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Salomes Tanz


Unter welchen Umständen ist Johannes der Täufer zu Tode gekommen? Das LkEv berichtet nur, dass der Tetrarch Herodes (Antipas) den Johannes ins Gefängnis werfen lässt, da er von ihm getadelt worden ist „hinsichtlich Herodias', der Frau seines Bruders, und hinsichtlich all des Bösen, das er getan hatte“ (περὶ Ἡρῳδιάδος τῆς γυναικὸς τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ καὶ περὶ πάντων ὧν ἐποίησεν πονηρῶν) (3,19). Später lässt er Herodes sagen: „Johannes habe ich enthauptet.“ (Ἰωάννην ἐγὼ ἀπεκεφάλισα) (9,9).

Ausführlicher erzählen Mk 6,14-29 und Mt 14,1-12. Mk und Mt reduzieren den Grund für die Festnahme des Johannes auf den Tadel bezüglich der Herodias: „es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben“ (οὐκ ἔξεστίν σοι ἔχειν τὴν γυναῖκα τοῦ ἀδελφοῦ σου) (Mk 6,18; Mt 14,4). Dieser Bruder wird bei Mk und Mt Philippos genannt. Johannes' Kritik bezieht sich wohl auf das Verbot, „die Scham der Frau des Bruders zu entblößen“ (Lev 18,16), d.h. (zu Lebzeiten des Bruders?) eine Ehe mit der Schwägerin einzugehen. (Ausgenommen davon war nur Fall, dass der Bruder gestorben war, ohne einen Sohn gezeugt zu haben, Dtn 25,5f.)

Herodes' Familienverhältnisse

Nach Josephus scheinen diejenigen Söhne Herodes' des Großen, die nicht von ihrem Vater hingerichtet wurden (Alexander, Aristobulos, Antipatros), alle Herodes geheißen zu haben. Fraglich ist, ob sie wirklich so hießen oder ob nicht der eine oder andere sich den Namen Herodes nur beigelegt hat, um seinen Herrschaftsanspruch als Sohn des Königs zu untermauern.

  1. Herodes II. (ca. 27?22? v.Chr.-33/34 n.Chr.), Sohn der Mariamne II., von der Wissenschaft nach seinem Urgroßvater mütterlicherseits meist Herodes Boëthos genannt. Er ging als einziger bei der Aufteilung des Herrschaftsbereiches seines Vaters leer aus und scheint auch gar kein Interesse am Herrschen gehabt zu haben. Er wird daher auch Herodes „Ohneland“ genannt.
  2. Herodes Philippos (ca. 26 v.Chr.-34 n.Chr.), Sohn der Kleopatra, Tetrarch von Ituräa und Trachonitis. Es ist aber anscheinend umstritten, ob er den Namen Herodes getragen hat. Das NT erwähnt ihn nur einmal (Lk 3,1), und da heißt er Philippos.
  3. Herodes Archelaos (ca. 23 v.Chr.-18 n.Chr.), Sohn der Malthake, Ethnarch von Judäa, Samaria und Idumäa. 6 n.Chr. von Augustus abgesetzt und nach Gallien verbannt. Er wird Mt 2,22 Archelaos genannt.
  4. Herodes Antipas (ca. 20 v.Chr.-nach 39 n.Chr.), Sohn der Malthake, Tetrarch von Gallien und Peräa, Landesherr Jesu zur Zeit seines öffentlichen Wirkens. Vom NT stets nur Herodes genannt, bei Mk ungenau als König bezeichnet. 39 n.Chr. nach Gallien verbannt.

In Apg 12,1. 19-24 kommt ein weiterer Herodes vor: Herodes Agrippa I. (10 v.Chr.-44 n.Chr.), Sohn des wegen Hochverrats hingerichteten Herodessohnes Aristobulos. Dieser Aristobulos (um 35-7 v.Chr.), Sohn der Hasmonäerin Mariamne I., hatte auch eine Tochter: Herodias (8 v.Chr.-nach 39 n.Chr.).

Herodias, eine Enkelin Herodes' des Großen, wird mit ihrem Onkel Herodes „Ohneland“ verheiratet. Doch scheint dieser als Privatmann seiner ehrgeizigen Frau nicht den Luxus und die gesellschaftliche Stellung geboten zu haben, die sie sich gewünscht hat. Als sich daher ein anderer Onkel, der Tetrarch Herodes Antipas, in sie verliebt, geht sie auf seine Avancen ein und wird seine Frau. (Dies ist im Sinne jesuanischer Ethik ein zweifacher Ehebruch, s. Mk 10,11f; wobei der Fall, dass eine Frau ihren Mann verlässt, im mosaischen Gesetz gar nicht vorgesehen ist, aber hellenistischer Lebensrealität entspricht.)

Ios. ant.Iud. 18,136 (18,5,4) (gr. ed. Niese, gr.-engl. ed. Feldman):

Ἡρωδιὰς δὲ αὐτῶν ἡ ἀδελφὴ γίνεται Ἡρώδῃ Ἡρώδου τοῦ μεγάλου παιδὶ γεγονότι ἐκ Μαριάμμης τῆς τοῦ Σίμωνος τοῦ ἀρχιερέως, καὶ αὐτοῖς Σαλώμη γίνεται, μεθ’ ἧς τὰς γονὰς Ἡρωδιὰς ἐπὶ συγχύσει φρονήσασα τῶν πατρίων Ἡρώδῃ γαμεῖται τοῦ ἀνδρὸς τῷ ὁμοπατρίῳ ἀδελφῷ διαστᾶσα ζῶντος. τὴν δὲ Γαλιλαίων τετραρχίαν οὗτος εἶχεν. Deren Schwester Herodias wurde dem Herodes vermählt, dem Sohn des Herodes des Großen, geboren von Mariamne, der (Tochter) des Hohenpriesters Simon. Und ihnen wurde Salome geboren, nach deren Geburt Herodias, auf einen Umsturz der väterlichen (Sitten) gesinnt, Herodes heiratete, den Bruder ihres Mannes vom gleichen Vater, nachdem sie sich von dem (noch) Lebenden getrennt hatte. Dieser hatte die Tetrarchie der (d.h. Herrschaft über die) Galiläer inne.

Ausführlicher Ios. ant.Iud. 18,109f (18,5,1) (gr. ed. Niese, gr.-engl. ed. Feldman):

Ἡρώδης ὁ τετράρχης γαμεῖ τὴν Ἀρέτα θυγατέρα καὶ συνῆν χρόνον ἤδη πολύν. στελλόμενος δὲ ἐπὶ Ῥώμης κατάγεται ἐν Ἡρώδου ἀδελφοῦ ὄντος οὐχ ὁμομητρίου· ἐκ γὰρ τῆς Σίμωνος τοῦ ἀρχιερέως θυγατρὸς Ἡρώδης ἐγεγόνει. Der Tetrarch Herodes hatte die Tochter des Aretas geheiratet und war mit ihr bereits lange Zeit zusammen. Als er nach Rom reiste, kehrte er bei Herodes ein, der sein Bruder nicht von der gleichen Mutter war. Denn Herodes war von der Tochter des Hohenpriesters Simon geboren worden.
ἐρασθεὶς δὲ Ἡρωδιάδος τῆς τούτου γυναικός, θυγάτηρ δὲ ἦν Ἀριστοβούλου καὶ οὗτος ἀδελφὸς αὐτῶν, Ἀγρίππου δὲ ἀδελφὴ τοῦ μεγάλου, τολμᾷ λόγων ἅπτεσθαι περὶ γάμου. Nachdem er sich in dessen Frau Herodias verliebt hatte – sie war aber eine Tochter des Aristobulos und dieser ihr [der beiden Herodesse] Bruder, [und sie war] Schwester Agrippas des Großen –, wagte er, das Thema Heirat anzusprechen (wörtl.: Worte über Heirat zu berühren).
καὶ δεξαμένης συνθῆκαι γίνονται μετοικίσασθαι παρ’ αὐτόν, ὁπότε ἀπὸ Ῥώμης παραγένοιτο. ἦν δὲ ἐν ταῖς συνθήκαις ὥστε καὶ τοῦ Ἀρέτα τὴν θυγατέρα ἐκβαλεῖν. Und als sie akzeptierte, wurden Abmachungen getroffen, zu ihm zu übersiedeln, sobald er aus Rom (zurück)gekommen sei. Es gehörte zu den Abmachungen, auch die Tochter des Aretas zu verstoßen.

(Bronze?-)Münze des Königs und der Königin von Armenia minor, links Aristobulos (βασιλέως Ἀριστοβούλου „des Königs Aristobulos“), rechts Salome (βασιλίσσης Σαλώμης „der Königin Salome“), datiert links mit ἔτ[ος] ιγʹ „Jahr 13“ (= 67 n.Chr., also zu Beginn des Jüdischen Krieges).
Quelle:Wikimedia
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Lizenz:GFDL 1.2, CC BY-SA 2.5
Bearb.:verkleinert, nachgeschärft

Herodias hatte aus ihrer ersten Ehe eine Tochter namens Salome. Diese wiederum war in erster Ehe mit dem Tetrarchen Herodes Philippos verheiratet. Nach dem Tod des Tetrarchen heiratete sie Aristobulos (den Enkel des hingerichteten gleichnamigen Herodessohnes), der später zum König von Armenia minor ernannt wurde.

Ios. ant.Iud. 18,137 (18,5,4) (gr. ed. Niese, gr.-engl. ed. Feldman):

ἡ δὲ θυγάτηρ αὐτῆς Σαλώμη Φιλίππῳ γαμεῖται Ἡρώδου παιδὶ τῷ τετράρχῃ τῆς Τραχωνίτιδος, καὶ ἄπαιδος τελευτήσαντος Ἀριστόβουλος αὐτὴν ἄγεται Ἡρώδου παῖς τοῦ Ἀγρίππου ἀδελφοῦ. παῖδες δὲ ἐγένοντο αὐτοῖς τρεῖς, Ἡρώδης, Ἀγρίππας, Ἀριστόβουλος. Ihre [der Herodias] Tochter Salome heiratete Philippos, den Sohn des Herodes, den Tetrachen der Trachonitis, und nachdem er kinderlos gestorben war, führte sie Aristobulos in die Ehe, Sohn des Herodes, des Bruders Agrippas. Ihnen wurden drei Söhne geboren, Herodes, Agrippa, Aristobulos.

Strittig ist nun die Frage, ob man aus Mk und Mt schließen darf, dass „Ohneland“ auch den Beinamen Philippos trug, oder ob man annehmen muss, dass die Evv hier die beiden Herodessöhne verwechselten, weil der Tetrarch Philippos mit der Tochter der Herodias verheiratet war. (Ausführlich dazu Harold Hoehner.)

Die Enthauptung des Johannes


Ruinen des Palastes in der Festung Machärus, östlich des Toten Meeres (h. in Jordanien). In dieser Festung wurde der Täufer nach Josephus hingerichtet, hier lässt Flaubert Herodes' Geburtstags­feier stattfinden.
Quelle:Wikimedia
Urheber:hikinginjordan, 2013
Lizenz:CC BY-SA 3.0
Bearb.:beschnitten, verkleinert, nachgeschärft

Nach den Evv lässt Herodes Johannes ins Gefängnis werfen, aber er lässt ihn am Leben. Nach Mt würde der Tetrarch den Täufer gern töten, aber er hat Angst vor der Volksmenge, die den Täufer für einen Propheten hält. Nach Mk hingegen ist es Herodias, die ihn gerne tot sähe, aber Herodes hält seine Hand schützend über ihn – συντηρέω heißt „bewahren, in Gewahrsam halten“, aber auch „bewachen, beschützen“ – weil er ihn gern hört. Lohmeyer spricht in seinem Mk-Kommentar von „einer Art Schutzhaft“.

Einig sind sich die Evv über die näheren Umstände, die zur Enthauptung des Täufers geführt haben: Herodes veranstaltet eine große Geburtstagsparty, und die Tochter der Herodias tanzt vor ihrem Stiefvater und seinen Gästen. Davon ist Herodes so entzückt, dass er ihr schwört, sie könne sich wünschen, was immer sie wolle. Angestiftet von ihrer Mutter wünscht sie sich das Haupt des Johannes auf einem Tablett. Herodes ist zwar not amused, aber er hat vor seinen Partygästen einen Eid geleistet, daher schickt er den Scharfrichter und die Tochter der Herodias erhält den Kopf des Täufers, die ihn ihrer Mutter bringt.

Nach Josephus hat Herodes Angst, Johannes könne aufgrund des Ansehens, das er beim Volk genießt, dieses zum Aufruhr anstacheln, und lässt ihn daher festnehmen, in die Festung Machärus bringen und dort töten. Nach dem Motto: better safe than sorry.

Ios. ant.Iud. 18,118f (18,5,2) (gr. ed. Niese, gr.-engl. ed. Feldman):

καὶ τῶν ἄλλων συστρεφομένων, καὶ γὰρ ἥσθησαν ἐπὶ πλεῖστον τῇ ἀκροάσει τῶν λόγων, δείσας Ἡρώδης τὸ ἐπὶ τοσόνδε πιθανὸν αὐτοῦ τοῖς ἀνθρώποις μὴ ἐπὶ ἀποστάσει τινὶ φέροι, πάντα γὰρ ἐῴκεσαν συμβουλῇ τῇ ἐκείνου πράξοντες, πολὺ κρεῖττον ἡγεῖται πρίν τι νεώτερον ἐξ αὐτοῦ γενέσθαι προλαβὼν ἀνελεῖν τοῦ μεταβολῆς γενομένης [μὴ] εἰς πράγματα ἐμπεσὼν μετανοεῖν. Als sich die übrigen sammelten (denn sie ergötzten sich aufs meiste am Anhören seiner Reden), fürchtete Herodes, dass sein so weitreichender Einfluss auf Menschen zu einem Abfall (od. Aufstand) führe, denn sie schienen alles nach seinem Rat zu tun; er hielt es für viel besser, bevor seinetwegen Unruhen entstehen, (dem) zuvorzukommen und (ihn) zu beseitigen als dadurch, dass ein Aufruhr geschieht, in Schwierigkeiten zu geraten und zu bereuen.
καὶ ὁ μὲν ὑποψίᾳ τῇ Ἡρώδου δέσμιος εἰς τὸν Μαχαιροῦντα πεμφθεὶς τὸ προειρημένον φρούριον ταύτῃ κτίννυται. Und er [Johannes] wurde durch den Verdacht des Herodes gefesselt zum Machärus geschickt, der zuvor genannten Festung, und wurde dort getötet.

Die unterschiedlichen Ansichten des Mt, Mk und Josephus über die Motive des Herodes zeigen, dass man nur mutmaßen konnte. Ein antiker Monarch hat keine öffentlichen Erklärungen über seine Beweggründe abgegeben.

Frau oder Mädchen?

Die Tochter der Herodias wird in den Evv nicht mit Namen genannt; durch Flavius Josephus wissen wir, dass sie Salome hieß.

Dieser Tanz der Salome hat die erotische Phantasie von Generationen von Künstlern beflügelt. Nun sind Musikerinnen und Tänzerinnen bei Festgelagen zwar nicht unüblich, aber sie sind Hetären, die nach ihrer künstlerischen Darbietung bereit sein müssen, sich mit den Festgästen zum Bunga Bunga ins Séparée zurückzuziehen. Es ist daher schwer vorstellbar, dass sich eine junge Frau aus adeligem Haus dazu herablässt, vor einer Schar angeheiterter Männer ihren Körper zur Schau zu stellen. Andererseits wissen wir zu wenig über sie, um so etwas definitiv ausschließen zu können.

Beide Evv bezeichnen Salome als κοράσιον korásion, als kleines, noch nicht erwachsenes Mädchen. Mit dem gleichen Wort wird Mk 5,41f; Mt 9,24f die 12jährige Tochter des Jaïrus bezeichnet, die Jesus vom Tode auferweckt. Vielleicht hat man sich also vorstellen, dass ein 8- bis 12jähriges Mädchen dem Stiefpapa stolz ihre neuen „Moves“ zeigen möchte. Und Kinder, die Erwachsene imitieren, können überaus entzückend und lustig (aber auch peinlich) sein. (Zum Tanzen von Kindern vgl. Mt 11,17; Lk 7,32.) Herodes, vielleicht vom Alkohol in guter Stimmung, ist jedenfalls entzückt. Wie wahrscheinlich eine solche Situation ist, kann ich schwer sagen.

Nach dem Wörterbuch von Bauer ist korásion in Mk 5 Lehnübersetzung des aram. רָבִיתָא rābîtâ eigtl. „heranwachsende“ (Fem. v. רָבֵי) bzw. טָלִיתָא ṭālîtâ eigtl. „zarte, junge“ (Fem. v. טָלֵי). Allerdings lehrt die Wiedergabe von hebr. עַלְמָה ʿalmâ mit gr. παρθένος parthénos „Jungfrau“, dass man bei Lehnübersetzungen vorsichtig sein muss (s. Eine Jungfrau ist schwanger).

Nun sagt Josephus, dass Salome mit dem Tetrarchen Philippos verheiratet war. Als Philippos 34 n.Chr. starb, war die Ehe immer noch kinderlos. Hat Salome den Tetrarchen erst kurz vor seinem Tod geheiratet, wie anscheinend Wohlenberg in seinem Mk-Kommentar annimmt („Sie war später mit Herodes Philippus verheiratet.“, S. 183)? Andernfalls müsste sie zum Zeitpunkt ihres Tanzes bereits Ehefrau gewesen sein. Was tut sie dann aber im Palast des Herodes? Ist sie Gast bei der Feier? Besucht sie ihre Mutter? Und kann sie dann wirklich noch korásion gewesen sein?

Laut Christian-Georges Schwentzel starb der Tetrarch Philippos vielleicht deshalb kinderlos, weil Salomé noch zu jung war, um Kinder zu bekommen. Sie dürfte zum Zeitpunkt des Todes ihres ersten Mannes kaum älter als elf oder zwölf Jahre gewesen sein. Dann wäre Salome bereits als kleines Kind verheiratet worden. Aber wozu sollte das gut gewesen sein? Leider war mir Schwentzels viel zitiertes Buch nicht zugänglich, ich beziehe mein Wissen darüber aus dem frz. Wikipedia-Art. zu Herodias.

Welche Salome?

Oder handelt es sich bei der Tänzerin gar nicht um Salome? Geht es hier vielleicht um ein anderes Mädchen? Denn die aktuelle Textversion von Mk 6,22 bei Nestle/Aland legt nahe, dass das tanzende Mädchen selber auch Herodias geheißen hat. Das Mädchen wäre dann möglicherweise ein Kind aus der ersten Ehe des Herodes und die Stieftochter der Herodias (μήτηρ „Mutter“ in Mk 6,24.28 im Sinne von μητρυιά „Stiefmutter“).

Der Text von Mk 6,22 lautet nach dem Textus receptus (und mit ihm nach Alexandrinus und Ephraemi Rescriptus): καὶ εἰσελθούσης τῆς θυγατρὸς αὐτῆς τῆς Ἡρῳδιάδος „und als hereinkam die Tochter der Herodias selbst“ (Rienecker, Sprachl. Schlüssel: „eben der Her.“). Die Elberfelder denkt sich nach αὐτῆς einen Beistrich und übersetzt „kam ihre, der Herodias, Tochter herein“. Letzteres entspräche der Konstruktion in Joh 9,18: τοὺς γονεῖς αὐτοῦ τοῦ ἀναβλέψαντος „seine Eltern, (die) des wieder Sehenden“. In jedem Fall ist Ἡρῳδιάδος als possessiver Genetiv zu verstehen.

So haben es auch die alten Versionen, z.B.

Nestle/Aland hat seit der 26. Aufl. die Lesart von Vaticanus, Sinaiticus, Bezae Cantabr. übernommen: καὶ εἰσελθούσης τῆς θυγατρὸς αὐτοῦ Ἡρῳδιάδος. Das gibt Luther 2017 wieder mit „da trat herein seine Tochter, die von Herodias“. Diese Übersetzung ist aus zwei Gründen problematisch: Erstens würde man dafür vor Ἡρῳδιάδος den Artikel erwarten. Und zweitens klingt das, als hätten Herodes und Herodias eine gemeinsame Tochter gehabt; von einer solchen ist uns aber nichts bekannt. Naheliegender ist aber ohnedies, Ἡρῳδιάδος als Apposition zu θυγατρός zu verstehen und zu übersetzen: „und als hereinkam seine Tochter Herodias“. So haben es die Neue Genfer Übers. und die Gute Nachricht 2018 zumindest in einer Fußnote. So hat es auch die New Revised Standard Version: „When his daughter Herodias came in“.

Bei Mt 14,6 hingegen ist mit ὠρχήσατο ἡ θυγάτηρ τῆς Ἡρῳδιάδος „tanzte die Tochter der Herodias“ alles klar. Deswegen und weil die alten Versionen so gar nichts von der aktuellen N/A-Lesart bei Mk 6,22 wissen, muss man sich schon fragen, wo diese herkommt und ob man dem Textus receptus nicht den Vorzug geben sollte.

Nikos Kokkinos ist der Ansicht, dass aus chronologischen Gründen Salome, die Tochter der Herodias, die mit Herodes Philippos verheiratet war, nicht identisch sein kann mit jener Salome, die mit Aristobulos verheiratet war und auf einigen Münzen aus Armenia minor abgebildet ist. Bei letzterer handle es sich vielmehr um eine Tochter des Herodes Antipas mit seiner ersten, nabatäischen Frau. Julie Dalaison dreht die Behauptung um: auf den Münzen ist die Tochter der Herodias abgebildet. Die Tänzerin der Evv, wenn es sie überhaupt gab, war eine Tochter des Herodes Antipas.

Dalaison behauptet, Herodias habe ihren ersten Mann um 35 verlassen. Diese Jahreszahl scheint aus Josephus' Erzählreihenfolge abgeleitet: Er berichtet zunächst vom Tod des Tetrarchen Philippos im 20. Jahr des Tiberius (34 n.Chr.) (Ios. ant.Iud. 18,106). Im unmittelbaren Anschluss daran (ἐν τούτῳ δέ „inzwischen, wäh­rend­des­sen, zu dieser Zeit“) erzählt er vom Ausbruch des Krieges zwischen Herodes Antipas und seinem nabatäischen (Ex-)Schwiegervater Aretas (36 n.Chr.) und nennt als Ursache dafür die Trennung von Herodes' erster Frau (Ios. ant.Iud. 18,109). Die Ursache der Niederlage des Herodes in diesem Krieg sehen laut Josephus viele Juden in der (wohl kurz zuvor, also um 35 erfolgten) Hinrichtung des „guten Menschen“ Johannes.

Doch diese Reihenfolge ist definitiv falsch. Denn es steht außer Frage, dass der Täufer zu Lebzeiten Jesu hingerichtet wurde. Jesus wurde wahrscheinlich 30 oder 33 n.Chr. gekreuzigt, also noch vor dem Tod des Tetrarchen Philippos. (Ausführlich dazu der frz. Wikipedia-Art.) Ein Tod des Johannes nach 32 bzw. ein Tod Jesu nach 33 ist wenig plausibel. Josephus erzählt eben nicht immer chronologisch und die zeitlichen Bezüge (τότε δέ „dann, damals“) bleiben nicht selten unklar. Wann Herodes und Herodias geheiratet haben, kann also nicht so einfach beantwortet werden.

Florence Gillman plädiert für ein Datum vor 24. Dann nur so sei es Herodias möglich gewesen, ihren hochverschuldeten Bruder Agrippa nach seiner „Flucht“ aus Rom (wahrscheinlich im Jahr 24) finanziell zu unterstützen. Harold Hoehner glaubt, der Grund für die Reise des Herodes nach Rom, in deren Verlauf er bei seinem Halbbruder einkehrte und sich dabei in seine Schwägerin verliebte, sei ein Treffen mit Sejanus gewesen, der von 26 bis 31 die Regierungsgeschäfte führte. Ein solches Treffen kann wohl nur zwischen 27 und 31 stattgefunden haben.

Johannes' öffentliches Wirken begann laut Lk 3,1 im 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius (28/29 n.Chr.). Pontius Pilatus, der Jesus zum Tode verurteilt hat, wurde nach einem blutigen Ereignis des Jahres 36 abgesetzt und nach Rom zurückgeschickt. Das Passahfest dieses Jahres ist also der letztmögliche Zeitpunkt für Jesu Kreuzigung.

Josephus in Frage zu stellen, ist unter Bibelkritikern eigentlich ein Sakrileg. Wie aber Josephus am Ende der Antiquitates sagt, hat er diese beendet im 13. Jahr der Herrschaft Domitians, d.h. 93/94 n.Chr. (in seinem 56. Lebensjahr, d.h. er ist 37/38 n.Chr. geboren). Die Antiquitates sind somit jünger, als dies für die synoptischen Evv angenommen wird. Josephus ist der Zeit Jesu nicht näher als die Evv. Und die Qualität seiner Quellen für die Zeit nach Herodes dem Großen ist umstritten.

Literarische Motive

Herodes sagt zu Salome, sie solle sich irgendwas wünschen, sie werde es bekommen (Mt 14,7), „bis zur Hälfte meines Königreichs“ (Mk 6,23). Herodes schwört „mit den Allüren eines orientalischen Großkönigs“ (Lohmeyer). Als von Rom eingesetzter Tetrarch konnte Herodes über sein Territorium nicht frei verfügen. Es handelt sich um eine stark übertreibende, typisch orientalische Redewendung, die sich z.B. auch in Est 5,3.6; 7,2 (der Perserkönig Ahasveros zu Ester) findet. Natürlich hätte niemand den König Ahasveros um die Hälfte seines Reiches gebeten.

Dass eine solche Zusage auch ins Auge gehen kann und der Bittsteller um etwas bittet, das der Schenkende nur sehr ungern gibt, zeigt z.B. die Geschichte von Xerxes und seinem Mantel (φᾶρος) in Hdt. 9,108-113. Hier kommt das Motiv gleich zweimal vor: Xerxes verspricht seiner Geliebten Artaÿnte (die zugleich seine Nichte und seine Schwiegertochter ist), ihr zu geben, was sie erbittet. Sie bittet um den bunten Mantel, den Xerxes' Frau Amestris für ihn gemacht hat. Bei Xerxes Versprechen gibt es – im Gegensatz zu dem gleichlautenden Schwur des Herodes – keine Zeugen. Vielleicht fühlt sich der Perserkönig als Mazdayasnier aus religiösen Rücksichten an sein Versprechen gebunden. Artaÿnte bekommt den Mantel und trägt ihn voller Stolz, wodurch Xerxes' Ehebruch offensichtlich wird. Amestris hält aber Artaÿntes Mutter für die treibende Kraft dahinter und rächt sich an dieser auf folgende Weise: An seinem Geburtstagsfest muss der König jedem Bittenden geben, was er sich wünscht. Amestris bittet um Artaÿntes Mutter (die Frau von Xerxes' Bruder Masistes). Xerxes muss ihr willfahren, die Frau wird von des Königs Leibwächtern geholt und grausam verstümmelt. Das führt zum Aufstand des Masistes.

Die Frage ist, ob sich diese Dinge wirklich ereignet haben oder ob es sich, wie gelegentlich behauptet wird, um ein volkstümliches Erzählmotiv handelt. Eine solche Behauptung ist ja praktisch kaum zu falsifizieren. Sie kann stimmen oder auch nicht; wir werden es nie wissen. Das Geburtstagsfest des Königs, das auf Pers. tyktá geheißen haben soll, hat Herodot sicher nicht erfunden. Allenfalls könnte man ihm vorwerfen, die Verpflichtung, keinen Wunsch zu verweigern (ὑπὸ τοῦ νόμου ἐξεργόμενος, ὅτι ἀτυχῆσαι τὸν χρηίζοντα οὔ σφι δυνατόν ἐστι βασιληίου δείπνου προκειμένου „vom Gesetz gezwungen, denn dass der Verlangende nicht bekommt, ist ihnen nicht möglich, wenn es sich um ein königliches Gastmahl handelt“), beruhe auf einem Missverständnis der Gepflogenheiten am persischen Königshof. Aber auch dafür gibt es keinen Anhalt. Warum muss dann aber die Geschichte von Herodes' großsprecherischem Schwur erfunden sein?

Ad absurdum geführt wird das Angebot, sich irgendwas zu wünschen, von Diogenes, der sich von Alexander dem Großen nur wünscht, dass er ihm aus der Sonne geht (Plut. Alexander 14,2).

Gerne als Parallele zur Enthauptung des Täufers wird eine Geschichte angeführt, die Livius 39,43,2f erzählt: Lucius Quinctius Flamininus habe eine berüchtigte Frau, in die er verliebt war, zu einem Gastmahl eingeladen. Er habe sich dann vor ihr gebrüstet, wie viele von ihm zum Tod Verurteilte auf das Beil des Scharfrichters warteten. Sie habe daraufhin gesagt, sie hätte noch nie eine Enthauptung gesehen und würde das gern einmal sehen. Daraufhin habe er, um ihr zu Gefallen zu sein, einen der Unglückseligen herholen lassen und ihn mit dem Beil hingerichtet.

Für Lohmeyer ist die Geschichte von des Täufers Enthauptung eine „Volksdichtung aus vielerlei bekannten Motiven“. Er fügt zu den genannten etwa Jer 38,14-16 (König Zedekia befragt den im Wachthof festgesetzten Propheten Jeremia, wie Herodes den Johannes) hinzu, weiters Cassius Dio 65,15,3-5 (zwei kynische Philosophen kritisieren öffentlich das Verhältnis zwischen Berenike und dem Kaisersohn Titus, einer der beiden wird enthauptet). Doch hat sich dies im Jahr 75 n.Chr. ereignet und Cassius Dio ist ein Autor des 2./3. Jh. n.Chr. Mk kann diese Geschichte nicht gekannt haben.

Manches ist schlicht an den Haaren herbeigezogen: „Herodias trägt die Züge der Königin Isebel, Herodes die des Ahasveros.“ Um diese Parallelen zu sehen, muss man um jeden Preis welche sehen wollen. Selbiges gilt für die Geschichte von Hdt 2,121,ε,2: Pharao Rhampsinitos lässt, weil er unbedingt einen Dieb, der sich an seinen Schätzen vergriffen hat, finden will, seine Tochter sich prostituieren, wobei sie jeden Mann danach fragen soll, was seine verruchteste Tat gewesen. Abgesehen davon, dass Herodot selbst die Geschichte bezweifelt, kann ich hier beim besten Willen keine Parallele zur tanzenden Salome entdecken.

Hier zeigt sich ein grundlegender Denkfehler mancher Literatur- und Religionswissenschaftler: was sich ähnelt, muss miteinander verwandt sein. Dem ist aber in Wahrheit nicht so. Und der Umstand, dass es ein paar Parallelen gibt, beweist noch nicht, dass eine Vorlage kopiert wurde. Es könnte auch nur zeigen, dass sich das Leben oft selbst kopiert.

Recht geben muss man Lohmeyer darin, dass die Erzählung sehr durchkomponiert, fast novellenhaft wirkt. Die Sprache ist nicht unbedingt typisch markinisch. Mk mag also wohl auf eine schriftliche Vorlage zurückgegriffen haben. Aber hier kommen wir über Mutmaßungen nicht hinaus.

Wirkungsgeschichte

Schon eine einfache Internetsuche spuckt vor allem zur Gestalt der Salome unzählige Ergebnisse aus. Sie wurde in wissenschaftlichen Arbeiten und in Dissertationen ausgiebig untersucht. Ich verweise im folgenden nur auf ein paar Dinge, die ich schon kannte oder über die ich bei der Arbeit an diesem Thema gestolpert bin.

Legende

Späterer Legende zufolge ist auch Salome (durch ein Unglück) enthauptet worden. Dies wird erstmals berichtet in einem vorgeblichen Brief des Herodes Antipas an Pontius Pilatus; die beiden waren ja nach Lk 23,12 durch den Prozess gegen Jesus Freunde geworden. Der Text ist erstmals bezeugt in einer syrischen Übersetzung des 6./7. Jh. Das einzige Exemplar des griech. Textes ist, wie der Herausgeber James schreibt, „a paper book of the xvth century“ (in der Pariser Nationalbibliothek).

Οὐκ ἐν μικρῷ πένθει κατὰ τὰς θείας γραφὰς ὢν ἐγώ σοι γράφω, ὡς καὶ σὺ ἀκούσας πάντως ἐν λύπῃ γενήσῃ· Da ich in nicht geringem Kummer gemäß den heiligen Schriften bin, schreibe ich dir, wie auch du, wenn du (es) gehört hast, durchaus in Trauer geraten wirst.
ἣν γὰρ ἐπόθουν Ἡρωδιάδα τὴν θυγατέρα μου παίζουσα ἀπώλετο ἐπὶ τοῦ ὕδατος, πεπληρωμένου ἐπὶ τῇ ὄχθῃ τοῦ ποταμοῦ· Denn nach der ich mich sehnte, meine Tochter Herodias, ist umgekommen, als sie am Wasser spielte, da der Fluss auf der Uferböschung angefüllt war.
ἄφνω γὰρ ἐπληθύνθη τὸ ὕδωρ ἕως τοῦ τραχήλου αὐτῆς, καὶ ἐδράξατο ἡ μητὴρ αὐτῆς τῆς κεφαλῆς αὐτῆς, ἵνα μὴ ληφθῇ ὑπὸ τοῦ ὕδατος· Denn plötzlich schwoll das Wasser an bis zu ihrem Hals, und ihre Mutter fasste sie an ihrem Kopf, damit sie nicht vom Wasser mitgerissen wurde.
καὶ ἀπετμήθη ἡ κεφαλὴ τῆς παιδός, ὥστε μόνην τὴν κεφαλὴν κρατεῖν τὴν γυναῖκά μου· καὶ ὅλον τὸ σῶμα αὐτῆς ἔλαβεν τὸ ὕδωρ· Und der Kopf des Kindes wurde abgetrennt, sodass meine Frau nur den Kopf (fest)hielt; und ihren ganzen Körper riss das Wasser mit.
†καὶ τῆς γυναικός μου κρατῶν ἐπὶ τὰ γόνατα τὴν κεφαλὴν αὐτῆς καὶ κλέουσα καὶ† εἶναι ὅλον τὸν οἶκόν μου ἐν πένθει ἀκαταπαύστῳ. Sodass meine Frau ihren Kopf auf den Knien hielt und weinte und mein ganzes Haus in unaufhörlichem Kummer ist.

Der letzte Satz ist unverständlich, James schlägt vor zu lesen: ὥστε τὴν γυναῖκά μου κρατεῖν ἐπὶ τὰ γόνατα τὴν κεφαλὴν αὐτῆς κλαίουσαν, καὶ. Zumindest dürfte das in etwa der intendierte Sinn des Satzes sein, und so habe ich es übersetzt.

Die Tochter heißt hier Herodias (s.o.). Warum der Kopf des Mädchens so mir nichts dir nichts abgetrennt wurde, ist aus dem griech. Text nicht zu ersehen. Die syr. Version besagt, dass das Mädchen an einem zugefrorenen Wasser gespielt hat und im Eis eingebrochen ist. Offenbar soll man sich vorstellen, dass das scharfkantige Eis dabei den Kopf abgetrennt hat.

Ich teile im folgenden auch die syr. Fassung mit, wenngleich ich typographische Probleme bei der Wiedergabe der Punktierung habe. Da meine Syrischkenntnisse nicht tief genug gehen, um alles sicher zu verstehen, sind meine lexikalische Analyse und meine Übersetzung nur als Versuch zu werten, und ich bitte den geneigten Leser, den syr. Text und die Übersetzung Wrights zu konsultieren.

ܒܚܘܫܒܐ ܪܒܐ ܐܝܬܝ܂ Ich bin in großer Sorge (wörtl.: Nachdenken).
ܟܬ݁ܒ ܐܢܐ ܠܟ ܗܠܝ݂ܢ܂ ܕܡܐ ܕܫܡ݂ܥܬ ܐܢܝ݂ܢ ܢܟܐܒ ܠܟ ܥܠܝ܂ Ich schreibe dir diese (Dinge), ob, wenn du sie gehört hast, (es) dir Gram bereitet um mich.
ܒܪܬܝ ܓܝܪ ܗ݁ܝ ܕܚܒܝܒܐ ܗܘܬ ܠܝ ܗܪܘܕܝܐ܂ ܟܕ ܡܫܬܥܝܐ ܒܪܡܐ ܕܡ̈ܝܐ ܕܐܚܝܕ ܒܗܘܢ ܓܠܝܕܐ݂܂ ܐܬܦ݂ܚܬ ܬܚܘܬܝܗܲ܂ Denn meine Tochter, sie, die mir lieb war, Herodias, als sie spielte auf einem Teich von Wasser ?[Wright: which was frozen over]?, brach das Eis unter ihr ein.
ܘܢܚ݂ܬ ܓܘܫܡܗ݁ ܟܠܗ ܠܬܚܬ݂܂ Und ihr ganzer Körper ging hinunter nach unten.
ܘܐܬܦ݂ܣܩ ܪܝܫܗܲ܂ ܘܦܫ ܠܥܠ1) ܡܢ ܐܓܠܝܕܐ Und ihr Kopf wurde abgetrennt und blieb zurück über dem Eis.
ܘܗܐ ܐܡܗ݁ ܫܩܝܠܐ ܠܗ ܠܪܝܫܗ݁ ܥܠ ܒܘܪܟܝܗ݁ ܒܚܢܗܲ܂ Und siehe! Ihre Mutter hält ihren Kopf auf ihren Knien in ihrem Schoß!
ܘܐܝܬܘܗܝ ܟܠܗ ܒܝܬܝ݂ ܒܐܒܠܐ ܪܒܐ܂ Und mein ganzes Haus ist in großer Trauer.

1) Im Text steht ܠܢܠ, aber in den Errata ist es richtiggestellt.

Auch sonst finden sich verschiedentlich in der spätantiken und frühmittelalterlichen christlichen Literatur Berichte über einen unzeitigen Tod des Mädchens (Belegstellen bei James). So wird etwa in der Legenda aurea Kap. 125 (De decollatione sancti Johannis baptistae) (lat. ed. Grässe, engl. ed. Caxton) berichtet:

Filia vero ejus, cum super glaciem deambularet, sub ea glacies resolvitur et ipsa in aquis continuo praefocatur. Als aber ihre [= der Herodias] Tochter auf dem Eis spazieren ging, löste sich das Eis unter ihr auf und sie selbst ertrank (wörtl.: wurde erstickt) sofort in den Wassern.
In chronica vero quadam dicitur, quod terra ipsam vivam deglutivit. Quod potest intelligi sicut de Aegyptiis in mari rubro praefocatis dicitur: devoravit eos terra. In einer gewissen Chronik aber wird gesagt, dass die Erde sie selbst lebendig hinuntergeschluckt hat. Das kann (so) verstanden werden, wie von den Ägyptern, die im Roten Meer ertrunken sind, gesagt wird: die Erde hat sie [mask. Pl.] verschlungen.

Lucas Cranach der Ältere, Salome mit dem Haupt Johannes' des Täufers, 1. Hälfte 16. Jh., Museum u. Galerie der Bob Jones University, Greenville (South Carolina).
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Gyula Éder, Salome mit dem Haupt Johannes' des Täufers, 1907, Kulturpalast in Târgu Mureș (Rumänien).
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Urheber:Sascha Mauel, 2012
Lizenz:gemeinfrei
Bearb.:verkleinerter Bild­ausschnitt, geschärft

Malerei

Eines der häufig gemalten Sujets zu dieser Geschichte ist Salome mit der Schüssel mit dem Haupt des Täufers. Manchmal gibt sie diese Schüssel gerade ihrer Mutter Herodias (z.B. bei Juan de Flandes, Rubens, Mattia Preti). Häufiger ist sie aber mehr oder wenig allein im Bild, wobei sie meist seltsam unberührt irgendwohin (z.B. zum Betrachter) blickt. Hierher gehören Lucas Cranach der Ältere (s. nebenstehendes Bild), Tizian, Bartolomeo Veneto, Caravaggio, Charles Mellin, Mariano Salvador Maella, um nur ein paar zu nennen. Gereizt hat die Künstler wohl der Gegensatz zwischen hübscher junger Frau und der Grausigkeit des abgetrennten Kopfes.

Die Interpretation des Tanzes der Salome als erotische Darbietung führt (vor allem seit dem 19. Jh.) zur Darstellung von allerlei Nuditäten, etwa bei Schule von Fontainebleau, Gustave Moreau, Franz von Stuck, Gyula Éder (s. nebenstehendes Bild), Gaston Bussière, Lovis Corinth und den Illustrationen von Aubrey Beardsley und Manuel Orazi.

Gustave Flaubert, Hérodias

Gustave Flaubert veröffentlichte 1877 Trois Contes „drei Erzählungen“, wovon eine den Titel Hérodias trägt. Darin wird die ntl. Geschichte frei nacherzählt: Geburtstagsfeier des Herodes Antipas in der Festung Machärus, unerwartet kommt auch Prokonsul Lucius Vitellius, auf den Herodes schon länger wartet. Beim Gastmahl viel Gestreite der Juden untereinander (orte ich da einen gewissen Antisemitismus?). Überraschender Auftritt der tanzenden Salome, die offenbar auch aus Rom angereist ist. Ein von Geilheit überwältigter Antipas verspricht, Salome wünscht das Haupt des Täufers und erhält es.

Vitellius war erstmals 34 n.Chr. Konsul. Er kann also frühestens im folgenden Jahr als Prokonsul auftreten. Doch zu diesem Zeitpunkt muss der Täufer längst tot gewesen sein. Hier geht es offenbar um Herodes' Konflikt mit seinem nabatäischen Ex-Schwiegervater Aretas IV., der 36 n.Chr. ausgebrochen ist. Historisch ist das hier Erzählte wohl nicht möglich.

Wilde und Strauss

„Salomé danse la danse des sept voiles.“ (Salome tanzt den Tanz der sieben Schleier) So heißt es in der Regieanweisung bei Oscar Wilde. Sein Einakter „Salomé“ erschien 1893 (nach anderen 1891) in Paris. Für das viktorianische England war das Stück untragbar und skandalös. Salome ist eine junge Frau, die sich in den eingesperrten Jochanaan (=Johannes) verliebt, der sie aber grob abweist. Das verschmähte Weib sinnt auf Rache und nutzt Herodes' Schwur, um ihn töten zu lassen. Herodias ist hier nur eine Randfigur.

Richard Strauss benutzte die Übersetzung von Hedwig Lachmann als Libretto für seine gleichnamige Oper. Ob man die Überwindung des Wohlklangs durch Dissonanz und Kakophonie als musikalischen Fortschritt sehen möchte, ist wohl eine Frage des Geschmacks. Mein Fall ist es nicht.

Heinrich Heine, Atta Troll

Im 18. und 19. Kapitel sieht der Erzähler in den Pyrenäen „in der Nacht vor Sankt Johannis“ (= vom 23. auf 24. Juni) eine Wilde Jagd, einen nächtlichen Zug von Totengeistern. Teil dieses Zugs ist auch Herodias mit dem Haupt des Johannes. Sie selbst war, so der Erzähler, in den Täufer verliebt.

Caput XIX.

Und das dritte Frauenbild,
Das dein Herz so tief bewegte,
War es eine Teufelinne
Wie die andern zwo Gestalten?

Ob’s ein Teufel oder Engel,
Weiß ich nicht. Genau bei Weibern
Weiß man niemals, wo der Engel
Aufhört und der Teufel anfängt.

Auf dem gluthenkranken Antlitz
Lag des Morgenlandes Zauber,
Auch die Kleider mahnten kostbar
An Schehezeradens [sic!] Mährchen.

Sanfte Lippen, wie Grenaten,
Ein gebognes Liljennäschen,
Und die Glieder schlank und kühlig
Wie die Palme der Oase.

Lehnte hoch auf weißem Zelter,
Dessen Goldzaum von zwey Mohren
Ward geleitet, die zu Fuß
An der Fürstin Seite trabten.

Wirklich eine Fürstin war sie,
War Judäas Königinn,
Des Herodes schönes Weib,
Die des Täufers Haupt begehrt hat.

Dieser Blutschuld halber ward sie
Auch vermaledeit; als Nachtspuk
Muß sie bis zum jüngsten Tage
Reiten mit der wilden Jagd.

In den Händen trägt sie immer
Jene Schüssel mit dem Haupte
Des Johannes, und sie küßt es;
Ja, sie küßt das Haupt mit Inbrunst.

Denn sie liebte einst Johannem –
In der Bibel steht es nicht,
Doch im Volke lebt die Sage
Von Herodias’ blut’ger Liebe –

Anders wär ja unerklärlich
Das Gelüste jener Dame –
Wird ein Weib das Haupt begehren
Eines Mann’s, den sie nicht liebt?

War vielleicht ein bischen böse
Auf den Liebsten, ließ ihn köpfen;
Aber als sie auf der Schüssel
Das geliebte Haupt erblickte,

Weinte sie und ward verrückt,
Und sie starb in Liebeswahnsinn.
(Liebeswahnsinn! Pleonasmus!
Liebe ist ja schon ein Wahnsinn!)

Nächtlich auferstehend trägt sie,
Wie gesagt, das blut’ge Haupt
In der Hand, auf ihrer Jagdfahrt –
Doch mit toller Weiberlaune

Schleudert sie das Haupt zuweilen
Durch die Lüfte, kindisch lachend,
Und sie fängt es sehr behende
Wieder auf, wie einen Spielball.

Als sie mir vorüberritt,
Schaute sie mich an und nickte
So kokett zugleich und schmachtend,
Das [sic!] mein tiefstes Herz erbebte.

Herodes Antipas wurde nach Lugdunum verbannt. Nach allgemeiner Überzeugung ist damit Lugdunum Convenarum am Nordrand der Pyrenäen gemeint. Der Herodias stand es frei, ihren Besitz zu behalten. Sie zog es aber vor, ihrem Mann ins Exil zu folgen (Ios.ant. 18,252-255). Das hat aber die schlimme Post, die sie im christl. Mittelalter hatte, nicht abgemildert. Diesem galt sie anscheinend als eine Art Oberhexe, und in den Sagen der Pyrenäen erscheint sie angeblich (s. Literaturlink im frz. Wikipedia-Art.) als unheilvolle Gestalt. Insofern ist ihr Auftauchen bei dieser Wilden Jagd in den Pyrenäen passend.

Konstantinos Kavafis, Σαλώμη

Επάνω σε χρυσό σινί η Σαλώμη φέρνει Auf einem goldenen Tablett bringt Salome
     την κεφαλή του Ιωάννη Βαπτιστή      das Haupt Johannes' des Täufers
         στον νέον Έλληνα τον σοφιστή          dem jungen griechischen Sophisten,
που από τον έρωτα με αδιαφορία γέρνει. der vor der Liebe mit Gleichgültigkeit sich neigt.
 
«Σαλώμη την δική σου» απαντάει ο νέος „Salome, dein eigenes“, antwortet der junge Mann,
     «ήθελα να με φέρουνε την κεφαλή».      „Haupt wollte ich, dass sie mir bringen.“
         Aστειευόμενος έτσι ομιλεί.          Scherzend spricht er so.
Και την επαύριον ένας δούλος της δρομαίος Und am folgenden Tag einer ihrer Sklaven eiligst
 
της Ερωμένης έρχεται την κεφαλή βαστώντας kommt, das Haupt der Geliebten tragend,
     ολόξανθη επάνω σε χρυσό σινί.      das ganz blonde, auf einem goldenen Tablett.
         Πλήν την επιθυμία του την χθεσινή          Aber seinen gestrigen Wunsch
ο σοφιστής είχε ξεχάσει μελετώντας. hatte der Sophist beim Studieren vergessen.
 
Τα αίματα που στάζουνε βλέπει κι αηδιάζει. Er sieht das tropfende Blut und ekelt sich.
     Το αιματωμένο πράγμα αυτό να σηκωθεί      Dass dieses blutbefleckte Ding aufgehoben werde,
         προστάζει από εμπροστά του, κ’ εξακολουθεί          befiehlt er, vor ihm (weg), und fährt fort,
του Πλάτωνος τους διαλόγους να διαβάζει. die Dialoge Platons zu lesen.

S. a. Neugriechische Grammatik, Texte.

Filme

Wikipedia listet einige Verfilmungen der Geschichte auf, doch folgen sie alle mehr oder wenig Oscar Wildes Plot. Dazu gehören die „Salomé“ von 1986 mit einer blutjungen Jo Champa in der Titelrolle, die „Salomé“ des Carlos Saura von 2002 (Flamenco, was sonst) oder die „Salome“ Al Pacinos von 2013 mit Jessica Chastain („Interstellar“, „Der Marsianer“) in der Titelrolle. Der Monumentalfilm „Salome“ von 1953 mit Rita Hayworth als Salome und Charles Laughton als Herodes Antipas weicht von der Wildschen Vorlage ab: Während Salome tanzt, fordert Herodias das Haupt des Täufers und bekommt es. Als Salome, die gehofft hatte, mit ihrem Tanz den Täufer frei zu bekommen, das abgeschlagene Haupt sieht, flieht sie entsetzt.
Gesehen habe ich keinen dieser Streifen.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 28. Aug. 2024