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Hulesee
Die meisten modernen Bibelausgaben enthalten Karten oder Kartenskizzen. Auf diesen ist rund 20 km nördlich des Sees von Genezareth ein kleiner See verzeichnet. Auf vielen Karten trägt er keinen Namen.
Der See ist durch die Entwässerung der Sümpfe der Huleebene in den 1950er-Jahren verschwunden; bis auf einen kleinen Papyrusteich, der 1963 zu Israels erstem Naturreservat wurde. Doch die negativen Folgen dieser Trockenlegung (u.a. für den See Genezareth) waren schlimmer als die erhofften landwirtschaftlichen Nutzeffekte. Daher wurde der Wasserhaushalt neu reguliert und 1994 durch kontrollierte Flutung ein zusätzlicher kleiner See geschaffen. Dieser See heißt אֲגַמּוֹן (הָ)חוּלָה ʾagammôn (ha-)Ḥûlâ „Ḥulaweiher, -see“ und ist Teil des Naturreservats. Dieses ist ein El-Dorado für Vogelbeobachter, weil hier zahllose Zugvögel auf ihrem Weg von Europa nach Afrika Rast machen.
Der heutige Name ist weder im alttestamentlichen noch im mischnaischen Hebräisch belegt. Die Namensform Hule stammt vom arab. بحيرة الحولة buḥairat al-Ḥūla, in lokaler Aussprache el-Ḥūle. Wo der Name herstammt und was er bedeutet, konnte ich nicht herausfinden.
Früher wurde der Hulesee mit dem in Jos 11,5.7 genannten מֵי מֵרוֺם mê Merôm „Wasser von Merom“ gleichgesetzt. Dort sammeln sich Jabin, der König von Hazor, und seine Verbündeten mit ihren Heeren zum Kampf gegen Israel. Doch die Israeliten überfallen die Kanaaniter und schlagen sie vernichtend.
Doch wenn das antike Merom tatsächlich mit dem heutigen מֵירוֹן Mêrôn (ca. 6 km nordwestlich von Safed/Tzefat) identisch ist (so das Bibellexikon von Rienecker), dann wäre das Wasser von Merom eher der heutige נַחַל עַמּוּד náḥal ʿAmmûd, ein Flüsschen, das bei Meron vorbeifließt und in den See Genezareth mündet. Dagegen spricht nach August Dillmann die Bezeichnung „Wasser“ (statt des zu erwartenden נַחַל מֵרוֺם „Bach/Wadi von Merom“) und dass das dortige Gelände zur Versammlung eines Heeres von Streitwagen ungeeignet ist.
Flavius Josephus nennt den See Σεμεχωνῖτις / Σεμαχωνῖτις / Σεμεχωνιτῶν λίμνη
„semechonitischer See, See der Semechoniten“.
Ios. bell. Iud. 3,515 (3,10,7):
ἀρχόμενος δὲ φανεροῦ ῥεύματος ὁ Ἰορδάνης ἀπὸ τοῦδε τοῦ ἄντρου κόπτει μὲν τὰ τῆς Σεμεχωνίτιδος λίμνης ἕλη καὶ τέλματα, διαμείψας δ’ ἑτέρους ἑκατὸν εἴκοσι σταδίους μετὰ πόλιν Ἰουλιάδα διεκπαίει τὴν Γεννησὰρ μέσην, ἔπειτα πολλὴν ἀναμετρούμενος ἐρημίαν εἰς τὴν Ἀσφαλτῖτιν ἔξεισι λίμνην. Der Jordan beginnt bei dieser Höhle mit sichtbarem (d.h. oberirdischem) Lauf, durchquert? (wörtl. schlägt) die Sümpfe und Lagunen des Semechonitis-Sees, und nachdem er weitere 120 Stadien durchflossen hat, bricht er nach der Stadt Julias mitten durch den See Genezareth. Dann durchmisst er viel Wüste und mündet (endet, hört auf) in den Asphaltsee (d.i. das Tote Meer). (griech. Text nach Benedikt Niese, Bd. 6, 1894):
Ios. bell. Iud. 4,3 (4,1,1):
Σελεύκεια δὲ πρὸς τῇ Σεμεχωνιτῶν λίμνῃ. ταῦτῃ τριάκοντα μὲν εὖρος, ἑξήκοντα δὲ μῆκος στάδιοι· διατείνει δ’ αὐτῆς τὰ ἕλη μέχρι Δάφνης χωρίου τά τε ἄλλα τρυφεροῦ καὶ πηγὰς ἔχοντος, αἳ τρέφουσαι τὸν μικρὸν καλούμενον Ἰόρδανον ὑπὸ τὸν τῆς χρυσῆς βοὸς νεὼν προπέμπουσι τῷ μεγάλῳ. Seleukeia aber (liegt) beim Semechonitis-See. Dieser hat eine Breite von 30 Stadien, ein Länge von 60. Seine Sümpfe erstrecken sich bis zum Gebiet von Daphne, das im übrigen üppig ist und Quellen hat, die den sogenannten Kleinen Jordan speisen und ihn unter dem Tempel der goldenen Kuh hin zum Großen bringen. (griech. Text nach Benedikt Niese, loc. cit., allerdings hat Niese Gen. νεώ, ich habe mich, wie die Loeb-Ausgabe von Thackeray, für den Akk. entschieden):
Zu Seleukeia s. den Art. Seleucia (1) in der Jewish Encyclopedia. Es lag wohl zwischen Bethsaida Julias und dem See. Der Tempel ist nach Thackeray das 1Kön 12,29 erwähnte Heiligtum von Dan, Daphne vielleicht Khurbet Dufnah unweit von Dan. John Lightfoot zieht νεών zu τρέφουσαι und übersetzt: „The springs, which nourishing little Jordan, as it is called, under the Temple of the Golden Calf, send it into the Great“.
Ios. ant. Iud. 5,198f (5,5,1):
Ἰσραηλῖται δὲ πάλιν […] πρὶν ἢ καὶ τῆς ὑπὸ Μωαβίταις ἀναπνεῦσαι δουλείας πρὸς ὀλίγον Ἀβίτω τοῦ Χαναναίων βασιλέως δουλοῦνται. οὗτος γὰρ ἐξ Ἀσώρου πόλεως ὁρμώμενος, αὕτη δ’ ὑπέρκειται τῆς Σεμαχωνίτιδος λίμνης, στρατοῦ μὲν ὁπλιτῶν τριάκοντα ἔτρεφε μυριάδας μυρίους δὲ ἱππέας, τρισχιλίων δὲ ἁρμάτων ηὐπόρει. Die Israeliten […] wurden, ehe sie sich von der Knechtschaft unter den Moabitern für kurze Zeit erholt hatten, wieder von Abito (=Jabin), dem König der Kanaaniter, unterjocht. Denn dieser war aus der Stadt Asoros (=Hazor) aufgebrochen, diese aber liegt oberhalb des Semachonitis-Sees; er unterhielt ein Heer von 300.000 Hopliten, 10.000 Reitern, und er besaß 3000 Wagen. (griech. Text nach Benedikt Niese, Bd. 1, 1887):
Die Handschriften schwanken hier zwischen Semachō-, Semechō- und Samachō-. Der Tell von Hazor liegt ca. 7 km südwestlich des Hule-Naturreservats.
Kontrovers diskutiert wird, ob die Bezeichnung, die Josephus gebraucht, zusammenhängt mit dem in einem Amarna-Brief genannten Ortsnamen Šamḫuna (keilschr. aluša-am-ḫu-na, Knudtzon 225,4). Der Ort könnte jedenfalls in Nordpalästina gelegen haben. (S. die Anm. zum Brief S. 1299.) Flinders Petrie deutet Zustimmung an. Ebenso Heinrich Zimmern im Lexikon von Gesenius/Buhl s.v. שִׁמְרוֺן seit der 15. Aufl.
H. Clauß dagegen setzt Šamḫuna gleich mit dem Jos 11,1; 12,20; 19,15 genannten שִׁמְרוֺן Šimrôn, das er für eine Verschreibung aus שִׁמְעוֺן Šimʿôn hält (weil in der LXX Συμοων geschrieben) und mit dem von Josephus (Ios. vita 24 [§115]) genannten Σιμωνιάς Simōniás identifiziert, an dessen Stelle im 19. Jh. ein arabisches Dorf namens Semūnije stand. (Heute Tel Šimron, zwischen Nahalal und Timrat, etwa 8 km westlich von Nazareth.)
Falls diese Briefstelle die Quelle ist für die zigfach im Netz kolportierte Behauptung „the 14th century BCE Egyptians called the lake Samchuna“ (z.B. im Wikipedia-Art Hula Valley, Stand Feb. 2019), so beruht sie auf einem groben Missverständnis. Die Amarna-Korrespondenz ist nicht in ägyptischer, sondern in babylonischer Sprache und Schrift verfasst. Und Šamḫuna ist wohl der Name eines Stadtstaats. Ob auch der Hulesee so hieß, lässt sich nicht sagen.
Friedrich Delitzsch identifiziert das Jos 12,20 genannte שִׁמְרוֺן מְראוֺן Šimrôn Merôn mit dem assyr. Samsimurun (der hebr. Name sei verschrieben aus שמש מראן) und dieses mit dem Dorf Semīrīje nördlich von Akko. Aber das ist alles ein bisschen viel Klingklang. Und die arabischen Dörfer, die in der Literatur des 19. Jh. genannt werden, gibt es alle nicht mehr. Bernhard Stade hält מראון für den ursprünglichen Text und שׁמרון für eine Korrektur, die beide nebeneinander stehengeblieben sind.
Im Jerusalemer Talmud im Traktat Šeqalim (jSheq 6,3 [26a]) findet sich die Bezeichnung ים של סמכו jam šæl Samakô „See von Samacho“ (Moise Schwab: „lac de Samakhi“, Dalman und Jastrow vokalisieren סַמְכוּ Samkû):
כתיב (יחזקאל מז) ויאמר אלי Es steht geschrieben (Hes 47): Er sprach zu mir: המים האלה יוצאים אל הגלילה הקדמונה זה ים של סמכו <סיבוכא> Dieses Wasser geht hinaus zum östlichen Bezirk. Das ist der See von Samacho <Sibbocho>. וירדו אל הערבה זה ים של טבריא Und es fließt hinunter zur Arabah (=Jordansenke). Das ist der See von Tiberias (=See Genezareth). ובאו הימה זה ים המלח Und es kommt zum Meer. Das ist das Salzmeer (=Totes Meer). אל הימה המוצאים זה הים הגדול Zum Meer wird es hinausgeführt. Das ist das große Meer (=Mittelmeer). (hebr. Text nach Mechon Mamre, verwendet unter Berufung auf die Datei readme.txt des Download-Archivs: „Under the Fair Use Doctrine, you may use short quotations from it in any other work, including copyrighted publications.“)
Die Arabah umfasst das Gebiet beiderseits des Jordans vom Südende des Sees Genezareth an, das Tote Meer und die Wüste zwischen Totem Meer und Golf von Akaba.
Im Traktat Kilʾajim (jKil 9) heißt es:
שבעה ימים סובבין את א"י. ימא רבא. ימא דטיבריא. ימא דסמכו. ימא דמילחא. ימא דחולתא. ימא דשליית. ימא דאפמיא. Sieben Meere umgeben das Land Israel: das große Meer (=Mittelmeer), das Meer von Tiberias (=See Genezareth), das Meer von Samacho (=Hulesee), das Salzmeer (=Totes Meer), das Meer (von) Ḥûltâ, das Meer (von) Šelîjat (od. Šiljat), das Meer von Paneas. (hebr.-aram. Text nach Mechon Mamre. Während ich ימא/ימה/ים sonst dem deutschen Sprachgebrauch entsprechend mit „Meer“ oder „See“ wiedergebe, habe ich an dieser Stelle immer „Meer“ verwendet.)
Nach John Lightfoot heißt der See im Jerusalemer Talmud auch ימא דכובבו jammâ deKôbebô (S. 5.64). Doch nennt Lightfoot hierzu keine Belegstelle.
Im Babylonischen Talmud heißt der See ימה של סיבכי jammâ šæl Sîbekî „See von Sibechi“ (Goldschmidt: „Meer von Sibki“, Lightfoot: „Sibbechean Sea“, Jastrow vokalisiert סִיבְכַי Sîbkaj). Dieselbe Aufzählung der sieben Meere Israels im Traktat Bava Batra (bBB 74b) lautet:
ימה של טבריא וימה של סדום וימה של שחלת וימה של חילתא וימה של סיבכי וים אפמיא וים הגדול das Meer von Tiberias (=See Genezareth) und das Meer von Sodom (=Totes Meer) und das Meer von Šaḥlat und das Meer von Ḥîltâ und das Meer von Sibechi (=Hulesee) und das Meer von Paneas und das große Meer (=Mittelmeer). (hebr. Text nach Lazarus Goldschmidt, Bd. 6)
Im selben Traktat heißt es nur wenige Zeilen vorher (bBB 74b):
ואמר רב יהודה אמר רב ירדן יוצא ממערת פמייס Und Rab Jehuda sagte: Rab sagte: der Jordan geht aus von einer Höhle von Paneas. תניא נמי הכי ירדן יוצא ממערת פמייס ומהלך בימה של סיבכי ובימה של טבריא Es ist auch so gelehrt worden: Der Jordan geht aus von einer Höhle bei Paneas. Und er fließt in den See von Sibechi (=Hulesee), und in den See von Tiberias (=See Genezareth). ומתגלגל ויורד לים הגדול ומתגלגל ויורד עד שמגיע לפיו של לויתן Und er wälzt sich weiter und fließt hinab zum großen Meer (=?), und er wälzt sich weiter und fließt weiter hinab, bis er ankommt beim Maul des Leviathan. (hebr. Text nach Lazarus Goldschmidt, Bd. 6)
Das Große Meer ist normalerweise das Mittelmeer. Aber der Jordan fließt bekanntlich ins Tote Meer, das als der am tiefsten gelegene See der Erde keinen Abfluss hat. Falsche geographische Vorstellungen der Gemaristen?
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 23. Feb. 2019