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Schön sprechen!
Seit Jahren patroulliert die Sprachpolizei durch deutschsprachige Lande und dekretiert, was man sagen darf und was nicht. Ab und an findet sie ein Wort, das sie verbietet. Mumie geht neuerdings gar nicht mehr.[1] Warum? Hat Tut-ench-Amun beim Presserat Beschwerde eingelegt? Wer heute noch Neger oder Zigeuner sagt, kann von Glück reden, wenn ihn nur ein Shitstorm trifft und er keine Morddrohungen erhält. Wer hat die Sprachpolizei eigentlich demokratisch legitimiert? Wer darf uns vorschreiben, wie wir zu sprechen haben?
Dass „Drecksneger“, „Scheißzigeuner“ oder „Saujude“ Beleidigungen sind, liegt auf der Hand. Aber die Beleidigung liegt im Bestimmungswort, nicht im Grundwort. Warum beleidigt es die Neger und Zigeuner, wenn man sie Neger bzw. Zigeuner nennt, während die Juden nichts dagegen haben, dass man sie Juden nennt? Das alles entbehrt jeder sprachlichen Logik. Es geht also nicht um Sprachlogik, sondern um Politik, Macht und Einfluss.
Das Argument ist meist, dass ein bestimmter Begriff Menschen beleidige. Aber wenn ich einen Begriff deskriptiv und nicht in beleidigender Absicht gebrauche, mit welchem Recht darf sich dann jemand beleidigt fühlen? Kann es sein, dass hier jemand sein bewusst gepflegtes Beleidigtsein benutzt, um der Mehrheitsgesellschaft auf die Zehen treten zu können? (Doch ständig auf die Befindlichkeit von Menschen Rücksicht nehmen zu müssen, die sich durch einen Begriff(!) beleidigt fühlen, führt uns ganz schnell an das Ende der Rede- und Meinungsfreiheit; s. meinen Senf vom 15. Mai 2012.)
Offenbar haben verschiedene gesellschaftliche Interessensgruppen die Sprache als ein Feld erkannt, auf dem sie Einfluss ausüben und so die Menschen dazu bringen können, sich ihren Wünschen zu beugen. Und ein paar selbsternannte Gutmenschen tuten fest in dieses Horn, wobei mir ihre Motivation schleierhaft ist. Doch auf Sprachregelungen von oben herab reagieren viele (ich eingeschlossen) mit Abwehr.
Ich bilde mir ein, mich zu bemühen, Menschen nicht nur nach Hautfarbe, Herkunft oder Religion zu beurteilen. (Ganz wird man das nicht abstellen können.) Und ich bin ein entschiedener Gegner der Asyl- und Abschiebepolitik der rechtspopulistischen Parteien ÖVP und FPÖ. (Die ÖVP ist ja längst keine Partei der Mitte mehr.)
Aber nach den gängigen Definitionen bin ich offenbar trotzdem ein Rassist.[2] Ich habe nämlich das Gefühl, dass in Österreich Weißsein das „Normale“, Schwarzsein das „Andere“ ist – das ist rassistisch. Ich stelle Menschen, die offenbar einen Migrationsgrund haben (oder die sich durch ihren Dialekt als Tiroler oder Steirer outen), gerne die Frage „woher kommst du?“ – das ist rassistisch. Ich bin der Meinung, dass Zuwanderer unsere Werte und Normen respektieren sollten; vor allem bin ich dagegen, dass sie bei uns Parallelgesellschaften bilden dürfen (mit Zwangsheirat, Ehrenmorden und selbsternannten Scharia-Sheriffs, die vor Kinos und Lokalen patroullieren) – das ist rassistisch. Mit anderen Worten: der durchschnittliche Österreicher, der nicht zweimal die Woche in den Wokenesskurs geht und auch sonst seine sieben Zwetschken beieinander hat, ist ein Rassist.
Es ist aber kontraproduktiv wenn man mich „Alltagsrassisten“ in einen Topf wirft mit wirklichen Rassisten. Denn wenn ich merke, dass mich linke Gutmenschen ins rechte Eck stellen, dann ist klar, dass ich diese Linken nicht wählen werde. Was bleibt dann? Kickl wählen?
Rund 1800 Menschen haben eine Petition unterschrieben, dass die Wiener Mohren-Apotheke, die wohl schon seit Jahrhunderten so heißt, ihren Namen ändert.[3] Der Kaffeeröster und Kolonialwarenhändler Julius Meinl hatte 80 Jahre lang einen Mohrenknaben mit rotem Fez als Logo. Auch hier wurde die Sprachpolizei tätig, sodass Meinl mit der Überarbeitung des Logos begann. Warum die Bezeichnung Mohr bzw. die stilisierte Darstellung eines solchen diskriminierend sein soll, kann ich nicht nachvollziehen.
Ein Mensch mit dunkler Hautfarbe, in Sonderheit einer aus Afrika, heißt seit dem Mittelalter Mohr (< lat. Maurus „Maure, Nordafrikaner“), seit dem 17. Jh. zunehmend Neger[4] (< frz. nègre „Neger“ < span./port. negro „schwarz, Neger“ < lat. niger ds.). Ersteres ist ein Ethnonym, letzteres ein deskriptiver Begriff. Warum diese Wörter diskriminierend sein sollen, verstehe ich nicht. Die wortreich behaupteten Konnotationen und angeblich inhärenten rassistischen abschätzigen Nebenbedeutungen sind mir alle unbekannt. Und sie sind nicht dem Begriff als solchen inhärent, sondern dem Denken der Menschen, die diesen Begriff abschätzig gebrauchen. Insbes. der Mohr ist ein historischer Begriff, der längst nicht mehr zum aktiven Wortschatz Deutschsprechender gehört. Wer darin eine Abwertung sieht, der will sie sehen.
Es bleibt das Problem, dass mit dem Begriff eine Menschengruppe nach ihrer Hautfarbe klassifiziert wird. Aber wieso ist das ein Problem? Dann dürfte ich Menschen auch nicht mehr nach ihrem Geschlecht klassifizieren und von Mann oder Frau sprechen. Ich habe das Gefühl, dass hier ein Scheinproblem konstruiert wird, mit dem Ziel Sprachregelungen als ethische Forderung aufstellen zu können. Die grausame Geschichte des Sklavenhandels und das Problem des historischen wie aktuellen Rassismus können wir mit Sprachge- und -verboten nicht aus der Welt schaffen. Und wer keine dunkelhäutigen Menschen mag, wird jeden Begriff zu ihrer Bezeichnung abschätzig gebrauchen.
Dass man Produktbezeichnungen wie Negerkuss (gezuckerter Eiweißschaum auf einer Waffel, mit Schokoüberzug), Negergeld (münzförmige Lakritzscheiben), Negerbrot (Schokolade mit ganzen Erdnüssen) schon vor längerer Zeit geändert hat, damit kann ich leben. Der einstige Negerkuss heißt in Österreich glücklicherweise immer schon Schwedenbombe. Hoffen wir, dass die Schweden das nicht als diskriminierend empfinden. Dass auch der Mohr im Hemd (Nusskuchen mit Schokosauce übergossen und einer Haube aus Schlagobers), nicht mehr so heißen darf, weil das angeblich eine schwere Beleidigung für Schwarze ist (für welche konkret?), stört mich schon eher.
Ich bin weit davon entfernt, mit der extremen Rechten zu sympathisieren. Aber die aufgesetzte moralische Entrüstung und künstliche Aufregung, die von der linken Reichshälfte entfacht wird, wenn irgendwo das N-Wort auftaucht, treibt Menschen in die Arme rechter Populisten.
Was ich besonders bedenklich finde, ist, dass auch historische Verwendungen in der Literatur bekämpft werden. War Wilhelm Busch ein Rassist, dessen Werk wir ächten müssen, weil er, in Unkenntnis moderner political correctness, einen Afrikaner zeichnete und einmal als „Neger“ (sonst als „Schwarzer“) bezeichnete?[5] War Astrid Lindgren eine Rassistin, weil sie Pippi Langstrumpfs Vater als „König der Neger“ bezeichnete?[6] Wie hätte man es denn anders sagen sollen? Und vor allem warum, wenn es denn nicht abwertend gemeint war? Der Verleger Klaus Willberg erhebt (im Hinblick auf die sprachliche Revision etwa der Werke Otfried Preußlers) die Forderung, „dass die Authentizität des Werks der sprachlichen Weiterentwicklung untergeordnet werden muss“.[7] Blumiger kann man Zensur gar nicht umschreiben. Wie lange darf Othello noch „der Mohr von Venedig“ heißen? Wann kommt Alois Brandstätters satirische Kurzerzählung „der 1. Neger meines Lebens“ auf den Index?
Lebensmittelhersteller müssen ihre Produkte umbennenen, weil ein Wort wie Zigeunersauce ab jetzt verboten ist. Knorr nennt seine Zigeunersauce seit 2020 Paprikasauce Ungarische Art, Kelly’s hat seine Zigeunerräder in Zirkusräder umbenannt.[8] Hofft die selbsternannte Sprachpolizei tatsächlich, dass man dann freundlicher über die Roma denkt? Schließlich sind Zigeunersauce und Zigeunermusik positiv konnotierte Begriffe. Und ausgerechnet die werden abgeschafft.
Der Begriff Zigeuner ist etymologisch ungeklärt (ob wirklich von alttürk. čigāń „arm“?). Und man hat damit zunächst (phänomenologisch) ziemlich wahllos nomadisierende Gruppen bezeichnet: fahrendes Volk jedweder Couleur, Jenische (die eine aus dem Rotwelsch hervorgegangene Sprache haben), Roma und Sinti (die offenbar beide eine indoarische Sprache sprechen). Dann wurde der Begriff (ethnisch) eingeschränkt auf Roma und Sinti, auch wenn diese sesshaft waren.[9]
Ich habe vor einigen Jahrzehnten folgendes Erlebnis gehabt: Ich war gerade in einem kleinen Supermarkt einkaufen, als eine Gruppe „zigeunerisch“ aussehender Frauen (dunkelhäutig, lange bunte Kleider, viel Schmuck) das Geschäft stürmte, sich rasch in den Gängen verteilte und sich laut rufend durch das ganze Geschäft hin in einer mir unverständlichen Sprache verständigte. Die Damen erzeugten auf diese Weise einen unangenehmen und beängstigenden Lärm. Wären es Männer gewesen, ich hätte geglaubt, der Supermarkt werde überfallen. Erlebnisse dieser Art mögen zu einer Abwehrhaltung gegenüber nomadisierenden Gruppen geführt haben. Kommunikation ist keine Einbahnstraße: beide Seiten müssen dafür Sorge tragen, dass man ihre Absichten nicht missversteht.
Das Wort Zigeuner kenne ich tatsächlich auch in einer appellativischen Bedeutung als „Herumtreiber, Mensch mit unstetem Lebenswandel“, allerdings eher liebevoll-ironisch denn abwertend. Die NS-Zeit und ihre Verwendung des Wortes habe ich nicht miterlebt. Aber das Problem war weniger das Wort an sich, als seine Verwendung durch die Nazis, oder besser gesagt: das Problem waren die Nazis. Und es hilft nichts, ein Wort zu bekämpfen. Inzwischen verwenden Rechtsextreme z.T. schon das Wort Roma und schreiben ihm dieselben Merkmale ein wie zuvor dem Zigeuner. Man muss den Antiziganismus bekämpfen. Ob die sprachliche Bevormundung der Bevölkerungsmehrheit dabei hilfreich ist?
Wie sagt man also richtig? Der umfassendste Begriff ist angeblich Roma (Mask.Pl.)[10]. In Österreich sagt man Roma und Sinti. Mein gedrucktes Lexikon unterscheidet Kale (Gitanos), Rom, Sinti.[11] Doch in einer Radiosendung erklärte ein Fachmann (?), den Sinti sei es gar nicht recht, als Sinti identifiziert zu werden. Sie würden Zigeuner bevorzugen. Es ist also eine Wissenschaft, es richtig zu machen.
Die Zirkusräder sind mir wurscht. Und ich sage von mir aus auch Roma und Sinti. Aber Zigeunermusik ist nicht nur die Musik der Roma und Sinti. Das Zigeunerschnitzel und die Zigeunersauce haben mit den Roma nicht wirklich was zu tun, die Begriffe sind aber eingebürgert (selbst der Wikipedia-Artikel dazu[12] heißt so) und und ich kann auch keine Abwertung erkennen. Neuerdings werden sie von woken Gastronomen umbenannt (Balkanschnitzel, Pusztaschnitzel o.ä.), aber kein Kunde weiß, was gemeint ist. Und wenn man nachfragt, erfährt man vermutlich: „das ist ein Zigeunerschnitzel“. Bringt das den Roma was?
Woher das Wort Eskimo stammt, weiß kein Mensch;[13] im Etymologie-Duden und im Kluge ist es gleich gar nicht enthalten. Doch laut Wikipedia möchten die Eskimos Kanadas und Grönlands (die Inuit), dass man „Inuit“ sagt. Den Eskimos Alaskas und Russlands hingegen (die keine Inuit sind) ist es lieber, man sagt weiterhin „Eskimo“; als „Inuit“ möchten sie nicht bezeichnet werden. Ohnehin werden die Sprachen dieser Völker zur Gruppe der eskimo-aleutischen Sprachen zusammengefasst. Wer weiß, dass er nur die Inuit meint, kann so sagen. Aber wer die indigenen Völker des nördlichen Polargebiets insgesamt meint, sollte wohl besser „Eskimo“ sagen. Man kann und muss es nicht allen recht machen.
Um es in einem Vergleich zu sagen: Ich bin kein Deutscher. Aber wenn jemand die Gemeinschaft der Deutschsprechenden als „Deutsche“ bezeichnet und mich darin miteingeschlossen meint, kann ich damit leben, ohne beleidigt zu sein. Man kann nicht von jedem verlangen, dass er die feinen Unterschiede kennt und korrekt benennt. (Deutsch bedeutet übrigens „Volks-, zum Volk gehörig“, s.a. Deutschland, Germany, Alemania.)
Wenn man den diversen Youtube-Videos[14] trauen darf, treibt in Deutschland die sprachliche Bevormundung vor allem durch teilweise beamtete Antidiskriminierungsbeauftragte, -gremien und -jurys seltsame Blüten. Auf der anderen Seite hat der Antisemitismus im deutschsprachigen Raum stark zugenommen. Aber bei diesem Thema sind die linken Gutmenschen ziemlich schmähstad. Was wohl daran liegen dürfte, dass die Linke traditionell propalästinisch / antiisraelisch / antisemitisch ist.
Wokeness und Gendern sind die neue Pseudomoral von Menschen, die in Wahrheit keine Moral haben. Alles ist erlaubt, außer Begriffe zu gebrauchen, die von den Wächtern der „gerechten Sprache“ geächtet wurden. Wer das N-Wort benutzt, ist reif für die Steinigung, aber Juden verunglimpfen ist, vor allem im Kontext des aktuellen Gaza-Krieges (2024), durchaus okay. Abtreibung ist angeblich ein Menschenrecht, aber wer Fleisch isst, ist ein Mörder. Das alles ist so willkürlich, dass es sich von selbst entlarvt.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 31. Juli 2024