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Eden


Die Beschäftigung mit Eden ist erwachsen aus der Auseinandersetzung mit dem Motiv des Schlaraffenlandes. Nach der Lektüre von Christian Feldmanns Die letzten Rätsel der Bibel (Gütersloh 2014), das auch dem Thema Eden ein Kapitel widmet (allerdings ganz aus der Perspektive der historisch-kritischen Exegese), habe ich beschlossen, das Thema zu vertiefen und eine eigene Seite daraus zu machen.

Quellen:

Die beiden atl. Haupttexte habe ich selbst übersetzt, gebe aber zum Vergleich die Übersetzung von Franz Eugen Schlachter, Rev. 1951, erhältlich z.B. bei  Unbound Bible. Die Nebentexte (in den Tooltips) sind ebenfalls nach Schlachters Übersetzung zitiert.

Von Eden berichtet das AT in Gen 2 und 3, insbes. 2,8-15; 3,23f. Nachdem Gott den Menschen gemacht hat, heißt es da:

2 eigene Übers. Schlachter
8 Gott JHWH pflanzte einen Garten in Eden, gegen Osten. Er setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setzte den Menschen darein, den er gemacht hatte.
9 Gott JHWH ließ wachsen aus dem Erdboden allerlei Bäume, angenehm zum Anschauen und gut zur Nahrung, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Und Gott der HERR ließ allerlei Bäume aus der Erde hervorsprossen, lieblich anzusehen und gut zur Nahrung, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.

Gott pflanzt einen Garten in Eden, das Richtung Osten liegt. Im Osten wovon? Von Palästina? Vgl. Hiobs Heimat, das Land Uz, das ebenfalls „im Osten“ (Transjordanien?) liegt (Hi 1,1.3). Vgl. die „Magier aus dem Osten“ (wohl Babylonien oder Persien) (Mt 2,1). Oder ist der Osten hier eine idealisierte Himmelsrichtung so wie im 19. Jh. Amerikas (wilder) Westen?

Zwar kann מִקֶּדֶם miq-qædæm neben „gegen/im Osten“ auch bedeuten „von Alters her, in alten Zeiten“ (z.B. Ps 74,12, Ps 77,6); daher übersetzt die Vulg. a principio „von Anfang an, anfangs“. Doch sie bleibt mit diesem Verständnis ziemlich allein; die LXX und alle mir zugänglichen neueren Übersetzungen verstehen es räumlich.

Hebr. עֵ֫דֶן ʿédæn bedeutet als Appellativum „Wonne, Lust“ o.ä. (immer im Pl.) (Ps 36,9; 2Sam 1,24; Jer 51,34). Es ist in geringfügig anderer Vokalisierung – עֶ֫דֶן ʿǼdæn – auch der Name eines von den Assyrern eroberten Gebiets (2Kön 19,12; Jes 37,12; Hes 27,23; wohl auch Am 1,5), meist identifiziert mit dem aram. Fürstentum Bît-Adini am Euphrat. Vielfach wurde ein Zusammenhang mit assyr. edinu / sumer. edin postuliert, das aber nach Delitzsch unpassenderweise „Niederung, Ebene, Steppe, Wüste“ bedeutet.

Eden ist der Name der Landschaft, des Gebietes, in dem der Garten lag, doch wurde der Name irgendwann auf den Paradiesgarten selber übertragen, sodass wir heute vom Garten Eden, d.i. der Garten namens Eden sprechen. Vgl. auch Gen 4,16; Hes 28,12f; Jes 51,3; Hes 31,9. 16. 18. 35; Jo 2,3.

Die LXX übersetzt das hebr. גַּן „Garten, Park“ (v. גנן „bedecken, beschützen“, von der schützenden Umfriedung? oder vom Schatten der Bäume?) mit griech. παράδεισος parádeisos „eingezäuntes Gebiet, Park, Lustgarten“ (seit Xenophon von den Parks der pers. Könige, < awest. pairi-daēza- „Umwallung, Ummauerung“). Von daher kommt unser Wort Paradies.

2 eigene Übers. Schlachter
10 Und ein Strom ging aus von Eden, zu bewässern den Garten. Und von dort teilte er sich und wurde zu vier Armen [wörtl.: Häuptern, Anfängen]. Und ein Strom ging aus von Eden, zu wässern den Garten; von dort aber teilte er sich und ward zu vier Hauptströmen.
11 Der Name des ersten: Pišon. Er (ist es, der) umfließt das ganze Land von Chawila, wo das Gold (ist). Der erste heißt Pison; das ist der, welcher das ganze Land Chavila umfließt, woselbst das Gold ist;
12 Und das Gold jenes Landes ist gut. Dort (gibt es) das Bedolach und den Šoham-Stein. und das Gold desselbigen Landes ist gut; dort kommt auch das Bedolach vor und der Edelstein Schoham.
13 Und der Name des zweiten Stroms: Gichon. Er (ist es, der) umfließt das ganze Land Kusch. Der zweite Strom heißt Gichon; das ist der, welcher das ganze Land Kusch umfließt.
14 Und der Name des dritten Stroms: Hiddeqel. Er (ist es, der) fließt östlich von Assur. Und der vierte Strom: er ist der Perat. Der dritte Strom heißt Hidekel; das ist der, welcher östlich von Assur fließt. Der vierte Strom ist der Euphrat.
15 Gott JHWH nahm den Menschen. Er brachte ihn in den Garten Edens, ihn zu bearbeiten und ihn zu bewahren. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bauete und bewahrete.

Assur bezeichnet hier wohl, wie auch sonst im AT, nicht die alte Reichshauptstadt, sondern die Landschaft Assyrien bzw. das Reich der Assyrer. Da sich Assyrien auch auf die Ostseite des Tigris erstreckte, wäre sinngemäß vielleich zu übersetzen: „welcher an der Ostseite Assyriens fließt“.


Schematische Darstellung der beschriebenen Geographie.

Ein Strom entspringt in Eden und teilt sich in vier Ströme. Die Gleichsetzung von פְּרָת Perat mit dem Euphrat (assyr. Purattu, apers. hUfrātav-, Ufrātu-, griech. Εὐφράτης Euphrátēs, Etymologie unklar) und von חִדֶּ֫קֶל Ḥiddǽqæl mit dem Tigris (assyr. Idiqlat, aram. דִּגְלַת Diglat, apers. Tigrā-, griech. Τίγρις /-ης Tígris /-ēs, Etymologie unklar) wird selten in Zweifel gezogen, und die Flüsse sind eindeutig zu lokalisieren.

Auffällig am Bibeltext ist, dass die Flüsse durchnumeriert werden („der erste, der zweite, der dritte, der vierte“). Ist hier eine räumliche Reihenfolge von Osten nach Westen gemeint? Dann wären Gichon und Pischon östlich des Tigris zu suchen.

כּוּשׁ Kûš ist normalerweise Nubien, das Land südlich von Assuan. Dann wäre der גִּיחוֹן Gîḥôn (v. גיח „hervorbrechen, herausquellen, sprudeln“) evt. der Oberlauf des Nil (der Nil heißt sonst im AT יְאֹר Jeʾor, zweimal auch שִׁחֹר Šiḥor / שִׁחוֹר Šiḥôr). Aber vielleicht sind mit Kusch hier die Kassiten, ein Volk aus dem Zagrosgebirge, gemeint. Gichon könnte dann der Karun sein, der längste Fluss des Iran, der im Zagros entspringt und heute in den Schatt al-Arab mündet.

Die Kassiten sind die Kašši der assyr. Texte. Die Gleichsetzung mit den Κίσσιοι Kíssioi, die von den Griechen des 5. Jh. als Bewohner der Susiana (Elam) betrachtet wurden (z.B. Aischyl.Pers. 120, Hdt. 7,62, Diod. 11,7,2), hat ebenso wie die Gleichsetzung mit den Κοσσαῖοι Kossaíoi, die meist als im Zagrosgebirge nördlich der Susiana beheimatet beschrieben sind (z.B. Diod. 17,111,4, Diod. 19,19,2, unklar Strab. 11,13,6), Gegner und Befürworter gefunden.

Nach  David Rohls Edenhypothese ist Gichon der Aras (antik Araxes), der (wie die beiden Quellflüsse des Euphrat) in Ostanatolien entspringt und der in die untere Kura mündet. Doch fehlt eine Bezeugung eines Landes Kusch in dieser Region. Der Namensklingklang mit dem nordiran. Berg Qušeh Daġ (قوشِه داغ) ist da zu wenig.

Das Land חֲוִילָה awîlâ (wohl v. חוֺל ḥôl „Sand“) bildete nach Gen 25,18 den (Ost-? Süd-?)Rand des Aktionsraums der Ismaeliter, nach 1Sam 15,7 der Amalekiter. Jericke lokalisiert es daher im Süden der arab. Halbinsel. Der Name kommt in der  Völkertafel einmal als Nachkomme Hams (Sohn Kuschs, Gen 10,7), einmal als Nachkomme Sems (Sohn Joktans, Gen 10,29) vor. Das erklärt Jericke damit, dass Chawila Gebiete östlich (Arabien, Sem) und westlich (Ostafrika, Ham) des Roten Meeres umfasste. Nach Riehms Handwörterbuch bezeichnete Chawila ein Land mit unbestimmter Erstreckung bis in den äußersten Südosten, so dass wir auch Indien mitdenken müssen, von welchem Land die Israeliten wohl nur undeutliche Kunde hatten.

In dem Land gibt es Gold, Bedolach und Šohamstein. בְּדֹ֫לַח bedólaḥ ist nach der Standardauslegung Bdellium, das Harz des Balsambaums. Die LXX allerdings übersetzt das Wort hier mit ἄνθραξ ánthrax „Kohle, Karfunkel“ (gemeint wohl ein dunkelfarbiger Edelstein, vgl. Ex 28,18 LXX), in Num 11,7 hingegen mit κρύσταλλος krýstallos „Bergkristall“, denkt also an einen Edelstein.
שֹׁ֫הַם šóham ist ein wertvoller Stein, er wird z.B. am hohepriesterlichen Brustschild verwendet (s. Die Edelsteine am hohepriesterlichen Brustschild: 11). Die LXX übersetzt hier mit ὁ λίθος ὁ πράσινος ho líthos ho prásinos „der (!) grüne Stein“. Vielleicht ist der Smaragd gemeint. Die Übersetzer denken eher an Karneol (Einheitsübersetzung, Gute Nachricht) oder Onyx (Luther 1545, rev. Elberfelder in der Anmerkung, King James, English Standard Version). Diese Produkte geben leider wenig Anhaltspunkte für die Bestimmung des Landes Chawila.


Der mutmaßliche geographische Gesichtskreis des AT in der Königszeit. Ob man von den Strömen, die ins Schwarze und Kaspische Meer münden, Kenntnis hatte, vermag ich nicht zu beurteilen. Von Italien schien man noch nichts zu wissen. Aber Tartessos (Taršiš) an der Südküste der Iberischen Halbinsel war wohl schon bekannt.– Verkleinerter Ausschnitt aus der Karte  Physical Map of Europe, Western Asia and Northern Africa aus dem Historical Atlas von William R. Shepherd (1926).– Lizenz: Gemeinfrei.– Quelle: Perry-Castañeda Library Map Collection (Courtesy of the University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin).

Für den פִּישׁוֹן Pîšôn (v. פושׁ „springen“) gibt es zwar zahlreiche Identifizierungen, aber keine ist wirklich überzeugend. Der Indus ist wohl doch zu weit entfernt, um noch im Gesichtskreis Palästinas zu liegen (vom Ganges ganz zu schweigen). Der Phasis der Griechen (heute Rioni), der an der Ostseite des Schwarzen Meers in selbiges mündet, böte zwar einen Namensanklang, ist aber doch zu unbedeutend (er ist nur unwesentlich länger als die Isar, aber deutlich kürzer als z.B. der Inn) und liegt viel zu weit im Norden. Zu weit im Norden ist m.E. auch die Kura (der Kyros der Griechen), die durch Tiflis fließt und ins Kaspische Meer mündet.

Die Versuche, Eden in der realen Geographie zu verorten, sind zahlreich, aber m.E. zum Scheitern verurteilt. Denn hier wird nicht eine reale Geographie beschrieben (Euphrat und Tigris haben keine gemeinsame Quelle), sondern eine idealisierte. In der Antike war die Herkunft großer Ströme unbekannt. Selbst die alten Ägypter hatten keine Ahnung, wo der Nil entspringt. Sein Ursprung wurde erst im 19. Jh. geklärt. Griechen und Römer bezeichneten Ober- und Unterlauf der Donau mit verschiedenen Namen (lat. Danuvius bzw. Hister), vermutlich weil man lange Zeit nicht wußte, dass es sich um ein und denselben Strom handelte. So konnte man trefflich spekulieren, dass bekannte große Ströme wie Euphrat, Tigris, Nil einen gemeinsamen Ursprung haben, nämlich das Land, von dem der Mensch seinen Ausgang nahm.

Dass Euphrat und Tigris keine gemeinsame Quelle haben, wusste vielleicht Salmanassar III. in der Mitte des 9. Jh., wie der Assyriologe Delitzsch betont (S. 24f), aber noch nicht der Jahwist bzw. seine literarischen Vorlagen. Delitzsch verortet Eden in Mesopotamien, er setzt den Pischon gleich mit dem Pallakopas (griech. Παλλακόπας), den Gichon mit dem Schatt en-Nil, beides antike Euphratkanäle (S. 68ff).


Allegorie des Nil an der Fontana dei Quattro Fiumi (1651). Er verhüllt sein Haupt vermutlich deswegen, weil zu Berninis Zeit seine Quelle noch unbekannt war.– Verkleinerter Ausschnitt aus einem  Foto von Carlo Morino (2005).– Lizenz: Gemeinfrei.– Quelle:  Wikimedia.

Eden ist ein ideales Land, in dem die vier großen Ströme ihren Ursprung haben - welche auch immer, die Zahl vier korrespondiert mit den vier Himmelsrichtungen. Man denke an Berninis Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona in Rom, der pro Kontinent einen großen Strom allegorisch darstellt: Donau (Europa), Nil (Afrika), Ganges (Asien) und Río de la Plata (Amerika).

3 eigene Übers. Schlachter
23 Gott JHWH schickte ihn weg aus dem Garten Edens, zu bearbeiten den Erdboden, von wo er genommen worden war. Deswegen schickte ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war.
24 Er vertrieb den Menschen. Er ließ lagern östlich vom Garten Edens die Keruben und die Flamme des sich wendenden [=zuckenden? blitzenden?] Schwertes, zu bewachen den Weg zum Baum des Lebens. Und er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Cherubim lagern mit dem gezückten flammenden Schwert, zu bewahren den Weg zum Baume des Lebens.

Der Mensch hat, obwohl Gott es verboten hatte, vom Baum der Erkenntnis gegessen und wird aus dem Paradies verwiesen. Der Eingang (der anscheinend auf der Ostseite des Gartens liegt) wird von Engeln mit/und Flammenschwertern (?) bewacht. Es gibt keinen Weg zurück.

Erst in der Vertreibung aus Eden wird erkennbar, worin das Paradiesische bestanden hat: neben der unmittelbaren Gemeinschaft mit dem Schöpfer war dies vor allem die Abwesenheit von mühseliger Arbeit, Schmerz und Tod.

Die Paradiesesgeschichte erinnert entfernt an die antike Erzählung vom Goldenen Zeitalter. Sie erklärt (u.a.), warum Mühsal und Schmerz Teil der conditio humana sind. Ob sich in der Vertreibung aus dem Paradies ein Erinnerungsrest an die Umbrüche der Neolithisierung (Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht, Sesshaftwerdung) spiegelt und ob sich darin auch Erinnerung an die Geographie der Gegend, von der diese Neolithisierung ihren Ausgang nahm (etwa Nordsyrien), erhalten hat, muss Spekulation bleiben.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 21. März 2020