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Sach- und Worterklärungen der Luther 2017 und Rudolf Ebertshäusers Kritik
Unter Lutherbibel 2017: Was Liberaltheologen aus Luthers Bibel gemacht haben kritisiert Rudolf Ebertshäuser die 2017er-Revision der Lutherübersetzung. Ich halte die Kritik vielfach für unberechtigt und habe daher eine ziemlich ausführliche Erwiderung auf Ebertshäusers Kritik verfasst.
Rudolf Ebertshäuser stößt sich auch an den Sach- und Worterklärungen der Luther 2017. Sie seien „zu einem Glaubensbekenntnis der bibelkritischen, feministisch und humanistisch gefärbten Liberaltheologie geworden“ und daher „in dieser Form völlig unakzeptabel für den gläubigen Bibelleser“.
Wie schon angemerkt, war es eines der Anliegen der Revisoren, den aktuellen Stand der Wissenschaft wiederzugeben. Kritisieren kann man daran, dass der augenblickliche Stand der Wissenschaft nur ein Zwischenergebnis in einem nie endenden Prozess ist. Er sollte also nur dort berücksichtigt werden, wo eine communis opinio erzielt worden ist, wo der Grad der Gewissheit also relativ hoch ist. Aber „relativ hoch“ ist eben auch nur relativ. Jede Erklärung ist und bleibt zeitbedingt. Wer da nichts Falsches sagen will, muss schweigen. Schweigen aber erklärt nichts. Nur wiederholen, was ohnehin im Text steht, erklärt auch nichts. Kritisieren ist immer leichter, als es selber besser zu machen.
Anzumerken bleibt noch, dass Ebertshäuser bei seinen Zitaten aus den Sach- und Worterklärungen die Rechtschreibung geändert hat. Hält er auch die neue Rechtschreibung für einen Versuch, den wahren Glauben zu zerstören? (Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, dem auf den Grund zu gehen.) Ich verwende bei meiner Wiedergabe die originale Rechtschreibung der Sach- und Workerklärungen. Die Überschriften sind zugleich die Stichwörter, die die von Ebertshäuser kritisierten Aussagen enthalten.
Es »wird der Eindruck erweckt, der erste Mensch sei ein bloßer Mythos, weil die Liberaltheologie die Geschichtlichkeit des Schöpfungsberichts ablehnt.«
Diesen „Eindruck“ habe ich nicht. In der fraglichen Worterklärung heißt es lediglich: „Ursprünglich kein Eigenname, sondern das hebräische Wort für »Mensch«.“ Tatsächlich bedeutet hebr. אָדָם ʾādām „Mensch (als Kollektivum), Menschheit“. Das zeigt sich einerseits an der Verwendung des Wortes mit Artikel (Eigennamen werden stets ohne Artikel verwendet), z.B. in Gen 1,27 („da schuf Gott den adam“ = „die Menschheit“). Und andererseits an Wendungen wie aller Adam (= „alle Menschen“), ein Adam (= „jemand“), es gibt keinen Adam (= „es gibt keinen Menschen“) Gen 2,5 usw. Der Einzelmensch heißt dann בֵּן־אָדָם ben-ʾādām (wörtl. „Sohn des Menschen“) oder אֱנוֺשׁ ʾænôš „Mensch“ oder אִישׁ ʾîš „Mann, Mensch“.
Tatsächlich wird im Buch Genesis ʾādām überwiegend mit Artikel gebraucht. Nur in 4,25; 5,1.3-5 zeigt der Konsonantentext eindeutig die Verwendung als Eigenname (s. die Wiedergabe der Stellen in Adam und Eva). An den drei Stellen, wo das Wort mit der Präposition לְ le „zu, für“ steht (2,20; 3,17.21) hat der masoretische Text ohne Artikel vokalisiert. Aber zu Recht wird man wohl mit den Herausgebern der Biblia Hebraica annehmen müssen, dass in Wahrheit mit Artikel (לָ lā) zu vokalisieren ist. Denn ein Hin- und Herwechseln zwischen Appellativum und Eigenname wäre unmotiviert und störte den Erzählfluss. Dass in 1,26; 2,5; 5,2 ʾādām artikelloses Appellativum ist, ergibt sich aus dem Kontext.
Nun besteht kein Zweifel daran, dass Gott den „Menschen“ geschaffen hat. Ob aber das Buch Genesis den Menschen namens „Mensch“ als historische Einzelpersönlichkeit verstanden wissen will, ist meines Erachtens doch sehr fraglich. Wir haben in Gen 1-4 nicht eine griechische Geschichtsschreibung vor uns, sondern eine orientalische Erzählung. Man sollte daher die Möglichkeit offen lassen, dass der Autor ein anderes Verständnis von historischer Wahrheit hatte als wir heute (s. meine „glaubenszerstörende“ Ansicht in Argumente gegen die Historizität). Es hat seinen Grund, dass man Adam und Eva in keinem modernen Geschichtsbuch findet. Doch in der Worterklärung finde ich auch nichts, das hindert, weiter an der Historizität Adams festzuhalten.
„Ebenso macht die Geschichte vom Sündenfall deutlich, dass die Unterordnung der Frau unter den Mann nicht dem ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes entspricht.“
„In nicht wenigen Strömungen der Urgemeinde konnten Frauen in führenden Positionen tätig sein (Röm 16,1-2); ihre spätere Zurückdrängung (vgl. 1Tim 2,8-15) folgte antiken konservativen Positionen.“
»Hier wird dreist die Inspiration und paulinische Verfasserschaft des 1. Timotheusbriefes geleugnet und die biblische Lehre in bezug auf die Frau bewußt feministisch umgedeutet!«
Im sog. ersten Schöpfungsbericht wird (Gen 1,27; 5,1f) gesagt, dass Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat und zwar „männlich und weiblich“. Dies wird allgemein so verstanden, dass Mann und Frau gemeinsam das Bild Gottes ergeben. Im zweiten Schöpfungsbericht wird (Gen 2,18) die Frau bestimmt als „Hilfe wie ihm gegenüber“ (oft übersetzt als „die ihm entspricht, die zu ihm passt“ o.ä.). Hier ist also ausgesagt, dass Mann und Frau einander brauchen. Eine Rangordnung ist nicht zu erkennen. Doch hat die jüdische Auslegung daraus den Primat des Mannes gemacht (der Mann wurde zuerst erschaffen, die Frau wurde um des Mannes willen gemacht), darauf hat auch die christliche Auslegung bei Bedarf zurückgegriffen (z.B. 1Kor 11,9; 1Tim 2,13).
Die Herrschaft des Mannes über die Frau ist Folge des Sündenfalls (Gen 3,16b). Daher kann man zurecht behaupten, dass sie nicht der ursprünglichen Absicht Gottes mit seiner Schöpfung entspricht. Und da Christus uns von der Sünde erlöst hat, konnte Paulus den Schluss ziehen, dass in Christus die Unterordnung der Frau aufgehoben ist (1Kor 11,11; Gal 3,28).
Dass der Mann das Haupt der Frau ist (1Kor 11,3), wird im Schöpfungsbericht nirgends gesagt. Es entspringt antiker (zumindest griech.) Rechtsordnung. Die Frau war nicht voll rechtsfähig, sondern brauchte einen kýrios, einen Mann (den Vater, Bruder, Ehegatten, Sohn, …), der für sie verantwortlich war und ihre rechtlichen Interessen zu vertreten hatte.
In 1Kor 11,11f und Gal 3,28 anerkennt Paulus, dass in Christus alle trennenden Unterschiede, auch die zwischen Mann und Frau, aufgehoben sind. Die Unterordnung der Frau unter den Mann, der Kinder unter die Eltern, der Sklaven unter ihre Herren (Eph 5,21-6,9; Kol 3,18-4,1) entspricht antiken Idealen und hat Berechtigung im Hinblick darauf, der Mission keinen Anstoß zu geben und den Gegnern des Christentums keinen Vorwand zu liefern, der christlichen Gemeinde und ihren Verkündigern vorzuwerfen, sie seien Aufrührer und gefährden die öffentliche Ruhe und die gesellschaftliche Ordnung (wie in Apg 24,5).
1Kor 11,3-16 spricht vom Verhalten der Frau im Gottesdienst. Paulus fordert hier für eine griechische Gemeinde die Einhaltung einer bestimmten (jüdischen?) Sitte, hat aber sichtlich Probleme, diese Forderung zu begründen. Warum schändet der Mann sein Haupt, d.h. Christus, wenn er mit bedecktem Haupt betet? (Im heutigen Judentum ist es sogar so, dass der Mann zum Gebet eine – zumindest symbolische – Kopfbedeckung tragen muss.) Warum gereicht langes Haar dem Mann zu Unehre? Was ist mit den Nasiräern, mit Simson? Hat Jesus kurzes Haar gehabt? (S. ausführliche Diskussion in Kopftuch.) Vielleicht deshalb schließt Paulus in V. 16 mit einem fast österreichischen „das haben wir immer so gemacht, keine Diskussion“.
Gestattet Paulus in Kap. 11 der Frau noch, in der Gemeindeversammlung zu beten oder prophetisch zu reden (προσευχομένη ἢ προφητεύουσα), so verbietet er 14,33b-36 plötzlich der Frau zu reden (λαλεῖν), wobei er zwischendurch 11,11f noch die gleichrangige Zuordnung von Mann und Frau hervorhebt. Wir kennen den Kontext der Aussagen nicht, aber so wie es dasteht, ist es dermaßen widersprüchlich, dass ich es für problematisch halte, daraus theologische Grundsatzpositionen abzuleiten.
In 1Tim 2,11-15 wird vermutlich auf gnostische Strömungen reagiert, in denen Frauen eine führende Rolle einnahmen und die von den Frauen den Verzicht auf Ehe und Kinder forderten. Doch ist die Behauptung, nur Eva sei verführt worden, nicht jedoch Adam, ein glatter Widerspruch zu Gen 3,6b. Sie entstammt jüdischer Auslegung, die die Mitschuld Adams mehr oder weniger geleugnet hat. (S. dazu ausführlicher in Darf eine Frau lehren?)
Dass Frauen in der frühen Kirche auch vereinzelt Leitungspositionen einnehmen konnten, hat einige Wahrscheinlichkeit für sich. Letztlich hat sich die Kirche aber entschieden, der heidnischen Umwelt keinen Anstoß zu geben, und die Frau auf die Stellung zu beschränken, die sie auch in der Gesellschaft hatte. Wenn wir heute das gleiche tun wollen, müssten wir dann nicht eigentlich umgekehrt aufhören, auf der Unterordnung der Frau zu beharren?
Die inkriminierte Sacherklärung ist meines Erachtens sachlich korrekt und theologisch ausgewogen. Ebertshäusers „biblische Lehre in Bezug auf die Frau“ ist wohl eher seine ultra-konservative Auslegung. Ich bilde mir nicht ein, zu diesem Thema die allein-seligmachende Wahrheit zu besitzen. Ich denke lediglich, dass es nicht so einfach ist, wie manche Freikirchen es uns weismachen wollen.
Übrigens werden hier weder die Inspiration noch die paulinische Verfasserschaft des 1Tim geleugnet. Aber Ebertshäuser weiß, dass die akademische Theologie die Pastoralbriefe für nicht paulinisch hält.
„Das hebräische Wort für Geist bedeutet ursprünglich »Wind«, »Hauch«. Gemeint ist damit das Lebensprinzip, das der Erschaffung der Welt zugrunde liegt (1.Mose 1,2) und das Gott auch seinen Geschöpfen verliehen hat (vgl. den »Odem« in Ps 104,29).“
Damit »wird die Person des Heiligen Geistes verleugnet; ihre Definition von Geist kommt aus dem New Age […] Später lehren sie die Irrlehre der Taufwiedergeburt:«
„Mit der Taufe (Erwachsenentaufe) wird der Geist allen Glaubenden verliehen“.
Tatsächlich ist der Geist im AT noch keine Person, sondern eher so etwas wie eine belebende oder antreibende Kraft. Wie gesagt, bedeutet hebr. רוּחַ ruaḥ „Hauch(en) (auch als Zeichen der Vergänglichkeit), Blasen, Wehen“. Es hat oft den Nebensinn von „Lebenskraft“, z.B. Hes 37,8 „es ist keine ruach in ihm“ (d.h. er ist leblos), Ri 15,19 „seine ruach kehrte zurück“ (d.h. seine Lebensgeister, seine Kräfte kehrten zurück), u.ä.
Ähnlich ist es mit der ruach Gottes, die auch ruach der Heiligkeit („heiliger Geist“) genannt wird. Die Gen 1,2 über der Wasseroberfläche schwebt; die Hi 27,3 in Hiobs Nase ist; die Hi 33,4; Ps 104,30; Gen 6,3 u.a. als lebenschaffende und -erhaltende Kraft gedacht ist; die Hi 32,8 Menschen verständig macht und sie Ps 143,10 leitet.
Woran Ebertshäuser sich hier stößt, ist vermutlich das Fehlen von Ausführungen zur Trinität. Zwar ist zum Verständnis atl. Texte über den Geist die Trinität eher hinderlich als hilfreich. Und auch im NT gibt es kaum Stellen, aus denen sich die Trinität zwanglos ablesen lässt. (Das Comma Johanneum 1Joh 5,7f ist ein späterer Zusatz, der erstmals im 14. Jh. in den griech. Handschriften auftaucht.) Ein paar Bemerkungen über diese zentrale christliche Lehre hätten aber zumindest nicht geschadet.
Und zur Frage der „Irrlehre der Taufwiedergeburt“: Ebertshäuser meint wohl die orthodoxe Lehre, dass die Wiedergeburt eine Wirkung der Taufe sei. Hier wird aber nur gesagt, dass der Geist Gottes nicht mehr nur besonders Auserwählten verliehen wird, sondern allen, die Buße tun und sich taufen lassen (Apg 2,38). Der Geistempfang kann auf die Taufe folgen (Apg 19,5f), muss aber nicht immer (Apg 8,16f). Öfter geht er auch der Taufe voraus (Apg 10,44; viell. auch Apg 9,17f). Das sind allerdings Details, die über die Zielsetzung der Sacherklärungen hinausgehen. Diese können und sollen kein Bibellexikon ersetzen.
„Als man zunehmend die universale Macht dieses Gottes erkannte, wurde er mit der kanaanitischen Gottheit »El« identifiziert“.
»Auch hinter solchen Formulierungen stehen die schlimmen Theorien der Bibelkritik, nach denen sich der Glaube Israel nicht aus der Schrift, sondern evolutionär aus den Religionen ihrer Nachbarvölker entwickelt habe.«
Das wird hier mitnichten behauptet. Vielmehr wird zu erklären versucht, wieso Gott im Hebr. einerseits Jahwe, andererseits aber auch El (was der Name einer der kanaanitischen Hauptgötter ist) heißt. Ist es schlimm, anzunehmen, dass sich die Gottesvorstellung der Israeliten in der Auseinandersetzung mit den Glaubensvorstellungen der Nachbarvölker geschärft und so im Laufe der Jahrhunderte auch gewandelt hat? (Aus welcher „Schrift“ hätte sich der Glaube denn entwickeln sollen?) Ist es Bibelkritik, festzustellen, dass der Glaube an den dreieinigen Gott noch gar nicht im AT vorkommt?
„Im Epheserbrief (Eph 3,10; 6,12) gilt der Himmel als von dämonischen, gottfeindlichen Mächten beherrscht. Die für den Verfasser wohl real gedachte Vorstellung enthält die Metaphorik, dass diese gefährlichen Mächte die Menschen von Gott trennen wollen.“
»Hier wird sowohl die göttliche Inspiration und Wahrhaftigkeit des Epheserbriefes bestritten als auch die Verfasserschaft des Apostels Paulus.«
Die Schlussfolgerung, damit würde die Inspiration bestritten, kann man nur ziehen, wenn man der Ansicht ist, Inspiration bedeute völlige Irrtumslosigkeit des Schreibers. Im Griech. steht übrigens an den beiden genannten Eph-Stellen ἐν τοῖς ἐπουρανίοις. Ἐπουράνια epouránia „himmlische (Dinge, Orte)“ verwendet der Eph wohl deshalb, weil οὐρανοί ouranoí „Himmel“ im Judentum gern gebrauchte Umschreibung für Gott war („Reich der Himmel“ = Reich Gottes). Ob diese Metaphorik vom Verfasser wirklich real gedacht war, d.h. ob er sich vorgestellt hat, dass sich die geistlichen Mächte im Luftraum über der Erdoberfläche aufhalten, darf man allerdings getrost bezweifeln.
Die Verfasserschaft des Paulus wird nicht explizit bestritten. Aber Ebertshäuser weiß natürlich, dass die akademische Theologie die Verfasserschaft des Paulus eher für unwahrscheinlich hält. Die Formulierung „für den Verfasser“ (und nicht „für Paulus“) weist in diese Richtung. Doch lässt die Worterklärung den Sachverhalt zumindest offen. Das ist Ebertshäuser aber wohl zu wenig. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn.
„Weil die Prophetenworte als Gottesworte galten, behielt die prophetische Botschaft in Israel ihren großen Wert […] So lässt es sich erklären, dass Worte des Propheten Jesaja von Späteren, die sich der Botschaft dieses Propheten verpflichtet fühlten, weitergeschrieben wurden (so z.B. in Jes 40-66).“
»Der Schwindel vom „Deuterojesaja“ und anderen späteren Autoren, die angeblich den zweiten Teil des Propheten Jesaja geschrieben hätten […]«
Der sog. Deuterojesaja ist die von vielen Wissenschaftlern geteilte Überzeugung, dass in Jes ab Kap. 40 ein späterer Prophet spricht. Denn es geht plötzlich nicht mehr um die militärische Bedrohung Judas durch benachbarte Völker, insbes. durch die Assyrer, sondern darum, dass die Gefangenschaft der Judäer in Babylon zu Ende geht und die Exilierten zurückkehren dürfen (und im Vertrauen auf Gott auch sollen). Diese Botschaft wäre Anfang des 7. Jh. (nachdem Gott auf wunderbare Weise bewirkt hatte, dass die Assyrer ihren Feldzug abbrechen) so überflüssig wie ein Kropf gewesen. Erst in der zweiten Hälfte des 6. Jh. (als die Judäer tatsächlich schon einige Jahrzehnte im Exil waren) hatte sie ihre Berechtigung.
Allerdings ist es erklärungsbedürftig, warum der Autor dieser neuen prophetischen Botschaft nicht mit Namen genannt wird und sein Text einfach nahtlos an Jes 39 angefügt ist. Die Erklärung, dass sich dieser zweite „Jesaja“ der Botschaft des Sohnes des Amoz verpflichtet gefühlt hätte und darum dessen Buch weitergeschrieben hätte, halte ich auch für schwach. Xenophon hat das Geschichtswerk des Thukydides weitergeschrieben, weil letzterer sein Werk nicht vollendet hatte. Doch bei Jesaja liegt der Fall anders. Wir wissen nicht wirklich, warum so unterschiedliche Botschaften zu einem Buch geworden sind. Doch hat die Annahme eines Deuterojesaja meines Erachtens größere Plausibilität als die, das ganze Buch stamme von einem Autor.
Es bleibt die Frage, warum das überhaupt ein Problem ist. Die Annahme mehrerer Autoren stellt die Inspiration nicht in Abrede. Sie ist kein Angriff auf den Glauben an die Wahrheit des Wortes Gottes. Man mag sie für einen Irrtum halten. Ein Schwindel ist sie darum aber nicht.
„Vielleicht am Südostufer des Toten Meeres gelegen, sind sie wahrscheinlich schon in der mittleren Bronzezeit durch eine Naturkatastrophe untergegangen.“
»Damit wird der Bericht der Bibel als unwahr hingestellt […].«
Warum das den biblischen Bericht als unwahr hinstellt, kann ich nicht erkennen. Wir wissen nicht, wann genau Abraham und Lot gelebt haben. Aber die Mittlere Bronzezeit (ca. 2000-1600 v.Chr.) dürfte das Richtige treffen. Und dass Feuer und Schwefel vom Himmel geregnet sind, ist für den Wissenschaftler eine Naturkatastrophe, vielleicht vulkanischen Ursprungs – oder könnte es sich um einen Meteoritenschauer gehandelt haben? Das leugnet ja nicht, dass Gott hinter diesem Ereignis gestanden ist. Vielmehr heißt es auch: „Kanaanitische Städte, die nach 1.Mose 19,1-29 wegen ihrer Sünden vernichtet wurden.“ Das eine schließt das andere nicht aus.
„[…] somit wird Jesus in Röm 3,25-26 als Ort der Gegenwart Gottes bezeichnet, an dem sich Reinigung und Weihe für Gott vollzieht (das Motiv der Stellvertretung steht hingegen nach neuerer Forschung nicht im Zentrum des Interesses).“
Bei diesem Lemma »entfalten sich die Bibelkritiker besonders dreist. Sie verleugnen das stellvertretende Sühnopfer des Herrn Jesus […].«
Das stellvertretende Opfer Jesu wird zwar nicht geleugnet, aber der Gedanke der Stellvertretung wird als für das NT von sekundärer Bedeutung abgetan. Da fragt man sich, von welchen Texten her das „Zentrum des Interesses“ definiert wird. Röm 5,8; 1Pt 3,18; Kol 2,14 u.ä. werden es wohl nicht sein. Gerade bei einem so wichtigen Thema hätten die Herausgeber gut daran getan, auf den aktuellen theologischen Modetrend zu verzichten. Hier halte ich Ebertshäusers Kritik für nicht unberechtigt.
»Daß die Worterklärungen nicht immer ganz einfachen philologischen Sachverstand aufweisen, zeigt die Erklärung des Namens Jesus: „Der Name ‚Jesus‘ bedeutet ‚Gott rettet`…“ In Wirklichkeit bedeutet das hebräische Jeschuah oder Jehoshuah aber: „Der HERR (JHWH) ist Rettung“ Soviel Genauigkeit sollte bei all dem „wissenschaftlichen Anspruch“ doch drin sein?!«
Ebertshäusers Transkription des hebr. Namens Jesu mit -ah ist falsch. (Die Worterklärung hingegen transkribiert korrekt.) Denn der Name endet nicht auf He, sondern auf ʿAjin, das man in vereinfachter Wiedergabe fortlässt oder mit Apostroph andeutet, niemals aber mit h: יֵשׁוּעַ Ješûaʿ (~Jeschúa'), verkürzt aus יְהוֺשֻׁעַ Jehôšuaʿ. Soviel Genauigkeit sollte doch drin sein. Denn es gibt auch יְשׁוּעָה ješûʿâ (~jeschu'áh) „Hilfe“, das wirklich auf He endet. (Ich transkribiere die Femininendung mit -â, denn das He stützt nur den auslautenden Vokal. Doch ist die Transkription mit -ah immer noch in Gebrauch, z.B. Torah, Menorah, neben Tora, Menora.)
Der Name bedeutet „JHWH rettet, befreit“. Aber das wäre nur eine halbe Erklärung, denn wer oder was ist JHWH? Es ist der Gott Israels. Daher ist die Erklärung „Gott rettet“ sachlich nicht zu bemängeln. (Zwischen „rettet“ und „ist Rettung“ kann ich keinen Unterschied erkennen.) Man sollte keinen philologischen Sachverstand einfordern, wenn man ihn selbst nicht besitzt.
Dass Ebertshäuser der biblischen Sprachen nicht sonderlich mächtig ist, ist hier wieder klar zu erkennen. Seine Kritik würde nicht so sehr zu Widerspruch reizen, wäre sie sachlicher im Ton und würde sie sich auf das beschränken, was wirklich zu kritisieren oder zu hinterfragen ist. Soweit es die Worterklärungen betrifft, kritisiert er hauptsächlich Dinge, die nicht gesagt werden (aber seiner Ansicht nach wohl gesagt werden sollten), oder den „Eindruck“, den die Artikel bei ihm hinterlassen.
Die Erklärungen sind nicht wirklich glaubenszersetzend. Sie versuchen, eine Brücke zu bilden zwischen der konservativ-evangelikalen Sichtweise (der auch ich mich in wesentlichen Fragen zugehörig fühle) und den Anschauungen der aktuellen kritischen Theologie. Die Formulierungen sind daher häufig bewusst so offen, dass sie beide Sichtweisen zulassen. Ebertshäuser lehnt die Erklärungen ab, weil er alles ablehnt, was auch nur ein Jota von seinem Bibelverständnis und seiner persönlichen Überzeugung abweicht.
Noch ein Wort zu Ebertshäusers Empfehlungen im Hinblick auf Bibelübersetzungen allgemein:
»Das ist gerade im Hinblick auf die junge Generation wichtig, die wir vor den bibelkritisch geprägten Übersetzungen wie Luther 2017, Zürcher 2007 oder Ökumenische Einheitsübersetzung ebenso verschonen sollten wie vor den modernen Übertragungen à la „Gute Nachricht“, „Hoffnung für alle“, „Neues Leben“, „NGÜ“, „NEÜ“ und wie sie alle heißen.
Meine persönliche Empfehlung als gute Alternative wäre die Schlachterbibel 2000, die nach bibeltreuen Grundsätzen überarbeitet wurde, die wortgetreu und zugleich gut verständlich ist. Wer „Luther original“ liebt, der wird sich weiter an die Ausgabe von 1912 halten.«
Dass Ebertshäuser jene Übersetzung empfiehlt, an der er nach eigenem Bekunden selbst mitgearbeitet hat (Schlachter 2000), ist natürlich nicht überraschend. Gerade sie kann aber nicht empfohlen werden, weil sie beim NT bewusst auf einem griech. Text beruht, von dem wir wissen, dass er das Produkt späterer Abschreiber ist (s. Textus receptus). Aus demselben Grund kann auch Luther 1912 niemandem mehr empfohlen werden, ganz abgesehen von der völlig veralteten Sprache. (Die Ablehnung der Textkritik durch Ebertshäuser und die Herausgeber der Schlachter 2000 trägt schon sektiererische Züge.)
Die Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung verwenden eine moderne Sprache, sind dabei aber weitgehend texttreu. Maximale Texttreue bietet die Elberfelder, sie ist aber sprachlich nicht selten etwas hölzern. Gute Nachricht, Neues Leben Bibel, Neue Genfer Übersetzung oder Hoffnung für alle sind zu empfehlen für kirchenferne Menschen, die noch nicht die „Sprache Kanaans“ sprechen, d.h. die mit dem religiösen Vokabular noch nicht vertraut sind. Auch mit der Bibel Vertraute sollten hin und wieder in eine solche Übersetzung schauen, um einen neuen Blick auf den Text zu gewinnen. Ohnehin wird jeder, der tiefer in den Text eindringen will, mehrere Übersetzungen parallel benutzen, sich Kommentare zulegen oder die biblischen Sprachen lernen.
Wovor auch ich warnen würde, ist die Neue-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas und die Bibel in gerechter Sprache. Mit Vorsicht genießen muss man auch Übertragungen, die mit bewussten Verfremdungseffekten arbeiten, wie die Volx-Bibel, Wolfgang Teuschls Da Jesus und seine Hawara oder neuerdings Roland Kadans Da David und sei Pantscherl und Da Josef und seine Briada. Auch das jüdische Neue Testament von David Stern, dessen dt. Version übrigens (soweit ich verstanden habe) aus dem Engl. übersetzt wurde, sollte mit einer gewissen kritischen Distanz gelesen werden.
Zu Ebertshäusers weltanschaulichen Rundumschlägen, gegen die Herausgabe der deuterokanonischen Schriften (die sog. atl. Apokryphen), gegen die evangelische Kirche wie gegen die katholische Kirche, gegen die Ökumene usw. könnte man sich die Finger wund schreiben. Aber ich will meine Auseinandersetzung mit Ebertshäusers geistiger und geistlicher Enge nicht zur Obsession werden lassen.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 13. Mai 2024