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Kamele im Buch Genesis


Die Bibelstellen

In der Gen ist mehrmals von Kamelen (hebr. Sg. גָּמָל gāmāl, Pl. גְּמַלִּים gemallîm) die Rede, wobei nach weitgehend übereinstimmender Ansicht immer einhöckrige Kamele (Dromedare) gemeint sind:

Doch kann das historisch stimmen? Gab es damals, also in der mittleren Bronzezeit, schon domestizierte Kamele? Wann wurde das Kamel domestiziert? Woher kam es überhaupt? Ich habe ein paar Publikationen zu diesem Thema gelesen und fasse die wichtigsten Argumente und meine Sicht dazu zusammen.

Genetik

Die Urform der Kamelartigen stammt aus Nordamerika und hat sich in zwei Gruppen aufgespalten:

Die Urform des Kamels ist längst ausgestorben. Auch die wildlebende Form des Dromedars gibt es schon lange nicht mehr. In Australien, wohin das Dromedar im 19. Jh. importiert wurde, gibt es ansehnliche Populationen ausgewilderter Tiere. Die Wildform des Trampeltiers existiert noch in einigen hundert Exemplaren, sie wird aber wohl in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten aussterben (Stand 2021).

Wann und wo wurde das Dromedar domestiziert? Diese Frage hat ein internationales Forscherteam, dem auch Pamela Burger von der Veterinärmedizinischen Universität Wien angehört, durch DNA-Untersuchungen zu klären versucht. Ihr 2016 veröffentlichtes Ergebnis: „The domestication of the dromedary likely happened in the late second millennium BCE“ (S. 6708a).

Ich verstehe weder etwas von DNA, noch von statistischer Analyse. Ich kann daher nicht nachvollziehen, wie die Forscher zu ihrem Ergebnis gekommen sind, und nicht beurteilen, in wieweit dieses Ergebnis in Stein gemeißelt ist. Historisch gesehen muss man drei Dinge unterscheiden: Wann wurde das Dromedar (als Milch-, Fleisch-, Woll- und Lederlieferant) domestiziert? Seit wann wurde es als Lasttier verwendet? Seit wann als Reittier (Erfindung des Kamelsattels)? Und für den Bibelhistoriker wichtig: wann tauchte es zum ersten Mal in Syrien/Palästina auf? Ich weiß nicht, ob man solche Dinge an der DNA ablesen kann.

R. Walz

Schon 1950 hat Reinhard Walz den damaligen Stand der historischen und archäologischen Forschung zu diesem Thema zusammenzufassen versucht.

Das Assyr. kennt als Wörter für das Kamel:

Das CAD schreibt dazu s.v. ibilu (Bd. 7, S. 2b): „The Hh. passages [lexical series ḪAR.ra = ḫubullu, 14. Tafel, hrgs. v. B. Landsberger 1932] show that the dromedary and the special word therefor were known in the OB [Old Babylonian] period and also that the scribes differentiated between the dromedary (anše.a.ab.ba) and the Bactrian camel (am.si.kur.ra, am.si.ḫar.ra.an). In fact, the latter is already mentioned as domesticated in the following Sumerian passage: dDumu.zi ga.am.si.ḫar.ra.an.[na SIG7.ma.a.ab] am.si.ḫar.ra.an.na ga.bi [zé.ba.àm] u5.ga.bi [zé.ba.àm] O Dumuzi, provide(?) me with camel's milk – the milk of the camel is sweet, the cream(?) of the camel is sweet. Ni. 9602:94f. (unpub., courtesy T. Jacobsen).“

Walz kommt zusammenfassend zu dem Schluss, dass die Domestizierung des Dromedars im Zentrum der arabischen Halbinsel geschah und dass das domestizierte Tier kurz vor der Wende des 1. Jtsd. (über Südarabien) nach Afrika und fast gleichzeitig in den Norden in die Kulturländer am Rand der syrischen Steppe gelangte. Da er die Berichte über die Raubzüge der Midianiter der frühen Eisenzeit (Ri 6) für historisch korrekt hält, datiert er die Entstehung des Kamelnomadentums (d.i. die Verwendung des Dromedars als Last- und Reittier) auf „nicht sehr weit hinter das 13./12. Jhdt. v.Chr.“ (S. 49).

Walz hat anschließend die gleiche Untersuchung für das Baktrische Kamel gemacht. Über seine Domestizierung können wir offenbar noch weniger sagen. Sie ist vermutlich irgendwo in Zentralasien passiert, vielleicht auch mehrmals unabhängig voneinander. Ein in Shah Tepe im Nordiran gefundener Halswirbel, dessen Fundschicht auf 3000-2500 v.Chr. datiert wurde, wurde von dem Tierzuchtforscher J. W. Amschler als einem domestizierten Baktrischen Kamel gehörig identifiziert (S. 67f – Ob das nicht ein bisschen viel Schlussfolgerung aus einem Knöchelchen ist?) Dass wir bei den Skythen und Sarmaten des 1. Jahrtausends keinen Hinweis auf das Kamel finden, könnte mit den damaligen klimatischen Bedingungen zusammenhängen. Im awestischen Schrifttum findet sich das Kamel (awest. uštra-, von daher vermutlich der Name des Zarath-ustra). Die Kamelknochen, die in einem der Hügel von Anau im Süden Turkmenistans gefunden wurden, sind zwar wahrscheinlich domestizierten Trampeltieren zuzurechnen, aber die Datierung schwankt beträchtlich, sie stammen vielleicht erst aus dem Ende des 2. Jahrtausends v.Chr. (S. 66f). Der sog. Zerbrochene Obelisk, der meist der Zeit des Tiglath-pileser I. (um 1100 v.Chr.) zugeschrieben wird, enthält die älteste assyr. Erwähnung des zweihöckrigen Kamels in einer Aufzählung der Jagderfolge des Königs (Kol. 4, Z. 26-28):

[…] 26 u-šam-ḳit pur-ḫi-iš ud-ra-a-te(pl) te-še-ni(pl) (amêlu)damḳarê(pl) 27 iš-pur il-ḳi-u-ni ud-ra-a-te(pl) iḳ-ṣur u-ša-lid 28 su-gul-la-a-te-šu-nu nišê(pl) mâti(ti)-šu u-še-ib-ri
„[Aufzählung von Wildtieren] 26 streckte er nieder. Wildrind, Baktrische Kamele, Teschenus: Händler 27 sandte er [nach ihnen], (und) sie kauften (od. brachten) [sie]; Kamele sammelte er, (und) züchtete er [wörtl.: ließ er gebären]. 28 Ihre Herden ließ er die Bewohner seines Landes sehen.“

M. Heide

In einer Publikation von 2010/11 hat sich Martin Heide des Themas noch einmal angenommen. Er kann auf zusätzliches archäologisches Material verweisen. Für das Dromedar bringt er u.a. folgende Belege:

Auf die archäologischen Funde, die auf eine Domestikation des zweihöckrigen Kamels bereits in der ersten Hälfte des 3. Jtsd. hinweisen, gehe ich hier nicht weiter ein. Babylonische und sumerische Schreiber kannten offenbar das zu ihrer Zeit bereits domestizierte zweihöckrige Kamel:

Ein paar Anmerkungen meinerseits: Wenn das miṣri auf dem Schwarzen Obelisken, von wo zweihöckrige Kamele als Tribut gesandt werden, wirklich Ägypten ist, dann handelt es sich um Tiere aus einem Zoo. (Denn in Ägypten gab es zu dieser Zeit keinerlei Kamelzucht.) Diese Art der Tierhaltung hat aber nichts mit Domestikation zu tun. Die Nennung der Kamelmilch in dem oben zitierten Text aus Nippur weist auf die Verwendung als Nutztier in Mesopotamien, beweist aber nicht die Verwendung als Last- und Reittier.

So wahr es ist, dass das Fehlen von Textzeugnissen über einen Sachverhalt noch nicht beweist, dass es den Sachverhalt nicht gegeben hat (argumentum e silentio), so wahr ist es aber auch, dass das fast vollständige Schweigen der umfangreichen antiken Literatur über das Dromedar bis zur Eisenzeit nicht einfach als Zufall der Überlieferung abgetan werden kann. Natürlich kann niemand mit letzter Sicherheit ausschließen, dass Abra(ha)m und Jakob bereits Kamele besaßen. Es stellt sich aber die Frage, wie wahrscheinlich das im historischen Kontext ist.

Auch Heide kommt mit seinem zusätzlichen Material für das Dromedar nicht weiter als in die späte Bronzezeit zurück. Daher schlägt er vor, dass es sich bei den Kamelen der Erzväter um das Baktrische Kamel gehandelt habe, das in dieser Zeit sicher schon domestiziert war. Das ist zwar vermutlich sprachlich möglich. Aber wieder stellt sich die Frage nach der Plausibilität: Abraham und Josef als Vorreiter der Trampeltierzucht in Syro-Palästina? Warum haben sie keine Nachahmer gefunden? Sodass ein halbes Jahrtausend später die Araber das Dromedar domestiziert haben. Warum haben sie offenbar selbst die Verwendung von Kamelen zugunsten von Eseln wieder aufgegeben (s.u.)? In der Geschichtsforschung geht es nicht darum, was möglich ist, sondern was am wahrscheinlichsten ist.


Nachzeichnung eines ägypt. Freskos mit der Darstellung einer Karawane von „Asiaten“ des frühen 2. Jtsd. Als Lasttiere verwenden sie Esel. Grab BH 3, Beni Hasan, Ägypten.– Quelle: Wikipedia.– Urheber: NebMaatRa, 2008/2020.– Lizenz: GFDL 1.2, CC BY-SA 3.0.– Bearbeitung: wieder in zwei Teile zerlegt, verkleinert.

W. F. Albright

Die oben genannten Kamel-Stellen der Gen müssen also wohl doch als Anachronismen verbucht werden. Die Erzväter benutzten mit hoher Wahrscheinlichkeit Esel als Lasttiere (s. Albright, From the Stone Age to Christianity2, S. 107, 120f, 196; ds., Archeology and the religion of Israel3, S. 96ff; u.ö.). So ist es etwa auf einem Fresko im Grab des Chnumhotep II. (eines Beamten des 20./19. Jh. v.Chr. im mittelägyptischen Antilopengau) bei Beni Hasan (Grab BH 3) dargestellt. Und so ist es auch für den greisen Jakob und seine Söhne bezeugt (Gen 42,26f; 43,18.24; 44,3.13; 45,23 – wohin sind Jakobs Kamele verschwunden?).

Das bekannte Fresko im Grab BH 3 zeigt eine Karawane von (laut Beischrift 37) ʿꜣm.w „Asiaten“ (d.h. Semiten), die nach Ägypten gekommen sind, um mśdm.t „Augenschminke“ (bzw. ein dafür benötigtes Mineral wie Stibnit, Galenit, Malachit) zu bringen. Ihr Anführer wird als ḥḳꜣ ḫꜣś.t jbšꜣ „Herrscher des Fremdlandes (=Beduinenhäuptling, Scheich) Ibscha (Abischai?)“ bezeichnet. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die genaue Bedeutung der dargestellten „Asiaten“ unklar ist. Handelt es sich um semitische Händler, die bis nach Mittelägypten gekommen sind, um mśdm.t zu verkaufen? Aber wozu haben sie ihre Frauen und Kinder mit? Sind es semitische Metallarbeiter (eines der dargestellten Objekte wird als möglicher Blasebalg gedeutet), die sich hier ansiedeln möchten? Was ist die Bedeutung der Wildtiere ([Säbel-?]Antilope, Gazelle), die Ibscha und der Mann hinter ihm führen? Eine Art Tribut? Wofür? Warum sind die beiden als einzige der Asiaten barfuß? Welche Bedeutung hatte die Ankunft dieser Karawane für das diesseitige und jenseitige Leben des Bestatteten?

Das Kamel ermöglichte neue Formen des Nomadentums, z.B. den des Beduinen, die die Erzväter aber nicht genutzt haben. Sie waren vermutlich Wanderweidewirtschaft (Transhumanz) betreibende Halbnomaden. Dafür hätte das Kamel aber keinen großen Mehrwert gebracht.

K. Kitchen

Natürlich versuchen bibelgläubige Ausleger und Historiker dagegen zu argumentieren. Aber ihre Faktenbasis ist momentan ziemlich dünn. Kenneth Kitchen etwa führt folgende Gegenbeweise an:

C. Gordon

Manche Menschen beginnen, wenn ihnen die Sachargumente ausgehen, ihre weltanschaulichen Gegner persönlich zu attackieren. Cyrus Gordon versucht daher, William Albright (den er von den Ausgrabungen auf dem Tell Beit Mirsim persönlich kannte) als Eselsliebhaber und Kamelhasser zu pathologisieren, dessen persönliche Vorlieben sein Urteil getrübt hätten. Aber selbst wenn Albright wirklich ein Kamelhasser gewesen sein sollte, beweist das nichts gegen die Stichhaltigkeit seiner Argumente. Leider ist sich Victor Hamilton nicht zu schade, seinen Lesern ausgerechnet diese Entgleisung Gordons mitzuteilen (S. 383, Anm. 9). Persönliche Angriffe statt Sachargumente. Das ist mehr als nur schlechter Stil.

Zusammenfassung

Obwohl niemand mit letzter Sicherheit ausschließen kann, dass Abraham bereits Kamele (welche auch immer) hatte, spricht meines Erachtens doch die historische Wahrscheinlichkeit dagegen. Das Dromedar wurde, nach allem was wir wissen, nicht vor der Spätbronzezeit domestiziert. Eine bestimmte Erzähltradition des 1. Jtsd., in dem zum Reichtum an Tieren auch der Besitz von Kamelen gehörte, ist davon ausgegangen, dass auch Abraham und Jakob Kamele hatten. Die Josefserzählung hingegen weiß nichts von Kamelen Jakobs. Kamele hat hier nur die ismaelitische Händlerkarawane, was aber historisch für diese Zeit genauso wenig wahrscheinlich ist.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 1. Sep. 2021