Michael Neuhold Homepage
Startseite > Etymologica selecta > Buch

Buch


Allgemeines


Ein Römer liest eine Schrift­rolle, Relief auf einem Sarko­phag im Garten der Villa Balestra, Rom.– Quelle: Wikimedia.– Urheber: Fritz-Milkau-Dia-Sammlung, Preußische Staats­bibliothek, 1926-1933.– Lizenz: gemeinfrei.– Bearbeitung: verkleinerter Bildausschnitt, etwas aufgehellt.

Ein Buch bestand in der Antike aus Blättern, die aus Streifen des Marks der Papyrusstaude Cyperus papyrus L. hergestellt wurden.[1] Diese Blätter wurden zu einer langen Bahn zusammengeklebt, die dann um einen Holzstab aufgewickelt wurde: die Buchrolle. Beim Lesen wurde die Rolle nach und nach auf einen zweiten Stab umgewickelt. Von daher erklärt sich lat. volūmen „Windung; Buchrolle“ (von volvō „wälzen, rollen, drehen“) > engl. volume „(Buch-)Band“. Erst in frühchristlicher Zeit entstand der Kodex (von lat. caudex „Baumstamm, Klotz, zu Schreibtafeln gespaltenes Holz“, von cūdō „schlagen“[2]): die Blätter wurden aufeinander gestapelt und am Rücken miteinander verbunden. Man konnte jetzt blättern und auf diese Weise viel schneller eine bestimmte Stelle auffinden. Ein wesentlich haltbarerer, aber auch wesentlich teuerer Beschreibstoff als Papyrus war Tierhaut (Pergament). Weil es so teuer war, hat man öfter alten Text abgekratzt und das Pergament neu beschrieben (ein sog. Palimpsest, von gr. παλίμψηστος palímpsēstos „wieder aufgekratzt“). Das Papier, in China erfunden, kam erst im Mittelalter durch die Araber nach Europa.[3]

Die Tinte zum Beschreiben wurde aus Wasser, Ruß und einem Bindemittel wie Gummi arabicum hergestellt. Diese Tinte ließ sich meist wieder abwaschen. In hellenistischer Zeit wurde die dokumentenechte Eisengallustinte erfunden (bestehend aus dem Sud von Galläpfeln, Eisenvitriol FeSO4 und Gummiwasser), die in der Spätantike zunehmend die Rußtinte ersetzte. Doch kann diese Tinte im Lauf der Zeit Schwefelsäure freisetzen, die den Beschreibstoff zerfrisst.[4]

  1. Papyrus. Wikipedia de
  2. Walde, A[lois]: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3., neubearb. Aufl. v. J[ohann] B[aptist] Hofmann. Bd. 1.– Heidelberg: Winter, 1938. (Indogerman. Bibl., 1. Abt., 2. Reihe, Bd. 1) „caudex, codex“, S. 186
  3. Papier: Erfindung. Wikipedia de
  4. Tinte. Wikipedia de;
    Rußtinte. Wikipedia de;
    Eisengallustinte. Wikipedia de

Germanisch

Das dt. Wort Buch[1] geht zurück auf ahd. buoh (häufig auch Pl. in singularischer Bedeutung)[2], vgl. aengl. bōc (Pl. bēc < *bōk-iz)[3], engl. book, niederl. boek [buk], gall. *bāgos in Ortsnamen (Bagacum Nerviorum, Beiach < *Bāgācon, Bavóna < *Bāgona)[4], anord. bōk, dän. bog, schwed. norweg. bok, got. bōka „Buchstabe“, Pl. bōkōs „Schrift(stück), Brief, Buch“ (wie griech. γράμμα grámma und lat. littera)[5]. Dies führt auf einen germ. Wurzelstamm[6] *bōk-s.

Vgl. hierzu auch Buchstabe, ahd. buohstap „Schriftzeichen, Alphabet“, Pl. „Schriftstück“[7], aengl. bōcstæf ds.[8]. Das Wort war laut Pfeifer et al. „anfangs die Bezeichnung für ein Holzstäbchen mit eingeritzten Runenzeichen“[9] (vgl. aengl. rūn-stæf „Runenzeichen“[10]).

Traditionell wurde Buch/Buchstabe vom Wort dt. Buche[11] abgeleitet, ahd. buohha, vgl. aengl. bōc, beōce, bēce (letztere < *bōkjō), engl. beech, anord. bōk, griech. φηγός phēgós [dor. φαγός] „Speiseeiche“, lat. fāgus „Rotbuche“. Die Formen der germ. Sprachen führen auf germ. *bōkō f. Doch kann z.B. aus Ortsnamen wie lat. silva Bacenis (Caes. Gall. 6,10,5), d.i. vermutlich der Harz, und Buc(h)onia (Greg. Tur. 2,40), d.i. Rhön-Vogelsberg?[12][13] für die Buche auch ein (west)germ. n-Stamm (*bōkōn-) erschlossen werden? (So zumindest interpretiere ich die Angabe bei Pokorny[14].) Oder ist es das n ein Bildungsformans wie in gr. φηγών phēgōn „Eichenwald“ (wie Krogmann anzunehmen scheint[15])? Wegen der griech.-lat. Form wird meist idg. *bhāgó-s rekonstruiert (z.B. Pokorny). Doch scheinen manche wegen der germ. Formen von idg. *bhāgā auszugehen (z.B. Kluge/Seebold[16]).

Da die Griechen südlich des Verbreitungsgebiets der Buche siedelten, übertrugen sie deren Namen auf eine andere Baumart, nämlich laut Liddell/Scott/Jones auf Quercus aegilops (αἰγίλωψ „Windhafer; Eichenart“), Syn. Quercus macrolepis Kotschy (μακρο-λεπις „lang-rindig“?) (oder Quercus ithaburensis subsp. macrolepis [d.i. „zum Itabyrium [Berg Tabor] gehörig“?]), auch Walloneneiche genannt[17][18]. Diese Identifikation ist nicht unumstritten, insbesondere wurde immer wieder auch die Edelkastanie in Betracht gezogen. Doch scheint dies hauptsächlich der etymologischen Herleitung der φηγός von φαγεῖν „essen“ geschuldet zu sein. In einer neueren Untersuchung macht sich Herzhoff für Quercus trojana Webb (Mazedonische Eiche genannt) stark[19]. Zur Übertragung des Namens auf eine andere Art vergleicht er die Benennung der Hainbuche, einem Birkengewächs, als Buche in den Regionen Ostdeutschlands, in denen die Rotbuche nicht vorkommt.

Zwar nicht Teil der sog. ersten Lautverschiebung (Rask-Grimm-Gesetz), aber ein ebenfalls im Germ. eingetretener Lautwandel war ā > ō: idg. *bhrā́ter (lat. frāter) > got. brōþar. Das ō erscheint im Ahd. und Mhd. als Diphthong uo (mhd. bruoder), dieser wird beim Übergang zum Nhd. wieder monophthongiert zu ū (Bruder).


Neuzeitlicher hölzerner Kalenderstab mit Runen, Historisches Museum Lund.– Quelle: Wikimedia.– Urheber: Hedning, 2008.– Lizenz: CC BY-SA 3.0, GFDL 1.2.– Bearbeitung: gedreht, beschnitten, verkleinert, geschärft.

Der Zusammenhang von Buch mit Buche wird vom Grimmschen Wörterbuch ausdrücklich behauptet[20], auch von Pokorny bejaht und von Hoops bekräftigt[21]. Die Grimms verweisen u.a. auf die Parallele lat. tabula „Brett, Holztafel“ > „Schreibtäfelchen“ und auf Venantius Fortunatus 7,18,19f:

Es möge barbarische Runenschrift auf Täfelchen aus Eschenholz gezeichnet werden,
und die Rolle, die Papyrus spielt, macht ein flaches Stäbchen geltend.[22]

Kluge/Seebold bestreitet diesen Zusammenhang[23] und erwägt stattdessen, das Buch zu idg. *bhag- „zuteilen“ (ai. bhajati „teilt zu“, ai. bhaga-ḥ „Gut, Glück“, bhāga- „Anteil, Los, Schicksal“, avest. baga-, baγa-, bāga- „Anteil, Los“) zu stellen. (Der Zusammenhang soll sein: Los, Schicksal → Schicksalsvorhersage mit Loszeichen → Buchstabe.)

  1. Pfeifer, Wolfgang et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digital. u. von ~ überarb. Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. „Buch“
  2. Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias v. Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen […]. Bearb. u. hrsg. von Elisabeth Karg-Gasterstädt u. Theodor Frings.– Leipzig, Berlin, 1952ff. „buoh“
  3. An Anglo-Saxon dictionary. Based on the manuscript collections of the late Joseph Bosworth. Hrsg. u. erw. v. T. Northcote Toller.– Oxford: Clarendon, 1882. „bōc“, S. 113a-b
  4. Delamarre, Xavier: Dictionnaire de la langue gauloise. Une approche linguistique du vieux-celtique continental.– 2. durchges. u. erw. Aufl. Paris: Errance, 2003. „bagos“, S. 65
  5. Streitberg, Wilhelm: Die gotische Bibel. Hrsg. v. ~. 2. Teil: Gotisch-Griechisch-Deutsches Wörterbuch.– Heidelberg: Winter, 1910. „boka“, S. 22
  6. Streitberg, W[ilhelm]: Urgermanische Grammatik. Einf. in d. vergleichende Studium der altgerm. Dialekte.– Heidelberg: Winter, 1896. (Samml. v. Elementarbüchern d. altgerm. Dialekte, Bd. 1) S. 204f; S. 247-249
  7. Althochdeutsches Wörterbuch. „buohstab“
  8. An Anglo-Saxon dictionary. „bōc-stæf“, S. 114a
  9. Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. „Buchstabe“
  10. An Anglo-Saxon dictionary. „rūn-stæf“, S. 805a
  11. Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. „Buche“
  12. Dietz, Karlheinz: „Silva Bacenis”, Der Neue Pauly. Hrsg. v. Hubert Cancik, Helmuth Schneider, Manfred Landfester. 2006
  13. Ihm, Maximilian: „Buconia“, Paulys Realenc. d. class. Altertumswiss., Bd. 3,1 (1897), Sp. 987
  14. Pokorny, Julius: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. Bd. 1.– Bern, München: Francke, 1959. „bhāgó-s“, S. 107f
  15. Krogmann, Willy: „Das Buchenargument“, Zeitschr. f. vergleichende Sprachforschung 72 (1954), S. 8
  16. Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. v. Elmar Seebold.– 25., durchges. u. erw. Aufl. Berlin: de Gruyter, 2011. „Buche“, S. 158a;
    vgl. a. Seebold, Elmar: Etymologie. E. Einf. am Beispiel d. dt. Sprache.– München: Beck, 1981 (Beck'sche Elementarbücher) S. 291f
  17. Liddell, Henry George; Scott, Robert: A Greek-English Lexicon. Bearb. u. erw. v. Henry Stuart Jones, unter Mithilfe v. Roderick McKenzie.– Oxford: Clarendon, 1940. „φηγός“
  18. Der Baum des Göttervaters Zeus. Griechenland-Zeiung, 10. Dez. 2022
  19. Herzhoff, Bernhard: „ΦΗΓΟΣ: Zur Identifikation eines umstrittenen Baumnamens“, Hermes 118 (1990), S. 257-272 und S. 385-404; s.a. die Wikipedia-Art. Quercus macrolepis, Mazedonische Eiche
  20. Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. „buch“
  21. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Hrsg. v. Johannes Hoops. Bd. 1.– Straßburg: Trübner, 1911-13. „Buch“, S. 338b-340a (insbes. § 4)
  22. s. Text und Übersetzung im Anhang. Zur Übersetzung von V. 19f s. auch
    Seebold, Elmar: „Was haben die Germanen mit den Runen gemacht? Und wieviel haben sie davon von ihren antiken Vorbildern gelernt?“, Germanic Dialects. Linguistic and Philological Investigations. Hrsg. v. Bela Brogyanyi u. Thomas Krömmelbein.– Amsterdam, Philadelphia: Benjamins, 1986. (Current issues in linguistic theory, Bd. 38) S. 528: „lt. pingere heisst nicht nur 'malen', sondern auch 'sticken, eintätowieren, schmücken' usw. - also in unserem Fall am besten mit 'einritzen' zu übersetzen. Lt. tabellis kann an dieser Stelle nicht 'Täfelchen, Tafel' bedeuten, da es ja offenkundig denselben Gegenstand bezeichnet wie virgula plana. Es bedeutet vielmehr (wie im übrigen gar nicht anders zu erwarten) allgemein 'Brief, Schriftstück'.“
  23. Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. „Buche“, S.157b-158a

Griechisch, Latein


Das Ende des Epheser- und der Anfang des Galater­briefes auf einem Blatt eines Papyrus­kodex, Ms. 6238, 158r, University of Michigan, datiert auf ca. 150-250 n.Chr.– Quelle: Wikimedia.– Urheber: University of Michigan?, 2017.– Lizenz: gemeinfrei.– Bearbeitung: aufgehellt, verkleinert, geringfügig beschnitten.

Ein weiteres Argument der Grimms für die Buche ist, dass auch das lat. und griech. Wort für Buch jeweils vom Beschreibstoff abgeleitet ist.

Griech. βύβλος býblos, jünger βίβλος bíblos „Bast der Papyrusstaude, daraus gemachtes Papier, beschriebenes Papier, Buch“ und βιβλίον biblíon „Papier(blatt), Buch“[1]. Der Papyrusbast hat seinen griech. Namen von der phönikischen Hafenstadt Byblos (akk. Gubla, heute جبيل Ǧubail im Libanon), von wo aus der Papyrus zu den Griechen gelangte. Wesentlich jünger ist griech. πάπῡρος pápȳros „Papyrusstaude, Papier“ [2] (lat. papȳrus, das man nach der Pänultimaregel auf dem y betont). Dessen Herkunft ist unbekannt. (Nach Kluge/Seebold aus äg. pꜣ-pr-ʿꜣ „das des Pharao“, weil Papyrusherstellung in Ägypten königliches Monopol gewesen sei [pꜣ Artikel, pr-ʿꜣ „großes Haus = königlicher Palast = Pharao“, vgl. Weißes Haus = Präsident der USA, Pentagon = US-Verteidigungsminister u.ä.].)

Lat. liber „Bast; Buch“ < *luber, *lubh-ro-s, zu *leub(h)- „abschälen, entrinden“[3][4], vgl. russ. луб lub „Bast, Borke“ < *loub-o-, got. laufs „Blatt, Laub“, ahd. loub, dt. Laub. Das könnte darauf hinweisen, dass die Vorfahren der Römer auf dem Bast (das ist die Schicht unter der Borke, dem cortex) von Bäumen schrieben. Kluge/Seebold würde einwenden, dass es dafür keine Hinweise gebe. Die Etymologie ist aber unbestritten. Für kurze Notizen verwendeten die Römer mit Wachs beschichtete Holztäfelchen. Die roman. Sprachen folgen ihrer Mutter: it. libro, frz. livre, span. libro, port. livro. Aus der Reihe schlägt rumän. carte (wohl < lat. charta „Papyrusblatt, Schrift, Buch“ < griech. χάρτης khártēs „Papyrusblatt“, unerklärt).

Die kelt. Sprachen haben die Wurzel *lubh- nur in ihrer älteren Bedeutung bewahrt, vgl. air. luib „Kraut“, mir. lub-gort „Garten“[5]. Ihr Wort für Buch ist aber wohl aus dem Lat. entlehnt: air. lebor (> ir. gäl. leabhar), kymr. llyfr.

  1. Frisk, Hjalmar: Griechisches etymologisches Wörterbuch. Bd. 1.– Heidelberg: Winter, 1960. „βίβλος“, S. 235
  2. Frisk, Hjalmar: Griechisches etymologisches Wörterbuch. Bd. 2. „πάπῡρος“, S. 472
  3. Pokorny, Julius: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. Bd. 2. „leub-, leub-, leubh-“, S. 690
  4. Walde, A[lois]: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3., neubearb. Aufl. v. J[ohann] B[aptist] Hofmann. Bd. 1.– Heidelberg: Winter, 1938. (Indogerman. Bibl., 1. Abt., 2. Reihe, Bd. 1) „liber“, S. 790
  5. Vaan, Michiel de: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic languages.– Leiden, Boston: Brill, 2008. (Leiden Indo-Europ. Etym. Dict. Series, Bd. 7) „liber“, S. 337

Slawisch

Den Grimms zufolge haben die Slawen in ihrer Frühzeit das Wort für Buch ebenfalls von der Buche abgeleitet: aksl. боукꙑ buky „Buche“[1], aber auch „Buchstabe“, im Pl. „Brief, Buch“, боуква bukva „Buch, Brief“[2]. Geblieben ist davon nur noch der Baum, russ. бук buk „Buche“, tschech. buk, kroat. bukva, dazu russ. бу́ква búkva „Buchstabe“.

Denn die aktuellen Formen stammen von akls. кън҄ига kŭnʲiga (книга) „Buchstabe“, Pl. „Schrift, Buch, Brief“[3], russ. кни́га knʲiga „Buch“, kroat. knjiga, tschech. kniha, poln. księga, vgl. auch lit. knygà, ungar. könyv, was auf eine protoslaw. Wurzel *kъnjiga führt. Die Herkunft dieses Wortes ist rätselhaft. Mikkola rekonstruiert ein vorslaw. Form *kunjūga oder *kuńūga und stellt diese zu assyr. kunukku „Siegel“[4] (worauf er auch ungar. könyv „Buch“, armen. կնիք knikʿ „Siegel“ und mordwin. [finno-ugr. Sprache] конёв końov „Papier“ zurückführt). Das ist auch die einzige Etymologie, die Rejzek mitteilt[5]. Miklosich erwägt Ableitung von anord. kenning „nota“[6]. (Doch heißt kenning „Kenntnis, Bekanntmachung, Lehre“[7], von kenna „bekannt machen, wahrnehmen“, got. kannjan „kund tun, bekannt machen“ – was für ein Buch semasiologisch auch passen würde.) Laut den Grimms ist die Änderung der Begriffe in der Änderung der Schreibmethode – ritzen vs. malen – begründet.

Daneben gibt es noch russ. гра́мота grámota „Urkunde, Diplom“ (< griech. γράμματα grámmata „Schrift, Urkunde, Brief, Buch“), daraus lett. grāmata „Buch“, estn. raamat ds.

Leider enthält Rick Derksens Etymological Dictionary of the Slavic Inherited Lexicon (Brill, 2008) weder das Etymon für die Buche noch das für das Buch. Daher muss ich mit Miklosichs nicht mehr aktuellen Werken vorlieb nehmen.

  1. Miklosich, Franz: Lexicon Palaeoslovenico-Graeco-Latinum.– Verb. u. verm. Wien: Braumüller, 1862-65. „боукꙑ“, S. 48a
  2. Miklosich, Franz: Lexicon linguae Slovenicae veteris dialecti.– Wien: Braumüller, 1850. „боуква“ u. „боукꙑ“, S. 13a
  3. Miklosich, Franz: Lexicon Palaeoslovenico-Graeco-Latinum. „книга“, S. 293a
  4. Mikkola, J. J.: Urslavische Grammatik. Eine Einf. in d. vergleichende Studium der slav. Sprachen. 1. Teil.– Heidelberg: Winter, 1913. (Indogerman. Bibl., 1. Abt., 1. Reihe, Bd. 11) S. 11, 43 (zu kъnjiga)
  5. Rejzek, Jiří: Český etymologický slovník.– Voznice: Leda, 2001. „kniha“, S. 290
  6. Miklosich, Franz: Etymologisches Wörterbuch der slavischen Sprachen.– Wien: Braumüller, 1886. „kŭnjiga“, S. 155b
  7. Vries, Jan de: Altnordisches etymologisches Wörterbuch.– 3. Aufl. Leiden: Brill, 1977. „kenning“, S. 306b

Anhang: Venantius Fortunatus 7,18

Venantius Fortunatus (ca. 530/40-600/10) war ein aus Oberitalien stammender Geistlicher und Dichter, der den größeren Teil seines Erwachsenenlebens im Merowingerreich verbrachte und gegen sein Lebensende hin Bischof von Poitiers wurde. Er beklagt in Gedicht 7,18 (Ad Flavum), dass er auf seine zahlreichen Briefe an Flavus keine Antwort erhalte. Wenn es Flavus an Papier (Papyrus) mangele, möge er auf Buchenrinde schreiben (V. 13f). Wenn es darum geht, dass er nicht Latein schreiben mag, soll er halt auf Hebräisch, Persisch, Griechisch oder mit Runen schreiben (V.15-19). Ich biete den Text nach der Ausg. von Fr. Leo[1]. Der Inhalt des Gedichtes ist zwar im Großen und Ganzen einigermaßen klar, doch der genaue Wortlaut ist kaum zu übersetzen. (Ich dachte bisher, ich besäße grundlegende Kenntnisse des Lateinischen.) Die französischen Herausgeber Nisard[2] und Reydellet[3] bieten daher auch keine wirkliche Übersetzung, sondern paraphrasieren den Inhalt mehr oder weniger frei. Ich gestehe, dass ich mich an ihnen orientiert habe. Die dt. Übersetzung von Wolfgang Fels oder die engl. von Michael John Roberts waren mir nicht verfügbar.

Ad carum totiens mea pergit epistula Flavum: Zum lieben Flavus macht sich so oft mein Brief auf:
sic monet officii sedula cura loqui. so mahnt die emsige Sorge um die Pflicht zu reden.
nunc quoque prosaico, modo mittens carmina versu Jetzt auch in Prosa, bald Gedichte schickend im Vers,
blandior affatu debita solvit amor. begleicht, freundlicher in der Anrede, die Liebe ihre Schulden.
5 quin tibi pauca ferat, qui vult iter ire viator Ohne dir ein weniges zu bringen, geht kein Reisender, der eine Reise unternehmen will, der schweigend meiner Kenntnis entgehen darf, weg,
nemo mihi tacite praetereundus abit,
fotus[a] amicitiae te ut pagina saepe requirat; sodass oft eine Seite, Wärme der Freundschaft (?), sich nach dir erkundigt;
et si vir desit, portitor aura placet. und wenn ein Mann fehlt, gefällt der Wind als (Brief-)Träger.
attonitis animis ego per vaga nubila pendo Mit bestürztem Sinn schwebe (?) ich durch unstete Wolken
10 nullaque suscipio signa relata manu. und empfange keine von der [d.h. deiner?] Hand überlieferte Zeichen.
an tibi charta parum peregrina merce rotatur[b]? Oder zirkuliert dir Papier zu wenig in ausländischer Ware?
non amor extorquet quod neque tempus habet. Liebe trotzt nicht ab, was auch die Zeit nicht hat.
scribere quo possis, discingat fascia fagum[c]: Damit du darauf schreiben kannst, möge ein Band die Buche losgürten:
cortice dicta legi fit mihi dulce tui. Dass Worte auf einer Rinde gelesen werden, wird mir zur Süßigkeit von dir.
15 an tua Romuleum fastidit lingua susurrum? Oder widert deine Zunge das Romulische [d.h. lateinische] Gesumme an?
quaeso vel Hebraicis reddito verba notis. Bitte gib Worte selbst mit hebräischen Schriftzeichen wieder.
doctus Achaemeniis quae vis perscribito signis, Gelehrt in persischen Zeichen, schreib nieder, was du willst,
aut magis Argolico pange canora sopho. oder verfasse lieber Gesänge für einen griechischen Weisen.
barbara fraxineis pingatur rhuna tabellis, Es möge barbarische Runenschrift auf eschene Täfelchen gezeichnet werden,
20 quodque papyrus agit virgula plana valet. und die Rolle, die Papyrus spielt, macht ein flaches Stäbchen geltend.
pagina vel redeat perscripta dolatile charta: Es möge auch zurückkehren eine Seite, niedergeschrieben auf einem behaubarem [d.i. zurechtgemachtem] Plättchen:
quod relegi poterit, fructus amantis erit. was (wieder) gelesen werden kann, wird ein Genuss des Liebenden [d.h. für mich] sein.
  1. Wenn fotus „Wärmen“ Akkusativobjekt sein soll, passt es metrisch nicht, dennoch scheint Reydellet es so zu verstehen: „damit eine Seite von mir euch oft um den Trost eurer Freundschaft bittet“. Der Index rei metricae in Fr. Leos Textausgabe[4] vermerkt einige Fälle von metrisch kurz gemessenem -ūs für den Genitiv (genetivus in us brevis, S. 424b). Unmöglich wäre es also nicht, hier einen Akk. Pl. anzunehmen. Auch die Imperative reddito und perscribito sind mit metrisch kurz gemessenem auslautendem verwendet, etwas, was Fortunatus offenbar häufig macht (o finalis […] fere correpta, S. 425b). Leo selbst scheint aber von einer Apposition zu pagina auszugehen, oder wie sonst ist der Eintrag s.v. fotus S. 401a zu verstehen? Handschriftlich ist auch foetus „Erzeugung, Sproß, Frucht“ bezeugt. Nisard konjiziert foedus „Bündnis, Vertrag“: „wo ich euch erinnere, und ich tue es oft, an die Freundschaft, die uns verbindet“.
  2. Der Sinn des rotatur ist unklar. Reydellet versteht es als „rotation des approvisionnements en papyrus“, also Nachschub an Papyrus.
  3. Der Gedanke dürfte sein: schneide Rinde von der Buche, mit der der Stamm wie mit einem Band umgürtet ist.
  1. Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri Italici Opera poetica. Hrsg. v. Friedrich Leo.– Berlin: Weidmann, 1881. (Monumenta Germaniae historica, Auct. ant., Bd. 4.1) S. 172f
  2. Venance Fortunat: Poésies mêlées. Übers. v. Charles Nisard, unter Mitarbeit für d. Bücher 1-5 v. Eugène Rittier.– Paris: Didot, 1887. S. 188
  3. Venance Fortunat: Poèmes. Hrsg. u. übers. v. Marc Reydellet. Bd. 2.– Paris: Les belles lettres, 1998. (Assoc. G. Budé) S.115f
  4. Venanti […] Fortunati […] Opera poetica. Hrsg. v. Friedrich Leo. S. 422ff

Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 8. Jan. 2023