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Zaubersprüche
Erstmals belegt in dem hexametrischen Lehrgedicht De medicina praecepta saluberrima (auch unter dem Titel Liber medicinalis) eines Q. Serenus (oder Serenius), das vermutl. im 4. Jh. verfasst wurde. (Ältere Textausgaben nennen Q. Serenus Sam(m)onicus als Autor, einen römischen Gelehrten des 2. Jh., der von Caracalla ermordet wurde.)
Hemitritaeo depellendo Zur Vertreibung des Zweieinhalbtagefiebers1) Mortiferum magis est, quod Graecis ἡμιτριταῖον Todbringender ist, was als hemitritaion in griechischen vulgatur verbis; hoc nostra dicere lingua Worten bekannt ist; dies in unserer Sprache sagen non potuere ulli, puto, nec voluere parentes. konnten nicht, glaube ich, noch wollten irgendwelche Vorväter2). inscribis chartae, quod dicitur Abracadabra, Du schreibst auf ein Blatt, was Abrakadabra genannt wird, saepius et subter repetis, sed detrahe summam, und du wiederholst es öfters unterhalb, aber nimm weg die höchste Stelle, et magis atque magis desint elementa figuris und mehr und mehr sollen den Gebilden Buchstaben fehlen, singula, quae semper rapies, et cetera figes, einzelne, die du immer wegschaffen wirst, und die übrigen anheften (?), donec in angustum redigatur littera conum. bis ein Buchstabe in einen engen Kegel gebracht wird.3) his lino nexis collum redimire memento. denke daran, mit diesen, mit einer Schnur verbunden, den Hals zu umwinden. nonnulli memorant adipem prodesse leonis. Einige erinnern daran, dass Löwenfett nützt. coralium vero si collo nectere velles, Wenn du aber Koralle um den Hals hängen wolltest, ne dubites illi veros miscere smaragdos. zögere nicht, jene mit echten Smaragden zu mischen. talia languentis conducent vincula collo Solche Bänder werden dem Hals des Matten nützen letalesque abigent (miranda potentia!) morbos. und werden (o wunderbare Kraft!) tödliche Krankheiten vertreiben.
1) Menge/Güthling/Pertsch und Pons Online-Wörterbuch: „das (2½ Tage dauernde) Wechselfieber“; Georges: „das halbe Tertianfieber“; Lewis/Short: „semi-tertian ague“. D.i. eine Form von Malaria (Malaria tertiana)?
2) D.h. es gibt kein genuin lat. Wort dafür.
3) Das mlat. Wörterbuch von Du Cange interpretiert dies so:
A B R A C A D A B R A A B R A C A D A B R A B R A C A D A B A B R A C A D A A B R A C A D A B R A C A A B R A C A B R A A B R A B A |
Schon Du Cange bringt es in Verbindung mit dem griech. Ἀβράσαξ Abrásax (später, aus metrischen Gründen, Ἀβράξας Abráxas), was bei dem Gnostiker Basilides der Name der höchsten Gottheit ist, ursprl. vielleicht der Name eines mächtigen Dämons, der jedenfalls in der Antike in magischen Praktiken und auf Amuletten eine wichtige Rolle spielte. Die Versuche, Herkunft und Bedeutung des Namens zu erklären sind zahlreich, aber die meisten wenig überzeugend.
Winers Grammatik hält es für einen arabisierten Hebraismus, nämlich die hebr. Rezeptformel (Anweisung des Arztes an den Apotheker oder Patienten) עֲבֵיד כַּדָבָר (sic!) ʿabed kadabar („mach entsprechend der Anweisung“?) mit arab. Vokalisierung zu abda kadabra. Vielleicht infolge Verwechslung von ד d mit ר r oder vielleicht auch durch bewusste Entstellung sei daraus abra kadabra geworden.
Der Wikipedia-Art. zum Wort nennt weitere Herleitungen, vor allem aus dem
Aram. wie »die aramäischen Wörter אברא כדברא avrah k'davra«, was
soviel wie „ich werde erschaffen, während ich spreche“ bedeuten soll. Doch
dürfte es sich bei dieser Erklärung eher um hebr.-aram. Klingklang handeln.
<smarty-pants>Im biblisch-targumischen Aram. heißt
„ich erschaffe“ אֶבְרֵא ævrê. דבר „sprechen“ ist Hebr., es gibt nur
einen aram. Beleg im Targum Neofiti Ex 30,31 (bibl. Aram. wohl תְּדַבֵּר
tedabber zu vokalisieren, 1. Person wäre dann אֲדַבֵּר
adabber). כְּ ke ist in aller Regel
Präposition, nicht Konjuktion. Allenfalls wäre an ein כְּדִבּוּרָא
kedibbûrâ „gemäß dem Ausspruch“ zu denken. Aber das ist
Herumgerate.</smarty-pants>
Pinchas Lapide führt es zurück auf den sog. Takbīr, d.h. die arab. Worte الله أكبر Allāhu ʾakbar „Gott ist groß/am größten“, mit denen die rituellen Gebete im Islam beginnen. Aber dies dürfte eine der Klingklangetymologien sein, vor denen Lapide auch sonst nicht zurückschreckt (vgl. seine Behauptung „Dienstag ist ein verballhornter Zeus-Tag [...]; Freitag ist der heilige Tag der Freya [...] und Samstag [...] ist dem vergotteten Saturngestirn geweiht“ – alle drei falsch, s. Die Namen der Wochentage).
Quellen:
Nach verbreiteter Auffassung eine Verballhornung von hoc est (enim) corpus meum „(denn) das ist mein Leib“, den lat. Einsetzungsworten des Abendmahls (das enim nach dem römischen Ritus im Canon Missae, ohne enim in der Vulgata Mt 26,26; Mk 14,22; Lk 22,19; 1Kor 11,24).
Der Etymologie-Duden führt es auf die pseudolat. Zauberformel hax, pax, max, deus adimax zurück, die dann zu hocas pocas, Hockespockes, Oxbox u.ä. verstümmelt wurde.
Das Grimmsche Wörterbuch weist daraufhin, dass es zuerst als Eigenname von Taschenspielern (und zwar in Buchtiteln) auftaucht, erstmals in der Schrift Hocus Pocus Junior. The Anatomie of Legerdemain (London 1634). Es ist also vielleicht ein pseudolat. Nonsensname wie Hiccius Doctius im Vorwort desselben Buches.
Quellen:
Laut Duden vielleicht von lat. similia similibus „Gleiches mit Gleichem“, dem Grundsatz der Homöopathie.
Nach G. Wagner von der Basmala, d.h. den arab. Worten بِسْمِ اللهِ الرَّحْمنِ الرَّحِيمِ bismi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm „im Namen des barmherzigen, gnädigen Gottes“, mit denen alle Koransuren (ausgenommen die 9.) beginnen.
Quellen:
In der Geschichte von Kalif Storch, einem Märchen Wilhelm Hauffs, lautet das Zauberwort zur Verwandlung mutabor (lat. für „ich werde verwandelt werden“). Auch Joanne K. Rowling legt ihren Zaubererprotagonisten lat. klingende Zaubersprüche in den Mund: expecto patronum „ich warte auf (wünsche) den Schutzherrn“ (engl. expect, patron), protego „ich beschütze“ (engl. protect), reparo „ich stelle wieder her, erneuere“ (engl. repair), legilimens aus legere „lesen“ und mens „Geist, Verstand, Gedanke“, locomotor aus locus „Ort, Platz“ und motor „Beweger“ (engl. locomotion „Fortbewegung“), u.a.m.
In der Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern lautet das Zauberwort „Sesam, öffne dich!“ (arab. إفتح يا سمسم ʾiftaḥ yā simsim). Natürlich haben sich Sprachwissenschaftler gefragt, ob hinter dem für einen Zauberspruch allzu prosaischen Pflanzennamen nicht ursprünglich etwas anderes gesteckt hat. Aber wie bei Abrakadabra kommen wir über geistreiches Raten nicht hinaus.
Quellen:
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 24. Dez. 2023