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An nichts glauben


„Ich glaube an nichts!“ So sagen mir immer wieder Zeitgenossen. Was sie meinen, ist: sie haben keine religiösen Glaubensinhalte. Wirklich an nichts glauben kann kein Mensch. Denn jeder Mensch hat eine Weltanschauung. Und diese beruht auf Axiomen, auf Grundvoraussetzungen, die man nicht beweisen kann, an die man glauben muss: ob es Gott und ein Jenseits gibt oder nicht, ob es ein Weiterleben nach dem Tod gibt oder nicht, ob über diese Fragen eine Erkenntnis möglich ist oder nicht, usw.

Auch eine areligiöse Weltanschauung ist also Glaube. Vielen bilden sich ein, damit die Wissenschaft auf ihrer Seite zu haben. „Ich glaube an die Wissenschaft“, heißt es dann. Aber das ist Unsinn: die Naturwissenschaften können und wollen per definitionem nichts über Gott oder die Transzendenz aussagen. Dass die Naturwissenschaften nichts von Gott wissen, beweist nicht, dass es ihn nicht gibt – er ist einfach nicht ihr Thema.

Im Ö1-Radiokolleg „Die Sinnfrage“ am 20. März 2013 ließ man den Evolutionsbiologen Franz Wuketits zum Sinn des Lebens und zum Glauben zu Wort kommen. Das ist ungefähr so sinnvoll, als würde man einen Bibelwissenschaftler zur Quantenphysik interviewen. Manche erhoffen sich offenbar verzweifelt von der Naturwissenschaft Antwort auf letzte Fragen. Aber die kann die Naturwissenschaft seriöserweise nicht geben.

Auch Naturwissenschaftler haben eine Weltanschauung, aber die ist um nichts wissenschaftlicher als die Weltanschauung irgendeines x-beliebigen Menschen. (Sie ist vielleicht reflektierter, aber das ist etwas anderes). Dass Naturwissenschaftler meist areligiöse (oft dem Buddhismus zuneigende) Überzeugungen haben, ist naheliegend: es ist ihr Job, für alles Erklärungen zu finden, die ohne Gott auskommen. Umgekehrt darf man sich daher nicht wundern, dass viele Theologen an die Existenz Gottes glauben. (Man findet meist bestätigt, wovon man vorher schon überzeugt war.)

Ein beliebter Trick unter Intellektuellen ist der Agnostizismus: die Behauptung, dass der Mensch die Frage nach Gott gar nicht beantworten könne. Aber wie kann man das wissen? Um so etwas sagen zu können, muss man ein paar Dinge offenbar doch wissen. Ein kleiner Widerspruch, wie ich finde. (Allenfalls könnte ein Agnostiker sagen, dass er persönlich nichts über Gott sagen könne.)

Vielfach wird der Glaube an Gott oder an religiöse Glaubensinhalte als ein Sprung ins Ungewisse dargestellt. Ist da unten überhaupt Wasser? Aber eine atheistische Weltanschauung und ein areligiöser Glaube sind genau derselbe Sprung: was, wenn es doch einen persönlichen Gott gibt, der mich zur Rechenschaft ziehen wird?

Wer sich mit Glauben auseinandersetzt, muss sich also die Frage nach seinen Axiomen stellen. Was akzeptiere ich als Grundvoraussetzung, ohne es grundlegend zu hinterfragen? Und: warum? Ich fürchte, vieler unserer Überzeugungen (das gilt für religöse genauso wie für areligiöse) beruhen auf Gewohnheit. Wir haben es uns angewöhnt, die Dinge so zu sehen.

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„What if we die and it turns out God is a big chicken?? What then?!“ – „Just eat your dinner, ok?“ – „ETERNAL CONSEQUENCES, THAT'S WHAT!
„Was, wenn wir sterben und es sich herausstellt, dass Gott ein großes Huhn ist?? Was dann?!“ – „Iss einfach dein Essen, ok?“ – „EWIGE KONSEQUENZEN, DAS IST DANN!
Calvin and Hobbes, 15. Juli 1992 (Watterson, Bill: The complete Calvin and Hobbes.– Kansas City: A. McMeel Publ., 1. Aufl. 2005. Bd. 3, S. 41).

Obiger Comic strip weist auf einen anderen Aspekt des Themas hin: interessegeleiteter Glaube oder Zweifel, d.h. nicht glauben, weil, sondern glauben, damit. Der junge Mann hat keinen Appetit auf Hühnchen, also schützt er weltanschauliche Probleme vor. Wieviele Leute kommen mit ihren intellektuellen Zweifeln, während sie in Wirklichkeit nur keine Lust haben, ihr Leben zu ändern (s. Warum wir glauben, was wir glauben, Abschnitt Funktionale Überzeugungen).

Darum ist auch die Esoterik so beliebt: sie ist häufig eine Art spirituelle Wellness ohne Forderung nach Konsequenzen. Ein paar Streicheleinheiten für die Seele, ohne deshalb gleich seinen Alltag umkrempeln zu müssen. Und im Prinzip darf jeder glauben, was er möchte: Erdstrahlen, die heilende Wirkung von Edelsteinen, Bachblüten. Ich bin immer wieder erstaunt, was für fragwürdige Dinge areligiöse Menschen für bare Münze nehmen. Weil man eben nicht an nichts glauben kann.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 30. Okt. 2022