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Ursprünge der europäischen Sprachen


Schon im 18./19. Jh. erkannten Sprachforscher die Verwandtschaft einiger europäischer Sprachen (v.a. Lat., Griech., German.) und orientalischer Sprachen (Altind., Pers.) in Grammatik und Wortschatz und folgerten daraus, daß diese Sprachen einen gemeinsamen Vorfahren gehabt haben mußten. Sie nannten diese Sprachen, deren Verbreitungsgebiet von Indien und Ceylon bis Portugal und Island reichte, indogermanische (abgek.: idg.) bzw. indoeuropäische Sprachen.

Man begann das Ur-Indogermanische (falls ein solches gegeben haben sollte) zu rekonstruieren und Schlußfolgerungen über jenes Volk zu ziehen, das diese Sprache einst gesprochen hat.

Kentum- vs. Satemsprachen

dt. hund-ert aus german. hund 100 und raþa Zahl
engl. hund-red
griech. he-katon aus he(n) eins und katon 100 (vgl. Hekto-liter = 100 Liter)
lat. centum c wie [k] gesprochen (vgl. Zenti-meter)
altind. (ai.) satám

Aus hund - katon - centum - satam wurde als uridg. Grundform *k̑m̥tóm erschlossen (das Sternchen besagt, daß diese Form nirgendwo belegt ist, sondern nur lautgesetzlich erschlossen wurde). k̑ bezeichnet einen Palatal, d.h. einen am vorderen Gaumen artikulierten Laut. Dieser wurde in einer Gruppe von Sprachen zu einem Velar, d.h. einem am hinteren Gaumen artikulierten Laut, in einer anderen Gruppe zu einem Zischlaut. Danach unterscheidet man die westidg. Kentum- und die ostidg. Satemsprachen (nach lat. centum und awest. satem für 100).

Das erste m in k̑m̥tom ist ein sog. silbisches m (es wird mit einem kleinen Kreis unter dem m geschrieben). Dieses wurde in einigen Sprachen zu a, in anderen zu Vokal+n.

Die Einteilung in Kentum- und Satemsprachen ist nur eine von etlichen Möglichkeiten, die idg. Sprachenfamilie in Gruppen zu ordnen.

Herkunft der Indogermanen

Da (vermutlich) alle idg. Sprachen ein gemeinsames Wort für Buche haben (lat. fagus, griech. phegós, idg. *bhagos), schloß man daraus, daß die Indogermanen ursprünglich in einem Gebiet mit gemäßigtem Klima gelebt haben.

Auch die Bezeichnungen für Pferd, Rad, Wagen und Achse sind verwandt:

lat.equus
griech.híppos (vgl. Phil-ipp(os) Pferdefreund), äol. (h)íkkos, aus *hikwos
ai.áçvas
kelt.epo- in Epona (Göttin der Pferde)
altsächs.ehu- in ehuskalk Pferdeknecht

Folgerung: die Urindogermanen waren ein Reiter- und Hirtenvolk, das schon Pferd und Wagen kannte und Schafe, Rinder und Schweine züchtete.

Es gibt in den idg. Sprachen zwar gemeinsame Wörter für Fluß, See und Boot, jedoch nicht für Meer, Schiff oder Wald. Die Heimat der Indogermanen lag also nicht am Meer und war wohl kein waldreiches Gebiet.

Etwa ab 2000 v. Chr. löste die Bronze den Stein als Material für Werkzeuge und Waffen ab. Im Idg. gibt es (vermutlich) kein gemeinsames Wort für Bronze, die Indogermanen müssen sich also schon vorher als Volk aufgelöst haben. Die einzige gemeinidg. Metallbezeichnung ist *ajos (vermutlich Kupfer, dann auch als Bezeichnung für andere Metalle verwendet).

lat.aesKupfer, Bronze
got.aizErz(münze)
dt.ehernbronzen, eisern
ai.áyasEisen

Am wahrscheinlichsten stammen die Indogermanen aus den Steppengebieten Südosteuropas und Vorderasiens. Sie haben sich in der Mitte des 3. Jahrtausends auf Wanderschaft begeben und allmählich in viele Einzelvölker aufgelöst. Da sie überall den Ureinwohnern der Gebiete, in die sie kamen, militärisch überlegen waren (Pferd, Streitwagen), unterwarfen sie sie, zwangen ihnen Lebensweise und Sprache auf, vermischten sich jedoch auch mit ihnen und wurden von Kultur und Sprache der Unterworfenen beeinflußt. Eroberte und Eroberer wuchsen zu neuen Völkern mit neuen Kulturen und neuen Sprachen zusammen: Kelten, Germanen, Italiker, Griechen, Illyrer, Slawen usw.

Die idg. Tochtersprachen

INDOGERMANISCH
Westindogermanisch
(Kentumsprachen)
Ostindogermanisch
(Satemsprachen)
Anatolisch
ab dem 17. Jh.v.Chr. belegt. Hethitisch (17. - 13. Jh.v.), Luwisch (v.a. aus Einsprengseln in hethitische Texte bekannt), Hieroglyphenluwisch (bis ca. 700 v.), Lykisch (6. - 4. Jh.v.).- Keine modernen Fortsetzer dieses Sprachzweigs vorhanden.
Griechisch
Altgriechisch: früheste Denkmäler: mykenischer Dialekt (14. - 13. Jh.v.), dann ca. 500 Jahre Überlieferungslücke; ab 800 v. (Homer) ungebrochene Überlieferung.- Moderner Fortsetzer: Neugriechisch.
Italisch
Latein seit 6. Jh.v., Faliskisch (sehr bruchstückhaft, 6. - 2.? Jh.v.); Oskisch, Umbrisch (beide ca. 300 - 1. Jh.v.).- Moderne Fortsetzer des Lateinischen: die romanischen Sprachen (Französisch, Italienisch, Spanisch, Rumänisch, Portugiesisch, Rätoromanisch, ...).
Keltisch
Festlandkeltisch
v.a. Eigennamen, wenige Inschriften. 2. Jh.v. - ca. 400 n. in Italien, Spanien und Frankreich. Kein moderner Fortsetzer.
Inselkeltisch
Altirisch (archaische Inschriften vielleicht schon ab dem 4. Jh.n. [sehr bruchstückhaft], breitere Überlieferung Mitte 8. Jh. - 10. Jh.n.).- Moderner Fortsetzer: Neuirisch.- Moderne inselkeltische Sprachen: Neuirisch, Schottisch; Kymrisch (Walisisch), Bretonisch.
Germanisch
Ostgermanisch
Gotisch (4./5. Jh.n. [Wulfila-Bibel]; im 16. Jh.n. Reste auf der Krim [„Krimgotisch“]).- Kein moderner Fortsetzer.
Nordgermanisch
Altnordisch (Runeninschriften seit 2. Jh.n., bis 700 sog. „Urnordisch“, ab dann immer ähnlicher der altnordischen Literatursprache [1150 - 1250 n.]).- Moderne nordgerman. Sprachen: Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Isländisch, ...
Westgermanisch
Einsetzen der Überlieferung im 8. Jh.n. (Althochdeutsch, Altenglisch, Altsächsisch).- Moderne Fortsetzer: Englisch, Deutsch, Niederländisch, ...
Tocharisch
Zwei Dialekte ('A' und 'B'); 6. - 8. Jh. n. Ostturkestan.- Kein moderner Fortsetzer.
Arisch (Indo-Iranisch)
Indisch
Altindisch: 1. Jts.v.; älteste Sprachstufe: Vedisch (ältester Text: Rigveda, um 1000 v.); darauf folgt Sanskrit (ab 4. Jh. v.).- Moderne indische Sprachen: Hindi, Urdu, Singhalesisch, ...
Iranisch
Altiranisch: 1. Jts. v. Zwei Dialekte: Awestisch (Mitte 1. Jts.v.), Altpersisch (6. - 4. Jh. v.).- Moderne iranische Sprachen: Neupersisch, Paschto (Afghanisch), Ossetisch, Tadschikisch, ...
Armenisch
Altarmenisch (klassisches Armenisch): 5. - 7. Jh.n.- Moderner Fortsetzer: Neuarmenisch (gesprochen in der ehem. UdSSR und im Iran).
Phrygisch
Altphrygisch (650 - 500 v.); Spätphrygisch (100 v. - 300 n.).- Kein moderner Fortsetzer.
Baltisch
Altpreußisch (15. - 17. Jh.n.); Litauisch und Lettisch (beide seit dem 16. Jh. überliefert und noch heute gesprochen).
Slawisch
Altbulgarisch = Altkirchenslawisch (9. - 11. Jh.n.; Sprache mit südslawischen Zügen; heute mit vielen Varianten Liturgiesprache in der gesamten Ostkirche).- Moderne slawische Sprachen: Ostslawisch: Russisch, Ukrainisch; Westslawisch: Tschechisch, Slowakisch, Polnisch; Südslawisch: Bulgarisch, Serbokroatisch, Slowenisch, Mazedonisch.
Albanisch
seit dem 16. Jh.n. belegt.

Quelle: Prof. Oswald Panagl, Einf. i. d. histor.-vergleichende Sprachwissenschaft (Vorlesungsunterlagen)

Nicht-idg. Sprachen in Europa

Ein paar Sprachen in Europa gehören nicht zur idg. Sprachfamilie:


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Änderung: 25. Dez. 2016