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Der reiche Kornbauer


Ich weiß nicht mehr, wie ich auf diese Geschichte (Lk 12,13-21) gestoßen bin, ich glaube im Zusammenhang mit Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Wir haben sie in unserem Bibelkreis besprochen und verschiedene Aspekte beleuchtet. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich ihre Bedeutung im letzten erfasst habe.

Neben der m.W. gemeinfreien Übersetzung Franz Eugen Schlachters biete ich eine recht wörtliche und deshalb oft hölzerne, undeutsche Wiedergabe.

Schlachter wörtl. Wiedergabe
13 Es sprach aber einer aus dem Volke zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir teile! Es sagte aber jemand aus der Volksmenge zu ihm: Lehrer, sage meinem Bruder, das Erbe mit mir zu teilen.
Es beginnt mit einem Erbschaftsstreit unter Brüdern. Einer der Erben ist der Meinung, er hätte nicht den gebührenden Anteil erhalten. Es war offenbar nicht unüblich, dass Rabbis und Schriftgelehrte in ganz praktischen Fragen um ihr Urteil, ihre Hilfe gebeten wurden und sie Streitfälle schlichteten.
14 Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler über euch gesetzt? Er aber sagte zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Teiler über euch gesetzt?
Jesus lehnt dieses Ansinnen ziemlich brüsk ab. Sein Auftrag, seine Berufung ist nicht, über kleinliche und (im Angesicht des nahenden Gottesreiches) belanglose Besitzstreitigkeiten zu urteilen.
15 Er sagte aber zu ihnen: Sehet zu und hütet euch vor jeglicher Habsucht! Denn niemandes Leben hängt von dem Überfluß ab, den er an Gütern hat. Er sagte aber zu ihnen: Seht euch vor und hütet euch vor aller Habgier. Denn nicht im Überflusshaben (ist) für jemand sein Leben aus seinem Besitz.
Jesus warnt nicht vor Reichtum, aber vor Habsucht. Dem Wunsch, mehr zu haben, muss man sich bewusst widersetzen. Wie die wiederkehrenden Spekulationsblasen, aber auch die große Zahl von Menschen, die auf plumpe Internetbetrügereien hereinfallen, zeigen, beraubt der Wunsch, rasch reich zu werden, auch rechtschaffene Menschen nicht selten ihres gesunden Menschenverstandes, oft genug auch ihrer moralischen Skrupel.
Dann folgt ein schwieriger Satz. Luther übersetzte: „Niemand lebet davon, daß er viele Güter hat.“ Die Einheitsübersetzung gibt ihn so wieder: „Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.“ Dass Geld allein nicht glücklich macht, dass Reichtum nicht wahres, sinnerfülltes Leben gewährleistet, ist klar. Aber vielleicht wollte Jesus mehr sagen als das. Menge übersetzt: „Denn wenn jemand auch Überfluß hat, so ist das Leben für ihn doch durch all sein Besitztum nicht gesichert.“ Reichtum kann auch das irdische Leben nicht garantieren. Auch der Reiche kann dem Tod nicht entrinnen. Welchen Sinn hat es also, nach Reichtum und Überfluss zu streben?
16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Eines reichen Mannes Feld hatte viel Frucht getragen. Er sagte aber zu ihnen ein Gleichnis: Das Land eines reichen Menschen hatte gut getragen.
Das Gleichnis heißt in lutherischer Tradition „der reiche Kornbauer“. Aber es geht nicht um einen Bauern, der selber auf dem Feld steht, sät und erntet und schwitzt. Es geht um einen Großgrundbesitzer, dessen Land, an Kleinbauern weiterverpachtet oder von einer großen Zahl von Sklaven unter der Aufsicht von Verwaltern bewirtschaftet, reichen Ertrag gebracht hat.
Es handelt sich übrigens nicht um ein Gleichnis im klassischen Sinn, sondern es ist eine Beispielgeschichte, wie man es nicht machen soll.
17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun, da ich keinen Platz habe, wo ich meine Früchte aufspeichern kann? Und er überlegte bei sich selbst: Was soll ich tun, da ich nicht habe, wohin ich meine Früchte sammle?
Der reiche Mensch überlegt bei sich selbst. Ausleger weisen darauf hin: er dankt nicht Gott, er feiert nicht mit anderen; er führt ein Selbstgespräch. Und es geht um eine Sorge: wohin mit dem reichen Ertrag? Er hat ja gar nicht genügend Platz. Die typischen Sorgen der Reichen halt.
18 Und er sprach: Das will ich tun, ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter auspeichern Und er sagte: Das werde ich tun: ich werde meine Speicher abreißen und werde größere bauen und werde dort all mein Getreide und meine Güter sammeln,
Zunächst sind die Überlegungen des Mannes durchaus sinnvoll: er braucht größere Speicher. Was auffällt: sie sind voller Formen der 1. Person Einzahl: „Was soll ich tun, da ich nicht habe, wohin ich... Das werde ich tun: ich werde meine Speicher...“ Selbst wenn er dann im folgenden Vers ein Du anredet, ist es nicht etwa Gott, zu dem er spricht, es ist wieder er selbst. Daraus spricht starke Ichbezogenheit. Außerdem geht es in den Überlegungen des Mannes nur darum, wie er seinen Ertrag sammeln (zweimal) kann, d.h. wie er ihn festhalten kann, nicht wie er ihn nützen, investieren kann. Keine Sekunde denkt er offenbar daran, mit dem unverhofften Segen den Hunger und die Not anderer zu lindern. Er scheint sich keinerlei sozialer Verantwortung bewusst.
19 und will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und sei guten Muts! und ich werde zu meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Güter liegen auf viele Jahre; ruhe dich aus, iss, trink, sei fröhlich.
Der reiche Mensch kann sich zurücklehnen; er hat es geschafft. Jetzt kann er sich zur Ruhe setzen, in Pension gehen. Er hat Güter für viele Jahre (d.h. für den Rest seines Lebens), braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, kann es sich jetzt gut gehen lassen. Wer von uns hätte das nicht gern? Soviel auf der hohen Kante haben, dass man nicht mehr arbeiten zu gehen braucht. Den Lotto-Jackpot knacken und für den Rest seines Lebens ausgesorgt haben. (Die gelegentlich geäußerte Vermutung, der Mann ziele auf künstliche Verknappung, um den Preis hoch zu halten, ist zwar nicht auszuschließen, scheint aber nicht das vordringliche Ziel zu sein.)
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird gehören, was du bereitet hast? Gott aber sagte zu ihm: Unvernünftiger, in dieser Nacht werden sie deine Seele von dir zurückfordern; was du bereitet hast, wem wird es gehören?
Nach soviel Nachdenken und Planen kommt ein Akteur ins Spiel, mit dem der reiche Mensch offenbar nicht gerechnet hat: Gott bzw. der Tod. Was hat der Mann falsch gemacht? „Für viele Jahre“ - „in dieser Nacht“! So sinnvoll es ist, ökonomisch langfristig zu planen, darf man dabei nie aus den Augen verlieren, dass man vielleicht morgen nicht mehr lebt. Da es keine Garantie dafür gibt, dass man die Früchte seiner Arbeit auch wird genießen können, darf man die wesentlichen Dinge des Lebens nicht auf später aufschieben; nicht den Spaß, nicht seine soziale Verantwortung.
Gott sagt übrigens nicht: in dieser Nacht kommst du in die Hölle. Er sagt: du wirst sterben und wem wird dann dein Besitz gehören? Du hast gar nichts davon. Alle Mühe umsonst. Du hast dich für die sorgenfreie Pension abgeschuftet und jetzt erlebst du sie gar nicht. Dein Reichtum war und ist zu nichts nütze. Dein Leben war letztlich für die Katz'.
21 So geht es dem, der für sich selbst Schätze sammelt und nicht reich ist für Gott. So (ist es mit dem), der anhäuft für sich und nicht auf Gott hin reich ist.
Es geht um den Gegensatz von Akkumulation von Besitz für sich selbst und Reichtum vor und für Gott. (thēsaurízō = aufhäufen, aufspeichern, aufbewahren - ploutéō = reich sein, Überfluss haben.) Der reiche Mensch im Gleichnis häuft zwar an, ist aber nie wirklich reich. Denn reich ist, wer geben kann. (Armut ist auch deswegen so belastend, weil man als Armer nicht geben kann, nie großzügig sein kann; das ist demütigend.)
Reich vor Gott wird man nach jüdischem Verständnis vor allem dadurch, dass man teilt und Almosen gibt (s. V.33).
33 Verkaufet eure Habe und gebet Almosen! Machet euch Beutel, die nicht veralten, einen Schatz, der nicht ausgeht, im Himmel, wo kein Dieb hinkommt und keine Motte ihr Zerstörungswerk treibt. Verkauft euren Besitz und gebt Almosen; macht euch Geldbeutel, die nicht altern, einen nicht abnehmenden Schatz im Himmel, wo ein Dieb nicht nahekommt und eine Motte nicht zerstört.
Wir erachten es durch mehrere Jahrzehnte Sozialstaat als selbstverständlich, dass man die Armen nicht verhungern lässt, dass die Gesellschaft die Bedürftigen irgendwie über Wasser hält. (Ob das in der Praxis immer gut funktioniert, ist eine andere Frage.) Zur Zeit Jesu waren die Armen gänzlich von Almosen abhängig. Es gab keine staatlichen Institutionen, an die sie sich hätten wenden können. In dieser Situation ruft Jesus dazu auf, Almosen zu geben. (Und selbst arm zu werden?)
Unser Besitz ist immer bedroht: Dinge altern, werden ge- und verbraucht. Geld kann gestohlen, Kleidung von Motten zerfressen werden. Dagegen ist das, was wir an Gutem tun, insbes. den Armen und Bedürftigen, unvergänglich.
34 Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein. Denn wo euer Schatz ist, dort wird auch euer Herz sein.
Damit unser Herz nicht dem Irdischen verhaftet bleibt, müssen wir unsere irdischen Schätze aufgeben und uns himmlische schaffen.

Worum geht es in diesem Text? Eine Warnung vor Habsucht und dem Glauben, das Leben wäre ein besseres, gesicherteres, wenn man reich ist. Wohl auch eine Aufforderung, sich der Armen anzunehmen, zu teilen.

Viele Ausleger stellen dieses Gleichnis unter die Überschrift: das letzte Hemd hat keine Taschen. Soll heißen: man kann nichts mitnehmen. Das ist eine Binsenheit, die aber um nichts weniger bedenkenswert ist. Welchen Wert hat mein Tun angesichts meiner Endlichkeit, welche Bedeutung haben meine Ziele sub specie aeternitatis?

Manche mögen den reichen Menschen, der doch nichts Verwerfliches tut, sondern vernünftiges unternehmerisches Denken zeigt, nicht recht verurteilen. Kann Jesus denn Planung und ökonomisches Handeln wirklich verdammen wollen? Jesus will uns hier einen Menschen zeigen, der weder an Gott noch an den Nächsten denkt, sondern ganz seinem Reichtum verhaftet ist. Vollends töricht ist er darin, dass er die eigene Begrenztheit und Sterblichkeit aus dem Blick verliert und handelt und plant, als lebte er ewig (vgl. Ps 39,5-7).

Der reiche Mensch ist ein klassischer Fall von Zielverfehlung. Er hat Reichtum aufgehäuft, von dem niemand etwas hat, er nicht, die Bedürftigen nicht. Sein Leben bleibt ohne tiefere Bedeutung. Ökonomen mögen das anders sehen, aber dann sind gerade sie in besonderer Weise die Adressaten dieser Geschichte. Wirtschaft, Reichtum, Geld dürfen nie Selbstzweck werden. Wenn sie nicht dem Leben dienen, haben sie keine Daseinsberechtigung. (Tatsächlich hat vieles von dem, was an den Börsen passiert, keine Daseinsberechtigung, z.B. das Abschließen von Wetten auf die künftige Preis- oder Kursentwicklung, oder das Kaufen und Verkaufen im Minutentakt, um aus minimalen Kursschwankungen Gewinn zu lukrieren.)

Der Reichtum einiger weniger wird in der Regel mit der Armut vieler erkauft. Wir im Westen sind u.a. deshalb so wohlhabend, weil wir den Rohstoffproduzenten in der Dritten Welt keine fairen Preise zahlen, den Arbeitern in den Sweatshops keine gerechten Löhne. Doch ist die systematische Behebung struktureller Ungerechtigkeit nie Jesu Thema gewesen. Reichtum ist immer ungleich verteilt, doch ist in Jesu Augen dem, der hat, eine Verpflichtung auferlegt gegenüber dem, der nicht hat.

Damit man nicht sagen kann: „ich bin nicht reich, im Gegenteil ich habe ganz andere Sorgen“, schließt Lk an die Geschichte vom reichen Menschen unmittelbar Jesu Warnung vor dem Sorgen an. Diese endet schließlich mit der Aufforderung Jesu, seinen Besitz zu veräußern und sich einen Schatz im Himmel zu erwerben (V. 33f oben). Der Streit darüber, wie wörtlich man das nehmen muss, ist fruchtlos. Es einfach als lebensfremd abqualifizieren darf man nicht, wenn man nicht will, dass am Ende des Lebens Gottes Diktum an den reichen Menschen steht: „du Narr“.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 29. Mai 2016