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Tomate



Alte Tomatensorten in allen möglichen Formen und Farben, aufgenommen im Marché Beauveau, Paris.– Quelle: Wikimedia.– Urheber: Popolon.– Lizenz: GFDL 1.2, CC BY-SA 3.0.– Bearbeitung: verkleinerter Bildausschnitt, unscharf maskiert.

Das Nachtschattengewächs Solanum lycopersicum L. (Syn. Solanum pomiferum) kommt aus Amerika. Damit ist klar, dass es kein agriech., klass.-lat. oder ahd. Wort dafür geben kann. Wie haben nun die verschiedenen Sprachen die Benennung dieses einstmaligen Neophyten bewerkstelligt?

In der Sprache der Azteken, dem Nahuatl, heißt die Pflanze xitomatl (sprich etwa [ʃiːˈtomatɬ]) oder nur tomatl ([ˈtomatɬ]). Letzteres bezeichnet laut dem engl. Wiktionary die Tomatillo, eine Physalisart, deren Früchte der Tomate ähneln. Die vermutlich zugrundeliegende Wurzel tomāhua bedeutet „fett werden, schwellen, wachsen“.

Im Span. wurde dies zu el tomate [toˈmate], ebenso im Port. o tomate (beide mask.) Daraus wurde frz. la tomate [tɔˈmat] (fem.) und engl. tomato (die Schreibung vielleicht beinflusst von potato „Kartoffel“). Die zweifache Aussprache brit. [təˈmɑ:toʊ], amerik. [təˈmeɪtoʊ] wird in einem Lied von George Gershwin, „Letʼs call the whole thing off“, thematisiert. Aus dem Frz. wieder stammt das Dt. Wort die Tomate. So auch niederländ. tomaat und die skandinavischen Sprachen, dän., schwed. und norweg. tomat (dän. [toˈmɛːʔd], schwed. [tuˈmɑːt]).

Auch griech. heißt es η ντομάτα [dɔˈmata] (die griech. Wikipedia schreibt τομάτα [tɔ-]) (aus dem Span.?), bulgar. домат, russ. тома́т (mask.). Aus dem Griech. stammt (laut dem engl. Wiktionary-Artikel) türk. domates. Im Arab. heißt es طماطم ṭamāṭim (äg. قوطة qūṭa, kann ich nicht zuordnen; zum Syr. s.u.), im Jap. (u.a.?) (Katakana) トマト to-ma-to.

Das dt. Tomate hat sich offenbar erst im 19. Jh. durchgesetzt. Ältere Bezeichnungen sind nach dem Grimmschen Wörterbuch Goldapfel, Liebesapfel und Paradiesapfel. Letzteres ist in Österreich noch in der Form der Paradeiser, d.i. „Paradiesapfel, -frucht“, gebräuchlich. So heißt es auch im Ungar. paradicsom [ˈpɔrɔditʃom], im Slowen. paradížnik, im Serbokroat. paràdajz, парадајз. Daneben gibt es auch eine Lehnübersetzung, etwa. tschech. rajče [ˈrajtʃɛ] (neutr.) zu ráj „Paradies“, kroat. rȃjčica zu raj. (Welche Sprache hier aus welcher entlehnt hat, vermag ich nicht zu beurteilen.)

Wie ehemals im Dt. heißt das Nachtschattengewächs im Ital. il pomodoro [pomoˈdɔ:ro], was „goldener Apfel“ bedeutet (so auch lat. poma aurea oder mala aurea). Auch im Frz. ist die Bezeichnung la pomme dʼor oder pomme dorée belegt. Danach heißt es im Poln. pomidor, im Russ. помидо́р (mask.) (neben тома́т, s.o.). Im Armen. gibt es պոմիդոր pomidor, neben լոլիկ lolik (das ich nicht zuordnen kann und in Papazeans Wörterbuch mit տօմաթեո tōmatʿeo erklärt ist). Auch das syr. بنادورة banādūra klingt nach einer Arabisierung von pomodoro.

Auch die Bezeichnung „Liebesapfel“ ist in mehreren Sprachen vorhanden: lat. poma amoris (z.B. in Mattiolis Pflanzenbuch von 1586), frz. la pomme dʼamour, engl. love apple. Nhebr. wird die knallrote Frucht עַגְבָנִיָּה ʿagḇānijjā [ʔagvanˈja] genannt. Dies von der Wurzel עגב, die im atl. Hebr. „lieben, Verlangen haben“ bedeutet. (Daneben gibt es nach dem hebr. Wikipedia-Artikel auch die Bezeichnung תַּפּוּחַ אַהֲבָה tappuaḥ ʾahaḇā „Liebesapfel“.)

Im Chin. heißt die Tomate 番茄 (trad. 蕃茄) fānqié „ausländische Aubergine“ oder 西红柿 (trad. 西紅柿) xīhóngshì „westliche rote Kaki“.


Lykopérsi(k)on (Hyoscyamus muticus L.), der Namensgeber des botanischen Namens der Tomate, auf der Sinai­halbinsel.– Quelle: Wikimedia.– Urheber: Luca Fornasari, 2013.– Lizenz: CC BY-SA 3.0.– Bearbeitung: verkleinerter Bildausschnitt, unscharf maskiert.

Das botanische Epitheton lycopersicum bedeutet „Wolfspfirsich“ (aus griech. λύκος lýkos „Wolf“ und (μῆλον) Περσικόν (mḗlon) Persikón „persischer (Apfel), Pfirsich“). Das wird auch vom Neuen Lateinlexikon als lat. Bezeichnung der Tomate vorgeschlagen. Das Bestimmungswort Wolf ist wohl auf den im Vergleich zum richtigen Pfirsich minderen Geschmack gemünzt. Die Benennung geht zurück auf das bei Galen (ca. 130-200 n.Chr.) genannte λυκοπέρσιον lykopérsion, welches nach Liddell/Scott das Ägyptische Bilsenkraut (Hyoscyamus muticus) bezeichnet. Der italienische Botaniker Luigi Anguillara (1512-1570) schrieb in seinem 1561 erschienenen Werk Semplici dellʼ eccellente, die Bemerkungen (Galens) über den Licopersico passten sehr gut zur Tomate. Natürlich konnte Galen unmöglich die Tomate gemeint haben, sie kam ja erst im 16. Jh. nach Europa. Doch wurde die Benennung von anderen aufgegriffen, und sie fand schließlich auch Eingang in Linnés Species plantarum (Solanum Nr. 9).

Anhang 1: Galen von Pergamon, De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus. 4,18

καὶ γὰρ δὴ νῦν ἐθεασάμεθα ἔναγχος βοτάνης χυλὸν, ὃν ἑκατόνταρχός τις ἐκ τῆς πρὸς Αἴγυπτον βαρβάρου χώρας ἐκόμισεν. Denn wir sahen ja auch jetzt neulich den Saft eines Gewächses, den ein Zenturio aus einer wilden Gegend gegen Ägypten hin herbeigeschafft hatte.
οὕτως δʼ ἦν βαρὺς καὶ ἀηδὴς τὴν ὀσμὴν ὡς μηδὲ γεύεσθαι τολμᾷν, ἀλλʼ εἰκάζειν θανάσιμον ὑπάρχειν· Er hatte einen so durchdringenden und unangenehmen Geruch, dass ich nicht zu kosten wagte, sondern vermutete, dass er todbringend sei.
ἐχρῆτο δʼ αὐτῷ πρὸς τὰς ἀρθριτικὰς ὀδύνας ἀκμαζούσας, καὶ σαφῶς ἐδόκει καὶ αὐτοῖς τοῖς κάμνουσιν ψυτικὴν ἔχειν τὴν δύναμιν. Er benutzte ihn gegen die starken Gelenksschmerzen, und offenbar glaubten auch die Kranken selbst, dass er kühlende Wirkung hat.
ἔστι δʼ ὑπόξανθος μὲν τὴν χρόαν, οὕτως δὲ βαρὺς κατὰ τὴν ὀσμὴν ὡς τοῦ κωνείου, πλὴν ὅσα βραχείας ἀρωματιζούσης τινὸς εὐωδίας προσβάλλει. Er ist von gelblicher Farbe, ist aber so durchdringend im Hinblick auf den Geruch, wie der des Schierlings, außer was er an einem gewissen schwachen würzig riechenden Duft hinzufügt.
τὸ δʼ ὄνομα τῆς βοτάνης ἐξ ἧς ὁ χυλὸς γίγνεται λυκοπέρσιον ἔφασκεν εἶναι. Der Name des Gewächses, von dem der Saft stammt, sei Lykopersion, sagte er.

Vgl. auch den Eintrag in Papes griech. Wörterbuch: „λυκο-περσικόν, τό, od. λυκοπέρσιον, eine ägyptische Pflanze, die einen gelblichen Saft von widrig starkem, aromatischem Geruche gab, Galen.“
Griech. πέρσιον (nicht zu verwechseln mit Περσικόν) ist die Frucht des ägyptischen Perseabaumes (Mimusops laurifolia, Syn. Mimusops Schimperi), wiederum nicht zu verwechseln mit der Gattung Persea.

Anhang 2: Luigi Anguillara, Semplici dellʼ eccellente, S. 217

Licopersico di Galeno. Lycopersicon des Galen.
Qvelle poche note, che gli sono assegnate, ponno molto bene quadrare à quella pianta, che al presente si chiama da alcuni Pomi dʼoro, e da altri Pomi del Perù. altri dicono essere forte di Melenzane. Jene wenigen Bemerkungen, die ihm zugeteilt werden, können sehr gut zu jener Pflanze passen, die gegenwärtig von einigen Goldäpfel, und von anderen Peruäpfel genannt wird. Andere sagen, es handelt sich vielleicht um Auberginen.

Bezieht sich Anguillara wirklich auf die oben übersetzte Stelle Galens? Die Bemerkung, dass der Saft so unangenehm gerochen hat, dass er vermutete, er sei todbringend, passt doch schwerlich auf die Tomate.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 7. Nov. 2022