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Stationen des Exodus


Am Anfang des jüdischen Glaubens steht nicht das Staunen über die Schöpfung oder die philosophische Frage nach dem Dasein („warum ist etwas und nicht nichts?“), sondern die Erfahrung Gottes in der Geschichte – sagen zumindest die Theologen. Auf der anderen Seite bestreiten oft dieselben Theologen, dass jenes Ereignis, das den jüdischen Glauben und das jüdische Volk wie kein anderes konstituiert hat, nämlich der Auszug aus Ägypten und der Empfang des Gesetzes am Sinai, wirklich stattgefunden hat.

Unabhängig davon, ob man den Exodus für ein reales historisches Ereignis hält oder nicht, kann man danach fragen, ob die Stationen des Auszugs in der realen Geographie verortet werden können. So wie man fragen kann, wo Troia lag, auch wenn man die Geschichte über den Trojanischen Krieg für eine Schimäre hält.

Dabei geht es mir vor allem um drei Fragen:

Die Exegeten gehen davon aus, dass die Exoduserzählung aus mehreren Quellen zusammengewachsen ist, die den Ort der Durchquerung des Meers unterschiedlich lokalisierten. Zusätzlich wird damit gerechnet, dass Bearbeiter der Texte sie an die im Laufe der Jahrhunderte geänderte Geographie anachronistisch anpassten.

Was berechtigt mich überhaupt, über dieses Thema zu schreiben? Nichts. Ich bin, was Hoffmeier über Bob Cornuke schreibt: ein Dilettant. Mit dem Unterschied, dass ich nichts entdeckt habe und hier nur die Ergebnisse meiner Bibellektüre und meiner Literaturrecherche zusammenfasse. Daneben streue ich immer wieder meine persönliche Einschätzung oder die eine oder andere Spekulation ein. Wo dies nicht klar aus dem Text erkennbar ist, habe ich es durch senffarbenen Hintergrund kenntlich gemacht.

Ich habe keine Lösung anzubieten, dazu ist das Problem zu komplex. Die Seite über die Exodusroute von bible.ca diskutiert z.B. das Problem, wo die Tiefe des Meeres und die Steilheit, mit welcher der Meeresboden abfällt, eine Durchquerung des Meeres überhaupt erlaubt. Das setzt natürlich voraus, dass man diese Geschichte für historisch hält.

Zur Schreibung der vielen Ortsnamen: Wo Namen eine im Dt. geläufige Form haben, verwende ich diese: Gosen, Ramses, Sues, Akaba. Bei arab. Namen findet man in den Quellen teils die hocharab. Lautung (erkennbar am Artikel al, ar-, aṭ- usw.), teils die ägypt.-arab. (el, er-, eṭ-). Ich habe mich mangels besserer Kriterien meist an der Wikipedia orientiert. Wo leicht möglich, habe ich beim ersten Vorkommen eine Übersetzung der Namensbestandteile als Tooltip mitgegeben, erkennbar an der grünen Farbe des Namens. Vorab nennen möchte ich folgende Namensbestandteile: Tall/Tell, Wadi, Buḥaira, Ǧabal/Dschebel. Auf Online-Karten wird man die meisten Namen nicht finden.

Vorbemerkung 1: Archäologie

„Archaeology is the search for fact, not truth. If it's truth you're interested in: Dr. Tyree's philosophy class is right down the hall.“
(Dr. Indiana Jones, in: Indiana Jones and the Last Crusade)

„Archäologie ist die Suche nach Fakten, nicht nach Wahrheit“ – behauptet der Abenteurer und Archäologe Indiana Jones, gespielt von Harrison Ford. Aber auch das stimmt nicht. Archäologie ist die Suche nach Artefakten. Doch diese sprechen nicht für sich selbst, sie müssen interpretiert werden. Wenn ein Archäologe eine antike Stadt ausgräbt und einen Brandhorizont findet, so sagt der Brandhorizont nicht: „ich entstand im Jahr nnn v.Chr. bei einem Angriff der Abc“. Der Archäologe muss das, was er findet, im Lichte dessen interpretieren, was er (zumeist aus schriftlichen Quellen) über die Geschichte dieser Zeit zu wissen glaubt.

Sowohl dieses Wissen als auch die Interpretation der Funde kann sich im Laufe der Zeit ändern. Die Ergebnisse archäologischer Forschung sind nicht in Stein gemeißelt. Was heute als Stand wissenschaftlicher Erkenntnis gilt, ist selten der Weisheit letzter Schluss.

Aktuell ist eine sehr bibelkritische Biblische Archäologie im Schwange. Ihre Theorien und Schlussfolgerungen sind aus einem klar erkennbaren Ziel geboren: die Geschichten der Bibel als unhaltbar und historisch falsch zu erweisen. So wie vor 100 Jahren die meisten Biblischen Archäologen zumeist noch mit dem Ziel angetreten sind, die historische Zuverlässigkeit der Bibel zu untermauern. Wer sich mit Biblischer Archäologie auseinandersetzt, sollte beide Seiten ernst nehmen, sich aber der jeweiligen Voreingenommenheiten und Einseitigkeiten bewusst sein. Die Wahrheit wird wahrscheinlich irgendwo in der Mitte liegen.

Dieselbe Skepsis, mit der die sog. Minimalisten den biblischen Texten begegnen, muss man auch gegenüber (z.B.) ägyptischen Texte walten lassen. Ägyptische Inschriften bilden nicht einfach die historische Wirklichkeit ab: es handelt sich um politische und religiöse Propaganda im Sinne des ägyptischen Weltbildes. Die Feinde Ägyptens stören die kosmische Harmonie, der Pharao stellt diese Harmonie wieder her, indem er die Feinde besiegt. Er ist (in der Inschrift) immer siegreich, egal was auf dem Schlachtfeld wirklich passiert ist. Dasselbe gilt mutatis mutandis für assyrische usw. Texte.

Vorbemerkung 2: Etymologie

Vielfach wird auch versucht, die Etymologie von Ortsnamen zur Lokalisierung heranzuziehen. Allerdings bereitet das praktische Probleme. Man versuche einmal, Innsbruck, Salzburg, Eisenstadt und Klagenfurt nur anhand ihres Namens in Österreich zu lokalisieren.

Jetzt versuche man dasselbe mit Linz, Graz und Wien.

Überdies heißt Wien auf Ung. Bécs, auf Slow. Dunaj, auf Tschech. Vídeň. Selbst wann man ihre Etymologie kennte, wäre es kaum möglich, die Städte zu verorten.

Wann fand der Auszug aus Ägypten statt?

Wie bereits angedeutet: nach der vorherrschenden Gelehrtenmeinung gar nicht. Die Israeliten waren (angeblich) vielmehr Kanaaniter, die die Städte verließen oder sich aus der Herrschaft der Stadtkönige befreiten und sich im Bergland ansiedelten. Um sich eine neue Identität zu geben, haben sie die Geschichte vom Auszug aus der Sklaverei Ägyptens und von der Landnahme erfunden.

Aber wie plausibel ist es, dass ein Volk, das aus einer urban geprägten Kultur kommt, sich eine Identität gibt, die auf Geschichten und Vorschriften beruht, die aus einer ganz anders gearteten, nämlich einer nomadischen Kultur stammen?

Es gibt im wesentlichen zwei Datierungen des Auszugs:

Die eine beruft sich auf 1Kön 6,1, wo es heißt, Salomo habe im 480. (LXX: 440.) Jahr nach dem Auszug aus Ägypten, in seinem 4. Regierungsjahr, mit dem Bau des Tempels in Jerusalem begonnen. Der Regierungsantritt Salomos wird auf ca. 970 v.Chr. gesetzt. Wir kämen damit ca. ins Jahr 1447 (LXX: 1407) v.Chr. (Dass die Minimalisten natürlich auch die Historizität Salomos bestreiten, sei nur am Rande vermerkt.) Dazu wird auch Ri 11,26 gestellt, wo der Richter Jiftach (LÜ: Jeftah) dem Ammoniterkönig gegenüber behauptet, dass die Israeliten seit 300 Jahren in Hešbon, Aroër und den Städten am Arnon (südliches Ostjordanland) wohnen.

Die Zahl 480 klingt allerdings verdächtig nach 12 Generationen à 40 Jahren. Natürlich könnte die Größenordnung der Zahl (400 bis 500 Jahre) stimmen, aber ich habe meine Zweifel.

Die andere Datierung erschließt aus Ex 1,11, dass vermutlich Ramses II. der Pharao der Unterdrückung und des Exodus war. Denn der im Buch Exodus namenlose Pharao lässt die Israeliten die Städte Pitom und Ramses bauen (s.u.). Letzteres ist auch der Ort, von dem aus die Israeliten zum Auszug aufbrechen. In Pi-Ramesse errichtete Sethos I. (reg. 1290–1279) eine Palastanlage. Die Stadt wurde von Ramses II. (reg. 1279-1213) bald nach Antritt seiner Herrschaft zur neuen Residenz ausgebaut. Gegen 1110 wurde sie wieder aufgegeben.

Die auch als Israel-Stele bezeichnete Siegesstele des Pharao Merenptah (reg. 1213-1204 v.Chr.) wird als zeitliche Untergrenze betrachtet. In dieser Stele aus dem Jahr 1208 v.Chr. steht neben Kanaan, Askalon, Gezer und (dem nicht lokalisierbaren) Jenoam ein Name, der von der Mehrzahl der Forscher als Israel gedeutet wird. Der Name ist nicht mit dem Determinativ für Fremdland ( T14 N25), sondern dem für Personen ( A1 B1 Z2) geschrieben. Doch lässt der Zusammenhang nicht eindeutig erkennen, wer damit gemeint ist.

Ein Nebenschauplatz dieser Diskussion ist die Frage, ob die ḫabiru (äg. ʿpr.w), über deren Angriffe und Plünderungen sich einige Stadtfürsten Palästinas und Syriens in den Amarna-Briefen beim ägyptischen Pharao beschweren, die Hebräer sein könnten. Die Briefe stammen aus der Zeit zwischen 1360 und 1330 v.Chr.

Im Gegensatz zum Wikipedia-Art. Apiru hat sowohl bei Erman/Grapow als auch bei Faulkner das Wort für die Apiru ein eigenes, vom Wort für „Seemannschaft; Traubenkelterer“ verschiedenes Lemma.


Die ungefähre Lage einiger Orte im östlichen Nildelta, die für die Exoduserzählung von Bedeutung sind, eingetragen in die Reliefkarte von Maps for Free. Der Küstenverlauf der Seen und des Meeres, sowie der Nilarme im Delta war in der Antike meist ein anderer. Der Manzalasee fehlt auf der Karte völlig. Und den Sueskanal gab es natürlich noch nicht. Die Namen moderner Orte sind unterstrichen.
Quelle: Maps for Free / Relief Map.– Urheber: Hans Braxmeier, OpenStreetMap contributors, SRTM bei USGS u.a.– Lizenz: Creative Commons CC0.– Bearbeitung: aufgehellt, Orte und Beschriftungen hinzugefügt.

Aufbruch von Gosen

Die Israeliten leben im Land גֹּשֶׁן Gošæn (Gen 47,27) (= äg. Ḳsm?), das im östlichen Nildelta liegen muss. Laut Gesenius handelt es sich um die Gegend am westlichen Eingang des Wādī aṭ-Ṭumīlāt, einem ca. 50 km langen, in West-Ost-Richtung verlaufenden Tal, das in der Antike den östlichen (Pelusischen) Nilarm mit dem Krokodilsee (Timsāḥ-See) verbindet. Hier verläuft in historischer Zeit ein mehrfach erneuerter Kanal. Wahrscheinlich gehört auch das Wadi selbst zum Land Gosen dazu.

Brugsch liest einen Ortsnamen, der auf zwei äg. Inschriften der späten Ptolemäerzeit (d.i. griech.-röm. Zeit) gefunden wurde, als QoSeM und setzt ihn gleich mit dem griech. Φά-κουσα Phákousa, kopt. ⲕⲱⲥ Kōs, hebr. Gošæn. Naville schließt sich Brugsch im Kern an und glaubt, 1885 in Ṣafṭ el-Ḥinnā (10 km östl. von Zagazig) Phakousa gefunden zu haben. Griffith liest diesen Namen auch in einem Hymnus an Sesostris III. (19. Jh. v.Chr.!) auf einem Papyrus aus Kahun. Gardiner bezweifelt dies alles und ist der Meinung, der Ortsname sei Šsm.t (bzw. Šśm im Kahun-Papyrus) zu lesen, und dies sei ursprünglich ein Name für den Sinai gewesen. Mit Gosen habe es nichts zu tun, selbst wenn die Lesung Gsm richtig wäre, weil hebr. Gošæn bzw. dessen Wiedergabe in der LXX als Γεσεμ Gesem keine lautgesetzliche Entsprechung von äg. Gsm sein können. Das ist allerdings ein schwaches Argument, denn die Wiedergabe von Ortsnamen in anderen Sprachen hält sich häufig nicht an Lautgesetze. Der Minimalist Donald Redford leitet den Namen Gosen vom Namen eines Herrschers qedaritischer Araber ab, die seit dem 7./6. Jh. auch im östlichen Nildelta siedelten. Doch stammt der einzige Beleg für den Namen, den ich gefunden habe, aus der 2. Hälfte des 5. Jh. (Schale von Tell el-Masḫūṭa, vgl. auch „(der Araber) Gæšæm“ in Neh 2,19; 6,1f bzw. Gašmû in Neh 6,6). Damit kämen wir mit der Entstehung des Pentateuchs in den Hellenismus. Wenig plausibel.

Einmal wird das Gebiet auch als Land רַעְמְסֵס Raʿmeses bezeichnet (Gen 47,11), wohl nach Pharao Ramses II., der hier eine rege Bautätigkeit entfaltete, insbesondere in der nach ihm benannten Residenz.

Nach dem Bericht im atl. Buch Exodus mussten die Israeliten in Fronarbeit Vorratsstädte errichten; nach Ex 1,11 insbes. die beiden Städte:

Ps 78,12.43 verortet das Auszugsgeschehen im Feld (Gefilde) von צֹעַן Ṣoʿan (griech. Τάνις Tánis, äg. Ḏʿnt). Zoan/Tanis wurde erst nach dem Ende der Ramessidenzeit in der frühen 21. Dynastie (1. Hälfte des 12. Jh.) eine bedeutende Stadt (beim heutigen Dorf Ṣān al-Ḥaǧar). Gleichzeitig wurde das ca. 20 km Luftlinie entfernte Pi-Ramesse (wahrscheinlich wegen der Verlandung des Pelusischen Nilarms, an dem es lag), zumindest in seiner Funktion als Residenz, aufgegeben. In Ps 78 liegt also wohl eine Anpassung an veränderte geographische Gegebenheiten vor: an Stelle eines so nicht mehr existierenden Ortes wird ein aktueller genannt.

Geht man von einem etwa zwei Jahrhunderte früheren Datum des Exodus aus, dann wäre der Name der Stadt Ramses anachronistisch verwendet, wahrscheinlich für die nur 2 km von Pi-Ramesse entfernte Hauptstadt der Hyksoszeit: Auaris (= gr. Αὔαρις, äg. Ḥ[w].t-wʿr.t „Residenz des Gebiets“?, doch Erman/Grapow stellen den Namen zum gleichlautenden Wort für „Bein“, also „Tempel des Beins“ o.ä.?, heute Tell eḍ-Ḍabʿa). Diese wurde unter den Ramessiden zu einem südlichen Bezirk und zur Begräbnisstätte ihrer Residenz Pi-Ramesse.

Nach Ex 12,37 ziehen 600.000 Mann, ohne (d.h. nicht eingerechnet) Frauen und Kinder, aus. D.h. mit Frauen und Kindern sind es gut und gerne an die 2 Millionen Menschen. Das wäre ein Großteil der damaligen Bevölkerung des Nildeltas. (Vielleicht sogar mehr, als in der späten Bronzezeit im Delta gelebt haben.) 600.000 mehr oder weniger wehrhafte Männer übersteigt die Mannschaftsstärke des ägyptischen Heeres um ein Zigfaches. Ich werde mir nicht die Mühe machen, diese Zahl zu verteidigen. Ein Versuch, den überlieferten Text zu retten, besteht darin, hebr. אֶלֶף ʾælæp nicht als Zahlwort „tausend“ zu verstehen, sondern als „Sippe, Clan“ (wie Ri 6,15; 1Sam 10,19) oder „(militärische) Truppe“ (wie 1Sam 18,7; 2Sam 18,1).

Sukkot

Die Israeliten ziehen also von Ramses los (Ex 12,37). Sie nehmen aber nicht den raschesten und einfachsten Weg nach Palästina, den „Philisterlandweg“ (hebr. דֶּרֶךְ אֶרֶץ פְּלִשְׁתִּים dæræḵ ʾæræṣ Pelištîm) (Ex 13,17), die Straße entlang der Mittelmeerküste; sondern „(Gott) führte es (das Volk) durch die Wüste zum Schilfmeer“ (Ex 13,18) (Luther 1984, ähnlich die Einheitsübersetzung). Ähnlich Hoffmeier: „[…] the Hebrews went ‘by the roundabout way of the wilderness toward the Red Sea’“ (Israel in Sinai, S. 50). Diese Übersetzung erweckt den Eindruck, man müsse erst die Wüste durchqueren, um zum Schilfmeer zu gelangen. Tatsächlich stehen im Hebr. zwei unverbundene adverbielle Bestimmungen, die im Kontext kaum anders denn als Richtungsangaben zu verstehen sind: „Da ließ Gott das Volk sich wenden (zum) Wüstenweg, (und zwar zunächst?) (zum) Schilfmeer.“ (Die Wörter in Klammern sind meine eigene interpretierende Hinzufügung.) Dies lässt sich auch so verstehen, dass die erste Angabe die allgemeinere ist, die zweite die speziellere, die die erste näher erläutert. Der „Wüstenweg“ (hebr. דֶּרֶךְ הַמִּדְבָּר dæræḵ hammidbār) ist m.E. nicht der Weg zum Schilfmeer, sondern der Weg aus Ägypten hinaus (nach Palästina?), Gottes Alternative zum „Philisterlandweg“. (Ähnlich Num 14,25 „brecht auf in die Wüste, zum Schilfmeerweg“, דֶּרֶךְ יַם־סוּף dæræḵ jam-sûp̱.)

Die Nennung der Philister ist natürlich ein Anachronismus. Denn die Philister ließen sich erst Anfang des 12. Jh. in der Küstenebene nieder. Es ist so wie zu sagen, Cäsar habe Frankreich erobert oder eine Expedition nach England unternommen. Das Frank(en)reich entstand erst Ende des 5., Anfang des 6. Jh. n.Chr. Und zum Angel(n)land wurde Britannien erst seit der Mitte des 5. Jh. Der Pentateuch unterscheidet anscheinend oft nicht zwischen den bronzezeitlichen kanaanitischen Bewohnern der Küste Palästinas und den später eingewanderten nicht-semitischen Philistern (s.a. Gen 21,32b.34; 26,1! anders hingegen Num 13,29).

Die erste Station der Israeliten nach ihrem Auszug ist סֻכּוֺת Sukkôt (= äg. Ṯkw, hebraisiert zum Plural von סֻכָּה sukkâ „Hütte, Laube“; oder ist der äg. Name umgekehrt vom ursprünglich hebr. Namen abgeleitet?) (Ex 12,37). Nach Gesenius war das der profane Name der Stadt, deren heiliger Name Pitom war. Kenneth Kitchen ist der Meinung, dass Tell er-Reṭāba Pitom und Tell el-Masḫūṭa Sukkot gewesen sei. Das von den Hyksos gegründete Tell el-Masḫūṭa war im Neuen Reich wahrscheinlich unbewohnt. Die Israeliten könnten allerdings in oder bei den Trümmern der Hyksosstadt Lager bezogen haben. Hoffmeier ist der Ansicht, dass äg. Ṯkw (wegen der Schreibung mit N25, dem Determinativ für Wüste, Fremdland) und daher auch hebr. Sukkôt das ganze Wādī aṭ-Ṭumīlāt bezeichnet hat. (Daneben war Ṯkw auch Name einer Siedlung oder Festung im Wadi.) (Israel in Egypt, S. 179-181).

Etam

Die nächste Station ist אֵתָם ʾEtām (= äg. ḫtm „Festung“? aber phonetisch unplausibel; oder nach Gesenius Jtm „Atum“?) am Rande der gleichnamigen Wüste (Ex 13,20; Num 33,8). Es wird meist in der Nähe des heutigen Ismāʿīlīya (am Krokodilsee) vermutet.

Da nicht gesagt wird, wie lange die Reise von Sukkot nach Etam dauert, könnte Etam auch ganz wo anders liegen. bible.ca lokalisiert es z.B. am Südostende der Halbinsel Sinai. Unklar ist mir allerdings, inwiefern dieser Ort am Rand der Wüste liegt. Humphreys verortet es nördlich von Eilat.

Pi-Hahirot

Dort (also in Etam, oder wo sonst?) erhalten die Israeliten von Gott den Befehl umzudrehen (14,2: וְיָשֻׁבוּ wejāšuḇû „dass sie sich umwenden, zurückkehren“). Sie werden wohl kaum zurück nach Sukkot ziehen. Eher in Richtung des ursprünglich gemiedenen Weges entlang der Mittelmeerküste. Sie wenden sich also vermutlich nach Norden. Ohler interpretiert es so: „Zum Schilfmeer schickt Gott Israel, das schon weitergezogen war, eigens zurück (14,2); es soll sehen, daß es sich von dem auf Gott gewiesenen Weg in die Freiheit nicht fürchten muß“. Jedenfalls gelangen die Israeliten nach פִּי הַחִירֹת Pî-Haḥîrot.

Der Name ist entweder hebr. „Mündung der/von Hirot“ (פֶּה pæ̂, cstr. פִּי „Mund, Mündung“). Nach James Strong bedeutet er „Mündung der Schluchten“ (zu der Wurzel חֹר ḥor „Loch, Höhle“), nach Rieneckers Bibellexion „Mündung der Kanäle“ (zu ass. ḫirîtu, Pl. ḫirâti „Graben, Kanal“, ass. ḫirûtu „Grabung“, vgl. auch das Hapax legomenon hebr. חרת ḥrt „eingraben“ Ex 32,16). Letztere Deutung macht sich bible.ca zu eigen und lokalisiert den Ort an der Straße von Tīrān, das ist die Meerenge zwischen der Südostspitze des Sinai und der arabischen Halbinsel, durch die man in den Golf von Akaba (ar. ʿAqaba) einfährt. Oder der Name ist äg., z.B. Pr-Ḳrḥt „Haus der Kerhet“ (schlangengestaltige Göttin) oder Pr-Ḥrt „Haus der Heret“, was aber weder lautlich noch inhaltlich überzeugt (wo gab es im Delta einen solchen Tempel?). Nach Hoffmeier ist es das in Pap. Anastasi III, 2.9 genannte pꜣ ḥrw, was „der Kanal“ bedeuten soll (zu akk. ḫarru(m) „Graben, Kanal“), nämlich der östliche Grenzkanal nördlich des Ballahsees (Israel in Sinai, S. 106f).

Wenn Etam tatsächlich irgendwo am östlichen Ende des Wādī aṭ-Ṭumīlāt im Bereich des Krokodilsees liegt, dann wird Pi-Hahirot nördlich davon zu suchen sein, also im Bereich des Ballah- oder des Menzalesees. Wer sich dafür entschieden hat, das Schilfmeer am Golf von Sues zu suchen, verortet es dagegen zumeist im Bereich des Raʾs al-ʾAdabīya, jener Landspitze, die 12 km südwestlich von Sues am Ostende des Ǧabal ʿAtāqa ins Meer ragt.

Migdol

Pi-Hahirot liegt zwischen מִגְדֹּל Migdol und dem Meer (wohl dem, das die Israeliten bald überqueren werden). Migdol ist entweder Nebenform von מִגְדָּל migdāl „Turm, Kastell“. Oder es ist äg. mktr, mgdr „Befestigungsturm, Festungsanlage“. In beiden Fällen ist es eigentlich ein Appellativ. Es ist also nicht klar, welche Festung gemeint ist. (Es ist ein bisschen wie mit dem dt. Ortsnamen Bruck, den es auch öfter gibt.) Vgl. aber auch das Magdalí ina Miẓri „Magdali in Ägypten“ im Amarnabrief 234.

Am häufigsten wird das Jer 44,1; 46,14; Hes 29,10; 30,6 erwähnte Migdol als Kandidat genannt, das wohl ganz im Norden gelegen hat („von Migdol bis nach Syene“ bedeutet: ganz Ägypten, vom äußersten Norden bis zum äußersten Süden). Für dieses Migdol wäre Tell el-Qedwa ein möglicher Kandidat. Das im Itinerarium Antonini 171 zwischen Sile und Pelusio genannte Magdolo wird meist in Tell el-Ḥeir (oder Tell el-Herr) lokalisiert. Doch kann es wohl nicht mit dem Migdol der atl. Propheten identisch sein, weil die Festung von Tell el-Ḥeir offenbar erst seit persischer Zeit existierte.

Das Hdt 2,159,2 genannte Μάγδωλος Mágdōlos, wo Pharao Necho die Syrer schlägt, ist vielleicht Megiddo, wo Necho die Israeliten schlägt und König Josia in der Schlacht tödlich verwundet wird (2Kön 23,29; 2Chr 35,22). Alan Lloyd hält aber die Gleichsetzung von Magdolos mit Migdol / Tell el-Heir für plausibler.

Migdol ist eine befestigte ägyptische Grenzstation auf dem Isthmus von Sues. Deren wird es wohl mehrere gegeben haben. Welche der Autor (oder Endredaktor) des Exodusbuches im Sinn hatte, ist momentan kaum zu sagen.

Baal-Zephon

Pi-Hahirot liegt gegenüber בַּעַל צְפֹן Baʿal-Ṣep̱on „Herr von Zefon“. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Ṣep̱on = Ṣāp̱ôn, das ist der im Norden gelegene heilige Berg (daher wohl צָפוֺן ṣāp̱ôn „Norden“). Der Zafon wird mit dem Ǧabal al-Aqraʿ an der syrisch-türkischen Grenze identifiziert, griech. Κάσιον (ὄρος) Kásion (óros), lat. mons Casius genannt. Da seefahrende Anhänger dem dort verehrten Gott am Westende des Sirbonischen Sees ein Heiligtum errichtet haben (und da sich nach Hdt 2,6,1; 3,5,2f entlang des Sirbonischen Sees ein Κάσιον ὄρος erstreckt), wird das hier genannte Baal-Zephon seit Otto Eissfeldt von vielen dort, an der Mittelmeerküste des Sinai, lokalisiert.

Nach Albright ist es das biblische תַחְפַּנְחֵס Taḥpanḥes (Jer 2,16 תַּחְפְּנֵס Taḥpenes, Hes 30,18 תְּחַפְנְחֵס Teḥap̱neḥes), wohl das griech. Δάφναι (αἱ Πηλούσιαι) Dáphnai (hai Pēloúsiai) von Hdt. 2,30,3f und 2,107,1, moderner Name (seit Flinders Petrie?) Tell Defenneh, nach anderen Tell Dafana, ca. 15 km westlich von El Qantara. Diese Identifikation beruht vermutlich auf der Erwähnung des Namens Baal-Zephon in einem hier gefundenen phönikischen Papyrus. (Das Hinterglied des ägyptischen Namens ist wohl pꜣ-nḥś(j) „des Nubiers“. Das Vorderglied ist umstritten; Wilhelm Spiegelberg schlug tꜣ-ḥw(t) „die Burg“ vor, Joachim Quack tꜣ-wḥj(t) „die Siedlung“.)

Gmirkin hingegen denkt an Arsinoë (das noch nicht gefunden wurde, aber wohl an der Mündung des Ptolemäischen Kanals in das Rote Meer gelegen haben muss).

Durchzug durchs Schilfmeer

Das Meer, das die Israeliten von Pi-Hahirot aus auf wunderbare Weise durchqueren, heißt meist einfach nur יָם jām „Meer, See“, an einigen Stellen aber יַם־סוּף jam-sûp̱ „Schilfmeer, -see“ (Ex 10,19; 13,18; 15,4.22 u.ö.). Es erscheint plausibel, dass der Namensbestandteil סוּף sûp̱ mit dem gleichlautenden Wort in Ex 2,3.5; Jes 19,6; Jona 2,6 identisch ist, das traditionellerweise als „Schilf, Riedgras, Seetang“ o.ä. verstanden wird. (Ob dieses Wort etymologisch mit äg. ṯwf(j) „Papyrus“ zusammenhängt, wie bereits von Brugsch vorgeschlagen, ist ein Randproblem.) Andere Deutungen sind möglich, aber nicht überzeugend. Das in einigen äg. Texten erwähnte pꜣ ṯwfj könnte mit jam-sûp̱ identisch sein, muss aber nicht.

Das atl. Hebr. unterscheidet nicht zwischen „die See“ (wie in dt. die Nordsee, lat. mare) und „der See“ (wie in dt. der Bodensee, lat. lacus, hebr. z.B. יָם־כִּנֶּרֶת jām-Kinnæræt „See Genezareth“). Auch im Dt. ist die Unterscheidung durch den Artikel sekundär, es handelt sich ursprünglich um ein und dasselbe Wort.

Bekannt ist, dass die LXX das Schilfmeer als Rotes Meer wiedergibt. Die LXX hat also den Namen nicht übersetzt, sondern das Meer lokalisiert. (Ob richtig, ist eine andere Frage.)

An einigen Stellen des AT ist mit jam-sûp̱ eindeutig der Golf von Akaba gemeint (z.B. 1Kön 9,26; Jer 49,21; wahrscheinlich auch Ex 23,31; Num 21,4; Dtn 1,40; 2,1; unklar Num 33,10f). Doch dürfte dieser Name wohl kaum für den Golf geprägt worden sein (wo gibt es da soviel Schilf, dass es diesen Namen rechtfertigen würde?), sondern wird wohl durch Bedeutungserweiterung übertragen worden sein. Ähnlich wie im Tschech. der Name einer Burg hinter der österreichisch-böhmischen Grenze (Racouz) zum Namen von ganz Österreich wurde (Rakousko). Daher sind die genannten Stellen kein hinreichendes Argument dafür, dass die Israeliten das Rote Meer (Golf von Sues) durchquert haben müssen.

Als Lokalisierung des Durchquerungswunders wurden vorgeschlagen:

Für die akademische Theologie scheint es ausgemacht, dass der Jahwist das Schilfmeer im Seengebiet nördlich von Sues verortet, die Priesterschrift am Westende des Sirbonischen Sees (also am Mittelmeer), die LXX schließlich am Golf von Sues (vgl. z.B. die Ausführungen von Martin Noth dazu).

Die genannten Orte (Pi-Hahirot, Migdol, Baal-Zefon) lassen sich nicht eindeutig lokalisieren. Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass sie im Gebiet der Seen östlich des Wādī aṭ-Ṭumīlāt zu suchen sind. Da auch für die Antike angenommen wird, dass die Seen des Isthmus, vielleicht bis hinauf zum Krokodilsee, mehr oder weniger mit dem Golf von Sues in Verbindung standen, hat man diese Seen vielleicht nur als Verlängerung des Golfs betrachtet. Dann wäre die Gleichung der LXX – Schilfmeer = Rotes Meer – gar nicht so falsch. Dieses Gebiet bildete die Ostgrenze Ägyptens, die auch mit Grenzfestungen gesichert war. Dahinter war Wüste. Diese Grenze ungehindert zu überschreiten (egal in welcher Richtung), war nur mit starker militärischer Macht möglich – oder dank eines Wunders.

Ein Problem mit dieser Lokalisierung ist m.E. folgendes: Ex 14,3.11f legt nahe, dass sich die Israeliten bereits vor der Durchquerung des Schilfmeers in der Wüste befinden („die Wüste hat sie eingeschlossen“) (s.a. oben zu Ex 13,18). Konnte man das Gebiet diesseits der Grenze wirklich als Wüste bezeichnen? Nach einer Karte des Deltas bei Hoffmeier (Israel in Egypt, fig. 2) liegen die Seen des Isthmus bis einschließlich die südlichen Ballahseen tatsächlich in der Wüste (ausgenommen ein Stück der Westseite des Krokodilsees).

Soviel kann man sagen: die Israeliten ziehen von Pi-Ramesse ins Wādī aṭ-Ṭumīlāt, und vermutlich durch dieses bis ins Seengebiet (nach Etam, am Rand der Wüste). Dort ändern sie ihre Richtung, gehen entweder nach Norden zum Ballaḥ- oder weiter zum Manzalasee, oder nach Süden zum Bittersee oder weiter zum Golf von Sues. Sie überqueren irgendwo auf der Landenge von Sues (die heute vom Sueskanal durchschnitten wird) die Ostgrenze Ägyptens und entkommen dabei ihren ägyptischen Verfolgern.

Wüste Schur


Die ungefähre Lage einiger Orte auf der Sinaihalbinsel, die für die Exoduserzählung von Bedeutung sind, eingetragen in die Reliefkarte von Maps for Free.
Quelle: Maps for Free / Relief Map.– Urheber: Hans Braxmeier, OpenStreetMap contributors, SRTM bei USGS u.a.– Lizenz: Creative Commons CC0.– Bearbeitung: aufgehellt, Orte und Beschriftungen hinzugefügt.

Die Lokalisierung der weiteren Stationen hängt davon ab, wo man einerseits das Schilfmeer verortet und andererseits den Gottesberg, den Sinai. Da die Mehrzahl der Forscher ersteres auf der Landenge von Sues vermutet und letzteren auf der Halbinsel Sinai, werden die folgenden Stationen traditionellerweise auf der Halbinsel vermutet. Während ersteres auch mir persönlich sehr plausibel erscheint, kann ich mich mit letzterem schon schwerer anfreunden: die Halbinsel ist ägyptisches Herrschaftsgebiet.

Nachdem sie der Armee des Pharao entkommen sind, ziehen die Israeliten durch die Wüste (von) שׁוּר Šûr (als Appellativ „Mauer“) (Ex 15,22). Schur lag auf dem Weg von Palästina nach Ägypten (Gen 16,7), wohl an der Ostgrenze Ägyptens (Gen 25,18). Nach Num 33,8 heißt das Gebiet „Wüste (von) אֵתָם ʾEtām“. Das war nach dem Ex-Bericht (und auch nach Num 33,6) auch der Name der zweiten Station (s.o.). Die Wüste Schur wird mit der Sandwüste im Norden der Sinaihalbinsel identifiziert.

Mara

Nach drei Tagen Wanderung durch wasserlose Wüste gelangen die Israeliten an einen Ort, der zwar Wasser hat, das aber ungenießbar ist (bitter oder salzig). „Daher nannte man ihren Namen Mara“ (Ex 15,23), d.i. מָרָה mārâ „Bittere“. Der Satz scheint zu besagen, dass es sich dabei um eine Ad-hoc-Benennung handelt, nicht um einen bekannten Ortsnamen.

Wenn man vom Krokodilsee aus drei Tagesreisen nach Süden zurücklegt, findet man sich einige km südlich von Sues. Wenn hingegen von Sues aus, dann kommt man in die Gegend von Wadi Ġarandel (od. Ghurundel). Verschiedene Lokalisierungen für Mara sind:

Auf Gottes Anweisung hin kann Mose das Wasser genießbar machen, indem er ein bestimmtes Holz ins Wasser wirft.

Elim

Als nächstes (ohne dass gesagt wird, wie lange sie unterwegs waren) kommen die Israeliten nach אֵילִם ʾÊlim, d.i. vermutlich Pl. von אַיִל ʾajil „großer Baum, Terebinthe, Palme“. Auch dieser Name ist Programm, denn es gibt dort 12 Brunnen und 70 Dattelpalmen (Ex 15,27). Elim wird von den diversen Lexika und Kommentaren in der Oase Wadi Ġarandel verortet. Weil Elim zwischen dem Schilfmeer und dem Berg Sinai liegen muss und sie ersteres mit der Nordspitze des Golfs von Sues und letzeres mit dem Ǧebel Mūsā gleichsetzen.

Doch alles, was wir sagen können, ist, dass die Israeliten den Sinai irgendwo in seiner nördlichen Hälfte betreten haben und eine nicht näher genannte Zeit in der Wüste unterwegs waren. Nach der Stationenliste in Num 33 lagern die Israeliten nach dem Aufbruch von Elim am Schilfmeer (V.10). D.h. an der Küste des Golfs von Sues? Oder am Nordende des Golfs von Akaba? Oder konnte Schilfmeer auch einen Schilfteich in einer Oase bezeichnen?

Das Wadi Ġarandel findet man bei Google Maps nicht, allerdings ist seine Einmündung ins Meer auf Openstreetmap verzeichnet. Die ausführlichsten Karten der Sinaihalbinsel, die ich im Netz finden konnte, sind zwei Karten von H. Kiepert. Achtung: Kiepert benutzt den Meridian von Paris. Man muss also dessen Länge von ca. 2° 21′ dazuzählen, um auf die Längengrade des Meridians von Greenwich zu kommen.

Wüste Sin

Die nächste Station ist die Wüste סִין Sîn (Bedeutung unklar, vielleicht zu סְנֶה senæ̂ „Dornstrauch“) (Ex 16,1). Sie wird traditionell im (nord-)westlichen Sinai angesiedelt. Gesenius schlägt etwa die Küstenebene von aṭ-Ṭūr im Südwesten des Sinai vor, oder das Gebiet um das Wādī al-Maġāra, wo seit dem Alten Reich u.a. Türkis abgebaut wurde (daher äg. ḫtjw mfkꜣ.t „Türkisterrassen“). Die äg. Inschriften und Reliefs belegen, dass dieses Gebiet die meiste Zeit unter der Herrschaft der Pharaonen stand. Man muss sich also fragen, ob sich die Israeliten auf der Halbinsel Sinai vor den Soldaten des Pharao sicher fühlen konnten.

Hier erfahren wir, wie lange die Israeliten seit dem Auszug unterwegs sind. Wenn man davon ausgeht, dass die Israeliten am Morgen nach der Passahnacht, am 15. Abib, ausgezogen sind (Ex 12,6f; 13,4), dann brechen sie genau einen Monat danach von Elim auf. Wenn man auch annehmen kann, dass das Volk einige Tage in Elim gerastet hat, könnte es inzwischen mehrere hundert Kilometer zurückgelegt haben und sich z.B. auch auf der arabischen Halbinsel befinden.

In der Wüste Sin versorgt Gott das Volk mit Wachteln und Manna. Erstere sind Zugvögel, die sich vom langen Flug erschöpft niederlassen und leicht zu fangen sind. Letzteres bleibt trotz unterschiedlicher Erklärungsversuche ein Rätsel.

Refidim

Die nächste Station ist nach Ex 17,1 רְפִידִים Rep̱îdîm (wahrscheinlich von רפד rpd „hinbreiten“, Piʿel „das Lager ausbreiten; stützen“, also soviel wie „Lager“ oder „Stütze“, oder von der gleichen Wurzel sabäisch rpd „Stütze, Terrasse“). Nach der Stationenliste Num 33,12-14 gibt es vor Refidim noch zwei weitere Stationen: דָּפְקָה Dŏp̱qâ (nach Rieneckers Bibellexikon vielleicht von äg. mfkꜣ.t „Türkis“) und אָלוּשׁ ʾĀlûš. Wenn die Etymologie stimmt, dann ist Dofka möglicherweise Sarābīṭ al-Ḫādim, wo seit dem Alten Reich Kupfer und Türkis abgebaut wurden. Für Alusch wurde das Wadi el-Eš vorgeschlagen, das wohl unweit östlich des Ǧabal ʿAmra (GeoLink) liegen dürfte.
Als Lokalisierung für Refidim wurden laut WiBiLex u.a. vorgeschlagen (wobei sich diese offenbar hauptsächlich an Namensähnlichkeit aufhängen):

Hier murrt das Volk zum wiederholten Mal, weil es kein Wasser hat. Mose schlägt mit seinem Stab an den Fels, und aus diesem fließt Wasser (Ex 17,5f). Mose nennt den Ort מַסָּה וּמְרִיבָה massâ u-merîḇâ „Versuchung und Hader“ (Ex 17,7, wegen V.2). Hier werden die Israeliten (bzw. ihre Nachhut, Dtn 25,17f) von den Amalekitern angegriffen. Solange Mose seine Arme hochhält, behalten die Israeliten die Oberhand. Daher stützen Aaron und Hur ihm die Arme, und die Israeliten siegen schließlich.

Auffällig ist, dass der Fels als „der Fels auf dem Horeb“ (Ex 17,6) bezeichnet wird – Ḥoreb ist ein anderer Name für den Gottesberg (s.u.). Und als Moses Schwiegervater Jitro (mit Moses Frau und Kindern) aus Midian zu Mose (nach Refidim) kommt, da kommt er „in die Wüste, wo er lagerte, zum/beim Gottesberg“ (Ex 18,5). Es scheint also, dass Refidim praktisch schon das erste Ziel der Reise darstellt. Und der Umstand, dass Jitro in Midian gehört hat, dass Gott die Israeliten aus Ägypten geführt hat, könnte bedeuten, dass der genannte Gottesberg nicht allzuweit von Midian entfernt ist.

Berg Sinai

Die Israeliten ziehen von Refidim weiter und erreichen die Wüste, in der der Gottesberg liegt, genau am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug aus Ägypten (Ex 19,1f), also rund 2 Wochen nach dem Aufbruch von Elim. Die ganze Reise hat somit ca. 45 Tage gedauern. Da Hoffmeier die Stationenliste für vollständig hält, haben die Israeliten in dieser Zeit max. 11 Tagesreisen zurückgelegt (Israel in Sinai S. 118f).

Der Berg, auf dem Mose die zehn Gebote empfängt, heißt סִינַי Sînaj und liegt in einer gleichnamigen Wüste (Ex 19,1; 34,4). Der bei Gesenius geäußerten Vermutung, der Name könnte mit dem babylonischen Mondgott Sin zusammenhängen, widerspricht Albright („[…] denn es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Name Sin von den Kanaanitern oder den semitischen Nomaden Palästinas jemals verwendet wurde“). Es wird auch immer wieder auf die Namensähnlichkeit mit der Wüste Sin (s.o.) hingewiesen.

Im Buch Dtn heißt der Gottesberg חֹרֵב Ḥoreb (vermutlich „Trockenheit, Wüste“, vgl. ass. ḫarbu „wüst, verwüstet“, ḫuribtu, ḫurbatu „Wüste“). Der Horeb ist auch der Berg in oder bei Midian, an dem Gott dem Mose im brennenden Dornbusch erscheint.

In Ex 3,1 heißt es: „Und Mose war dabei, das Vieh seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian, zu weiden; und er trieb das Vieh hinter die Wüste und kam zum Berg des Gottes, zum Horeb.“ Was heißt אַחַר הַמִּדְבָּר ʾaḥar hammidbār genau? Die meisten dt. Übersetzungen haben „über die Wüste/Steppe hinaus“ (Gesenius: „jenseits d. Wüste“). Aber wo ist man dann? Im Wald? Im bebauten Kulturland? Das ist eher unwahrscheinlich. So übersetzt denn auch die Gute Nachricht „tief in die Wüste hinein“ (wie die Vulg. „ad interiora deserti“); die English Standard Version „to the west side of the wilderness“ (weil der Pl. von ʾaḥar gelegentlich auch „westlich“ bedeuten kann, z.B. Ri 18,12); die King-James-Übersetzung „to the backside of the desert“.
Wenn man also den Gottesberg auf der Halbinsel Sinai lokalisieren möchte, muss man sich fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Ägyptenflüchtling Mose seine Herden bis tief in den Süden des Sinai getrieben hat?

Dieser Berg liegt also wohl in oder am Rande von Midian, außerhalb Ägyptens (am ehesten in der syrisch-arabischen Wüste, östlich des Golfs von Akaba). Er ist aber auch der Berg, an dem Mose bei Refidim mit seinem Stab an den Fels schlägt, sodass Wasser herausläuft (Ex 17,6, s.o.) – bevor die Israeliten zum Sinai kommen.

Viele Ausleger meinen, dass es sich bei Sinai und Horeb (ursprünglich) um zwei verschiedene Berge handelte.

Traditionellerweise wird der Gottesberg seit dem 4. Jh. mit dem Ǧabal Mūsā auf der Halbinsel Sinai identifiziert.

Wegen Ex 19,18 (Feuer, Rauch, Erdbeben) nehmen Ausleger wie Martin Noth und Hermann Gunkel an, dass es sich beim Sinai um einen Vulkan handelt. Daher lokalisieren sie ihn irgendwo im Norden Arabiens (auf der Sinaihalbinsel gibt es in historischer Zeit keine vulkanische Aktivität): z.B. der Ḥalā 'l-Badr (so schon 1911 Alois Musil, 2003 Colin Humphreys), oder der Ǧabal al-Lauz (vor allem durch den umtriebigen Expolizisten Bob Cornuke, 2005 gründlich widersprochen von Hoffmeier).

Ein immer wieder ins Treffen geführtes Argument für oder gegen eine Lokalisierung des Gottesberges ist die Angabe in Dtn 1,2, dass es auf dem Weg des Berges Śeʿîr vom Horeb bis Qādeš-Barneaʿ elf Tage sind. Kadesch-Barnea wird unisono mit dem Gebiet der beiden Quellen ʿĒn el-Qudērāt und ʿĒn Qudēs (im Nordosten der Sinaihalbinsel, wenige km westlich der israelischen Grenze) gleichgesetzt. Bei einer vermuteten Reisegeschwindigkeit von 25-30 km/d wäre der Horeb um die 300 km vom Gebiet der Quderat-Oase entfernt. Die Nennung des Seïr (der Berge östlich der ʿAraba, d.i. der Senke zwischen Totem und Rotem Meer) spricht eher dafür, den Horeb auf der Ostseite des Golfs von Akaba zu suchen. (Doch nach Rieneckers Bibellexikon konnte der Begriff Seïr auch auch die Berge westlich der ʿAraba umfassen.)

Fazit

Falls der Exodus stattgefunden hat, dann können wir seine Route nicht wirklich nachzeichnen. Vielleicht kommt uns eines Tages noch die Archäologie zu Hilfe und sagt uns, wo der Gottesberg lag. (Momentan ist Biblische Archäologie auf der arabischen Halbinsel kaum möglich.) Bis dahin müssen wir uns mit der Ungewissheit abfinden. Wir sollten uns aber weder von jenen selbsternannten Spezialisten ins Boxhorn jagen lassen, die den Berg Sinai bereits gefunden haben wollen, noch von den akademisch geschulten Altertumswissenschaftlern, die gebetsmühlenartig wiederholen, dass es keine archäologischen Belege für den Exodus gibt (als würde das beweisen, dass es auch in Zukunft nie welche geben wird). Im 19. Jh. hielt man auch die Suche nach Troia für Phantasterei – bis Schliemann es ausgegraben hat.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 12. Sep. 2021