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Von Brasilern, Lettländern und Grönen
Von Brasilern, Lettländern und Grönen
Bildung von Ethnonymen
Der viel zu früh verstorbene satirische Kolumnist Herbert Hufnagl erzählt
in seinen Kopfstücken von einem Sportreporter des ORF, der mit dem
Ethnonym Brasiler aufhorchen ließ. Hufnagl habe daraufhin in seiner
Familie den Einwohnerbezeichnungsliberalismus ausgerufen: „Belger, Portugaler,
Dänemärker, Frankreicher, Keniatoren, Großbritanner, Kubasen, Kanader, Tirolen,
Indier, Costaricesen, Bophuthatswaninger“ („so wahr ich ein geborener
Steiermarker bin“).
Tatsächlich ist nicht unmittelbar nachvollziehbar, warum, wie Hufnagl aus der
Anfrage einer Leserin zitiert, die Einwohner von Lettland Letten und
nicht Lettländer heißen bzw. warum man die Einwohner von Burgenland
und Grönland nicht Burgen bzw. Grönen nennt.
Abgesehen davon, dass die Bildung der Einwohnerbezeichnungen kaum erkennbaren
Regel folgt, ist es ja so, dass Ländernamen kommen und gehen. Burkina Faso
(ehemals Obervolta), Sri Lanka (in meiner Jugend noch Ceylon), Eswatini (bis
2018 Swasiland), Dschibuti (wohin man in meiner Kindheit Leute zum
Marillenheindeln schickte). Bis sich eine Einwohnerbezeichnung eingebürgert
hat, heißt das Land oft schon wieder anders, hat sich aufgelöst oder ist Teil
eines anderen Staates geworden.
Meine Darlegung ist keineswegs vollständig und auch nicht autoritativ.
Eine ausführliche Liste ist
Ländernamen
und Nationalitäten auf Deutsch (allerdings auch mit Vorsicht zu genießen).
Meine Etymologien beruhen z.T. auf Vermutung, ich habe wenig Literatur dazu
gefunden.
Ethnonym auf -e
Rumänien | Rumäne |
Bulgarien | Bulgare |
Tschechien | Tscheche |
Serbien | Serbe |
Slowenien | Slowene |
Britannien | Brite |
Katalonien | Katalane |
Kroatien | Kroate |
Schweden | Schwede |
Polen | Pole |
Böhmen | Böhme |
Korsika | Korse |
Bretagne | Bretone |
Slowakei | Slowake |
Türkei | Türke |
Mongolei | Mongole |
Afghanistan | Afghane |
Turkmenistan | Turkmene |
Usbekistan | Usbeke |
Tadschikistan | Tadschike |
Kasachstan | Kasache |
Ungarn | Ungar_ |
Feminina ersetzen das auslautende -e der Maskulina durch -in
(Rumän_in, Kroat_in).
Bei Schweden, Polen, Böhmen, Ungarn ist der Ländername Plural des
Ethnonyms (s. z.B.
Grimm, J. u. W.:
Dt. Wörterb. s.v. Schweden,
Ungar).
Ethnonym auf -(i)er
Schweiz | Schweizer |
Norwegen | Norweger |
Japan | Japaner |
Ägypten | Ägypter |
Libyen | Libyer |
Iran | Iraner |
Irak | Iraker |
Ukraine | Ukrainer |
Kreta | Kreter |
Tirol | Tiroler |
Wales | Waliser |
Tibet | Tibeter |
Kanada | Kanadier |
Spanien | Spanier |
Tunesien | Tunesier |
Jordanien | Jordanier |
Argentinien | Argentinier |
Australien | Australier |
Belgien | Belgier |
Äthiopien | Äthiopier |
Algerien | Algerier |
Georgien | Georgier |
Albanien | Alban_er |
Arabien | Arab_er |
Indien | Ind_er |
Syrien | Syr_er |
Malta | Malteser |
Fem. hängen -in an die mask. Form an (Schweizerin, Italienerin).
Ethnonym auf -(a)ner
Amerika | Amerikaner |
Afrika | Afrikaner |
Mexiko | Mexikaner |
Brasilien | Brasilianer |
Peru | Peruaner |
Kolumbien | Kolumbianer |
Marokko | Marokkaner |
Sizilien | Sizilianer |
Korea | Koreaner |
Kuba | Kubaner |
Nigeria | Nigerianer |
Nicaragua | Nicaraguaner |
Kambodscha | Kambodschaner |
Kenia | Kenianer |
Puerto Rico | Puertoricaner |
Venezuela | Venezolaner |
Italien | Italiener |
Fem. hängen -in an (Amerikanerin, Nigerianerin).
Das Suffix -ānus ist vor allem im Lat. produktiv (Āfrica -
Āfricānus, Rōma - Rōmānus, Neāpolis - Neāpolitānus).
Ethnonym auf -ese
China | Chinese |
Taiwan | Taiwanese |
Vietnam | Vietnamese |
Nepal | Nepalese |
Sudan | Sudanese |
Libanon | Libanese |
Senegal | Senegalese |
Kongo | Kongolese |
Portugal | Portugiese |
Fem. ersetzen -e durch -in (Chines_in, Portugies_in).
Das Suffix -ese klingt it. (cortese, Milanese), wohl von
lat. -ēnsis (hortēnsis, Carthāginiēnsis).
Ländernamen auf -land, -reich, -mark
Bei Ländernamen auf -land, -reich, -mark u.ä. wird beim Ethnonym
das Grundwort in der Regel weggelassen, wenn das Bestimmungswort bereits das
Ethnonym ist.
Deutschland | Deutscher |
Irland | Ire |
Schottland | Schotte |
Finnland | Finne |
Lettland | Lette |
Lappland | Lappe |
Russland | Russe |
Griechenland | Grieche |
Baskenland | Baske |
|
England |
Engländer |
die große Ausnahme: England < Engelland
(d.i. Angel(n)land, frz. Angleterre), man würde Angeln
erwarten; s. Grimm,
J. u. W.: Dt. Wörterb. s.v. Engelland und
England |
Island | Isländer | = „Eisland“ |
Grönland | Grönländer | = „Grünland“ |
Holland | Holländer | < Holtland „Holz-, Waldland“ |
Thailand |
Thailänder, Thai |
Thai bedeutet vermutl. „Leute, Menschen“ (s. Wikipedia-Art.
Thailand#Etymology) |
Neuseeland | Neuseeländer | |
Burgenland | Burgenländer | |
Feuerland | Feuerländer | |
Niederlande | Niederländer | |
|
Dänemark | Däne |
Steiermark | Steirer |
|
|
|
|
|
Luxemburg |
Luxemburger |
< Lucilinburhuc, das Bestimmungswort viell.
„(Grenz-)Befestigung, Sperre“ |
Liechtenstein | Liechtensteiner | |
|
Zur Bildung der Fem. hängen die auf -er ein -in an,
ausgenommen Deutscher - Deutsche_ (Engländerin, Steirerin), die
übrigen ersetzen -e durch -in (Ir_in, Griech_in, zusätzl.
mit Ablaut bei Französ_in).
Verschiedene Bildungen
Europa |
Europäer |
gr. Εὐρωπαῖος Eurōpaíos, lat. Eurōpaeus |
Asien |
Asiate |
gr. Ἀσιάτης Asiátēs und Ἀσιατικός Asiatikós,
lat. Asiāticus |
Chile |
Chilene |
Landesname und Ethnonym wohl aus span. Chile, chileno
([çi-]) (Aussprache aber meist als ob von it. cileno) |
Israel |
Israeli, (histor.:) Israelit |
moderne Bez. vermutl. von hebr. יִשְׂרְאֵלִי
Jiśreʾelî, histor. Bez. von gr. Ἰσραηλίτης Israēlítēs,
lat. Isrāēlītēs, -ta |
Zypern |
Zypriot |
Herkunft des -o- unklar, gr. Κύπριος Kýprios oder
Κυπρίτης Kyprítēs, lat. Cyprius |
Palästina |
Palästinenser |
lat. Palaestīnēnsis |
Jemen |
Jemenit |
|
Monaco |
Monegasse |
das Land heißt auf monegassisch Mu̍negu, das Adj.
dazu munegascu |
Montenegro | Montenegriner | |
Kosovo | Kosovare | |
Elfenbeinküste |
Ivorer? |
der dt. Ländername ist Übers. der frz. Eigenbezeichnung
Côte d’Ivoire |
Pakistan | Pakistani? | |
Zur Bildung des Fem. wird auslautendes -e durch -in
ersetzt (Chilen_in, Monegass_in), die übrigen hängen -in an
(Zypriotin, Palästinenserin).
Appellativische Verwendung von Einwohnerbezeichnungen
Römer aus einem Stilleben von Pieter Claesz, Öl auf Holz, 1643.
Schemat. Zeichnung eines Engländers aus dem Schwedischen Verkehrszeichen
für Werkstatt.
Schemat. Zeichnung eines Rollgabelschlüssels, oft auch
Engländer
genannt.
Schemat. Zeichnung eines Franzosen aus dem Deutschen Verkehrszeichen für
Pannenhilfe.
- Philister
- engstirniger, ungebildeter Mensch, Spießbürger
- Ursprl. Volk, das sich kurz nach 1200 v.Chr. an der Küste Palästinas
ansiedelte und für etwa 300 Jahre Feinde der Israeliten war. Die appellativische
Verwendung stammt vermutlich aus der Sprache der Studenten, die zu
Nichtakademikern, aber auch zu Bürgern mit akademischer Bildung in einem –
milde ausgedrückt – gespannten Verhältnis standen, die jene also als Feinde
des „auserwählten Volkes“ (ihrer selbst) betrachteten.
- s.a. Krethi und Plethi
- Russ(e)
- grobe, unsensible (aber auch nicht wehleidige) Person
- (Pl.) sauer marinierte kleine Heringe, Bismarckheringe
- Weizenradler, Weizenbier mit Zitronenlimonade
- Grimm,
J. u. W.: Dt. Wörterb. s.v. Russe
- Schweizer
- Leibwächter, Torwächter, weil Schweizer seit dem 15. Jh. vielfach als
Söldner dienten, vgl. die Schweizergarde des Vatikan.
- Grimm,
J. u. W.: Dt. Wörterb. s.v. Schweizer
- Zigeuner
- Herumtreiber, Mensch mit unstetem Lebenswandel. In kulinarischen Begriffen
wie Zigeunerschnitzel, Zigeunersauce, Zigeunerräder soll durch das
Bestimmungswort eine pikant-scharfe Zubereitung mit Paprika und Zwiebeln
angedeutet werden.
- Als Ethnonym darf das Wort nicht mehr verwendet werden, weil es als
diskriminierend gilt. Die Ächtung des „Z-Wortes“ hat auch dazu geführt, dass
Lebensmittelhersteller wie Kelly's oder Knorr ihre Produkte umbenannt haben.
- Neger
- In Ostösterreich als Adj. im Sinne von „mittellos, abgebrannt, pleite“
verwendet („ich bin neger“). Es ist allerdings unklar, ob es wirklich vom
verfemten „N-Wort“ (das auf lat. niger „schwarz“ zurückgeht)
herstammt oder vom Wort Neige („zur Neige gehen“). In kulinarischen
Begriffen wie Negerbrot, Negerkopf/-kuss (in Österreich:
Schwedenbombe) und Verwandten wie Mohr im Hemd bezieht
sich das Bestimmungswort auf die dunkle Farbe der Schokolade. Doch werden
Zusammensetzungen mit dem „N-Wort“ de facto nicht mehr verwendet.
- Römer
- Weinglas, meist mit gerilltem, hohlem Stiel und ursprünglich aus grünlichem
Glas (sog. Waldglas)
- Die Bezeichnung soll daher stammen, dass man zur Glaserzeugung ursprünglich
Bruchstücke römischen Glases einschmolz.
- Grimm,
J. u. W.: Dt. Wörterb. s.v. Römer
Römer (Glas). Wikipedia
de
- Engländer
- verstellbarer Schraubenschlüssel, auch Rollgabelschlüssel
- Benennung, weil in England entwickelt? Oder weil in Kontinentaleuropa
für „englische“, d.h. zöllige Muttern verwendet? Im Engl. heißt das Werkzeug
monkey wrench, der Begriff soll aus der Seemannsprache stammen, wo
kleinere Ausrüstungsstücke für einen speziellen Zweck gern mit dem
Bestimmungswort monkey belegt wurden.
- monkey-wrench
(Etymonline.com)
- Franzose
- verstellbarer Schraubenschlüssel mit beidseitigem Maul
- Kanadier
- Kanu, das meist kniend und mit Stechpaddeln gefahren wird
- Perser
- Kurzbezeichnung für Perserteppich
- Trojaner
- Kurzbezeichnung für Trojanisches Pferd, d.h. Schadsoftware, die sich als
etwas anderes, z.B. ein nützliches Hilfsprogramm, tarnt.
- Afghane
- Kurzbezeichnung für Afghanischer Windhund
- Schwarzer Afghane, eine Haschischsorte von schwarzer Farbe, die
aus Afghanistan, Pakistan, Nepal, Indien usw. kommt (im Gegensatz etwa zum
sog. Roten Libanesen).
- Blauer Portugieser
- Rebsorte, die vermutlich aus Portugal stammt und 1770/80 durch einen
österr. Gesandten nach Niederösterreich gekommen ist.