|
d > t | idg. *dekm̥, griech. deka, lat. decem; got. taíhun (k > h s.o., aí = kurzes e vor r, h, hw), engl. ten, dt. zehn |
Das silbische (d.h. unmittelbar auf einen Konsonanten folgende) m wird griech. zu a, lat. zu em, germ. zu un; vgl. auch idg. *km̥tóm, griech. he-katon, lat. centum (n wegen des nachfolgenden t), engl. hund-red, dt. hundert. | |
g > k | idg. *genu-, griech. góny, lat. genū; engl. knee, dt. Knie |
gw > kw | idg. *gwīwos „lebendig“, griech. bíos „Leben“, lat. vīvus; got. qius, engl. quick „lebhaft, schnell“; dt. quick(lebendig) |
bh > b | idg. *bhrā́ter,
griech. phrā́tēr,
lat. frāter;
got. brōþar,
engl. brother,
dt. Bruder Ist im Gegensatz zu idg. *pətḗr zugleich ein weiteres Beispiel für t > þ. |
---|---|
dh > d | idg. *werdho-, lat. verbum; got. waúrd, engl. word, dt. Wort |
gh > g | idg *ghostis „Fremdling“, lat. hostis „Feind“; got. gasts, dt. Gast |
gwh > gw, w, b, g (so Szemerényi) |
idg. *sneigwh- „schneien, Schnee“, griech. niph-, lat. niv-; got. snaiws (< *snaigwas), engl. snow, dt. Schnee |
ŏ > ă (kurz-o zu kurz-a) | Das gilt auch für die entsprechenden Diphthonge, d.h. oi > ai, ou > au. |
---|---|
idg. *nokwt-,
griech. nykt-,
lat. noct-;
got. nahts,
dt. Nacht Ist auch ein Beispiel für das Unterbleiben der ersten Lautverschiebung von t nach Tenuis (kw-t). |
|
ein weiteres Beispiel ist idg. *ghostis > dt. Gast (s.o.) | |
ā > ō (lang-a zu lang-o) | idg. *bhāgos, griech. phēgós (griech. ā > ē) „Speiseeiche“, lat. fāgus; got. bōka (g > k s.o.) „Buchstabe“ (der Zusammenhang mit der Buche wird neuerdings aber bezweifelt), dt. Buche |
ein weiteres Beispiel ist idg. *bhrā́ter > engl. brother (s.o.) | |
ē > ā (lang-e zu lang-a, außer im Got.) | idg. dhē- „setzen, stellen“, griech. tí-thē-mi, lat. fē-ci „ich machte“; got. dēds, ahd. tāt |
Diese Lautverschiebung wurde traditionell auf etwa 500 v.Chr. datiert. Doch der Name des germanischen Stammes der Kimbern (lat. immer Cimbri, = dän. Himmer-[land]?) und der Name der Waal (südlicher Mündungsarm des Rhein), der bei Cäsar (ca. 50 v.Chr., Caes.Gall. 4,10 - doch halten manche das Kapitel für einen späteren Einschub) noch in der Form Vacalus (quae Vacalus appellatur) und bei Tacitus (ca. 100 n.Chr., Tac.Ann. 2,6) dann in der lautverschobenen Form Vahalis (accolae dicunt Vahalem) erscheint, legen nahe, dass diese Lautverschiebung noch im 1. Jh. v.Chr. nicht überall gänzlich abgeschlossen war.
Etwa um diese Zeit (d.h. im 1. Jh.v.Chr.) spalteten sich die Germanen sprachlich in drei Gruppen:
Nach Szemerényi fasst die neuere Auffassung das Ost- und Nordgermanische zu einer Gruppe Nordgermanisch zusammen, der das Westgermanische als Südgermanisch gegenübersteht.
Durch eine weitere Gruppe von lautlichen Veränderungen entstand aus der im Karolingerreich gesprochenen Variante des Westgermanischen das Althochdeutsche. Diese wird zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung genannt. Die wichtigsten lautlichen Prozesse waren:
p > f(f) | got. slēpan (< idg. *sleb-/*slab- „schlaff“), engl. sleep; ahd. slāfan, nhd. schlafen |
---|---|
got. skip (< idg. *skei- „schneiden“), engl. ship; ahd. scif, nhd. Schiff | |
t > s(s) | got. itan (< idg. *ed-), engl. eat; ahd. ezzan, nhd. essen |
got. fōtus (< idg. *ped-/*pod-), engl. foot; ahd. fuoz, nhd. Fuß | |
got. watō (< idg. *wodōr), engl. water; ahd. wazzar, nhd. Wasser | |
k > h(h) | got. ik (< idg. *egom); ahd. ih, nhd. ich |
engl. make (< idg. *mag- „kneten“); ahd. mahhōn, nhd. machen | |
got. miluks (< idg. *melg- „abwischen; melken“), engl. milk; ahd. miluh, nhd. Milch |
p > pf | got. pund (< lat. pondō), engl. pound; ahd. pfunt, nhd. Pfund |
---|---|
engl. pepper (< lat. piper < griech. péperi < altind. pippalī „Beere, Pfefferkorn“); ahd. pfeffar, nhd. Pfeffer | |
Es gab allerdings die Tendenz, pf nach l/r zu f zu vereinfachen: got. hilpan, engl. help; ahd. helfan, nhd. helfen. got. waírpan, engl. warp; ahd. werfan, nhd. werfen. Dagegen: ndh. Karpfen. | |
t > z [ts] | got. taíhun (< idg. *dekm̥ s.o.), engl. ten; ahd. zehan, nhd. zehn |
got. haírtō (< idg. *kerd- s.o.), engl. heart; ahd. herza, nhd. Herz | |
got./engl. salt (< idg. *sal-); ahd. salz, nhd. Salz | |
oberdt. auch k > kχ |
engl. lick (<
idg. *[s]leigh-);
ahd. lecchōn,
nhd. lecken Doch ist die Aussprache [kχ] auf das Tirolerische und das Alemannische beschränkt. |
d > t (9. Jh.) |
got. dags (< idg. *dhegwh- „brennen“), engl. day; ahd. tag, nhd. Tag |
---|---|
engl. red (< idg. *reudh-); ahd./nhd. rōt | |
þ/ð > d (9. od. 10. Jh.) |
got. brōþar (< idg. *bhrā́ter s.o.), engl. brother; ahd. bruoder, nhd. Bruder |
got. þagkjan (< idg. *teng-), engl. think; ahd./nhd. denken | |
f > b zwischen Vokalen und nach l | got. liufs (< idg. *leubh- „begehren“, vgl. lat. libet „es beliebt“), engl. lief „gern“; ahd. liob, nhd. lieb |
engl. wife (< idg. *weip- „drehen, sich bewegen“?); ahd. wīb, nhd. Weib | |
engl. half (< idg. *[s]kel- „spalten“ mit p-Erweiterung); ahd./nhd. halb |
Dass es auch nach der zweiten Lautverschiebung im Dt. Wörter mit p gibt, liegt daran, dass danach solche Wörter aus anderen Sprachen entlehnt wurden, die diese Lautverschiebung nicht mitgemacht haben, namentlich aus dem Niederdt. So entstanden oft Wortpaare, bei denen das ursprünglich selbe Wort einmal lautverschoben und einmal nicht-lautverschoben erscheint.
Manche Wörter lassen sich aber auch so nicht erklären: z.B. lat. bōlētus „Pilz, Champignon“, ahd. buliz (das t von der zweiten Lautverschiebung erfasst), nhd. Pilz; ahd. buhil „Hügel“ (Herkunft unklar, nach Grimm puhil), mhd./nhd. bühel, aber Eigenname Pichler (neben Bichler, Böhler). Viele Eigen- und Ortsnamen des oberdt. Raumes weisen solche Formen auf: Posch (von Busch), Pröll (von Brühl „sumpfige Wiese“), Pierach, Pieringer (von Birke) u.a.m.
Im Frankenreich der Karolinger wurden zwei Sprachen gesprochen, eine romanische im Westen (der Vorgänger des späteren Französisch), eine germanische (altfränk.) im Osten. Im Altfränk. hießen diese *walhisk („welsch“, d.h. romanisch) und *þeodisk („zum Volk gehörig“, < germ. *þiot „Volk“). Aus letzterem wurde ahd. diutisc, mhd. diut[i]sch, nhd. deutsch.
Jene Gruppe von Dialekten, die die zweite Lautverschiebung nicht mitmachten, wird Niederdeutsch genannt. Zum Niederdeutschen zählen die Sprache der mittelalterl. Hanse, das heutige Plattdeutsch und das Niederländische. Sprachgrenze ist nach manchen die Benrather Linie (maken-machen-Grenze), nach anderen die im Rheinischen Fächer weiter nördlich gelegene Uerdinger Linie (ik-ich-Grenze). Daneben gibt es eine Gruppe von Dialekten, die diese Lautverschiebung nur teilweise mitmachten, das sog. Mitteldeutsche. Als südliche Sprachgrenze gilt die Mainlinie (Appel-Apfel-Grenze, entspricht ungefähr dem Weißwurstäquator). Das Mitteldeutsche wird meist zum Hochdeutschen gerechnet, sodass sich nach den einschlägigen Wikipedia-Artikeln folgende Verteilung ergibt (die jedoch nicht als erschöpfende Aufzählung zu verstehen ist):
Althochdeutsch (ca. 750-1050) war die Sprache der Karolinger und Ottonen. Es war dadurch gekennzeichnet, dass in Vorsilben und Endungen noch volltönende Vokale standen (boto=Bote, gisungan=gesungen usw.).
Mittelhochdeutsch (ca. 1050-1500) war die Sprache der mittelalterlichen Klassiker wie Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Walther von der Vogelweide. Nebenvokale in unbetonten Silben werden zu e abgeschwächt (bote, gesungen).
Neuhochdeutsch ist das Hochdeutsch seit Beginn der Neuzeit, an deren Ausformung und Verbreitung die kaiserlichen Kanzleien der Luxemburger und Habsburger und Martin Luthers Bibelübersetzung wesentlichen Anteil hatten.
Nach anderen reicht das Mhd. nur bis 1350, gefolgt vom Frühneuhochdeutschen (ca. 1360-1650). Das Neuhochdeutsche beginnt dann erst im 17. Jh.
Die wichtigsten lautlichen Unterschiede zwischen Mhd. und Nhd. sind:
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 5. Mai 2024