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Empfangen durch den heiligen Geist
„Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“ Das bekennen Christen im Apostolischen Glaubensbekenntnis als Teil ihres Glaubens. Aber wer kann, wer will das wirklich noch glauben? Ich gestehe, dass auch ich mich an dieser Geschichte reibe.
Mk berichtet nichts von der Geburt Jesu. Das Evangeliumsgeschehen beginnt bei ihm mit Johannes dem Täufer. Bei der Taufe Jesu sagt eine Stimme vom Himmel her: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden“ (Mk 1,11). Jesu familiäre Herkunft wird nur en passant erwähnt: Jesus ist „der Sohn der Maria“, seine Brüder werden namentlich aufgezählt (Mk 6,3). Von Joseph ist nirgends die Rede. Vielleicht hat der Evangelist seinen Namen gar nicht gekannt. Manche betrachten den Umstand, dass nur die Mutter, aber nicht der Vater genannt wird, als Hinweis darauf, dass Joseph gar nicht als Vater Jesu galt. Doch Lk und Joh widersprechen dem. Und ein argumentum e silentio beweist wenig. (Im AT wird Davids Heerführer Joab ein Dutzend Mal als „Sohn der Zeruja“ bezeichnet, z.B. 2Sam 2,13.)
Mt erzählt, dass Maria mit Joseph verlobt war und sie, „ehe sie zusammenkamen, schwanger gefunden wurde aus heiligem Geist“ (Mt 1,18). Es wird nicht gesagt, wie Joseph von der Schwangerschaft erfährt. Aber jedenfalls hat ihm Maria aus seiner Sicht Hörner aufgesetzt, sie scheint einen anderen zu lieben, und Joseph will sich ohne viel Aufhebens aus der Beziehung zurückziehen. Doch ein Engel erscheint ihm im Traum und erklärt ihm, dass „das in ihr Gezeugte aus heiligem Geist ist“ (V. 20). Darin sollte sich die Prophezeiung aus Jes 7,14 erfüllen.
Ich versuche in Eine Jungfrau ist schwanger zu zeigen, dass der hebr. Text von Jes 7,14-16 (alle drei Verse lesen!) keine Jungfrauengeburt ankündigt. Dieses Verständnis ist nur durch die griech. Übersetzung der Septuaginta (LXX) möglich. Dennoch würde ich nicht so weit gehen zu sagen, die Verwendung von Jes 7,14 in Mt 1,22f sei christliche Sünde (so ungefähr wird Ulrich Luz im Wikipedia-Art. Jungfrauengeburt, Fußnote 3 zitiert, Luz spricht allerdings von der Auslegung von Mt 1,22f). Denn erstens haben nicht die Christen den griech. Text der LXX zu verantworten; er stammt von jüdischen Schriftgelehrten. Und zweitens war es nach den damals üblichen Regeln der Schriftauslegung, die auch Jesus gelegentlich angewendet hat (z.B. Mt 22,41-45), für Christen legitim, ja sogar naheliegend, Jes 7,14 auf Jesus zu beziehen. Wir Heutigen können diesen Vers natürlich nicht mehr unbefangen als Schriftbeweis verwenden. Dies gilt aber auch für andere Erfüllungszitate, z.B. Mt 2,15 „aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ = Hos 11,1, der Sohn ist bei Hosea das Volk Israel.
Die gern gemachte Behauptung, die ganze Geschichte von der Jungfrauengeburt sei nachträglich aus Jes 7,14 herausgesponnen, ist eine der vielen unbeweisbaren Ad-hoc-Behauptungen der minimalistischen Theologie, die gerne die Beweislast umkehren möchte: sie bestreitet, und wenn es nicht gelingt, das Gegenteil zu beweisen, meint sie, recht zu haben. Aber so funktioniert historische Kritik nicht.
Bei Lk erscheint der Engel Maria und kündigt ihr an, dass sie schwanger werden und einen Sohn gebären würde (Lk 1,31). Auf Marias Rückfrage, wie das gehen soll, da sie keinen Mann erkenne, sprich: keinen Sexualpartner hat (V. 34), antwortet der Engel: „heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten – darum wird auch das erzeugte (od. geborene) Heilige Sohn Gottes genannt werden“ (V. 35). Wie Joseph es auffasst, erfahren wir nicht.
Später wird Jesus zweimal als Sohn Josephs bezeichnet, einmal als Frage (Lk 4,22, doch bedeutet die Frage soviel wie: „ist das nicht Jesus?“, es geht nicht darum, wer der Vater ist), einmal mit dem Zusatz „wie man meinte“ (3,23). Einmal bezeichnet Maria Jesus gegenüber den Joseph als seinen Vater (2,48), zweimal werden Maria und Joseph Jesu Eltern genannt (2,41. 43). Den Zeitgenossen Jesu galt Joseph offenbar als sein Vater, zumindest in rechtlicher Hinsicht.
Joh hat ein anderes Konzept von der Gottessohnschaft Jesu: bei ihm ist Jesus der Logos, der von Ewigkeit her beim Vater ist. Wie der Logos Fleisch geworden ist, ist zweitrangig. Doch wird Jesus zweimal als Sohn Josephs bezeichnet (Joh 1,45; 6,42). Vielleicht betrachtete Joh den Joseph sogar als biologischen Vater Jesu. Wir wissen es nicht.
Man gewinnt den Eindruck, dass Jesu Göttlichkeit in den Evangelien schrittweise gesteigert wurde: bei Mk ist Jesus Gottes Sohn gleichsam durch Adoption bei der Taufe. Bei Mt und Lk ist Jesus von Geburt an Gottes Sohn, denn er hat keinen natürlichen Vater, sondern Gott hat ihn auf wunderbare Weise in einer Jungfrau entstehen lassen. Bei Joh ist Jesus schließlich schon von Ewigkeit her Gott.
In den ntl. Briefen ist von der jungfräulichen Geburt nirgends die Rede. Paulus sagt in Gal 4,4: „Gott schickte seinen Sohn aus, geboren von/aus einer Frau“. Diese Formulierung erweckt den Eindruck, als ob Paulus gar nichts von der Jungfrauengeburt wusste. Wenn doch, dann hat er sie nicht für wichtig genug gehalten, um sie in seinen erhaltenen Briefen zu erwähnen.
Das Bild von der Frau (im Griech. immer γυνή) und dem Drachen in Offb 12,1-6.13-17 hat nichts mit Maria zu tun. Die Frau repräsentiert das endzeitliche Gottesvolk. Dennoch wurde Maria in bildlichen Darstellungen häufig mit den in V.1 beschriebenen Attributen (Sonne, Mond, 12 Sterne) dargestellt.
Wenn wir davon ausgehen, dass Jesus genetisch ein normaler Mann war (chromosomal XY), dann brauchte es zum Eintrag des Y-Chromosoms einen männlichen Chromosomenträger. Mt und Lk zufolge hat es aber keinen solchen gegeben. Mt 1,20 sagt: „das in ihr Gezeugte ist aus heiligem Geist“. Griech. ἐκ heißt „aus, infolge von, durch“; der heilige Geist ist nicht der Vater des Kindes, aber (auf eine nicht erklärbare Weise) der Urheber. Das muss einen menschlichen Vater nicht ausschließen. Was Joseph bei Mt als Vater ausschließt, ist der Satz „ehe sie zusammenkamen“.
Wie muss man sich das aber praktisch vorstellen? Maria stellt fest, dass sie schwanger ist, und sagt zu ihren Eltern und/oder zu Joseph: „Ich erwarte ein Kind, denn die Kraft des Höchsten hat mich überschattet“? Welcher Jude würde so etwas glauben?
Natürlich kann der Gott, der aus dem Nichts erschaffen kann, auch ein Y-Chromosom aus dem Nichts erschaffen. Aber wozu soll das gut gewesen sein? Wenn Jesus wahrer Mensch war, konnte er dann nicht auch einen menschlichen Vater haben, der ihn auf menschliche Weise gezeugt hat? Die Gottessohnschaft Jesu hängt ja nicht an seinen Genen. Gott hat schließlich gar keine Gene.
Für Lk ist die Jungfrauengeburt explizit ein Zeichen, das die Gottessohnschaft Jesu belegt. Denn er lässt den Engel sagen: „darum wird auch das erzeugte (od. geborene) Heilige Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35).
Dass eine Gottheit mit einer sterblichen Frau Kinder (und zwar Heroen bzw. Halbgötter) zeugt, ist im Heidentum nichts Ungewöhnliches. Man denke an Zeus, der mit Alkmene den Herakles zeugte, mit Danae den Perseus, mit Europa den Minos usw. Aber für den Gott Israels war so etwas immer undenkbar. Als Zeichen konnte es nur für Heiden dienen, denen eine solche Vorstellung nicht fremd war. Allerdings gab es direkte göttliche Abkunft auch bei Griechen und Römern fast nur für mythische Gestalten, kaum für historische Persönlichkeiten.
Eine der notorischen Ausnahmen ist Alexander der Große. Plutarch, dessen Alexanderbiographie grob gesagt um das Jahr 100 entstanden ist, schreibt über Philipp und Olympias, die Eltern Alexanders (Plut. Alex. 2,4, Text nach der Teubner-Ausg. von Karl Sintenis, 1881):
ὤφθη δέ ποτε καὶ δράκων κοιμωμένης τῆς Ὀλυμπιάδος παρεκτεταμένος τῷ σώματι· | Einmal wurde auch eine Schlange gesehen, ausgestreckt neben dem Leib der schlafenden Olympias; |
καὶ τοῦτο μάλιστα τοῦ Φιλίππου τὸν ἔρωτα καὶ τὰς φιλοφροσύνας ἀμαυρῶσαι λέγουσιν, ὡς μηδὲ φοιτᾶν ἔτι πολλάκις παρ’ αὐτὴν ἀναπαυσόμενον, | und dies, sagt man, habe am meisten die Liebe und die Zuneigung Philipps verdunkelt, sodass er nicht mehr oft zu ihr ging, sich zur Ruhe zu legen, |
εἴτε δείσαντά τινας μαγείας ἐπ’ αὐτῷ καὶ φάρμακα τῆς γυναικός, εἴτε τὴν ὁμιλίαν ὡς κρείττονι συνούσης ἀφοσιούμενον. ἕτερος δὲ περὶ τούτων ἐστὶ λόγος … | sei es weil er irgendwelche Zaubereien gegen sich und Tränke der Frau fürchtete, sei es weil er den Umgang scheute, als sei sie mit einem Mächtigeren zusammen(gewesen). Es gibt darüber (noch) eine andere Darlegung … |
Eine Schlange, Symbol oder Verkörperung einer Gottheit, könnte der Mutter Alexanders beigewohnt haben. Natürlich behauptet Plutarch nicht platterdings die göttliche Abkunft seines Protagonisten: ὤφθη „wurde gesehen“ (von wem?), λέγουσιν „man sagt“ (wer?), εἴτε „sei es“ (Mutmaßung über die Gründe). Und er bietet auch noch eine alternative Erklärung für das Gerücht mit der Schlange, nämlich Olympias' eifrige Teilnahme am Bacchuskult, bei dem sie (zahme) Schlangen mitführte.
Der historische Hintergrund für die göttliche Verehrung Alexanders ist sein Besuch beim Orakel in der Oase Siwa (Plut. Alex. 27,3-5, Text nach der Teubner-Ausg. von Karl Sintenis).
ἐπεὶ δὲ διεξελθὼν τὴν ἔρημον ἧκεν εἰς τόν τόπον, ὁ μὲν προφήτης αὐτὸν ὁ Ἄμμωνος ἀπὸ τοῦ θεοῦ χαίρειν, ὡς ἀπὸ πατρός, προσεῖπεν· | Als er die Wüste durchquert hatte und an den Ort gekommen war, hieß ihn der Prophet (d.h. Priester) des Ammon im Namen des Gottes als des Vaters willkommen; |
ὁ δὲ ἐπήρετο, μή τις αὐτὸν εἴη διαπεφευγὼς τῶν τοῦ πατρὸς φονέων. | er aber fragte, ob ihm einer der Mörder seines Vaters entwischt sei. |
εὐφημεῖν δὲ τοῦ προφήτου κελεύσαντος, οὐ γὰρ εἶναι πατέρα θνητὸν αὐτῷ, μεταβαλὼν ἐπυνθάνετο … | Als der Prophet ihn aufforderte, Worte von guter Vorbedeutung zu reden, keinen Sterblichen habe er nämlich zum Vater, änderte er die Frage … |
ἔνιοι δέ φασι τὸν μὲν προφήτην Ἑλληνιστὶ βουλόμενον προσειπεῖν μετά τινος φιλοφροσύνης „ὦ παιδίον“ ἐν τῷ τελευταίῳ τῶν φθόγγων ὑπὸ βαρβαρισμοῦ πρὸς τὸ σίγμα ἐξενεχθῆναι καὶ εἰπεῖν „ὦ παιδίος“ [ὦ παῖ Διός] ἀντὶ τοῦ νῦ τῷ σίγμα χρησάμενον, | Einige aber sagen, der Prophet habe auf Griechisch mit einer gewissen Freundlichkeit „oh Kindchen“ grüßen wollen, beim letzten Laut aus fehlerhafter Aussprache ein S hervorgebracht und „oh Kind des Zeus“ gesagt, statt des N das S gebrauchend, |
ἀσμένῳ δὲ τῷ Ἀλεξάνδρῳ τὸ σφάλμα τῆς φωνῆς γενέσθαι καὶ διαδοθῆναι λόγον, ὡς παῖδα Διὸς αὐτὸν τοῦ θεοῦ προσειπόντος. | dem Alexander sei das Missgeschick der Rede lieb gewesen, und es sei das Wort verbreitet worden, als habe der Gott ihn als Sohn des Zeus begrüßt. |
Mit der Eroberung des Perserreiches war Alexander auch Herrscher von Ägypten und somit gleichsam Pharao geworden. Was Alexander bewogen hat, sich wie ein Pharao des Alten Reichs als Sohn und Repräsentant Gottes verehren zu lassen, entzieht sich meinem Urteil. Plutarch liefert sogleich wieder eine alternative Erklärung: der Priester sei nicht firm im Griechischen gewesen und habe sich versprochen. Nach Diodor hat der Priester zu Alexander gesagt (Diod. 17,51,1f): χαῖρε, ὦ παῖ· καὶ ταύτην παρὰ τοῦ θεοῦ ἔχε τὴν πρόσρησιν. „Sei gegrüßt, Kind; und habe diese Anrede von dem Gott.“ Alexander erwiderte: δέχομαι, ὦ πάτερ, καὶ τὸ λοιπὸν κεκλήσομαι σός. „Ich nehme an, Vater, und ich werde in Hinkunft deiner (dein Sohn) heißen.“
Für die Zeit Jesu relevanter ist aber wohl Kaiser Augustus. Verg. Aen. 6,792 (Augustus Caesar, divi genus „Augustus Cäsar, des Göttlichen Spross“) besagt nur, dass Augustus der (Adoptiv-)Sohn des nach seiner Ermordung unter die Götter erhobenen C. Julius Caesar war. (Lat. dīvus ist nicht ganz dasselbe wie deus und die Begriffe wurden mitnichten unterschiedslos verwendet. Manchmal steht auch auf Wikipedia Hinterfragbares: Geschichte und Bedeutung des Begriffs divus.)
Über Augustus' Mutter Atia und ihr Schwangerwerden mit Augustus hat ein aus dem ägyptischen Mendes stammender (wieder Ägypten!) Grammatiker einen Bericht überliefert. Diesen wiederum teilt Sueton, ein jüngerer Zeitgenosse Plutarchs, der Biographien in lat. Sprache schrieb, mit (Suet. Aug. 94, Text nach der Loeb-Ausg. von John C. Rolfe, 1914):
In Asclepiadis Mendetis Theologumenon (Θεολογουμένων) libris lego, Atiam, cum ad sollemne Apollinis sacrum media nocte venisset, posita in templo lectica, dum ceterae matronae dormirent, obdormisse; | In den Büchern der Abhandlungen über Götter des Asklepiades von Mendes lese ich, dass Atia, nachdem sie mitten in der Nacht zum feierlichen Dienst des Apollo gekommen war, und nachdem die Sänfte in den Tempel gestellt worden war, während die übrigen Frauen schliefen, eingeschlafen sei; |
draconem repente irrepsisse ad eam pauloque post egressum; illam expergefactam quasi a concubitu mariti purificasse se; | eine Schlange sei plötzlich hineingekrochen zu ihr und wenig später hinausgegangen; jene habe sich nach dem Aufwachen wie vom Beischlaf mit dem Gatten gereinigt; |
et statim in corpore eius exstitisse maculam velut picti draconis nec potuisse umquam exigi, adeo ut mox publicis balineis perpetuo abstinuerit; | und sogleich habe sich auf ihrem Körper ein Fleck gezeigt wie eine gemalte (od. bunt gefleckte) Schlange und konnte niemals vertrieben werden, so sehr dass sie sich bald von öffentlichen Bädern beständig fernhielt; |
Augustum natum mense decimo et ob hoc Apollinis filium existimatum. | Augustus sei nach neun Monaten geboren worden und deswegen für den Sohn des Apoll gehalten worden. |
Wie bei Alexander findet sich die Schlange als Verkörperung der Gottheit, in diesem Fall des Apoll. Ob hier bewusste Alexandernachahmung vorliegt oder einfach den Griechen und Römern gemeinsame religiöse Anschauungen, kann ich nicht beurteilen. Der Artikel Alexander und die göttliche Schlange auf GiBS.info (Geschichte in Braunschweig), dem ich auch die Hinweise auf die zitierten Texte verdanke, votiert für letzteres: Augustus war ein Verehrer und Nachahmer Alexanders.
Weder bei Alexander noch bei Augustus ist jemals von Jungfrauengeburt die Rede. Natürlich erfahren wir nicht, wie die „Befruchtung“ durch die Gottheit erfolgte. Aber die antiken Vorstellungen waren wohl kaum so grob sinnlich wie das Fresko von Giulio Romano, der ein antikes Sujet zum Vorwand genommen hat für eine ans Pornographische streifende erotische Darstellung.
Für die Theologen des lateinischen Westens, die mit dem Neuplatonismus die Milch der Leib- und Sexualfeindlichkeit getrunken hatten, war die Jungfrauengeburt eine Bestätigung ihrer Sichtweise. Sex ist schmutzig, daher musste der Gottessohn ohne diese Befleckung in die Welt kommen. Ein Gedanke, der Juden zu allen Zeiten fremd war. Die christlichen Theologen landeten schließlich bei der abstrusen Idee von der immerwährenden Jungfräulichkeit Marias: die „reine Magd“ hatte niemals Geschlechtsverkehr, auch nicht nach der Geburt Jesu. Dass sie bis zur Geburt unberührt blieb, hebt allerdings Mt selber hervor (Mt 1,25). Man sollte aber nicht vergessen, dass Maria Jüdin war: die Idee, auf weitere Kinder zu verzichten, um sich die Jungfräulichkeit zu bewahren, wäre ihr ziemlich idiotisch vorgekommen. Dazu kam dann noch das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Marias: Maria wurde zwar durch ehelichen Verkehr gezeugt, aber auf wunderbare Weise ohne Erbsünde. Unnötig zu betonen, dass so etwas keinerlei Anhalt am NT hat.
Der Begriff der unbefleckten Empfängnis wird heute von katholischen Theologen nur für die ohne Erbsünde empfangene Maria verwendet (jahrhundertelang umstritten, 1708 als Fest verbindlich vorgeschrieben, 1854 zum Dogma erhoben). Die zahlreichen Bildnisse, die, in welcher Sprache auch immer, den Titel unbefleckte Empfängnis tragen, zeigen Maria, meist mit den Attributen von Offb 12,1 und/oder mit anderen marianischen Attributen. Dargestellt ist natürlich nicht der Vorgang der Empfängnis (was soll man da auch darstellen), sondern die Immaculata, die unbefleckt Empfangene. Dieser aus protestantischer Sicht seltsame Kult gemahnt bei aller Kunstfertigkeit dieser Darstellungen doch sehr an Heidnisches. Maria tritt hier an Jesu Stelle.
Auch heute wird Jungfräulichkeit bzw. ihr „Verlust“ gerne mythifiziert. Warum es für manche Kulturen so wichtig ist, dass die Frau unberührt in die Ehe geht, ist ein Thema für sich.
Bei Lk wird Jesu Empfängnis und Geburt in Beziehung gesetzt zu Elisabeths Schwangerschaft (Lk 1,36 „auch sie hat einen Sohn empfangen in ihrem Alter“). Diese wiederum erinnert an ähnliche Geschichten aus dem AT (Isaak, Samuel u.ä.). Die Jungfrauengeburt ist also als Überbietung dieser Geschichte zu werten. Verdankt sich bereits die Geburt des späteren Täufers einem wunderbaren Eingreifen Gottes, so die Jesu in noch viel größerem Ausmaß.
Wie wichtig kann diese Geschichte überhaupt sein, wenn Paulus von ihr schweigt? Dass sie es ins Apostolicum geschafft hat, liegt doch wohl daran, dass dieses zu einer Zeit entstanden ist, als die Marienverehrung bereits so verbreitet und für die Kirche so wichtig war, dass es unmöglich schien, Maria im Glaubensbekenntnis unerwähnt zu lassen. Dass die Reformatoren das Apostolicum unangetastet gelassen haben, liegt an ihrem Bibelverständnis: da die Jungfrauengeburt in der Bibel steht, stand sie außerhalb jeder Diskussion. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in den Kirchen der Reformation zu einer Diskussion über diese Stelle im Glaubensbekenntnis. Das Bibelverständnis ist auch der Grund, warum Evangelikale zäh darum kämpfen. Immer mit dem Argument: wenn man in einem kleinen Punkt nachgibt, dann gibt es einen Dammbruch und alle Glaubenswahrheiten werden hinweggespült. (Was natürlich falsch ist: jeder Glaubenssatz muss für sich auf seinen Wahrheitsgehalt geprüft werden. Selbst wenn sich die historische Richtigkeit der Jungfrauengeburt beweisen ließe, wäre damit z.B. Jesu Auferstehung noch keineswegs bewiesen.)
Die Frage nach der historischen Wahrheit der Jungfrauengeburt kann man nicht beantworten. Sie bleibt ein unerklärliches Wunder und kann somit nicht Gegenstand säkular-historischer Forschung sein. Zwei Evangelien überliefern entsprechende Traditionen. Man kann sie glauben. Aber man muss nicht, wie mir scheint. Zwei Evangelien und die Gesamtheit der ntl. Briefe kommen ohne die Jungfrauengeburt aus. Die Gottessohnschaft Jesu kann also nicht allein an ihr hängen.
Ich kann die Frage, ob ich daran glaube, nicht eindeutig beantworten. Ich habe meine Zweifel, will diese aber nicht absolut setzen. Wer trotz aller Einwände, die man vorbringen kann, an der Jungfrauengeburt festhält, tut es meist, weil er die Bibel für irrtumslos hält. Es geht also im Grunde um eine Vorentscheidung, die man schon getroffen hat, bevor man sich mit der hier behandelten Geschichte auseinandersetzt. Und dann sind auch alle Argumente nutzlos.
Da war ich ja gespannt: Armin D. Baum schreibt zum Thema „Muss man an die Jungfrauengeburt glauben? Neun einfache und nicht ganz einfache Fragen und Antworten“ in Faszination Bibel 4/2020, S. 54-57. Aber der Titel sagt eigentlich schon, wo der Autor weltanschaulich steht: „muss man?“ Es geht um die Frage, ob Christen, die die Jungfrauengeburt leugnen, überhaupt als Christen betrachtet werden können. Baum will zwar Menschen, die an der Jungfrauengeburt zweifeln, den Glauben nicht rundweg absprechen, aber auf die im Aufsatztitel gestellte Frage „muss man?“ lautet seine Antwort vereinfacht gesagt: eigentlich schon.
Deshalb setzt sich Baum auch gar nicht mit sachlichen Einwänden gegen die jungfräuliche Empfängnis auseinander. Er zieht sich auf den Standpunkt zurück, dass er persönlich an die Jungfrauengeburt glauben kann, weil Gott schließlich allmächtig ist. Doch geht es gar nicht um die Frage, ob man Gott so etwas zutraut. Natürlich kann ein allmächtiger Gott so etwas tun. Es geht vielmehr um die Frage, wozu er es tun sollte, da doch die Sexualität längst erfunden ist und die Gottessohnschaft Jesu nicht an der Jungfrauengeburt hängt. (Das war im Prinzip schon das Argument des Celsus.) Ob man also die Geschichte nicht beispielsweise im Subtext der von Sueton mitgeteilten Erzählung über Augustus' Zeugung lesen muss; deren Historizität ja (ich bin versucht zu sagen: auch) ziemlich zweifelhaft ist. Daher ist es auch unfair, vom „gottlosen ‚Nein‘ zur Jungfrauengeburt, das an Gottes Allmacht zweifelt“ und in Jesus nur einen besonderen Menschen sieht, zu reden (S. 57b). Mein Nein zur Jungfrauengeburt zweifelt keineswegs an Gottes Allmacht.
Auch die Behauptung, es „schöpften die neutestamentlichen Geschichtsschreiber aus verlässlichen historischen Überlieferungen, auch über die Herkunft von Jesus“ (S. 57a), ist eine Glaubensaussage, die mit Fakten nicht zu belegen ist. Zu behaupten, Jes 7,10ff reiche „weit darüber [über die gegenwärtige politische Situation des Propheten] hinaus in eine unbestimmte Zukunft“ (S. 56b) ist evangelikale Realitätsverweigerung. Wie schon in obigem Fazit gesagt: hier hat jemand längst seine Entscheidung getroffen und sich gegen alle Argumente immunisiert. In mir wächst der Verdacht, dass es um gute Argumente zugunsten der Jungfrauengeburt schlecht bestellt ist. Im genannten Artikel habe ich jedenfalls keine gefunden.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 30. Okt. 2022