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Homosexualität und Bibel
Seit etwa Mitte der 1980er Jahre scheint Homosexualität in Österreich ein Thema zu sein, gesellschaftlich und kirchlich. Besonders in der evangelischen Kirche hat es durch das Coming-out eines Pfarrers eine Debatte um dieses Thema gegeben. Ich bin kein Sozialwissenschaftler oder -historiker, der Berge von Büchern zu diesem Thema gelesen hat. Es geht mir auch gar nicht darum, was Homosexualität genau ist, wo ihre biologischen, biographischen oder gesellschaftlichen Ursachen liegen usw. Sondern um die Frage, wie die Gesellschaft und die Kirchen mit Homosexuellen umgehen wollen. Und vor allem, wie der biblische Befund zu deuten ist. Ich stamme aus dem konservativ-apologetischen Eck. Es sollte daher nicht überraschen, zu welchem Ergebnis ich komme.
Biologisch gesehen ist Heterosexualität der Normalfall, Homosexualität eine Aberration, die sich die Natur nur erlauben kann, wenn sie in nicht allzugroßem Ausmaß auftritt. Wenn alle Menschen homosexuell wären, hätte die Menschheit ein Problem: sie würde aussterben. Insofern ist Homosexualität also keineswegs „normal“ oder „gleichwertig“. Normal ist Homosexualität nur in dem Sinn, daß es sie - soweit wir wissen - zu aller Zeit und in allen Kulturen gegeben hat. Sie ist also offenbar Teil der conditio humana.
Wieso es es überhaupt Homosexualität gibt, weiß bis heute kein Mensch. Da Heterosexualität der biologisch notwendige Normalfall ist, scheint es naheliegend, daß die Gene eine Rolle spielen. Überlegungen mancher Evolutionsbiologen, daß Homosexualität vielleicht auch einen biologischen oder sozialen Zweck erfülle, sind momentan nur Spekulationen.
Wie groß der Anteil der Homosexuellen an der Bevölkerung ist, hat für Großbritannien das Schatzamt nach der Einführung des Civil Partnerships Acts 2004 abzuschätzen versucht (um die finanziellen Auswirkungen hinsichtlich Steuern, Pensionen und Erbschaften einzuschätzen). Das Ergebnis: ca. 6% [1].
Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt die Homosexualität (laut Wikipedia-Artikel Homosexualität seit 1992) nicht mehr in ihrer International Classification of Diseases (ICD) (im Gegensatz etwa zu Voyeurismus, Exhibitionismus oder Pädophilie). Als krankhaft gilt nur, wenn jemand an seiner sexuellen Orientierung leidet (Code F66). Damit gibt es aus medizinischer Sicht bei Homosexuellen nichts zu heilen, sowenig wie Linkshändigkeit „geheilt“ werden kann, da es keine Krankheit ist.
Wieso allerdings bestimmte Formen abweichenden Sexualverhaltens generell pathologisch sein sollen, Homosexualität aber nur, wenn der Betroffene ein Problem damit hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Dafür dürften wohl weniger medizinische Erkenntnisse die Ursache sein, als vielmehr der Wertewandel der westlichen Gesellschaft. Die psychiatrische Behandlung von Dissidenten in der UdSSR und die Weigerung vieler westlicher Psychiater, dies zu verurteilen, stellt der Objektivität und Urteilsfähigkeit von Psychiatern leider kein gutes Zeugnis aus (ausführlich dazu Dennis Prager [2], S.15f).
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß die Griechen der Homosexualität besondere Wertschätzung entgegengebracht hätten. Dies gilt lediglich für eine besondere Form gleichgeschlechtlicher Beziehung, die auch von heterosexuell veranlagten Männern praktiziert wurde, weil sie ein Statussymbol der wohlhabenden adeligen Oberschicht war: für die Päderastie (Knabenliebe) [3]. Ansonsten haben sich die Griechen über Schwule durchaus lustig gemacht (man lese die Komödien des Aristophanes).
Dieser Irrtum düfte auf die Rezeption von Platons Symposion („Trinkgelage, Gastmahl“) zurückgehen. In diesem Dialog äußern sich einige der Dialogpartner sehr enthusiastisch zur erotischen Beziehung unter Männern (z.B. Plat.symp. 191e-192a, dt. Übers.). In seinem Spätwerk Nomoi („Gesetze“) hat Platon aber die Homosexualität dezidiert als widernatürlich (παρὰ φύσιν) abgelehnt ( Plat.leg. 636c-d, dt. Übers.).
Dieser Art von Irrtum sitzt meines Erachtens auch Dennis Prager auf. Er zitiert zwei ägyptische Sargtexte (S.4) und läßt so den Eindruck entstehen, die Kultur des alten Ägyptens habe eine indifferente Haltung zur Homosexualität gehabt. Für eine Kultur, die mehr als zwei Jahrtausende gedauert und ein antikes Großreich umfasst hat, sind zwei Belegstellen entschieden zu wenig! Aber Prager hat wohl recht, wenn er sagt, daß kaum eine Kultur die Homosexualität so entschieden abgelehnt hat wie die jüdisch-christliche (S.4).
Die christliche Kultur der Neuzeit hat Homosexualität moralisch verurteilt, und die Staaten des christlichen Abendlandes haben sie meist auch unter Strafe gestellt. Noch 1895 wurde etwa Oscar Wilde wegen Unzucht (so die offizielle Bezeichnung seines „Vergehens“) zu zwei Jahren schwerer körperlicher Zwangsarbeit verurteilt.
Diese rigide Haltung gegenüber den Schwulen kann nur z.T. mit der christlichen Ethik begründet werden. Hier spielt wohl auch eine kulturell zementierte Homophobie eine Rolle, die lange Zeit nicht hinterfragt wurde. Wie man auch bei der Ausländerfeindlichkeit sieht, erregt das Andersartige, „Fremde“ in uns (auch irrationale) Ängste, die sich zu Aversionen und Aggressionen steigern können.
Ich habe Brokeback Mountain nicht gesehen - aber meine Tochter. Das hat zur unvermeidlichen Diskussion geführt, daß an der Liebe ja wohl nichts moralisch Verwerfliches sein könne: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ (so der Titel eines Chansons, gesungen von Zarah Leander). Liebe an sich natürlich nicht, aber die Liebe hebt die Verwerflichkeit einer Handlung, die um ihretwillen begangen wurde, nicht auf. Wenn ich meine Frau um einer anderen willen verlasse, spielt es keine Rolle, wie sehr ich diese andere liebe: es ist und bleibt Ehebruch. (Tatsächlich werden Untreue und Ehebruch immer wieder genau mit diesem Argument zu rechtfertigen versucht.)
Auch daß sich Homosexuelle ihre sexuelle Orientierung in der Regel nicht selbst ausgesucht haben („kann denn Veranlagung Sünde sein?“), ist keine Rechtfertigung. Kein Sodomit, Päderast oder Lustmörder hat sich seine sexuelle Veranlagung selbst ausgesucht. Dennoch kann er nicht beanspruchen, daß deshalb das Ausleben seiner sexuellen Neigungen nicht moralisch verurteilt werden dürfe.
Die Zurückweisung der obigen Argumente beweist natürlich noch nicht, daß Homosexualität ethisch verwerflich ist. Aber es gibt für sie auch keinen moralischen Persilschein. Es geht nicht darum, den Homosexuellen das Menschsein abzusprechen oder zu behaupten, Homosexuelle seien schlechte Menschen. Es geht um die Frage, ob die (gelebte) sexuelle Orientierung moralisch indifferent ist oder nicht.
Ob ein Homosexueller seine Homosexualität auslebt, das steht in seiner eigenen Verantwortung. Daß der Verzicht auf das Ausleben seiner Sexualität äußerst schwer ist, ist mir klar. Es bedeutet ja nicht nur den Verzicht auf Geschlechtsverkehr, sondern auch den Verzicht auf Liebe, Zärtlichkeit und Partnerschaft. Deshalb will ich „praktizierende“ Homosexuelle nicht verurteilen.
Homosexuelle sind eine gesellschaftliche Realität, die zur Kenntnis zu nehmen ist. Und natürlich muß der Sozialstaat auch sie und ihre Bedürnisse wahrnehmen. (Das Wesen des Sozialstaats liegt u.a. darin, daß er nicht fragt, ob der in Not Geratene seine Not nicht selber verschuldet hat.) Für soziale Probleme wie Fragen des Erbrechts, des Eintritts in ein Mietverhältnis im Falle des Tode des Partners, Aufenthaltsbewilligung für den Partner usw. muß eine gerechte Lösung gefunden werden. Ob es dafür einer eingetragenen Partnerschaft bedarf, weiß ich nicht.
Die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe lehne ich ab, schon deshalb, weil es nicht das gleiche ist (s. oben). Ich will nicht, daß homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen. Ein Blinder kann auch keinen Führerschein bekommen, egal wie gut er die Verkehrsregeln beherrscht. Das mag für die Betroffenen bitter sein, aber wo kämen wir hin, wenn wir um der Gleichberechtigung willen Blinde autofahren ließen!
Auch die Frage der Mitversicherung des Partners bei Kranken- und Pensionsversicherung würde ich abschlägig bescheiden. Ich wüßte nicht, welchen Sinn es für die Gesellschaft haben sollte, daß der Staat homosexuelle Beziehungen finanziell unterstützt. Wenn wir wollen, daß in 20 oder 30 Jahren jemand da ist, der unsere Pensionen zahlt, muß der Staat in Familien, Kinder und Bildung investieren, und nicht in ein Minderheitenprogramm, das die Gesellschaft letztlich nicht weiterbringt. Τέκνα παιδεύειν („Kinder erziehen“), um einen der Wahlsprüche des Kleobulos aus Lindos zu zitieren.
Daß viele Menschen heute Homosexualität akzeptieren, hängt wohl u.a. auch mit dem modernen Individualismus zusammen: Was andere in ihren eigenen vier Wänden tun, geht mich nichts an - und was ich in meinen tue, geht die anderen nichts an. Leben und leben lassen. Das hat eine große persönliche Freiheit zur Folge, aber auch Entfremdung und Einsamkeit. Es mischt sich eben auch keiner ein, wenn ich in meinen eigenen vier Wänden verrecke. Wenn so etwas passiert, hebt zwar das übliche Wehgeschrei über die zunehmende soziale Kälte an. Aber solange wir auf unseren ausgeprägten Individualismus nicht verzichten wollen, müssen wir auch die Einsamkeit akzeptieren. Wer „A“ sagt, muß bekanntlich auch „limente“ sagen.
Gott erschuf den Menschen (Adam) nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes erschuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie. Gott sagte zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch und füllt die Erde und unterwerft sie [...]. (Gen 1, 27f)
So sagt der (erste) Schöpfungsbericht. Nicht das menschliche Individuum ist Gottes Ebenbild: die Gottebenbildlichkeit des Menschen erfüllt sich erst in der gegenseitigen Ergänzung von Mann und Frau. Die Fruchtbarkeit des Menschen ist aus biblischer Sicht Segen und Auftrag zugleich. Gläubige Juden haben das immer sehr ernst genommen. Kinderlosigkeit galt als schweres Schicksal, bewußt gewählte Ehelosigkeit als Verstoß gegen Gottes Schöpfungsauftrag. (Jesus hat allerdings Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen als Möglichkeit einer Gott wohlgefälligen Lebensgestaltung gesehen, Mt 19,12.)
Da sagte der Mensch:
„Diese ist nunmehr (oder: Dieses Mal ist sie) Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.
Diese nennt man Ischa (Frau), denn von Isch (Mann) ist diese genommen worden.“
Deshalb verläßt ein Mann (Isch) seinen Vater und seine Mutter und hängt an seiner Frau (Ischa) und sie sind ein Fleisch. (Gen 2,23f)
So spricht Adam, als er die Frau sieht, die Gott aus seiner Rippe gemacht hat. Daß sich üblicherweise Mann und Frau zueinander hingezogen fühlen, ineinander verlieben und schließlich miteinander Sex haben, liegt in der Schöpfung selbst begründet. Mann und Frau sind von Gott einander zugeordnet.
Nach Pragers Ansicht (S.2f) ist es eine Leistung des Judentums, die Religion (und andere Lebensbereiche) entsexualisiert zu haben, indem das AT der Sexualität (vor allem der männlichen) enge Grenzen auferlegt und die Ehe als ihren einzig legitimen Ort bestimmt hat. Zumindest wird die Homosexualität im AT in deutlichen Worten verurteilt:
Du sollst nicht bei einem Mann liegen, wie man bei einer Frau liegt: es ist ein Greuel. (Lev 18,22).
Der Ausdruck „liegen, wie man bei einer Frau liegt“ (wörtl. etwa „Liegungen einer Frau liegen“) bezeichnet keine bestimmte Sexualpraktik, sondern macht nur klar, daß mit „liegen“ hier geschlechtliche Handlungen gemeint sind. Der Ausdruck „Greuel“ (hebr. תּוֹעֵבָה tôʿebâ) bezeichnet ekel- oder abscheuerregende Dinge wie die genannten Unzuchtsvergehen, unreine Speisen (Dtn 14,3), Götzenbilder und -dienst (Dtn 7,26; 32,16 u.ö.) u.ä.
Und wenn ein Mann bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt, haben die beiden einen Greuel begangen. Des Todes sollen sie sterben, ihr Blut (ist) auf ihnen [d.h. sie haben ihren Tod selbst verschuldet]. (Lev 20,13)
In Lev 18 steht der gleichgeschlechtliche Verkehr neben einer Liste der verschiedenen verbotenen Beziehungen unter Verwandten (Inzest), Sex während der Menstruation, Ehebruch, Sodomie (Sex mit Tieren) und Kinder dem Moloch weihen (Menschenopfer? Prostitution?). In Lev 20 steht er in einer Aufzählung todeswürdiger Verbrechen, zu denen neben den bereits in Lev 18 genannten noch Geisterbeschwörung und den Eltern zu fluchen kommen.
Homosexualität steht hier also auf einer Stufe mit Ehebruch, Inzest und anderen Vergehen, die mit dem Tod bestraft werden.
Leid ist mir um dich, mein Bruder Jonathan. Lieb warst du mir sehr. Wunderbarer war deine Liebe mir als die Liebe von Frauen. (2Sam 1,26)
So klagt König David um seinen Freund Jonathan, als er vom Tode Sauls und seiner Söhne erfährt. Wer hier Homoerotisches heraushört, hört wahrscheinlich auch das Gras wachsen. Gerade im Lichte der oben zitierten Stellen ist klar, daß derartiges nicht gemeint sein kann. Allenfalls könnte man sich fragen, wie tiefgehend die Beziehungen Davids zu seinen Frauen gewesen sein mögen.
Das Argument, die Vorschriften des AT gingen uns Christen nichts an (wir halten uns ja auch nicht an die Speisegebote oder Sabbatvorschriften), verfängt hier nicht, wie die entsprechenden Stellen im NT klar zeigen.
Deshalb [weil sie das Geschöpf statt den Schöpfer verehrt haben] hat Gott sie entehrenden Leidenschaften ausgeliefert: denn ihre Frauen haben den natürlichen Gebrauch eingetauscht gegen den widernatürlichen, ebenso haben die Männer den natürlichen Gebrauch der Frau aufgegeben und sind entbrannt in ihrer Begierde nach einander, Männer mit Männern die Hässlichkeit betreibend und den gebührenden Lohn ihrer Verirrung aneinander empfangend. (Röm 1,26f)
παρὰ φύσιν (pará phýsin) „wider die Natur“ nennt auch Platon in den Gesetzen die Homosexualität. Paulus denkt dabei wohl an die von Gott geschaffene Ordnung in der Natur. Das mit „Häßlichkeit“ wiedergegebene ἀσχημοσύνη (askhemosýnē) bezeichnet das Fehlen von (ansehnlicher) Gestalt („Gestaltloskeit, Mißgestaltetheit, Häßlichkeit“), in moralischem Sinne „Unanständigkeit, Unzucht“, in Offb 16,15 das, was andere sehen zu lassen als unanständig erachtet wird (nämlich die Geschlechtsteile).
Paulus qualifiziert gleichgeschlechtlichen Verkehr als entehrend, widernatürlich, als Häßlichkeit und Verirrung. Er betrachtet Homosexualität als Folge der Preisgabe des Menschen an die Sünde, da der Mensch Gott nicht verehren wollte. Explizit ist hier auch die weibliche Homosexualität angesprochen. Ob Paulus damit sagen wollte, daß der einzelne Homosexuelle an seiner Neigung selbst schuld sei, bezweifle ich. Eher erscheint mir auf Grund des Zusammenhangs (insbes. V.28-32) die Homosexualität nur als ein Beispiel für die Sündhaftigkeit und Verlorenheit einer gottfernen Menschheit.
Oder wisst ihr nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Lasst euch nicht täuschen: weder Hurer noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Männerbeischläfer, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Räuber werden das Reich Gottes erben. (1Kor 6,9f)
Die griech. Wörter μαλακός (malakós) „weich, schlaff“ und ἀρσενοκοίτης (arsenokoítēs) „einer, der bei Männern liegt“ werden meist mit „Lustknabe“ und „Knabenschänder“ wiedergegeben. Das trifft aber nicht ganz den Sinn, da es hier nicht nur um Knabenliebe im Sinne der griechischen Päderastie geht. Die Wörter bezeichnen wohl eher zwei Spielarten männlicher Homosexualität, den sich feminin gebenden, passiven (von uns abwertend als Tunte bezeichnet) und den sich maskulin verhaltenden, aktiven Part.
Daß Gott auch Homosexuelle liebt, daß Jesus auch für sie gestorben ist, steht auch für Paulus außer Frage. Doch war Paulus der Meinung, daß man als Gläubiger, als Nachfolger Jesu nicht praktizierender Homosexueller bleiben dürfe. Mit der Behauptung, daß eine bestimmte Personengruppe nicht in den Himmel kommt, würde ich sehr vorsichtig sein. Auch Paulus sagt hier vielleicht mehr, als er wissen konnte. Aber es macht zumindest deutlich, daß Paulus Homosexualität für eine schwere Sünde hielt. Darüber sollten wir uns nicht leichtfertig hinwegsetzen.
Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn es jemand rechtmäßig gebraucht, weil er weiß, dass für einen Gerechten ein Gesetz nicht aufgestellt ist, aber für Gesetzlose und Ungehorsame, Gottlose und Sünder, Unheilige und Unreine, Vater- und Muttermörder, Männermörder, Hurer, Männerbeischläfer, Menschenräuber, Lügner, Meineidige, und wenn [noch] etwas anderes der gesunden Lehre entgegensteht. (1Tim 1,8-10)
In einer Aufzählung von eindeutigen schweren Verstößen gegen das Gesetz bzw. von deren Tätern wird auch der Männerbeischläfer, d.h. der Homosexuelle genannt. Es ist auch für den Autor des Timotheos-Briefes, sei es nun Paulus oder ein Paulusschüler, keine Frage, dass praktizierte Homosexualität ein schwerer Verstoß gegen Gottes Willen ist.
Über die Deutung des biblischen Befundes kann es kaum Zweifel geben. Bei dem immer wieder geäußerten Einwand, hier gehe es nicht um Homosexualität an sich, sondern nur um kultische Homosexualität (d.h. letztlich Götzendienst) oder um homosexuelle Prostitution oder um homosexuelle Beziehungen verheirateter Heterosexueller (also letztlich Ehebruch), handelt es sich um unbewiesene (und meines Erachtens an den Haaren herbeigezogene) Behauptungen.
Daß die Bibel noch nichts von sexueller Orientierung weiß, sondern gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen als Laster betrachtet, von dem man lassen könne und müsse ( kann denn Veranlagung Sünde sein?), mag stimmen oder auch nicht. Daß die Bibel von der Möglichkeit noch nichts weiß, daß auch homosexuelle Partnerschaften beglückend, bereichernd usw. sein können ( kann denn Liebe Sünde sein?), mag stimmen oder auch nicht. Ich glaube jedoch wie oben gesagt nicht, daß das für die moralische Beurteilung eine große Rolle spielt. Die Bibel glaubt es offenbar auch nicht.
Pragers Erklärung für die harte Verurteilung der Homosexualität durch das AT: „It denies life; it denies God's expressed desire that men and women cohabit; and it denies the root structure that Judaism wishes for all mankind, the family. (Sie lehnt das das Leben ab; sie lehnt Gottes ausdrücklichen Wunsch ab, daß Mann und Frau zusammenleben; und sie lehnt die Grundstrukur ab, die der jüdische Glaube für die ganze Menschheit wünscht: die Familie.)“ (S.10). Wenn jemand nicht mit einem Partner des anderen Geschlechts zusammenleben kann oder will, so ist das laut Prager letztlich ein nicht unerhebliches Defizit. Insofern müsse man Homosexualität durchaus als Krankheit bezeichnen. (Ich würde eher von sozialer Behinderung sprechen.)
Es läuft letztlich auf die Frage hinaus, welchen Stellenwert wir der Bibel bei der Beurteilung der Sexualität im allgemeinen und der Homosexualität im besonderen zugestehen wollen. Ist die Bibel nur die Momentaufnahme eines Lebensentwurfes, der wir unsere Entwürfe gleichberechtigt gegenüberstellen dürfen (so sinngemäß einmal der damalige evangelische Bischof Herwig Sturm in einem Radiointerview)? Oder ist sie normative Quelle unserer Werte?
Ist die lebenslange Ehe zwischen Mann und Frau das zeitlos gültige Ideal, dem wir Christen ohne Wenn und Aber verpflichtet sind? Oder ist es ein Lebensmodell unter anderen, das sich inzwischen überholt hat, Stichwort: Lebensabschnittspartner, Patchworkfamilie, usw.?
Wenn man aber die Ethik der Bibel in Bezug auf Homosexualität in Frage stellt, wo zieht man dann die Grenze? „Why should not gay liberation be followed by incest liberation? (Warum sollte auf die Schwulenbefreiung nicht Inzestbefreiung folgen?)“ (Prager, S.12) Wenn homosexuelle Lebensgemeinschaften, warum dann nicht auch Polygamie, Inzest, Partnertausch, One-Night-Stands, Promiskuität? Wohlgemerkt: dies ist keine rhetorische Frage, sondern eine durchaus ernst gemeinte.
Wie definiert man den inneren Kanon, die Mitte der Schrift, „was Christum treibet“, ohne in der theologischen Beliebigkeit zu versinken?
Richtig ist: der Umstand, daß ein Ge-/Verbot in der Bibel steht, ist für sich genommen noch kein hinreichendes Argument. Wir rotten niemand aus, weil er Sex während der Menstruation gehabt hat (Lev 20,18), machen bedenkenlos am Sabbat Feuer (Ex 35,3) und reißen uns nicht das rechte Auge heraus, egal wie oft es uns zur Sünde verführt (Mt 5,29). Der einzige Weg zur Akzeptanz der Homosexualität würde darin bestehen, aufzuzeigen, warum das Verbot der Homosexualität ebenso wenig Bedeutung für heute hat, wie viele andere atl. Vorschriften. Diesen Weg sehe ich bisher nicht.
Die katholische Kirche hält sich an den biblischen Befund und lehnt Homosexualität ab. Das hat ihr viel Kritik eingetragen, ist aber meines Erachtens konsequent.
Die evangelische Kirche, die seit über 100 Jahren mit wehenden Fahnen dem Zeitgeist hinterherhechelt, hat sich in Sachen Homosexualität (und nicht nur in dieser) weitgehend dem aktuell vorherrschenden Libertinismus verschrieben.
Dazu kommt in Österreich noch die besondere Situation, daß sich (Anfang der 90er-Jahre?) ein Pfarrer geoutet hat. Das hat zu einer theologischen Diskussion [4] geführt, deren Ende allerdings absehbar war: andernfalls hätte man diesen Pfarrer ja des Amtes verweisen müssen - wie lieblos! Überhaupt geriert sich die evangelische Kirche in Österreich (oder zumindest in meiner Diözese) immer mehr als Versorgungsanstalt für Theologen mit gebrochener Biographie. (Bevor man verlangt, daß sich die Theologen ändern, ändert man lieber die Theologie.)
Homosexualität gilt (so mein Verständnis der Oktober 1996 veröffentlichten Stellungnahme zum Thema Homosexualität des Theologischen Ausschusses der Generalsynode) in der evangelischen Kirche A.B. als alternative, aber gleichwertige Möglichkeit, seine Sexualität auszuleben. Lediglich in der Frage der Segnung homosexueller Lebensgemeinschaften (quasi als Pendant oder Vorstufe zu einer kirchlichen Hochzeit) hat die evangelische Kirche A.B. ein „vorerst nicht“ beschlossen, dieses aber nicht theologisch begründet (wie es neuerdings Michael Bünker im Ö1-Interview anläßlich seiner Wahl zum neuen evangelischen Bischof getan hat), sondern mit dem fehlenden Konsens (sprich: weil noch zu viele konservative Hohlköpfe wie ich dagegen sind). Die Kirche H.B. ist den Weg konsequent zu Ende gegangen und erlaubt auch eine kirchliche Segnung homosexueller Paare.
Seit 2019 gibt es auch in der Kirche A.B. die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, während die Kirche H.B. die kirchliche Trauung für solche Paare eingeführt hat, also gar keinen Unterschied mehr zwischen homo- und heterosexuellen Lebensgemeinschaften macht.
Ich bin keineswegs dafür, die Homosexuellen aus der Kirche auszuschließen. Aber angesichts der deutlichen moralischen Verurteilung der Homosexualität im AT und NT finde ich es befremdlich, daß in der evangelischen Kirche Homosexuelle zu Pfarrern gemacht werden.
Bei einem KFZ-Mechaniker ist mir wurscht, ob er schwul ist oder seine Frau betrügt. Hauptsache, er macht seine Arbeit als Mechaniker gut. Bei einem Pfarrer ist das naheliegenderweise anders. Was will mir so ein Pfarrer predigen? Von der Sünde? Von einem evangeliumsgemäßen Leben? Von der „Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird“? Ein Gehörloser kann auch nicht erwarten, als Musikkritiker ernstgenommen zu werden. Wenn der Pfarrer auf die Bibel pfeifen kann (so empfinde ich das von meinem Schriftverständnis her), kann ich's auch. Dazu brauche ich aber keine Kirche. Die evangelische Kirche ist m.E. drauf und dran, sich selber ad absurdum zu führen.
„Du hast ja nur Angst vor Deiner eigenen Homosexualität“ ( American Beauty) - vielleicht. Das stellt meine Motivation in Frage, widerlegt aber nicht meine Argumente. (Ist es übrigens nicht politisch unkorrekt, Andersdenkenden vorzuwerfen, sie seien schwul?)
Was ich hier sage, mag herzlos klingen. Es ist eine Reaktion darauf, daß die Homosexuellen und ihre Fürsprecher in letzter Zeit [geschrieben Anfang der 2000er Jahre] viel Lärm entfacht haben, dessen Lautstärke ihrer gesellschaftlichen Bedeutung nicht entspricht. In einem Radiointerview beklagte sich ein Schwuler larmoyant darüber, daß die Homosexuellen in manchen Bereichen noch immer keinen Minderheitenschutz genießen. Ich bin keineswegs dafür, Schwule oder Lesben zu bestrafen. Aber wer sich dazu entschlossen hat, seine Homosexualität offen auszuleben, muß ohne zu jammern akzeptieren, daß er zu einer Minderheit gehört.
Ich will niemand beleidigen oder diskriminieren. Ich bin sehr dafür, daß auch Homosexuelle fair und gerecht behandelt werden. Unsere Achtung und Zuneigung ihnen gegenüber hat sich an ihrem Charakter zu orientieren, nicht an ihrer sexuellen Orientierung. Aber gutheißen oder als ethisch irrelevant ansehen kann ich diese Orientierung von der Bibel her nicht. Bei einem Pfarrer empfinde ich sie als inakzeptabel.
In Worthaus-Vortrag 5.1.1 Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle versucht Siegfried Zimmer, angesichts der jahrhundertelangen grausamen Behandlung von Schwulen (Zimmer gebraucht bewusst diesen Begriff, homosexuell klingt ihm zu medizinisch), eine Lanze für die christliche Akzeptanz der Homosexualität zu brechen. Doch greift er dabei tief in die exegetische Trickkiste. An die Stelle des „konservativen Röhrenblicks“ (dessen Existenz nicht bestritten zu werden braucht) setzt Zimmer den liberalen Röhrenblick. Daher hier eine Erwiderung von konservativer Seite.
Zunächst versucht Zimmer die biblischen Aussagen kleinzureden, indem er mehrmals betont, dass es sich nur um wenige Einzelstellen handelt (2 im AT, 3 im NT). Da fragt man sich als Gläubiger erstaunt, wie viele Stellen es denn sein müssen, dass wir verpflichtet sind, sie ernst zu nehmen. Sind 10 genug? 20? 50? An wievielen Stellen redet Jesus eigentlich von Feindesliebe? Sind es genug, dass wir Jesu Forderung ernst nehmen müssen? Es sollte klar sein, dass das ein Null-Argument ist.
Die Behauptung, in den beiden atl. Stellen gehe es (ausschließlich) um Analverkehr, ist aus der Luft gegriffen. Auch die Erklärung, beim atl. Verbot der Homosexualität gehe es um die Verschwendung des kostbaren männlichen Samens, ist eine Schimäre. (Dieses Argument haben die Nazis gebraucht.) Die Geschichte von Onan (Gen 38,8-10) hat einen ganz anderen Hintergrund: Onan weigert sich, der Verpflichtung zur Schwagerehe wirklich nachzukommen (Dtn 25,5-10), vermutlich aus erbrechtlichen Gründen. (Onan schläft zwar mit seiner Schwägerin Tamar, schafft es aber, durch Coitus interruptus zu verhindern, dass sie schwanger wird.) Es ist erstaunlich, wie sehr sich ein liberaler Exeget, der sich auf Erkenntnisse der Bibelwissenschaft beruft, letztlich den Text ideologisch zurechtbiegen kann.
Ebenso hat die Behauptung, das Verdikt des Paulus über die Homosexualität richte sich (nur) gegen die sexuellen Eskapaden reicher, heterosexueller, römischer Oberschichtangehöriger, am Text keinerlei Anhalt. Richtig ist, dass das Urteil des Paulus keine langjährigen, monogamen, homosexuellen Beziehungen im Blick hat. Denn die hat es zu seiner Zeit nur sehr vereinzelt gegeben. Allerdings bezweifle ich stark, dass Paulus sie gutgeheißen hätte. Entsprechende Argumente bei Prager, s.o.
Die lieblosen Verurteilungen Homosexueller von Seiten konservativer Autoren mögen unangemessen, ja empörend sein. (Und man mag diese Seite dabei miteinschließen.) Aber sie sind kein Argument in der Sache an sich. Dass ein liebloser Umgang mit anderen generell für einen Gläubigen nicht in Frage kommt, ist klar. Weniger klar ist, wie ein liebevoller Umgang aussehen könnte, wenn man Gründe hat, homosexuelle Praktiken für eine schwere Sünde zu halten. Und es nicht schafft, wie Zimmer die Augen vor dem offensichtlichen biblischen Befund zu verschließen.
[1] Campbell, Denis: „3.6m people in Britain are gay - official“, in: The Guardian, 11. Dez. 2005.
[2] Prager, Dennis: „Judaism, Homosexuality and Civilization“, in: Ultimate Issues 6/2 (=April/Juni 1990), S. 1-24. ( Dieser Artikel kann auf Pragers Homepage gekauft werden.)
[3] Reinsberg, Carola: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. - München: C.H.Beck, 1989. (Beck's Archäologische Bibliothek). 242 S.
[4] Homosexualität und Kirche. Diskussion und Beschlüsse in den Evangelischen Kirchen in Österreich 1992-2002 (benötigt inzwischen Benutzerauthentifizierung)
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 5. Feb. 2020