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Junia oder Junias?
Das Thema ist eigentlich ziemlich ausgelutscht. Warum ich es
trotzdem wieder aufs Tapet bringe: im letzten Treffen unseres Hauskreises
hat der Pfarrer behauptet, die spätere Kirche habe hier den Text verfälscht
und aus der Apostelin einen Mann gemacht. Und das ist so nicht richtig.
Als homo privatus habe ich keinen einfachen Zugriff auf die aktuellsten
theologischen Nachschlagewerke. Ich zitiere daher häufig aus frei im Internet
verfügbaren Quellen, die meist älteren Datums sind.
Das letzte Kapitel des Römerbriefs enthält eine lange Grußliste. Unter den Grüßen, um deren Ausrichtung Paulus bittet, ist auch der folgende (Röm 16,7):
ἀσπάσασθε Ἀνδρόνικον καὶ Ἰουνίαν τοὺς συγγενεῖς μου καὶ συναιχμαλώτους μου, οἵτινές εἰσιν ἐπίσημοι ἐν τοῖς ἀποστόλοις, οἳ καὶ πρὸ ἐμοῦ γέγοναν ἐν Χριστῷ. Grüßt Andronikos und Junia(s), meine Verwandten (d.h. Volksgenossen?) und meine Mitgefangenen, die angesehen sind bei (oder: herausragend unter) den Aposteln, und die vor mir in Christus gewesen sind. Text nach: Novum Testamentum Graece. Begr. v. Eberhard u. Erwin Nestle. Hrsg. v. Barbara u. Kurt Aland u.a. 28. Aufl.– Stuttgart: 2012.
Online auf bibelwissenschaft.de: Röm 16,7 / NA28
Die Lesart Ἰουλίαν statt Ἰουνίαν ist wohl aus V. 15 eingedrungen, wo es heißt: ἀσπάσασθε Φιλόλογον καὶ Ἰουλίαν „grüßt Philologos und Julia“. Umgekehrt haben einige Hss. in V. 15 Ἰουνίαν statt Ἰουλίαν.
Luther hat den zweiten Eigennamen dieses Grußauftrags (in seiner Ausg. letzter Hand, 1545) wiedergegeben mit „den Junian“ (wie er auch sonst Akkusative lat.-griech. Namen mit ihrer fremdsprachlichen Endung wiedergibt, vgl. „was Christum treibet“). Die Rev. Ausg. 1912 machte daraus „den Junias“; in der Rev. Ausg. 1984 steht „Junias“ (ohne Artikel). So übersetzen auch Schlachter 1951 und Schlachter 2000, Menge, Gute Nachricht 1991, Rev. Elberfelder 2001 (mit Fußnote „o. Junia“), Einheitsübersetzung 2006.
Die King-James-Übersetzung hat hingegen „Junia“, ebenso Gute Nachricht rev. 2000, English Standard Version (mit Fußnote), New International Version, Zürcher Bibel, Neue Genfer Übersetzung und wohl die Mehrzahl der neueren Versionen. Manche sehen hier also einen Mann namens Junias, andere eine Frau namens Junia.
Ältere Bibellexika verschweigen zwar meist nicht die Uneindeutigkeit der Namensform, halten es aber für ziemlich wahrscheinlich, dass ein Mann gemeint ist:
Erst die neuere Auslegung ist hier umgeschwenkt und zieht es meist vor, den Namen als den einer Frau zu verstehen.
Faktum ist: Ἰουνίαν Iounían ist Akkusativ der ā-Stämme mit Alpha purum, entweder
(S. meine Altgriech. Grammatik, Subst. d. a-Dekl., Musterwörter νεανίᾱς bzw. φιλίᾱ).
Klassische maskuline Namen, die dieser Deklination auf -ίας angehören – in aller Regel hypokoristische Kurznamen (Koseformen) – sind u.a.:
Ältere Ausgaben von Nestle/Aland hatten noch Ἰουνιᾶν Iounián akzentuiert. Erwin Nestle ging offenbar davon aus, dass der Name maskulin ist (das war auch bei älteren Herausgebern wie Weiß keine Frage) und dass er als Kontraktionsform analog zu Namen wie Κλωπᾶς Klōpás (Gen. -ᾶ), Ἐπαφρᾶς Epaphrás u.ä. auf der Ultima (der letzten Silbe) zu betonen sei. Das hatte schon Richard Bentley vorgeschlagen: „Ἰουνίαν […] An scribendum Ἰουνιᾶν? id est, ‘Junianum’ […]“ (Ἰουνίαν […] Oder muss man Ἰουνιᾶν schreiben? Das heißt ‚(den) Junianus‘ […]).
Der Apparat der UBS3 behauptet: „Ἰουνιᾶν ℵ A B C D […]“ Das kann sich aber nur auf den Buchstabentext beziehen, denn, wie die Abbildungen zeigen, haben ℵ und A überhaupt keine Akzente, B wurde im Mittelalter mit Akzenten versehen und hat Ἰουνίαν.
Es ist jedoch irreführend, wenn behauptet wird, Iounían sei feminin, Iounián hingegen maskulin.
Das ist in dieser Verkürzung falsch. Der Akzent hat mit dem Geschlecht nichts zu tun. Die mit Zirkumflex endbetonten Formen dieser Deklination sind ursprl. Kontraktionsformen:
Von da aus wird das -ᾶς schließlich als Vertretung für Kürzungen allgemein verwendet: Λουκᾶς Lukás für Λούκιος, Τροφᾶς Trophás für Τρόφιμος usw.
Bei der endbetonten Variante Ἰουνιᾶν muss der Nominativ mask. Ἰουνιᾶς oder fem. Ἰουνιᾶ lauten. Man mag die Existenz des letzteren neben der belegten Form Ἰουνία zu Recht für höchst unwahrscheinlich halten. Aber über das Geschlecht sagt der Akzent nichts. Der Unterschied zwischen Ἰουνίας und Ἰουνιᾶς: ersteres ist eine Kurzform, letzteres eine Kontraktionsform. (Namen wie Θωμᾶς Thōmás, Κηφᾶς Kēphás u.a. verdanken die Betonung natürlich ihrer aramäischen Herkunft.)
Die Textausgaben von Tischendorf, Westcott/Hort, Weiß und Eberhard Nestle haben alle Ἰουνίαν. Das hinderte nicht, in dem Namen ein Maskulinum zu sehen, s. etwa die Anmerkung zur Stelle bei Weiß:
συγγ.) wie 9, 3, bezeichnet, wie v. 11 den Herodion, den Andronicus und Junias als seine Volksgenossen […]. Sie waren […] rühmlichst bekannt unter den Uraposteln […].
Auch bei Silas schreiben (z.B. Apg. 16,25) Nestle/Aland Σιλᾶς, während bei den übrigen Herausgebern die Schreibweise Σίλας vorherrscht. Letztere findet sich sowohl in den NT-Ausgaben von Tischendorf, Westcott/Hort, Weiß und Eb. Nestle, als auch in der Josephusausgabe von Niese (z.B. der Tyrann von Lysias, Jos. ant. 14,40 [=14,3,2]; der Befehlshaber von Tiberias, Jos. vit. 89f [=17]; u.a.).
Etwas verblüfft war ich, als ich im Kapitolinischen Museum auf den Grabstein der Ἀμμιάς (so der Akzent bei Pape/Benseler), einer Jüdin aus Laodicea, gestoßen bin. Hier kann es sich nur um einen Dentalstamm handeln (Gen. Ἀμμιάδος, wie φυγάς, φυγάδος, s. Altgriech. Grammatik, Subst. d. Kons. Dekl., Mutastämme, Musterwort ἐλπίς). S. z.B. die Grabinschrift des Apollonios für seine Frau Ammias und sich selbst (TAM V 2, 832): Ἀμμιάδι τῇ [...] γυναικί. Daneben gibt es auch die Form Ἀμμία (z.B. Anth. Pal. 7,333 oder der Grabstein der Ἀμμία Ἀσκληπιάδου, vermutl. aus Paros, 2./3. Jh.).
Der Name Junias ist wohl einer der im Hellenismus so beliebten Kurznamen, in diesem Fall für Junianus. Vgl. Silas für Silvanus, Lukas für Lucius, Epaphras für Epaphroditos u.ä. Gegen die endbetonte Kontraktionsform Ἰουνιᾶς spricht allerdings das Iota, man würde Ἰουνᾶς Iounás erwarten. Auf Junius kann man den Namen (wie von Dangendorf behauptet) m.E. nicht zurückführen, das kann auf Griech. nur Ἰούνιος Ioúnios, Akk. Ἰούνιον Ioúnion, heißen.
Wolters schlägt vor, Ἰουνίας als Gräzisierung des hebr. יְחֻנִּיָּה(וּ) Jeḥunnījâ(hû) aufzufassen. Für Ἰου- = hebr. Jehu- verweist er auf das Beispiel Ἰούδας Ioúdas = יְהוּדָה Jehûdâ. Für -ίας = hebr. -î/-jâ/-jāhû verweist er auf zahlreiche Namen in LXX und NT (unter letzteren etwa Ηλίας Elia(s), Ζαχαρίας Zacharias, Ιερεμίας Jeremia(s)).
Richtig ist, dass der Name Junias außer in der Römerbriefstelle und den frühchristlichen Texten, die auf sie Bezug nehmen, offenbar nicht bezeugt ist. Junia hingegen war als Frauenname in der gens Iunia unausweichlich und ist auch belegt: z.B. Iunia Tertia, Gattin des Caesarmörders C. Cassius (Plut. Brut. 7,1; über ihr Leichenbegängnis berichtet Tac. ann. 3,76). Allerdings hat ein argumentum e silentio keine große Beweiskraft (s. War Jesus verheiratet?). Wolters weist darauf hin, dass dass viele der Namen der LXX und einige des NT (z.B. Χουζᾶς Chouzás Lk 8,3; Κλωπᾶς Klōpás Joh 19,25) hapax legomena sind.
Unsere Junia war allerdings Jüdin, kann also nicht aus der gens Iunia gebürtig sein. Vielleicht war sie Freigelassene eines Iunius. Vielleicht aber handelt es sich um einen griech.-lat. Zweitnamen, wie ihn Juden im hellenistischen Umfeld öfters trugen. Prominentes ntl. Beispiel: der jüdische Schriftgelehrte שָׁאוּל Šāʾûl (gräzisiert Saulos) hatte den lat. Namen Paulus.
Unter den frühen Übersetzungen ist die Vulgata ebenso mehrdeutig wie das griech. Original:
salutate Andronicum et Iuniam Grüßt Andronikos und Junia(s) Text nach: Novum Testamentum Graece et Latine. Hrsg. v. Eberhard Nestle. Neu bearb. v. Erwin Nestle u. Kurt Aland. 22. Aufl.– London: United Bible Soc., 1963/69.
Online auf bibelwissenschaft.de: Röm 16,7 / Vulg. ed. Weber/Gryson
Vgl. dazu die Wiedergabe des griech. Namens etwa bei:
Das Lat. kennt bei griech. a-Stämmen neben dem regelgemäßen Akkusativ auf -am auch den griech. Akkusativ auf -ān, z.B. Aenēam (Liv. 1,1,4) neben Aenēān (Verg. Aen. 1,631). Einen Rückschluss auf das Geschlecht lässt das m.E. nicht zu. Vgl. Ov. met. 4,757 Andromedān (Nom. Andromeda), aber 11,162 Midān (Nom. Midās) u.a.m.
Die Peschitta nennt, da das Syrische keine Kasusflexion hat, die Gegrüßten in der dem griech. Nominativ entsprechenden Form:
ܫܰܐܠܘ ܒ݁ܰܫܠܳܡܳܐ ܕ݁ܰܐܢܕ݁ܪܳܘܢܺܝܩܳܘܣ ܘܰܕ݂ܝܽܘܢܺܝܰܐ šal bašlāmā danderāwnīqāws wadjūnīa Fragt nach dem Wohlergehen von Andronikos und von Junia (d.h. grüßt sie) Text und Transkription nach dem UBS-Text aufDukhrana Biblical Research
Das sieht sehr nach einem Frauennamen aus; es muss aber keiner sein. Die Lexikographen des Syrischen hatten kein Problem, darin einen Männernamen zu sehen. Aber natürlich gaben sie nur die zu ihrer Zeit herrschende Ansicht über Röm 16,7 wieder:
Dasselbe gilt für das Sahidische. Leider habe ich kein Wörterbuch gefunden, das den Namen enthält:
ϢⲒⲚⲈ ⲈⲀⲚⲆⲢⲞⲚⲒⲔⲞⲤ ⲘⲚ̅ ⲒⲞⲨⲚⲒⲀ Grüßt Andronikos und Junia Text nach: Horner, George William: The Coptic Version of the New Testament in the Southern Dialect otherwise called Sahidic and Thebaic. Bd. 4.– Oxford: Clarendon, 1920. (Röm 16,7 auf S. 154)
Das Bohairische liest ⲒⲞⲨⲖⲒⲀ Ioulia.
Die syrische und die sahidische Übersetzung haben den Namen also wahrscheinlich (wenn auch nicht notwendigerweise) als Frauennamen verstanden.
Umstritten ist auch, ob Paulus Andronikos und Junia(s) unter die Apostel rechnet („herausragend unter den Aposteln“), oder ob er nur sagen will, dass sie im Kreise der Apostel Anerkennung genießen („bekannt bei den Aposteln“), aber nicht als solche zu betrachen sind.
Beide Auffassungen sind vom griechischen Text her möglich. ἐπίσημος bedeutet wörtlich „gekennzeichnet“, dann je nach Kontext „ausgezeichnet, hervorstechend, herausragend“ oder „bekannt, berüchtigt“. In letzterem Sinn wird es in Mt 27,16 von Barabbas gesagt: εἶχον […] δέσμιον ἐπίσημον „sie hatten […] einen berüchtigten Gefangenen“.
Als Beispiel für die inklusive Bedeutung (der ἐπίσημος gehört selber zum mit ἐν genannten Kreis) sei Lukian, Dial. mort. 27,2 [438] zitiert:
καὶ ἄλλοι μὲν πολλοὶ συγκατέβαινον ἡμῖν, ἐν αὐτοῖς δὲ ἐπίσημοι Ἰσμηνόδωρός τε ὁ πλούσιος ὁ ἡμέτερος καὶ Ἀρσάκης ὁ Μηδίας ὕπαρχος καὶ Ὀροίτης ὁ Ἀρμένιος. Zwar stiegen auch viele andere mit uns hinunter, unter ihnen herausragend [waren] aber Ismenodor, unser reicher Landsmann, Arsakes, der Satrap Mediens, und Oroites, der Armenier. Griech. Text nach: Lucianus Samosatensis. Hrsg. v. Franz Fritzsch. Bd. 3, T. 2.– Rostock: Werther, 1882 (Archive.org)
Als Beispiel für die exklusive Bedeutung diene Eur. Hipp. 103, wo ein Diener zu Hippolytos über die von diesem verschmähte Göttin Kypris/Aphrodite sagt:
σεμνή γε μέντοι κἀπίσημος ἐν βροτοῖς. Ehrwürdig aber [ist sie] und berühmt bei Sterblichen. Griech Text nach: Euripides. With an Engl. transl. by Arthur S. Way. Bd. 4.– London: Heinemann, 1946 (The Loeb Class. Libr.) (Archive.org)
S. die sprachliche Anmerkung zum Vers in der
Ausg.
v. Andrew u. John M. Duncan, 1821 (hier gezählt als V. 102).
Sprachlich ähnlich gelagerte exklusive Wendungen liegen vor in:
Röm 1,19 διότι τὸ γνωστὸν τοῦ θεοῦ φανερόν ἐστιν ἐν αὐτοῖς „Denn was man von
Gott erkennen kann, ist bei ihnen bekannt/offenkundig“
Mk 6,4 οὐκ ἔστιν προφήτης ἄτιμος εἰ μὴ […] ἐν τοῖς συγγενεῦσιν αὐτοῦ […]
„Ein Prophet ist nicht verachtet außer […] bei seinen Verwandten […]“
Der Streit zwischen Burer/Wallace und Belleville ist ziemlich sinnlos. Denn welche Bedeutung die Wendung an unserer Stelle hat hat, kann nicht über die Statistik entschieden werden, sondern nur über den Kontext. Und der Kontext schließt hier keine der beiden Verständnismöglichkeiten aus.
Wie „herausragend unter den Aposteln“ können Andronikus und Junia(s) allerdings gewesen sein, wenn wie über sie nichts weiter wissen? So argumentiert etwa T. Zahn in seinem Römerbriefkommentar (S. 608). Es ist nicht auszuschließen, dass Paulus auch Frauen zu den Aposteln gerechnet hat (welches Verständnis von Apostolizität auch immer ihm dabei vorschwebte); aber aus dieser Stelle allein kann es nicht geschlossen werden, dazu ist die Formulierung zu vage.
Richtig ist sicher auch, dass die frühe Kirche kein Problem damit hatte, auch eine Frau „angesehen/herausragend unter den Aposteln“ sein zu lassen. Die frühchristlichen Schriftsteller haben hier offenbar eine Frau gesehen. Die Lateiner unter ihnen haben meist Julia gelesen:
Βαβαὶ, πόση τῆς γυναικὸς ταύτης ἡ φιλοσοφία, ὡς καὶ τῆς τῶν ἀποστόλων ἀξιωθῆναι προσηγορίας. | Ach, wie groß (war) die Weisheit dieser Frau, dass sie auch der Anrede der Apostel [d.h. wohl des Aposteltitels] für würdig erachtet wurde.“ |
Griech. Text nach Migne PG Bd. 60 Sp. 670 (Archive.org)
Aut certe ita, quod nobilis et ipse sit in apostolis, ut Andronicus et Julia, de quibus ad Romanos scribitur: Salutate Andronicum, et Juliam cognatos, et concaptivos meos, qui sunt nobiles in apostolis, qui et ante me fuerunt in Christo Jesu. | Oder sicher so, weil er auch selbst bekannt ist bei den Aposteln, wie Andronikus und Julia, über die [im Brief] an die Römer geschrieben wird: Grüsst Andronikus und Julia, meine Verwandten und Mitgefangenen, die bekannt sind bei den Aposteln und die vor mir in Christus Jesus waren. |
Lat. Text nach Migne PL Bd. 26 Sp. 617f (Google Books)
Salutate Andronicum et Juliam […]. | Grüßt Andronikus und Julia […]. |
Lat. Text nach Migne PL 17 Sp. 188 (Archive.org)
Die Befürworter der Lesart Junias nennen vor allem Origenes, dessen Römerbriefkommentar allerdings nur in der lat. Übersetzung des Rufinus erhalten ist, und Epiphanias als Zeugen.
Salutate Herodionem cognatum meum. Et hic, similiter ut Andronicus et Junias, cognatus Pauli dicitur […]. | Grüßt Herodion, meinen Verwandten. Auch dieser wird, ähnlich wie Andronikus und Junias, Verwandter des Paulus genannt […]. |
Lat. Text nach Migne PG 14 Sp. 1281 (Google Books)
Aut si quis haec non tali quadam tropologia patitur explanari, exponat nobis quomodo Timotheus, et Lucius, et Jason, et Sosipater longe diversarum non solum urbium, sed et provinciarum cives, Paulo secundum carnem cognati et consanguinei esse potuerunt: et non solum isti, sed et Andronicus, et Junias, et Herodion, quos omnes et cognatos suos, et concaptivos appellat. | Oder wenn jemand dies nicht auf eine solche, gewissermaßen bildliche Weise erklärt werden lässt, soll er uns darlegen, wie Timotheus, Lucius, Jason und Sosipater, Bürger nicht nur von ganz verschiedenen Städten, sondern sogar Provinzen, mit Paulus dem Fleisch nach verwandt und verschwistert sein konnten; und nicht nur sie, sondern auch Andronikus, Junias und Herodion, die er alle als seine Verwandten und Mitgefangenen bezeichnet. |
Lat. Text nach Migne PG 14 Sp. 1289 (Google Books)
ξδʹ. Ἰουνίας, οὗ καὶ αὐτοῦ ὁ Παῦλος μέμνηται, ἐπίσκοπος Ἀπαμείας τῆς Συρίας ἐγένετο. | 64. Junias, den auch Paulus erwähnt, wurde Bischof von Apameia in Syrien. |
Bei Migne nicht gefunden, daher zitiert nach einem PDF bei Ελληνική Πατρολογία
Allerdings soll Mignes Rufinustext nicht auf den besten Handschriften beruhen, die besseren haben laut Epp Junia (leider ist mir die Textausgabe von Hammond Bammel nicht zugänglich). Und Epiphanias macht aus Priska einen Priskas. Deshalb wird, wohl zu Recht, bezweifelt, dass Epiphanias echte Kenntnisse hatte. Dieses Verdikt gilt aber für alle Kirchenväter! Auch ein Johannes Chrysostomos gibt nur seine persönliche Interpretation zum besten und nicht etwa ihm zu Gebote stehende historische Nachrichten.
Die „Ehre“, Junia als erster eindeutig zum Mann gemacht zu haben, gebührt nach den unten zitierten Aufsätzen Aegidius Romanus (13./14. Jh., in der englischsprachigen Literatur Giles of Rome genannt).
Ein ähnlicher Fall liegt in Kol 4,15 vor:
ἀσπάσασθε τοὺς ἐν Λαοδικείᾳ ἀδελφοὺς καὶ Νύμφαν καὶ τὴν κατ’ οἶκον αὐτῆς ἐκκλησίαν. Grüßt die Brüder in Laodizea und Nympha und die Gemeinde in ihrem [fem.] Haus.
So die Lesart des Vaticanus. Tischendorfs NT hat nach dem Bezae Cantabrigiensis: Νυμφᾶν - οἶκον αὐτοῦ „Nymphas […] seinem Haus“. Sinaiticus und Alexandrinus lesen οἶκον αὐτῶν „ihrem [Mehrzahl] Haus“. Im Unterschied zu Röm 16,7 geht es hier also auch um unterschiedliche Lesarten.
Mask. Νύμφας oder Νυμφᾶς ist Kurzform für Νυμφόδωρος Nymphódōros o.ä. Das Femininum Νύμφα Nýmpha ist die dorische Form des klassischen νύμφη nýmphē „Braut, junge Frau“ (z.B. Offb 22,17). Diese Namensform möglicherweise in Theokr. 8,93. Wie wahrscheinlich eine dorische Namensform im 1. Jh. n.Chr. ist, ist mir fraglich. Jedenfalls hat man hier der Lesart des Vaticanus den Vorzug gegeben.
Ockhams Rasiermesser: sprachlich am einfachsten ist es wohl, den lat. Frauennamen Junia zu lesen. Andronikos und Junia waren dann wie Aquila und Priska ein judenchristliches (Ehe-? Geschwister-?)Paar, das missionarisch tätig war. Ob man diese Tätigkeit apostolisch nennen kann, führt hier zu weit.
Worum es mir bei dem Thema geht: die Interpretation des Ἰουνίαν als Männername Junias ist sowohl sprachlich als auch sachlich genauso möglich wie die als Frauenname Junia – auch wenn feministische Exeget(inn)en noch so oft das Gegenteil behaupten. Wofür man sich entscheidet, ist weitgehend eine Frage des persönlichen Geschmacks und hängt auch von den theologischen Folgewirkungen ab. Wer also gegen Frauenordination ist, wird den Anfängen wehren wollen (vielleicht im wahrsten Sinn des Wortes) und die Lesart als Junias bevorzugen. Für Feministen hingegen kommt nichts anderes als die Apostelin Junia in Betracht. Verfälscht, wie von feministischen Verschwörungstheoretikern gern behauptet, wurde gar nichts. Dass man sich viele Jahrhunderte lang nichts anderes vorstellen konnte als einen Mann namens Junias, zeigt die Zeitbezogenheit von Exegese. Wenn aber die Vertreter der modernen historisch-kritischen und feministischen Exegese allen Ernstes meinen, ihre Sichtweisen seien von dieser Zeitbezogenheit unberührt, seien also für alle Zukunft gültig, dann sind sie auf gut österreichisch wo ang'rennt. Denn gerade die Junia-Diskussion ist im Kontext der feministischen Exegese aufgekommen. Und wenn die nicht ideologisch motiviert ist, was dann?
Und zum Schluss sei mir gestattet anzumerken, dass manche Theologen ihr Griechisch verbessern müssen. Bei dieser Frage mitzudiskutieren, obwohl man die griech. Akzentregeln nicht beherrscht, ist ein wenig, wie als Blinder über die Farbe zu reden.
Weitere Literatur:
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 6. Juni 2022