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Vom Schwarzen, Roten und Toten Meer
In einer früheren Version dieser Seite hatte ich das Thema im Plauderton und ohne Quellenangaben behandelt. Die Lektüre von Frank Rainer Schecks Die Weihrauchstraße hat mich dazu gebracht, das Thema neu aufzurollen. Dabei bin ich dann auch auf den Himmelsrichtungsfarbcode (s.u.) gestoßen.
Die Griechen waren es gewohnt, bei der Durchquerung der Ägäis von Insel zu Insel zu segeln. Doch bei der Durchquerung des Schwarzen Meeres, das flächenmäßig gut zweimal so groß ist wie die Ägäis, sah man so lange kein Land, bis man auf der anderen Seite angekommen war. Vielleicht deshalb nannten die Griechen dieses Gewässer „Ungastliches Meer“ (πόντος Ἄξεινος póntos Áxeinos). Soweit meine persönliche, ganz unwissenschaftliche Theorie. Da man befürchtete, Gefahren durch deren Aussprechen heraufzubeschwören, verwendete man stattdessen den beschönigenden Begriff (Euphemismus) „Gastfreundliches Meer“ (πόντος Εὔξεινος póntos Eúxeinos).
Andere Erklärungsmöglichkeiten für den frühen griech. Namen (nach Danoff):
Für die Sprachwissenschaft scheint es ausgemacht, dass der griech. Name Ἄξεινος vielmehr eine Volksetymologie des iran. (skyth.?) Namens ist, hinter dem iran. *axšaina- „dunkel, schwarz“ steckt (jungawest. a-xšaēna- „dunkelfarbig“ – eigentlich „nicht strahlend“, vgl. xšaēta „strahlend, glänzend“ –, apers. axšaina „Türkis“).
Das Schwarze Meer kommt bei Homer noch nicht vor, die ältesten Belege finden sich bei Pindar (Hinge verweist auf P. 4,203 ἐπ’ Ἀξείνου στόμα, N. 4,49 ἐν δ’ Εὐξείνῳ πελάγει), Herodot (1,6,1 ἐς τὸν Εὔξεινον καλεόμενον πόντον usw.), Euripides (Iph.T. 125 πόντου [..] πέτρας Ἀξείνου ναίοντες u.ö.). Einmal ist bei Euripides die Rede von πόντος μέλας póntos mélas „schwarzes Meer“ (Iph.T. 107), aber wohl nicht als Name, sondern als Appellativ im Sinne von dunkel, finster wie Hom. Il. 24,79 (ἔνθορε μείλανι πόντῳ „(Iris) sprang ins dunkle Meer“, zwischen Samos und Imbros, also in die östliche Ägäis).
Die Römer haben den Namen nicht übersetzt, sondern als Fremdwort übernommen: (Pontus) Axenus (Ovid, trist. 4,4,56), (Pontus) Euxīnus (Ov. trist. 2,197; 3,13,28 u.ö.), mare Euxīnum (Ov. trist. 4,8,42) u.ä., auch Pontus allein. (Da Ovid zwei Werke aus der Verbannung von der Westküste dieses Meeres schreibt, wird es bei ihm öfter erwähnt.) Im AT kommt das Meer nicht vor.
Doch warum bezeichneten die iranischsprachigen Anwohner das Meer, in das die Donau mündet, als dunkel?
Der heutige Name in den Sprachen der Anrainer sowie in den modernen Sprachen und nicht zuletzt im Dt. ist eine korrekte Übersetzung der mutmaßlichen iran. Bezeichnung. Dieser Name ist aber nach Hinge und Schmitt erst seit dem 13. Jh. bezeugt (vermutlich ausgehend vom Türk.):
Quellen:
Seit Herodot findet sich in der griech. Literatur das „Rote Meer“ (Ἐρυθρὰ θάλαττα Erythrá thálatta) (1,1 ἀπὸ τῆς Ἐρυθρῆς καλεομένης θαλάσσης; 2,11.158 usw.), bei Dionysios Periegetes (2. Jh. n.Chr.) auch „Erythräisches Meer“ (Ἐρυθραῖος [=Ἐρυθρὸς] πόντος Erythraíos póntos) genannt. Der Begriff umfasste laut Treidler ursprünglich das Arabische Meer einschließlich des heutigen Roten Meeres und des Persischen Golfs; bei Curtius (8,9,6 Ganges mündet ins Rote Meer) ist sogar noch der Golf von Bengalen inbegriffen.
Später wurde die Bezeichnung eingeengt auf das heutige Rote Meer. In der LXX (Ex 15,4.22) und im NT (Apg 7,36; Hebr 11,29) wird damit jener Teil des Roten Meeres bezeichnet, der im hebr. AT „Schilfmeer“ (יַם־סוּף jam-sûp̄) heißt: der Golf von Suez (sinus Hieropolitanus, samt den Seen auf der Landenge, durch die heute der Sueskanal verläuft) und der Golf von Aqaba (sinus Aelaniticus).
Die Römer haben den Namen teils übersetzt (mare rubrum, z.B. Mela 3,8,1 [§72]), teils als Eigenname verwendet (mare Erythrum, v.l. m. Erythraeum, Plin. nat. 6,23,28 [§107], davon das häufiger gebrauchte Adj. Erythraeus, z.B. Mart. 10,16,5).
Auch in den meisten modernen Sprachen heißt dieses Meer rot:
Rot heißt dieses Meer vielleicht:
Frank Rainer Scheck meint, es bedeute „Meer der Roten“. Die Roten sind die Himjaren, deren Name حِمْيَر Ḥimyar er von arab. حُمْرٌ ḥumr, Pl. v. أَحْمَرُ aḥmar „rot“, ableitet. Das Reich Himjar lag an der Südwestspitze des heutigen Jemen und beherrschte die Häfen von Aden und Ocelis und den Bab el-Mandeb – vom 1. Jh. v. bis zum 6. Jh. n.Chr. Den Namen des Meeres gibt es aber im Griech. seit dem 5. Jh. v.Chr., als Südarabien noch von den Sabäern beherrscht war. Ich halte es daher für eher unwahrscheinlich, dass das Meer nach den Himjaren benannt ist.
James K. Hoffmeier meint ebenfalls, es bedeute „Meer der Roten“. Die Roten sind in diesem Fall die Edomiter, die Nachfahren Edoms (hebr. אֱדוֺם ʾædôm), dessen Name etymologisch zu hebr. אדם ʾdm „rot sein“, אָדֹם ʾādom „rot“ usw. gestellt wird. Die Edomiter beherrschten während eines großen Teils der atl. Periode den Golf von Aqaba, waren aber notorische Feinde der Israeliten, weshalb diese den Golf nicht Meer der Edomiter nennen wollten. Doch ist für das Hebr. der Antike m.W. nur die Bezeichnung „Schilfmeer“ bezeugt (s.o.).
Quellen:
Im Türk. heißt das Mittelmeer Akdeniz „Weißes Meer“; desgleichen im Arab. البحر الأبيض المتوسط al-baḥr al-ʾabyaḍ al-mutawassiṭ „das weiße mittlere Meer“. Im Bulgar. ist es die Ägäis, die Бяло море Bjalo more „Weißes Meer“ heißt. Auch im Makedon. und Serb. kann sie so genannt werden: Бело море Belo more (neben Егејско море Egejsko more). Im Dt. hingegen ist Weißes Meer die Bezeichnung einer Ausstülpung der Barentssee (größte Stadt: Archangelsk), die die Hälfte des Jahres von Eis bedeckt ist.
Auf manchen älteren Karten (z.B. in Droysens Historischem Handatlas von 1886, S. 77, Scan bei Wikipedia) wird der Persische Golf als Grünes Meer bezeichnet. Die 14. Aufl. von Brockhaus' Konversations-Lexikon von 1894-1896, Bd. 1, S. 789 (s.v. Arabisches Meer, Scan bei retro|bib) hingegen nennt so das Arabische Meer.
Das Gelbe Meer ist ein Teil des Chinesischen Meeres und heißt wohl nach den gelben Sedimenten, die vor allem der Gelbe Fluss (Huáng Hé, auch Huang Ho geschrieben) hineinschwemmt (so die dt. Wikipedia), oder nach dem Sand, der von der Wüste Gobi aufs Meer geweht wird (so die engl. Wikipedia).
Im Ägypt. heißt Meer oder wꜣḏ-wr „das große Grün“ (i.Ggs. zu km.t „die Schwarze“ = „Ägypten“ und dšr.t „die Rote“ = „Wüste“).
Quellen:
Der österreichische Völkerkundler Karl Anton Nowotny hat in einer Untersuchung versucht, einen bei vielen Kulturen bestehenden Zusammenhang zwischen Farben und Himmelsrichtungen nachzuweisen. Auf diese Untersuchung beziehen sich auch Knobloch und Schmitt. Im Bereich der nahöstlichen Kulturen und der griechischen Antike sah der Code so aus:
N | ||||
schwarz | ||||
weiß | blau | |||
W | grün | O | ||
gelb | ||||
rot | ||||
S |
Nowotny zitiert weit auseinanderliegende Stellen so, dass der Eindruck entsteht, es bestehe eine Art Fernbeziehung zwischen ihnen. Z.B. Offb 6,2-8 die Farben der Pferde der vier apokalyptischen Reiter (λευκός leukós „weiß“, πυρρός pyrrhós „feuerfarben, fuchsrot, gelbrot“, μέλας mélas „schwarz“, χλωρός khlōrós „hellgrün, grüngelb, bleich“) und Offb 21,13 die Tore des himmlischen Jerusalem (je drei Tore im O, N, S, W). Die beiden Stellen stehen jedoch in überhaupt keiner Beziehung zueinander. Die Offb unterstützt Nowotnys Thema also gar nicht. Wozu sie daher zitieren?
Genauso nennt das ägypt. Beispiel zwar vier Farben ( km „schwarz“, ḥḏ „weiß, hell“, dšr „rot“, śꜣb „bunt, scheckig“), aber keine Himmelsrichtungen. Diese kommen in ganz anderen Texten vor. Das Beispiel ist daher überflüssig.
Ähnlich heißt es von den assyr. Ominatexten: „Gelegentlich folgt der Aufzählung von Farben die Aufzählung von Himmelsrichtungen, als ob ein Zusammenhang bestünde.“ (S. 13) Der Zusammenhang kann also keinesfalls als gegeben oder erwiesen erachtet werden. (Leider waren mir die assyr. Texte – Enuma Anu Enlil, hrsg. v. Charles Virolleaud unter dem Titel L’Astrologie Chaldéenne, Paris 1908-1912 – nicht zugänglich).
Die Farben der assyr. Texte sind nach Nowotny:
Assyr. sâmu heißt nicht einfach „rot“, wird es doch in Bezug auf Hunde, Skorpione, zirbâbu (eine Tierart, Ameise? Heuschrecke?), kiškanû (eine Baumart, Akazie?) verwendet, sondern wohl eher „dunkelbraun, dunkelgrau, dunkelrot“.
Bei den Belegen aus der Kultur der alten Griechen wird nicht recht klar, wo der Zusammenhang jetzt wirklich belegt ist. Empedokles hat nach Aëtios den vier Elementen vier Farben (λευκόν leukón „weiß“, μέλαν mélan „schwarz“, ἐρυθρόν erythrón „rot“, ὠχρόν ōkhrón „bleich, blass(gelb)“) an die Seite gestellt (Diels/Kranz A92). Aber die Beziehung zu den Himmelsrichtungen kommt auf einem fragwürdigen Umweg zustande: Empedokles belegte die „vier Wurzeln aller Dinge“ mit Götternamen, deren zwei männlich (Zeus, Aidoneus), zwei weiblich sind (Here, Nestis) sind (B6); an anderer Stelle sagte er laut Aëtios, die ersten Männer seien im Osten und Süden (weil durch Wärme) entstanden, die Frauen im Norden (weil durch Kälte; A81).
Die Vision von den vier Wagen in Sach 6,1-8 deutet tatsächlich eine Beziehung zwischen Farben und Himmelsrichtungen an. Der Text lautet im Hebr. (und mit ihm in der griech. LXX und der lat. Vulgata):
„(2) Am ersten Wagen rote (אֲדֻמִּים) Pferde, und am zweiten Wagen schwarze (שְׁחֹרִים) Pferde, (3) und am dritten Wagen weiße (לְבָנִים) Pferde, und am vierten Wagen gescheckte (בְּרֻדִּים) Pferde, starke [אֲמֻצִּים, Wort unsicherer Bedeutung, die BHS schlägt vor, es zu tilgen]. [...] (6) Worin die schwarzen Pferde ausziehen ins Land des Nordens (Land Zafon), und die weißen ziehen aus hinter ihnen her, und die scheckigen ziehen aus ins Land des Südens (Land Teman), (7) und die starken ziehen aus.“
Knobloch gibt so wieder: „die schwarzen Rosse ziehen in das Nordland, die weißen nach Osten, die scheckigen in das Südland, die rotbraunen nach Westen“ (Knobloch S. 19). Zwar würde man nach V. 2-5 ab V. 6 eine solche Fortsetzung erwarten, wie sie Knobloch mitteilt und wie es der kritische Apparat der BHS so oder so ähnlich vorschlägt und wie Hermann Menge, Gute Nachricht 2. Aufl 1991, teilweise auch Luther 1984 und Einheitsübersetzung tatsächlich übersetzen. Allein wenn hier eine Textverderbnis vorliegt, ist angesichts eines so vorhersehbaren Schemas nicht ersichtlich, was sie verursacht haben sollte. So haben offensichtlich auch die Übersetzer der Neuausgabe der Guten Nachricht von 1997 und der Luther 2017 geurteilt und haben wieder den masoretischen Text übersetzt statt der Konjektur.
Nur in einer Klammer verweist Nowotny auf die Pirqe de Rabbi Eliezer („Kapitel des Rabbi Eliezer“, eine midraschähnliche Schrift, die teils Nacherzählung, teils Auslegung der Gen enthält), Kap. 11. Darin heißt es über die Erschaffung des Menschen am sechsten Schöpfungstag:
התחיל לקבץ את עפרו של אדם הראשון מארבע כנפות הארץ. אדום שחור לבן ירוק. אדום זה הדם. שחור אלו הקרביים. לבן אלו עצמות וגידין. ירוק זה הגוף.
„Er [Gott] begann den Staub des ersten Menschen zu sammeln von den vier Enden der Erde: rot, schwarz, weiß, grün. Rot, das ist das Blut. Schwarz, dies sind die Eingeweide. Weiß, dies sind die Knochen und Sehnen. Grün, das ist der Körper.“
Der Text selber erklärt die Farben mit Körperteilen. Der engl. Übersetzer Friedlander betrachtet diese Sätze offenbar als spätere Hinzufügung und gibt sie nur in einer Fußnote wieder. In einer weiteren Fußnote fragt er sich, ob es hier um die verschiedenen Hautfarben gehen könnte. Im weiteren Verlauf des Textes wird erklärt, Gott habe deshalb Staub von den vier Enden der Erde gesammelt, damit, wenn ein Mensch woanders als an seinem Geburtsort stirbt, die Erde nicht sagen kann: „Der Staub deines Körpers ist nicht von mir, kehre dahin zurück, wo du entstanden bist.“
Nowotny zitiert schlampig (seine griech. Zitate in den Fußnoten haben Fehler) und mit manchmal nur ungenauen Quellenangaben (z.B. Fußnote 21 „Platon Timaios“, 22 „De coelo. De generatione et corruptione“, 25 „De sensu“, S. 23 „nach Galenos“, „nach Nikomachos“). Das AT zitiert er nach der Vulgata. Das tut man aber nur dann, wenn es um deren spezielle Textgestalt geht, ansonsten ist der masoretische Text maßgebliche Quelle (das sehen, glaube ich, inzwischen auch katholische Wissenschaftler so).
Knobloch fügt noch weitere Beispiele hinzu:
Die Existenz eines solchen Farbcodes erscheint insgesamt durchaus glaubwürdig. Etliche der dafür angeführten Beweise besitzen aber mehr als nur kleine Schönheitsfehler. Die „Rekonstruktion“ der Urfassung des babylonischen Schöpfungsmythos (wie er uns im Enuma eliš vorliegt, s. Tafel 4, 131f) in Verbindung mit der griechischen Viersäftelehre durch Knobloch (S. 35) ist eine freie Erfindung, deren Plausibilität ich für gering halte.
Den Griechen wurde dieser Farbcode nach Schmitt vom Achämenidenreich (Altpersisches Reich, 6.-4. Jh. v.Chr.) vermittelt. Er wurde dann aber auch von anderen Völkern übernommen und ist heute vor allem im ostasiatischen Raum nachweisbar. Im Netz findet man ihn nur im Zusammenhang mit Feng Shui. Einen sachlichen Grund für die Zuordung genau dieser Farben zu den jeweiligen Himmelsrichtungen gibt es nicht.
Quellen:
Warum das Tote Meer so heißt, ist jedem klar: der hohe Salzgehalt läßt kaum eine normale marine Flora und Fauna zu. Doch der ursprüngliche Name ist ein anderer. Im AT heißt es „Salzmeer“ (יָם הַמֶּ֫לַח jām ham-mǽlaḥ Gen 14,3, so auch noch im Nhebr.), „Steppenmeer“ (יָם הָעֲרָבָה jām hā-ʿaraḇâ Dtn 3,17) oder „östliches Meer“ (יָם הַקַּדְמוֹנִי jām haq-qadmônî Hes. 47,18, im Gegensatz zum westlichen Meer, dem Mittelmeer).
Im Griech. wird es seit Diodor „Asphaltsee“ (Ἀσφαλτῖτις λίμνη Asphaltítis límnē, 19,98) – wegen des Bitumens, das aus ihm gewonnen wurde –, seit dem 2. Jh. (etwa bei Pausanias 5,7,4) „Totes Meer“ (θάλασσα Νεκρά thálassa Nekrá) genannt. Die Römer haben die griech. Bezeichnungen teils als Eigenname übernommen (Asphaltites, bei Plinius nat. 5,71f), teils übersetzt (mare mortuum, seit Justin 36,3). (Tac. hist. 5,6 spricht nur von einem See, ohne den Namen anzugeben; Strabo 16,2,42 [C 763] nennt das Meer, offenbar auf Grund einer Verwechslung, Σιρβωνὶς λίμνη Sirbōnís límnē).
In den modernen Sprachen (ausgenommen Hebr.) wird das Meer das Tote genannt:
Quellen:
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 1. Mai 2024