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Warum Hanf lei(n)wand ist
Für den, der des ostösterreichischen Idioms nicht mächtig ist: leiwand bedeutet „sehr gut, toll“ (W. Ambros: „weu Schifoan is des Leiwandste, was ma si nur vuastön kann“, hochdeutsch: weil Schifahren ist das Tollste, was man sich nur vorstellen kann). Ob es etymologisch mit der Leinwand (Stoff aus Leinen) zu tun hat, ist nicht eindeutig geklärt.
In einigen Programmiertools bezeichnet engl. canvas „Leinwand“ die Zeichenfläche, auf der die Steuerelemente plaziert werden. In HTML gibt es ein <canvas>-Tag, mit dem ein Bereich definiert wird, in den man mit Javascript zeichnen kann. Es war Stefan, der mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass dieses Wort mit Hanf zusammenhängt.
Engl. canvas ist im 14. Jh. in der Bedeutung „Kleidung aus Hanf oder Flachs“ belegt. Seit ca. 1700 bedeutet es auch „Oberfläche für Ölgemälde“.[1] Das Wort stammt aus afrz. chanevas[2] „Stoff aus Hanf“, von vlat. *canapaceus ds., Adj. zu vlat. canapus (auch canapis, canapa) < lat. cannabis[3] < gr. κάνναβις kánnabis[4] „Hanf“ (Cannabis sativa L.).
Ngr. heißt der Hanf κάνναβη kánnavi, it. canapa. Heutiges Frz. unterscheidet chanvre [ˈʃɑ̃ːvrə] „Hanf“ (Fasern und Pflanze), von vlat. canava < canapa; und chènevis [ʃɛnˈvi] „Hanfsamen“, von vlat. *canapūtium.[5] Vom Lat. abgeleitet ist auch ir. cnáib[6] „Hanf“.
Der Ursprung des gr. Wortes ist unklar. Wegen Herodot 4,74f[7] wird meist skythische oder thrakische Herkunft vermutet. Doch verweisen Frisk[4], Vasmer[19] und Kluge[8] auch auf sumer. kunibu „Hanf“, das aber eine Gelehrtenschimäre sein dürfte.[9] Schrader[10] wollte es aus dem Finno-ugr. herleiten, von tscheremiss. кыне kińe „Hanf“ und syrjän.-wotjak. pyš[11] ds., vgl. auch mordw. (moksch.) kańt́f́[12] (ersj. kańśt́) ds. Aber ein Wort mit Wurzeln aus zwei verschiedenen Sprachen?
Weitere mutmaßliche Ausprägungen dieser Wortwurzel sind z.B. ai. शण śaṇa[13] (ś=[ʃ], ṇ=[ɳ]) „Hanfart“, alb. (geg.) kanɛp (tosk. kërp < kɛrɛp)[14] „Hanf“, armen. կանեփ kanepʿ ds., npers. كنب kanab[15] (< ar. قنب qinnab?) oder كنف kanaf ds., vielleicht auch nass.-nbab. qunnabu, qunnubu, laut CAD (Q S. 306a) „an aromatic“ und „possibly the seed or flower of hemp (Cannabis)“. Wobei mir unklar ist, ob und wer von wem entlehnt hat.
Das dt. Wort Hanf (mhd. hanef, -if[16], ahd. hanaf), ebenso wie engl. hemp, ags. hænep[17], anord. hampr[18] weisen auf germ. *hanap- (< *kanab-). Dieses Wort kann, da es offenbar bereits die 1. (germanische) Lautverschiebung mitgemacht hat (k > h, b > p), nicht aus dem Lat. oder Gr. entlehnt sein, sondern muss schon, bevor es zu engen Kontakten der Germanen mit Römern und Griechen kam, aus derselben Quelle wie das Gr. entlehnt worden sein. (Dt. p > f ist der 2. (hochdeutschen) Lautverschiebung geschuldet.)
Dasselbe gilt laut Walde/Hofmann[3] auch für das Slav., asl. konoplja, russ. конопля́ konoplja[19], serbokroat. kònoplja, tschech. konopí[20], poln. konopie, lit. kanãpės, alle „Hanf“. Das kann weder vom Germ. noch vom Gr. übernommen sein. Daneben gibt ein zweites Wort für Hanf, russ. пенька́ penʲka[21], tschech. pěnek, pěnka, poln. pienka (doch habe ich die beiden letzteren in keinem Wörterbuch gefunden), wohl von ai. bhaṅgā-[22] (ṅ=[ŋ]) „Hanf, Narkotikum aus Hanf“, avest. baꬻha-, bangha-[23] ds., npers. بنگ bang ds. Ein Zusammenhang mit der Sippe von kannabis (evt. Lautumstellung?) ist zweifelhaft.
Das Türk. hat zwei Wörter für den Hanf: kenevir, das nach Stachowski[24] vielleicht von ngr. κανναβούρι kannavoúri „Hanfsamen“ (< κανναβ-ούριον) herstammt; und kendir, dessen Herkunft noch unklarer ist (ob wirklich < kenevir?). Räsänen[25] vermutet hingegen bei beiden pers. Herkunft und vergleicht kzk. kenäp „Flachs, Leinwand“ < npers. kanab (s.o.). Ung. kender „Hanf“ sieht so aus, als sei es aus dem Türk. entlehnt. Das finn. hamppu „Hanf“ dürfte aus einer germ. Nachbarsprache entlehnt sein (vgl. schwed. hampa, norw. hamp ds.).
Zum Hebr. liefert der Wikipedia-Art. Etymology of cannabis einige wilde Theorien. Doch hebr. קַנָּבוֹס qannābôs, קַנְבּוֹס qanbôs, von gr. κάνναβος kánnabos (Nebenform zu -is), auch קַנָּבִס qannābis o.ä. (ʿIvrit קַנַּבּוֹס qannabbôs) „Hanf“ hat natürlich nichts mit קָנֶה qānæ̂ „Schilfrohr; Würzrohr, -gras“ (Kalmus? Ingwergras?) oder בֹּ֫שֶׂם bóśæm „Duftstoff, Balsam“ zu tun. Das in Ex 30,23 als Bestandteil des Salböls für den Tempel genannte קְנֵה־בֹשֶׂם qenê-bośæm bedeutet „duftender Kalmus“ o.ä. (Gesenius18: „aromatisches Würzrohr, Balsamgras“). Auch das Hapax legomenon פַּנַּג pannag in Ez 27,17, das irgendein Handelsgut bezeichnet, hängt wohl kaum mit ai. bhaṅgā zusammen (ohnedies ziehen die meisten Übersetzer die Lesart פגג „Frühfeigen“ vor). Der Hanf kommt im AT weder als Pflanze, noch als Material für Stoffe, geschweige denn als Rauschmittel vor – im Gegensatz zum Lein/Flachs (פֵּשֶׁת* pešæt, meist Pl. פִּשְׁתִּים pištîm). Ungeachtet eines Fundes von Kannabisrückständen auf einem mutmaßlichen Altar aus dem 8. Jh. im judäischen Tel Arad[26] muss man davon ausgehen, dass Hanf den Israeliten weitgehend unbekannt war. Auch die Ägypter kannten ihn nicht[27], und Herodot beschreibt ihn, als wäre er seinen Lesern neu.
Laut dem lat. Wikipedia-Art. Cannabis soll das äg. Wort
šmšm.t, das in Pyramidentexten und medizinischen Texten vorkommt und eine Pflanze bezeichnet, aus der man Seile und Medizin machte, den Hanf bezeichnen. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, denn das würde bedeuten, dass die Ägypter den Hanf bereits im 3. Jtsd. v.Chr. kannten, während Babylonier, Assyrer und Griechen ihn erst rund 1500 Jahre später kennenlernten.
Hom.Od. 4,220f[28] erwähnt ein aus Ägypten stammendes „kummer- und zornstillendes Mittel (Gift), alle Übel vergessen machend“ (φάρμακον νηπενθές τ᾽ ἄχολόν τε, κακῶν ἐπίληθον ἁπάντων), das Helena in den Wein mischt. Unter den möglichen „Realweltkandidaten“ für ein solches Mittel wird (neben Opium) auch Haschisch erwogen.[29] Man muss aber wohl davon ausgehen, dass das Pharmakon freie Erfindung des Dichters ist.[30]
Die meisten Hanfarten sind diözisch (zweihäusig), d.h. männliche und weibliche Blüten wachsen auf verschiedenen Pflanzen. Man hielt die kleinere Pflanze für die weibliche und nannte sie lat. fēmella „Weibchen“, was zu dt. Femel, Fimmel wurde. Die größere, für männlich gehaltene Pflanze, hieß lat. masculus „männlich, Männchen“, was zu dt. (schweizer.?) Mäsch, Mäschel wurde.[31] (In Wahrheit ist die größere Pflanze die weibliche.)
Als Sohn eines Installateurs kannte ich Hanf viele Jahre nur als Mittel zum Dichten von Metallgewinden und zur Herstellung von Seilen. Erst als meine Frau bei einem deutschen Naturtextilienversandhaus ein T-Shirt aus Hanf gekauft hat, wusste ich, dass man daraus auch Kleidung machen kann (etwas kratzig und nicht sehr formstabil). Und ein Salzburger Kracherlhersteller vermarktet sein Getränk damit, dass der enthaltene Hanfsamenextrakt ein Superfood sei.
Das Rauschmittel Hanf kenne ich vor allem unter der Bezeichnung Haschisch, d.i. entlehnt aus ar. حشيش ḥašīš „Kraut, Gras, Kannabis“. Laut dem Wikipedia-Artikel Haschisch bezeichnet man damit das extrahierte Harz der weiblichen Pflanzen (umgangssprachl. auch Shit, wegen der braunen Farbe?). Daneben gibt es noch Marihuana, das sind nach dem Wikipedia-Art. Marihuana die harzhaltigen getrockneten Blütentrauben und blütennahen Blätter der Hanfpflanze (daher umgangssprachlich auch Gras, Weed). Auch engl. wurde es ursprünglich Marihuana geschrieben, die Form Marijuana ist jünger und geht vielleicht auf die volksetymologische Ableitung von María Juana zurück. Das Wort kommt aus dem mexikanischen Span., ältere Form mariguana. Die weitere Herkunft ist unklar. Herkunft aus dem Nahuatl oder einer anderen indigenen Sprache ist jedenfalls unwahrscheinlich, da erst die Europäer die Hanfpflanze nach Amerika gebracht haben.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 2. Nov. 2023