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Religion versus Esoterik
Der geneigte Leser sei vorab gewarnt, dass ich der Esoterik mehr als kritisch gegenüberstehe. Einen neutralen Vergleich von Religion und Esoterik kann ich nicht liefern, ich bin definitiv parteiisch, ja polemisch. Ich bin der Ansicht, dass wir Christen um die Esoterik einen großen Bogen machen sollten.
Cicero lässt in nat. deor. 2,71-72 seinen stoischen Gewährsmann unterscheiden zwischen zwei Formen von Religiosität:
non enim philosophi solum verum etiam maiores nostri superstitionem a religione separaverunt. Nicht nur die Philosophen nämlich, sondern auch unsere Vorfahren haben den Aberglauben von der Religion unterschieden. nam qui totos dies precabantur et immolabant, ut sibi sui liberi superstites essent, superstitiosi sunt appellati, quod nomen patuit postea latius; Denn diejenigen, die ganze Tage beteten und opferten, dass ihre Kinder sie überleben, die wurden abergläubisch genannt, eine Bezeichnung, die sich später weiter ausdehnte. qui autem omnia quae ad cultum deorum pertinerent diligenter retractarent et tamquam relegerent, 〈i〉 sunt dicti religiosi ex relegendo, 〈tamquam〉 elegantes ex eligendo, [tamquam] 〈ex〉 diligendo diligentes, ex intellegendo intellegentes; Diejenigen aber, die alles, was zur Verehrung der Götter gehört, sorgfältig wieder behandelten und gleichsam wieder überdachten, die wurden vom Erwägen religiös genannt, wie die Geschmackvollen vom Auswählen, vom Hochachten die Sorgfältigen, vom Verstehen die Verständigen. his enim in verbis omnibus inest vis legendi eadem quae in religioso. In allen diesen Wörtern nämlich steckt dieselbe Bedeutung des Auslesen wie in religiös. ita factum est in superstitioso et religioso alterum vitii nomen alterum laudis. So ist in abergläubisch und religiös das eine zur Bezeichnung eines Fehlers, das andere eines Lobes geworden. Quelle: [Cicero, Marcus Tullius]: M. Tulli Ciceronis scripta quae manserunt omnia. Bd. 45: De natura deorum. Nach O[tto] Plasberg hrsg. v. W[ilhem] Ax.- 2. Aufl. Stuttgart: Teubner, 1933. Nachdr. 1980.
Online z.B. die Loeb-Ausg.: Cicero in twenty-eight volumes. Bd. 19: De natura deorum. Academica. M. e. engl. Übers. v. H. Rackham.– London: Heinemann, 1967. S. 192.
Oder die Schulausg.: M. Tullii Ciceronis De natura deorum libri tres. F. d. Schulgebrauch erkl. v. Alfred Goethe.– Leipzig: Teubner, 1887. S. 137.
Als Digitalisat bei The Latin Library.
Bei Cicero wird also unterschieden zwischen:
Im ersten Fall liegt Cicero etymologisch im Prinzip richtig, nur dass die Bedeutungsentwicklung von superstes–superstitiosus wohl anders war (deren Implausibilität schon Laktanz kritisierte). Superstes bedeutet wörtlich „darüber stehend“, superstitiosus entweder „(magisch) überlegen, mit Zauberkraft begabt“ oder „über sich stehend, in Ekstase, wahrsagend“ (um nur zwei Möglichkeiten zu nennen, weitere bei Walde/Hofmann).
Schwieriger ist es bei religio. Neben der Etymologie Ciceros – von rélegō „von neuem erwägen“ – wurde bereits seit der Antike auch erwogen, es zu ré-ligō, -āre „(zu)rückbinden, festbinden“ zu stellen. So schreibt Laktanz (ca. 250-320) div. inst. 4,28:
Hac enim conditione gignimur, ut generanti nos Deo iusta et debita obsequia praebeamus; hunc solum noverimus, hunc sequamur. Wir werden nämlich unter der Bedingung geboren, dass wir Gott, der uns erzeugt, den gerechten und geschuldeten Gehorsam leisten, ihn allein kennen, ihm folgen. Hoc vinculo pietatis obstricti Deo et religati sumus; Durch dieses Band der Frömmigkeit sind wir Gott verpflichtet und gebunden; unde ipsa religio nomen accepit, non ut Cicero interpretatus est, a relegendo, qui in libro de natura deorum secundo ita dixit: […] woher auch die Religion ihren Namen erhalten hat, nicht wie Cicero es erklärt hat vom Wieder-Erwägen, welcher im zweiten Buch über das Wesen der Götter folgendermaßen gesagt hat: […] Quelle: Lactantius: Divinae institutiones, 4. Buch.– Patrologia Latina, ed. Migne, Bd. 6, Sp. 535f. Als PDF bei Documenta Catholica Omnia.
Religion als Verpflichtung gegen und Rückbindung an Gott, der uns geschaffen hat. Nicht der Kult (cultus deorum), sondern der Gehorsam (in der Einhaltung ethischer Normen, obsequia) steht im Zentrum. Das ist eine christliche Sichtweise. Ob diese Etymologie zutrifft, ist umstritten.
Griech. ἐσωτερικός esōterikós bedeutet „innerlich“. Im Schulbetrieb des Peripatos (der von Aristoteles gegründeten philosophischen Schule) waren esoterische Schriften solche, die für Insider der Schule gedacht waren (und deshalb auch nicht stilistisch ausgefeilt waren). Im Gegensatz dazu steht ἐξωτερικός exōterikós „äußerlich; ausländisch“. Exoterische Schriften waren solche, die auf ein größeres Publikum berechnet waren. In Anspielung darauf lässt Lukian von Samosata (2. Jh. n.Chr.) in vit. auct. (βίων πρᾶσις) 26 bei einer Versteigerung verschiedener Philosophen den Hermes über Aristoteles sagen:
ΩΝΗΤΗΣ. Ποῖος δέ τις ἐστί; KÄUFER: Wie ist er beschaffen? ΕΡΜΗΣ. Μέτριος, ἐπιεικής, ἁρμόδιος τῷ βίῳ, τὸ δὲ μέγιστον, διπλοῦς. HERMES: Maßvoll, anständig, an das Leben angepasst, was aber am wichtigsten ist: doppelt. ΩΝΗΤΗΣ. Πῶς λέγεις; KÄUFER: Wie meinst du das? ΕΡΜΗΣ. Ἄλλος μὲν ὁ ἔκτοσθεν φαινόμενος, ἄλλος δὲ ὁ ἔντοσθεν εἶναι δοκεῖ· ὥστε ἢν πρίῃ αὐτόν, μέμνησο τὸν μὲν ἐσωτερικόν, τὸν δὲ ἐξωτερικὸν καλεῖν. HERMES: Als der eine erscheint er von außen, ein anderer scheint er innen zu sein; denke daher daran, wenn du ihn kaufst, den einen innerlich (esoterisch), den anderen äußerlich (exoterisch) zu nennen. Quelle: Lucianus. Hrsg. v. Julius Sommerbrodt.– Bd. 1, T. 2. Berlin: Weimann, 1889. S. 36.
Dt. Übers.: Lucian's Werke. Übers. v. Theodor Fischer.– Bd. 2. Stuttgart: Hoffmann, 1866. S. 61.
Lukians von Samosata Sämtliche Werke. Übers. v. M. Weber.– Bd. 2. Leipzig: Dieterich, 1913. S. 157.
In der Religionswissenschaft werden mit dem Begriff esoterisch Weltanschauungen bezeichnet, die sich, vereinfacht gesagt, auf eine „höhere“ Erkenntnis oder auf ursprünglich hermetische (d.h. mehr oder weniger geheime) Lehren berufen, auf Insiderwissen sozusagen. Die Abgrenzung zur Religion ist schwierig, denn auch Religion beruft sich häufig auf offenbartes, also „höheres“ Wissen.
Esoterik ist ein Konglomerat von weltanschaulichen Mosaiksteinen, von denen jedes für sich genommen keine umfassende Erklärung der Welt liefern will und kann. Der Glaube an die heilende Kraft von Edelsteinen erklärt nicht, woher das Universum kommt oder was der Sinn des Lebens ist.
Es existiert eine unüberschaubare Zahl esoterischer Lehren, die einander zum Teil durchaus widersprechen und die schon deshalb nie zu einem weltanschaulichen Gesamtsystem vereinigt werden können: Schamanismus, Magie, Reinkarnation, Chakren, morphische Felder, Spiritismus, Astrologie etc. Auch Versatzstücke fernöstlicher Religonen (Yoga, Ayurveda) werden inkludiert. Der spirituell Interessierte kann aus ihnen wie aus einem Bauchladen auswählen, was ihm zu Gesicht steht. Oftmals handelt es sich um Konsumangebote, etwa für Kurzseminare, für Dienstleistungen (wie z.B. Channeling, Kartenlegen) oder für Produkte (wie Essenzen, Talismane u.ä.). Vieles davon erscheint dem Skeptiker als Humbug oder Geschäftemacherei.
Religionen verfügen über in jahrhundertelangen theologischen Diskussionen etablierte Lehrgebäude. Es gibt natürlich strittige Fragen, und die Lehren müssen im Laufe der Jahre immer wieder neu überdacht und neu formuliert werden. In der Esoterik fehlt genau das. Hier wird einfach etwas behauptet und verkauft. Wer es nicht glaubt, lasse es eben. Glaubwürdigkeit scheint keine Kategorie zu sein. Dem Skeptiker wird auch vieles von dem religiösen Lehrgebäude als Humbug erscheinen (Jungfrauengeburt, leibliche Auferstehung). Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist in der Regel auch nicht kostenlos.
Die weltanschauliche Beliebigkeit der Esoterik geht in der Regel einher mit ethisch-moralischer Unverbindlichkeit. Esoterik ist zumeist ethikfrei. Die wenigsten esoterischen Angebote verlangen, dass man sein Leben ändert. Man macht ein Wochenendseminar mit Bäumestreicheln oder versprüht in seiner Wohnung Elfenessenz. Aber niemand verlangt, dass man sich mit dem Nachbarn aussöhnt, seinen Eltern vergibt, aufhört zu trinken oder seine Frau zu betrügen. Man kann sich vegan ernähren oder umweltbewusst leben, wenn man möchte, man muss aber nicht.
Hingegen ist ein grundlegender – im Christentum eigentlich unerfüllbarer (Feindesliebe) – Wertekanon integrativer Bestandteil der Religion, der nicht verhandelbar ist. Ob die Gläubigen sich immer daran halten, ist natürlich eine andere Frage. Aber würden wir Weltanschauungen danach beurteilen, in welchem Ausmaß es den Anhängern gelingt, die propagierten Werte auch zu leben, würde der ethikfreie Zynismus immer gewinnen.
Was aus naturwissenschaftlicher Sicht ins Auge fällt, sind die ständig behaupteten „Strahlen“, „Kräfte“, „Felder“ u.ä., die physikalisch nicht gemessen und experimentell nicht nachgewiesen werden können: Radiästhesie (Wünschelrutengehen), Homöopathie, „strukturiertes“ Wasser (Granderwasser), Rupert Sheldrakes morph(ogenet)ische Felder usw.
Auch die Religionen glauben an solche unsichtbaren Kräfte. Das Christentum etwa an einen Gott, der Wunder tun kann, und an die transformierende „Kraft“ des heiligen Geistes. Aber dem Gläubigen ist in der Regel bewusst, dass das Wirken des heiligen Geistes nur für den sichtbar ist, der daran glaubt. Dem Nicht-Glaubenden sind diesselben Ereignisse Zufall, psychische Wirkungen, Hokuspokus oder was auch immer. Keinem Christen käme es wohl in den Sinn, ein (pseudo)naturwissenschaftliches Buch zu schreiben, in dem er das Wirken des heiligen Geistes wissenschaftlich zu erweisen versucht. Das Wirken des heiligen Geistes ist unverfügbar, es kann nicht durch irgendwelche „Techniken“ erzwungen werden.
Das Eigenartige an diesen esoterischen Sichtweisen ist, dass sie eine Art innerer Struktur der Welt postulieren („feinstofflich“), die im Widerspruch zum aktuellen naturwissenschaftlichen Weltbild steht. Dieser Widerspruch wird gern mit der Worthülse ganzheitlich zu kaschieren versucht. Die Anhänger der Esoterik nehmen diesen Widerspruch entweder gar nicht wahr, oder er ist ihnen einfach egal.
In der Religion hingegen ist ein solcher Widerspruch nicht so ohne weiteres statthaft. Wo allerdings manche Christen der Wissenschaft widersprechen, ist etwa auf dem Gebiet der Kosmologie (Thema Schöpfung). Und dafür werden sie auch regelmäßig medial abgewatscht.
Allein über das weite Gebiet der sog. Komplementärmedizin ließen sich Bände füllen: Homöopathie, Osteopathie, TCM (Akupunktur, Shiatsu, Yin und Yang), Ayurveda, Schüßler-Salze, Bach-Blütentherapie, Chakrenarbeit, Klangschalen. Hinter diesen Therapiemethoden steht nicht Wissenschaft, sondern Weltanschauung. Es darf jeder glauben, was er möchte; aber es sollte nicht als Wissenschaft verkauft werden. Schon gar nicht da, wo es um die Gesundheit geht. Die vor einigen Jahren unvermeidlichen Bach-Blüten-Notfalltropfen sind nichts anderes als „Schlangenöl“, oder wie das c’t Magazin einmal (über eine Software, die nichts von dem tut, was sie behauptet) trefflich titelte „Placebo forte“. Der Unterschied zum Gesundbeten ist, dass letzteres in der Regel kein Geld kostet.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Religion und Esoterik ist vielleicht der, dass die Esoterik so gut wie nie institutionalisiert wurde und wird, vielleicht mit Ausnahme der Anthroposophie. Und vielleicht deshalb gibt es kaum Rituale, oder sie werden zumindest vom Außenstehenden nicht als solche wahrgenommen.
Auch Esoterik ist nur eine Form von Religion; vielleicht eine, die von ihren Anhängern nicht als solche empfunden wird, weil sie ja nicht einer religiösen Institution angehören. Die viel beklagte Säkularisierung ist eher eine Entinstitutionalisierung. Menschen treten zwar aus der Kirche aus, aber sie lassen ihr Schlafzimmer auspendeln, geben Steine ins Trinkwasser, nehmen, wenn sie krank sind, Homöopathika, betreiben ein wenig Yoga und hoffen auf die Reinkarnation. Wie es allerdings Christen schaffen, bei vielen dieser Dinge mitzumachen, ist mir schleierhaft; vieles davon ist aus christlicher Sicht nichts anderes als Magie.
Bei den Nachbarvölkern der Israeliten gab es viel Okkultismus, der dort wohl Teil der religiösen Praxis war: vielfältige Formen der Mantik, des Spiritusmus und Totenkults, des Beschwörens, Bannens, Verfluchens und der Zauberei. Den Israeliten war das alles streng verboten. Wenn sie Weisung suchten, sollten sie sich an Gott wenden (oft in Form eines Priesters, Propheten oder Gottesmannes). Wenn sie Schutz und Hilfe brauchten, sollten sie sich an Gott wenden (in Gebet und Opfer).
לֹא תְנַחֲשׁוּ וְלֹא תְעֹונֵנוּ Ihr sollt nicht wahrsagen, und ihr sollt nicht zaubern.
אַל־תִּפְנוּ אֶל־הָאֹבֹת וְאֶל־הַיִּדְּעֹנִים Wendet euch nicht an die Totengeister und an die Wahrsagegeister. אַל־תְּבַקְשׁוּ לְטָמְאָה בָהֶם Sucht (sie) nicht, um an ihnen unrein zu werden. אֲנִי יְהוָה אֱלֹהֵיכֶם׃ Ich bin JHWH, euer Gott.
לֹא־יִמָּצֵא בְךָ מַעֲבִיר בְּנֹו־וּבִתֹּו בָּאֵשׁ קֹסֵם קְסָמִים מְעֹונֵן וּמְנַחֵשׁ וּמְכַשֵּׁף׃ Nicht soll gefunden werden unter dir einer, der seinen Sohn und seine Tochter durch das Feuer hindurchgehen lässt, der (mit Losen) orakelt, der zaubert und wahrsagt und Magie treibt וְחֹבֵר חָבֶר וְשֹׁאֵל אוֺב וְיִדְּעֹנִי וְדֹרֵשׁ אֶל־הַמֵּתִים׃ und Bannsprüche spricht und einen Totengeist und einen Wahrsagegeist befragt und Fragen richtet an die Toten. כִּי־תוֹעֲבַת יְהוָה כָּל־עֹשֵׂה אֵלֶּה Denn ein Greuel für JHWH ist jeder, der diese Dinge tut.
וְהַנֶּפֶשׁ אֲשֶׁר תִּפְנֶה אֶל־הָאֹבֹת וְאֶל־הַיִּדְּעֹנִים לִזְנוֺת אַחֲרֵיהֶם וְנָתַתִּי אֶת־פָּנַי בַּנֶּפֶשׁ הַהִוא וְהִכְרַתִּי אֹתוֺ מִקֶּרֶב עַמּוֺ Und die Person, die sich den Totengeistern und den Wahrsagegeistern zuwendet, hinter ihnen her zu huren, gegen diese Person richte ich mein Angesicht, und ich rotte ihn aus aus der Mitte seines Volkes.
וְאִישׁ אוֺ־אִשָּׁה כִּי־יִהְיֶה בָהֶם אוֺב אוֺ יִדְּעֹנִי מוֺת יוּמָתוּ Und ein Mann oder eine Frau, wenn in ihnen ein Totengeist oder ein Wahrsagegeist ist, sollen sie getötet werden. בָּאֶבֶן יִרְגְּמוּ אֹתָם Mit dem Stein sollen sie sie steinigen. דְּמֵיהֶם בָּם Ihr Blut (ist) auf ihnen (selbst). [D.h. sie haben ihren Tod selbst verschuldet.]
מְכַשֵּׁפָה לֹא תְחַיֶּה׃ Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen.
Weitere wichtige Passagen zu diesem Thema sind etwa Jes 8,19; Mi 5,11 (Gott droht an, alle Zauberei und Wahrsagerei aus Israel auszurotten), Jes 47,8-13 (Androhung des Gerichts über Babel, dem all seine Zauberei und Astrologie nicht helfen wird), Hes 13,17-26 (Gerichtsandrohung gegen Frauen, die Zauberbänder und magische Schleier nähen).
Der Entscheid durch Los war auch den Israeliten nicht unbekannt, und es gab dazu das priesterliche Losorakel Urim und Tummim (Ex 28,30; Lev 8,8; Dtn 33,8; Esr 2,63; Neh 7,65; 1Sam 14,41 LXX), die LXX übersetzt meist „Offenbarung und Wahrheit“, die Lutherbibel „Licht und Recht“. Gelegentlich werden Propheten in einem Atemzug mit Wahrsagern, Zauberern und Beschwörern genannt (Jer 27,9). Nicht alle Propheten handelten in göttlichem Auftrag, manche waren Esoteriker oder Scharlatane (1Kön 22,19-23). Manche prophetische Zeichenhandlung grenzt an Magie (z.B. 2Kön 13,14-19).
Bekannte Esoteriker im AT sind etwa:
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Esoterik beginnt für das Christentum in dem Moment, als sich die Mission an das Heidentum wendet. Dazu ist bereits Samaria zu zählen, ein „Schmelztiegel heidnisch-hellenistischer und jüdischer Religiosität“ (Stuttgarter Erklärungsbibel zu Apg 9,9-13). Philippus trifft in Samaria/Sebaste auf offene Herzen, aber auch auf einen Magier, der als Simon Magus in späteren Legenden als Gegenspieler des Petrus auftritt. In Apg 8,9-11 heißt es:
Ἀνὴρ δέ τις ὀνόματι Σίμων προϋπῆρχεν ἐν τῇ πόλει μαγεύων καὶ ἐξιστάνων τὸ ἔθνος τῆς Σαμαρείας, λέγων εἶναί τινα ἑαυτὸν μέγαν, Ein Mann namens Simon war vorher in der Stadt gewesen, der zauberte und das Volk Samariens außer sich brachte, indem er sagte, dass er jemand Großer sei; ᾧ προσεῖχον πάντες ἀπὸ μικροῦ ἕως μεγάλου λέγοντες· οὗτός ἐστιν ἡ δύναμις τοῦ θεοῦ ἡ καλουμένη μεγάλη. diesem hingen alle an, von klein bis groß, wobei sie sagten: dieser ist die Kraft Gottes, die die große genannt wird. προσεῖχον δὲ αὐτῷ διὰ τὸ ἱκανῷ χρόνῳ ταῖς μαγείαις ἐξεστακέναι αὐτούς. Sie hingen ihm aber an, weil er sie lange Zeit mit den Zaubereien außer sich gebracht hatte.
Simon lässt sich zwar taufen, möchte dann aber von Petrus und Johannes, die auf die Nachricht von Philippus' Missionserfolgen hin nach Samarien gekommen sind, die Vollmacht zum Geistempfang durch Handauflegung kaufen (woher der Begriff Simonie stammt). Die Antwort des Petrus bedeutet vermutlich, dass Simon aus der Gemeinde ausgeschlossen wird (V. 21).
Bekehrung führt zur Abkehr von okkulten und magischen Praktiken, z.B. in der Provinz Kleinasien (wohl im Raum Ephesos), Apg 19,18f:
Πολλοί τε τῶν πεπιστευκότων ἤρχοντο ἐξομολογούμενοι καὶ ἀναγγέλλοντες τὰς πράξεις αὐτῶν. Und viele der gläubig Gewordenen kamen und bekannten und verkündeten ihre Taten. ἱκανοὶ δὲ τῶν τὰ περίεργα πραξάντων συνενέγκαντες τὰς βίβλους κατέκαιον ἐνώπιον πάντων, καὶ συνεψήφισαν τὰς τιμὰς αὐτῶν καὶ εὗρον ἀργυρίου μυριάδας πέντε. Etliche aber von denen, die Zauberei (wörtl.: Unnützes, Vorwitziges) getrieben hatten, trugen die Bücher zusammen und verbrannten sie vor aller Augen; und sie rechneten ihren Wert zusammen und kamen auf fünfzigtausend Silber(drachmen/denare).
Die Abkehr von Esoterik und Magie ist für einen gläubigen Christen alternativlos. Zugleich zeigt die Passage, dass bereits in der Antike die Esoterik auch ein großes Geschäft war. An den Ängsten, Hoffnungen und Sehnsüchten der Menschen ließ sich schon immer gut verdienen. (50000 Drachmen entsprachen etwa dem 150fachen Jahresverdienst eines Tagelöhners, umgerechnet auf heutige Verhältnisse wäre das wohl ein siebenstelliger Euro-Betrag, s. Geld in der Bibel.)
Doch nicht immer ist die Abwendung der Gläubigen von altem Denken und alten Praktiken so vollständig gewesen. Neben allerhand alternativen Deutungen der christlichen Botschaft (Apg 20,29f; Kol 2,8; 1Tim 4,1-3), vor allem zur Auferstehung (1Kor 15,12; 2Tim 2,18), sickerten in Gestalt der Gnosis bald auch esoterische Sichtweisen in die christlichen Gemeinden ein; und die Apostel hatten alle Hände voll zu tun, um hier zu sagen, was Sache ist (1Tim 6,20f), insbes. im Hinblick auf die Person Jesu (1Joh 4,1-3; 2Joh 7-11).
Angesichts dieses Befundes muss sich auch die christliche Gemeinde immer wieder fragen, wie sie ihre sakramentale Praxis (Taufe, Kommunion, Segnung mit Handauflegung) versteht: als Zeichenhandlung, in der der Glaube in Gemeinschaft erlebbar wird, oder als magisch aufgeladenen Vorgang, in dem irgendwelche „Kräfte“ wirken.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 6. Okt. 2019