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Textus receptus
Das Folgende ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung der genannten Wikipedia-Artikel und der Darstellungen von Philip Schaff und Eberhard Nestle. Mit Fehlern und Missverständnissen meinerseits ist zu rechnen. Einmal mehr betone ich, dass ich, wiewohl mit akademischen Weihen in den Altertumswissenschaften versehen, kein Berufswissenschaftler bin und kaum Zugang zur aktuellen wissenschaftlichen Literatur habe. Man betrachte mich als interessierten Laien.
Meine wichtigsten Quellen:
Im Jahre 1502 begann an der Universität von Alcalá de Henares (lat. Complutum, ca. 30 km vom Zentrum von Madrid entfernt), die Arbeit an einem äußerst ambitionierten Projekt: eine mehrsprachige Ausgabe der Bibel, die sog. Complutensische Polyglotte. Das NT enthielt den griech. Urtext und die lat. Übersetzung des Hieronymus (die Vulgata), das AT den hebr. Urtext, den Text der Vulgata, sowie den griech. Text der LXX mit lat. Interlinearübersetzung. Der Pentateuch enthielt zusätzlich den aram. Text des Targum Onkelos nebst lat. Übersetzung. Das NT wurde 1514 fertiggestellt und gedruckt. Doch wollte man mit der Veröffentlichung warten, bis die Arbeit am AT ebenfalls fertig war, um das Werk als gesamtes veröffentlichen zu können. Das AT wurde 1517 fertiggestellt.
Doch Erasmus von Rotterdam hatte 1516 seine Ausgabe des griech. NT publiziert. Und er hatte von Kaiser Maximilian I. ein exklusives vierjähriges Veröffentlichungsprivileg erlangt. Papst Leo erteilte erst 1520 die Druckgenehmigung für die Polyglotte, somit konnte sie erst in diesem Jahr erscheinen.
Im Juli 1515 kam Erasmus von Rotterdam (1466?-1536) nach Basel, lieh sich dort einige Handschriften des griech. NT aus und begann eine zweisprachige Textausgabe anzufertigen: griech. Urtext neben einer Überarbeitung der Vulgata. Für die letzten sechs Verse der Offb hatte Erasmus keinen griech. Text. Er übersetzte ihn einfach aus der Vulgata zurück. Dazu kam ein umfangreicher Anmerkungsteil. Im Oktober begann der Druck der Ausgabe, die den lat. Titel Novum instrumentum omne, diligenter ab Erasmo Roterodam recognitum et emendatum […] „Das ganze neue Werkzeug, sorgfältig von Erasmus von Rotterdam überarbeitet und verbessert […]“ trug, bei Johann Froben und war im März 1516 beendet.
Ob es die bevorstehende Veröffentlichung der Polyglotte war, der Erasmus mit seiner Ausgabe zuvorkommen wollte, ist nicht unumstritten. Aber dafür spräche die Eile, mit der Erasmus seine Ausgabe aus dem Boden gestampft hat. Er hat sich nicht einmal die Zeit genommen, nach einer griech. Handschrift für die fehlenden Offb-Verse zu suchen. Und die Eile, mit der auch der Druck von Statten ging.
Erasmus' griech. Text basierte auf sieben Handschriften, die allesamt dem Byzantinischen Texttyp angehören. Erasmus nahm sich gegenüber dem Urtext manche Freiheit heraus. So übersetzte er etwa in Apg 9,6 die folgenden lat. Worte, die sich in keiner griech. Handschrift finden, ins Griech. zurück: Et tremens ac stupens dixit: Domine, quid me vis facere? Et Dominus ad eum: „Und zitternd und staunend sagte er: Herr, was willst du, dass ich tue? Und der Herr zu ihm:“ (S. 269) Deshalb wird vielfach angenommen, dass es Erasmus eigentlich um den lat. Text ging. Der griech. Text sollte lediglich zur Rechtfertigung des lat. Textes dienen. Textkritik war Erasmus' Ziel offenbar nicht.
In der zweiten Auflage von 1519 wurde der Titel dann in Novum testamentum omne […] geändert. Diese war es, die Luther auf der Wartburg für seine Übersetzung des NT verwendete. Die dritte Auflage von 1522 enthielt erstmals das Comma Johanneum, wegen dessen Fehlens Erasmus angefeindet worden war. Diese Auflage verwendete William Tyndale für seine Übersetzung ins Engl. Und nach dem engl. Wikipedia-Art. Novum Instrumentum omne: Third edition war sie die Grundlage der von Robertus Stephanus gedruckten Ausgaben des griech. NT von 1546 und 1549.
Das Comma Johanneum („johanneischer Abschnitt“) ist ein späterer Zusatz zu 1Joh 5,7f. Im folgenden ist er fett ausgezeichnet:
7 ὅτι τρεῖς εἰσιν οἱ μαρτυροῦντες [ἐν τῷ οὐρανῷ, ὁ πατήρ, ὁ λόγος καὶ τὸ ἅγιον πνεῦμα· καὶ οὗτοι οἱ τρεῖς ἕν εἰσι. denn drei sind es, die bezeugen [im Himmel, der Vater, das Wort und der heilige Geist; und diese drei sind eins. 8 καὶ τρεῖς εἰσιν οἱ μαρτυροῦντες ἐν τῇ γῇ], τὸ πνεῦμα καὶ τὸ ὕδωρ καὶ τὸ αἷμα· καὶ οἱ τρεῖς εἰς τὸ ἕν εἰσιν. Und drei sind es, die bezeugen auf der Erde], der Geist und das Wasser und das Blut; und diese drei sind zu einem.
Das Comma war nie Teil des griech. Textes. Es ist handschriftlich erst in einigen späten Minuskelkodizes bezeugt. Der ominöse Codex 61 stammt aus dem 16. Jh., und schon Erasmus hatte den Verdacht, dass er extra angefertigt wurde, um das Comma in seine griech. Textausgabe hineinzureklamieren. Wohl ebenfalls dem 16. Jh. zuzurechnen ist Codex 918. Etwas älter ist nur der Codex 629 (14. Jh.). Das Comma findet sich weder in Hieronymus' Vulgata noch in Luthers Übersetzung (bis auf die Worte „auff Erden“). Selbst die Nova Vulgata hat es wieder ausgeschieden. Seine Bedeutung besteht darin, dass es ein biblisches Zeugnis für die Trinitätslehre wäre.
In der vierten Auflage von 1527 verglich Erasmus seinen Text mit dem der Polyglotte. 1535 erschien eine fünfte Auflage. An diese beiden Auflagen lehnte sich nach Schaff Stephanus' Editio regia von 1550 an.
Auf dem Konzil von Trient wurden Erasmus' sämtliche Schriften und sein NT noch einmal expressis verbis auf den Index von 1559 gesetzt.
Der französische Drucker und Verleger Robert Estienne (meist bekannter unter seinem latinisierten Namen Robertus Stephanus, 1503-1559) veröffentlichte 1546, in zweiter Auflage 1549, ein griech. NT, das auf der dritten Auflage von Erasmus' NT (der mit dem Comma Johanneum) basierte (s.o.). Diese Ausgaben werden nach dem Beginn des Vorworts O mirificam „Oh wunderbare“ genannt.
Die dritte Auflage von 1550 wird wegen ihrer schönen griech. Drucktypen (die für uns allerdings wegen ihrer vielen Ligaturen schwer zu lesen ist) als Editio regia „königliche Ausgabe“ bezeichnet. Sie basierte auf der vierten und fünften Auflage des Erasmus (s.o.). Die nicht mehr so gelungene vierte Auflage von 1551 (bereits in Genf hergestellt, wohin Stephanus vor dem Druck der französischen Zensur ausgewichen war) ist bedeutsam, weil sie erstmals eine Verseinteilung enthielt.
In der Editio regia begann Stephanus auch, alternative Lesarten anzuführen (darunter solche aus dem Codex Bezae aus dem 5. und dem Codex Regius aus dem 8. Jh.) und damit so etwas wie Textkritik einzuführen.
Calvins Mitstreiter und Nachfolger in Genf, Théodore de Bèze (1519-1605), bei uns unter der Namensform Theodor (von) Beza bekannt, veröffentlichte zwischen 1565 und 1598 mehrere Ausgaben des griech. NT, die auf der vierten Auflage des Stephanus beruhten. Beza besaß zwar mehrere wertvolle und gute Handschriften, hat aber wenig Gebrauch davon gemacht. Unter ihnen jener griech.-lat. Majuskelkodex aus dem 5. Jh., den er der Universität Cambridge schenkte und der daher Codex Bezae Cantabrigiensis heißt.
Bonaventura Elzevir (1583-1652) und sein Neffe Abraham (1592-1652), Drucker im holländischen Leiden, gaben drei Auflagen des griech. NT heraus (1624, 1633 und 1641), die hauptsächlich auf Bezas erster Ausgabe von 1565 beruhten. (Im Verlag der Elzevirs erschienen dann noch weitere vier Auflagen, 1656, 1662, 1670 und 1678.) Im Vorwort zur zweiten Auflage heißt es: Textum ergo habes, nunc ab omnibus receptum: in quo nihil immutatum aut corruptum damus. (Hervorhebung von mir) „Du hast also einen Text, der jetzt von allen angenommen worden ist. In ihm geben wir nichts verändert oder entstellt wieder.“ Dies begründete die Bezeichnung Textus receptus „angenommener Text“.
Auf dem Kontinent wurden die elzevirschen Ausgaben gleichsam zum kanonischen Text. Auf den britischen Inseln hingegen avancierten Stephanus' Ausgaben in diese Stellung.
Der lutherische Theologe Johann Albrecht Bengel (1687-1752) gab 1734 ein griech. NT heraus. Er teilte als erster die Handschriften in Familien ein und schluge Grundsätze der Beurteilung von Lesarten (insbes. dass die schwierigere Lesart meist vorzuziehen ist) vor. In der Offb (mit der er sich besonders ausgiebig beschäftigte) wagte er, in einigen Fällen vom Textus receptus abzuweichen. Im umfangreichen kritischen Apparat werden die Textzeugen der verschiedenen Lesarten angeführt.
Der aus Basel stammende Theologe Johann Jakob Wet(t)stein (1693-1754) beschäftigte sich ausgiebig mit den Handschriften des NT, kollationierte zahlreiche Handschriften und gab 1751/52 sein griech. NT heraus. Der bleibende Wert dieser Ausgabe liegt vor allem in den zahlreichen Stellen aus der klassischen antiken Literatur, die Wetstein beibringt.
Der evangelische Professor für Neues Testament Johann Jakob Griesbach (1745-1812) entwickelte Bengels System der Einteilung der Handschriften in Familien weiter und wandte konsequent bestimmte Regeln der Textkritik an (die kürzere Lesart ist der längeren vorzuziehen, die schwierigere der leichteren u.ä.). Doch auch er wich (laut Schaff) vom Textus receptus nur in evidenten Fällen ab (anders der Wikipedia-Art. Johann Jakob Griesbach: Neutestamentlicher Textkritiker). Die erste Auflage der zweibändigen Ausgabe erschien in Halle 1775/77, die zweite Auflage 1796/1806 (Neudruck London 1809 und 1818). Offenbar als eine der ersten verzichtet Griesbachs Ausgabe auf Ligaturen. (Nach Nestle kommt dieses Verdienst der Ausgabe des Utrechter calvinistischen Theologen Johann Leusden von 1675 zu, die auf Elzevirs Text beruht.) Griesbachs Ausgabe war Grundlage etlicher weiterer Ausgaben.
Der Germanist und Altphilologe Karl Lachmann (1793-1851) gab nicht nur Editionen der mhd. Dichter Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide und der lat. Dichter Properz, Tibull, Catull und Lukrez heraus, sondern auch den Text des griech. NT. Dabei brach Lachmann mit dem Textus receptus; sein Ziel war, den ältesten erreichbaren Text auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Majuskelkodizes zu etablieren. Eine kleinere Ausgabe (ohne textkritischen Apparat, mit einer Auflistung abweichender Lesarten im Anhang) erschien 1831 (Nachdruck 1846), eine umfangreichere zweibändige in Zusammenarbeit mit dem Theologen Philipp Buttmann (1809-1901) 1842/50.
Der evangelische Theologe Konstantin von Tischendorf (1815-1874) entzifferte den Codex Ephraemi rescriptus (veröffentlicht 1843/45), entdeckte den Codex Sinaiticus (veröffentlicht 1862), kollationierte und veröffentlichte etliche weitere Handschriften. Mit seinen zahlreichen Ausgaben des griech. NT, in die er jeweils seine neuesten Erkenntnisse einarbeitete, schlug Tischendorf die letzten Nägel in den Sarg des Textus receptus. Dieser war nicht länger eine kanonische Textform, sondern eine historische Textgestalt auf dem Weg zu einem immer besseren und besser begründeten Text des NT. Die letzte große Textausgabe Tischendorfs war die Editio octava critica maior von 1869/72.
Die anglikanischen Theologen Brooke Foss Westcott (1825-1901) und Fenton John Anthony Hort (1828-1892) arbeiteten seit 1853 an einer Neuausgabe des griech. NT. Diese erschien schließlich 1881 und stellte neuerlich einen Meilenstein der neutestamentlichen Textforschung dar. Die Kodizes Sinaiticus, Vaticanus und Bezae waren jetzt die Textzeugen, die meist den Ausschlag gaben.
Im Tode bäumte sich der Textus receptus ein letztes Mal auf: der anglikanische Theologe Frederick Henry Ambrose Scrivener (1813-1891), der u.a. den Codex Bezae in Buchform herausgegeben hatte, publizierte 1887 noch einmal Stephanus' Editio regia von 1550, allerdings angereichert mit den Lesarten nicht nur Bezas und Elzevirs, sondern auch aktueller Textausgaben seiner Zeit (Lachmann, Tischendorf, Tregelles, Westcott/Hort).
Der evangelische Theologe und Orientalist Eberhard Nestle (1851-1913) gab 1898 seine handliche „Meta-Ausgabe“ des griech. NT heraus, die zeigen sollte, für welche Lesart sich die Ausgaben von Tischendorf und Westcott/Hort jeweils entschieden hatten. Wo sie differierten, zog Nestle die Ausgabe von Weymouth, ab der 3. Aufl. dann die von Bernhard Weiss hinzu. Diese Ausgabe erlebte etliche Auflagen und entwickelte sich rasch zur führenden Textausgabe des griech. NT.
Nach Nestles Tod übernahm sein Sohn, der Theologe und Altphilologe Erwin Nestle (1883-1972) die Arbeit an der Ausgabe und entwickelte auch die Grundlagen des textkritischen Apparates mit seinen zahlreichen Sonderzeichen (⸀ ⸁ ⸂ ⸃ ⸄ ⸅ ⸆ ⸇ ⸉ ⸊ ⸈ ⸋ ⸌). Erwin Nestle stellte wieder die Lesarten der Handschriften und alten Übersetzungen in den Vordergrund.
Seit 1952 arbeitete auch der damals in der ehemaligen DDR lehrende evangelische Theologe Kurt Aland (1915-1994) an der Ausgabe mit. Nach seiner Flucht in den Westen gründete Aland 1959 in Münster des Institut für Neutestamentliche Textforschung (INTF), dessen Leiter er bis 1983 war. Von 1983 bis 2004 hatte dann Alands zweite Ehefrau, die Theologin Barbara Aland (geb. 1937), die Leitung inne. Im INTF wird über die Textgeschichte geforscht und das griech. NT, das inzwischen als Nestle/Aland bezeichnet wird, weiter verbessert und ca. alle zehn Jahre neu herausgegeben. (Ich verwende die Schreibung mit /, weil ein Bindestrich als Doppelname einer Person missverstanden werden könnte.)
Totgesagte leben länger. Eigenartigerweise gibt es heute wieder Menschen, die an die Scheibengestalt der Erde glauben. Und ebenso gibt es Gläubige, die den Textus receptus zum inspirierten Text erklären. Und es gibt moderne Übersetzungen, die, wie weiland Luther, den Textus receptus als Textgrundlage verwenden, z.B. Schlachter 2000, die im Verlag La Buona Novella erschienen Überarbeitungen der Lutherbibel von 1912 (nämlich NeueLuther Bibel 2009, La Buona Novella Bibel 2017 und Luther21), Herbert Jantzens Übersetzung des NT.
Der Textus receptus ist eine Momentaufnahme aus Zeit der frühen, noch vorwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Text des griech. NT, als es noch keine Textkritik gab und man fast nur junge Handschriften hatte, die einen Text des Byzantinischen Typs zeigen. (Kritik bedeutet „Beurteilung“. Textkritik ist der Vergleich und die Klassifizierung von Handschriften und die Beurteilung von divergierenden Lesarten an Hand von anerkannten Regeln.) Es gibt auch nicht den Textus receptus, sondern von Erasmus bis Scrivener zahllose Varianten desselben. Um zu entscheiden, welcher der „beste“ ist, muss man die Drucke vergleichen und sich für Lesarten entscheiden, also – Textkritik betreiben.
Der Textus receptus ist nicht „falsch“, aber er ist nicht mehr Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis. An ihm als theologischer Grundlage weiter festzuhalten wäre so, als wollte ein Physiker die physikalische Welt weiterhin auf der Grundlage der Newtonschen Mechanik erklären und würde die neuen Erkenntnisse eines Rutherford, Einstein, Heisenberg oder Pauly ablehnen. Die Adepten des Textus receptus legen nicht selten dieselbe Wissenschaftsfeindlichkeit an den Tag, wie man sie auch von orthodoxen Muslimen kennt. Auch muslimische Korangelehrte lehnen Textkritik ab und erklären einfach eine bestimmte Textgestalt für kanonisch. Mit den (zumeist unhaltbaren) Argumenten der Textus-receptus-Befürworter setzt sich knapp und treffend Joachim Schmitsdorf, Textus Receptus oder Nestle-Aland? auseinander.
Die gute Nachricht: auch wenn wir nur den Textus receptus hätten und nichts von den Codizes Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus, Bezae usw. wüssten, wäre die christliche Botschaft ganz dieselbe. Die westliche Christenheit musste sich gut 1000 Jahre lang auf die lat. Übersetzungen des NT verlassen, weil kaum jemand Griech. konnte. Und diese Übersetzungen basierten nicht auf dem Textus receptus, den es in dieser Form damals noch gar nicht gab. Dennoch ist das Christentum nicht in der Irrlehre versunken oder untergegangen. Die Trinitätslehre schließlich ist, ob mit oder ohne Comma Johanneum, biblisch nur schwach begründet.
Das Prinzip des sola scriptura („allein aus der/ durch die Schrift“) hat im Protestantismus das Phänomen des „papierenen Papstes“ gezeitigt. Die heilige Schrift, welche die Grundlage aller Glaubenswahrheit ist, das principium primum, die norma normans, muss freigehalten werden von jeder Möglichkeit der Verfälschung durch Menschen. Daher die Ablehnung von Textkritik (wo es unterschiedliche Ansichten geben kann), daher das Festhalten an der Verbalinspiration (jedes einzelne Wort ist von Gott inspiriert und dadurch der Kritik entzogen).
Doch es hat Gott in seiner Weisheit gefallen, sein Wort der Vergänglichkeit anheimzugeben: der Sterblichkeit derer, die es mündlich weitergesagt haben; der Vergänglichkeit der Stoffe, auf denen es niedergeschrieben oder gedruckt wurde; der Irrtumsfähigkeit derer, die es wieder und wieder abgeschrieben haben; der Möglichkeit zum Missverständnis auf Seiten derer, die es lesen, hören und zu verstehen versuchen. „Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen“, sagt Paulus in 2Kor 4,7. Der Schatz ist die Botschaft des Evangeliums; die Gefäße sind die Apostel, die wie Paulus bedrängt und verfolgt werden. Aber auch die Bibel ist letztlich so ein irdenes Gefäß. Die letzte, gültige und unvergängliche Wahrheit – das ist allein Gott.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 6. Juni 2022